VIERTER TEIL. Die germanische Welt

Erster Abschnitt: Die Elemente der christlich-germanischen Welt419
Erstes Kapitel. Die Völkerwanderungen 419)Drittes Kapitel. Das Reich Karls des großen 434)
Erstes Kapitel. Die Feudalität und die Hierarchie 441)
Drittes Kapitel. Der Übergang der Feudalherrschaft in die Monarchie477
Kunst und Wissenschaft als Auflösung des Mittelalters 488)Erstes Kapitel. Die Reformation 492
Zweites Kapitel. Wirkung der Reformation auf die Staatsbildung508
Drittes Kapitel. Die Aufklärung und die Revolution 520

Vierter Teil Die germanische Welt

Der germanische Geist ist der Geist der neuen Welt,
deren Zweck die Realisierung der absoluten Wahrheit
als der unendlichen Selbstbestimmung der Freiheit ist,
der Freiheit, die ihre absolute Form selbst zum Inhalte hat.

Die Bestimmung der germanischen Völker ist,
Träger des christlichen Prinzips abzugeben.

Der Grundsatz der geistigen Freiheit, das Prinzip der Versöhnung,
wurde in die noch unbefangenen, ungebildeten Gemüter jener Völker gelegt,
und es wurde diesen aufgegeben, im Dienste des Weltgeistes
den Begriff der wahrhaften Freiheit nicht nur zur religiösen Substanz zu haben,
sondern auch in der Welt aus dem subjektiven Selbstbewußtsein frei zu produzieren.

Wenn wir nun zur Einteilung der germanischen Welt in ihre Perioden übergehen,
so ist sogleich zu bemerken, daß sie nicht wie bei den Griechen und Römern
durch die doppelte Beziehung nach außen,
rückwärts zu dem früheren welthistorischen Volke
und vorwärts zu dem späteren, gemacht werden kann.

Die Geschichte zeigt, daß der Gang der Entwicklung
bei diesen Völkern ein ganz verschiedener war.

Die Griechen und Römer waren gereift in sich, als sie sich nach außen wendeten.

Umgekehrt haben die Germanen damit angefangen, aus sich herauszuströmen,
die Welt zu überschwemmen
und die in sich morschen und ausgehöhlten Staaten der gebildeten Völker
sich zu unterwerfen.

Dann erst hat ihre Entwicklung begonnen, angezündet an einer fremden Kultur,
fremden Religion, Staatsbildung und Gesetzgebung.

Sie haben sich durch das Aufnehmen und Überwinden des Fremden in sich gebildet,
und ihre Geschichte ist vielmehr ein Insichgehen und Beziehen auf sich selbst.

Allerdings hat auch die Abendwelt in den Kreuzzügen,
in der Entdeckung und Eroberung von Amerika sich außerhalb begeben,
aber sie kam da nicht in Berührung
mit einem ihr ((413)) vorangegangenen welthistorischen Volke,
sie verdrängte ja nicht ein Prinzip, das bisher die Welt beherrscht hatte.

Die Beziehung nach außen begleitet hier nur die Geschichte,
bringt nicht wesentliche Veränderungen in der Natur der Zustände mit sich,
sondern trägt vielmehr das Gepräge der inneren Evolutionen an sich.

Denn die christliche Welt ist die Welt der Vollendung;
das Prinzip ist erfüllt, und damit ist das Ende der Tage voll geworden:
die Idee kann im Christentum nichts Unbefriedigtes mehr sehen.

Die Kirche ist zwar
einerseits für die Individuen Vorbereitung für die Ewigkeit als Zukunft,
insofern die einzelnen Subjekte als solche
immer noch in der Partikularität stehen;
aber die Kirche hat auch den Geist Gottes in sich gegenwärtig,
sie vergibt dem Sünder und ist das gegenwärtige Himmelreich.

So hat denn die christliche Welt kein absolutes außen mehr,
sondern nur ein relatives, das an sich überwunden ist
und in Ansehung dessen es nur darum zu tun ist,
auch zur Erscheinung zu bringen, daß es überwunden ist.

Hieraus folgt, daß die Beziehung nach außen nicht mehr das Bestimmende
in betreff der Epochen der modernen Welt ist.

Es ist also ein anderes Prinzip der Einteilung aufzusuchen.

Die germanische Welt hat die römische Bildung und Religion als fertig aufgenommen.

Es war wohl eine deutsche und nordische Religion vorhanden,
aber sie hatte auf keine Weise feste Wurzeln im Geiste gefaßt;
Tacitus nennt daher die Germanen securi adversus deos.

Die christliche Religion nun, welche sie an nahmen,
war durch die Konzilien und Kirchenväter,
welche die ganze Bildung,
insbesondere die Philosophie der griechischen und römischen Welt besaßen,
ein fertiges dogmatisches System geworden,
so wie die Kirche eine ganz ausgebildete Hierarchie.

Der eigenen Volkssprache der Germanen
setzte ebenso die Kirche eine ganz ausgebildete, die lateinische, entgegen.

In Kunst und Philosophie war dieselbe Fremdartigkeit.

Was an der alexandrinischen ((414)) und formell aristotelischen Philosophie
in den Schriften des Boëthius und sonst noch aufbewahrt war,
das ist nun das Bleibende auf viele Jahrhunderte für das Abendland geworden.

Auch in der Form der weltlichen Herrschaft war derselbe Zusammenhang:
gotische und andere Fürsten ließen sich Patrizier von Rom nennen,
und später wurde das römische Kaisertum wiederhergestellt.

So scheint die germanische Welt äußerlich
nur eine Fortsetzung der römischen zu sein.

Aber es lebte in ihr ein vollkommen neuer Geist,
aus welchem sich nun die Welt regenerieren musste,
nämlich der freie Geist, der auf sich selbst beruht,
der absolute Eigensinn der Subjektivität.

Dieser Innigkeit steht der Inhalt als absolutes Anderssein gegenüber.

Der Unterschied und Gegensatz, der sich aus diesen Prinzipien entwickelt,
ist der von Kirche und Staat.

Auf der einen Seite bildet sich die Kirche aus,
als das Dasein der absoluten Wahrheit;
denn sie ist das Bewußtsein dieser Wahrheit
und zugleich die Wirksamkeit, daß das Subjekt ihr gemäß werde.

Auf der andern Seite steht das weltliche Bewußtsein,
welches mit seinen Zwecken in der Welt steht
- der Staat, vom Gemüt, der Treue, der Subjektivität überhaupt ausgehend.

Die europäische Geschichte ist die Darstellung der Entwicklung
eines jeden dieser Prinzipien für sich, in Kirche und Staat,
dann des Gegensatzes von beiden
nicht nur gegeneinander, sondern in jedem derselben,
da jedes selbst die Totalität ist,
und endlich der Versöhnung dieses Gegensatzes.

Die erste beginnt mit
dem Auftreten der germanischen Nationen im Römischen Reiche,
mit der ersten Entwicklung dieser Völker,
welche sich als christliche nun in den Besitz des Abendlandes gesetzt haben.

Ihre Erscheinung bietet bei der Wildheit und Unbefangenheit dieser Völker
kein großes Interesse dar.

Es tritt dann die christliche Welt als Christentum auf,
als eine Masse,
woran das Geistliche und das Weltliche nur verschiedene Seiten sind.

Diese Epoche geht bis auf Karl den Großen. ((415))

Die zweite Periode entwickelt die beiden Seiten
bis zur konsequenten Selbständigkeit und zum Gegensatze
- der Kirche für sich als Theokratie
und des Staates für sich als Feudalmonarchie.

Karl der große hatte sich mit dem Heiligen Stuhl
gegen die Langobarden und die Adelsparteien in Rom verbunden;
es kam so eine Verbindung der geistlichen und weltlichen Macht zustande,
und es sollte nun, nachdem die Versöhnung vollbracht war,
sich ein Himmelreich auf Erden auftun.

Aber gerade in dieser Zeit erscheint uns statt des geistigen Himmelreichs
die Innerlichkeit des christlichen Prinzips
schlechthin als nach außen gewendet und außer sich gekommen.

Die christliche Freiheit ist zum Gegenteil ihrer selbst verkehrt,
sowohl in religiöser als in weltlicher Hinsicht,
einerseits zur härtesten Knechtschaft,
andererseits zur unsittlichsten Ausschweifung und zur Roheit aller Leidenschaften.

In dieser Periode sind besonders zwei Gesichtspunkte hervorzuheben:
der eine ist die Bildung der Staaten,
welche sich in einer Unterordnung des Gehorsams darstellen,
so daß alles ein festes partikuläres Recht wird,
ohne den Sinn der Allgemeinheit.

Diese Unterordnung des Gehorsams erscheint im Feudalsystem.

Der zweite Gesichtspunkt ist der Gegensatz von Kirche und Staat.

Dieser Gegensatz ist nur darum vorhanden,
weil die Kirche, welche das Heilige zu verwalten hatte,
selbst zu aller Weltlichkeit herabsinkt
und die Weltlichkeit nur um so verabscheuungswürdiger erscheint,
als alle Leidenschaften sich die Berechtigung der Religion geben.

Das Ende der zweiten und zugleich den Anfang der dritten Periode
macht die Zeit der Regierung Karls des Fünften,
in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts.

Es erscheint nun die Weltlichkeit als in sich zum Bewußtsein kommend,
daß auch sie ein Recht habe in der Sittlichkeit, Rechtlichkeit,
Rechtschaffenheit und Tätigkeit des Menschen.

Es tritt das Bewußtsein der Berechtigung seiner selbst
durch die Wiederherstellung der christlichen Freiheit ein.

Das christliche Prinzip hat nun
die fürchterliche Zucht der Bildung durchgemacht, ((416))
und durch die Reformation
wird ihm seine Wahrheit und Wirklichkeit zuerst gegeben.

Diese dritte Periode der germanischen Welt
geht von der Reformation bis auf unsere Zeiten.

Das Prinzip des freien Geistes ist hier zum Panier der Welt gemacht,
und aus diesem Prinzipe
entwickeln sich die allgemeinen Grundsätze der Vernunft.

Das formelle Denken, der Verstand war schon ausgebildet worden,
aber seinen wahren Gehalt erhielt das Denken erst durch die Reformation,
durch das wiederauflebende konkrete Bewußtsein des freien Geistes.

Der Gedanke fing erst von daher an, seine Bildung zu bekommen;
aus ihm heraus wurden Grundsätze festgestellt,
aus welchen die Staatsverfassung rekonstruiert werden mußte.

Das Staatsleben soll nun mit Bewußtsein,
der Vernunft gemäß eingerichtet werden.

Sitte, Herkommen gilt nicht mehr;
die verschiedenen Rechte müssen sich legitimieren
als auf vernünftigen Grundsätzen beruhend.

So kommt die Freiheit des Geistes erst zur Realität.

Wir können diese Perioden als Reiche des Vaters,
des Sohnes und des Geistes unterscheiden.

Das Reich des Vaters ist die substantielle, ungeschiedene Masse,
in bloßer Veränderung, wie die Herrschaft Saturns, der seine Kinder verschlingt.

Das Reich des Sohnes ist die Erscheinung Gottes
nur in Beziehung auf die weltliche Existenz,
auf sie als auf ein Fremdes scheinend.

Das Reich des Geistes ist die Versöhnung.

Es lassen sich diese Epochen auch mit den früheren Weltreichen vergleichen;
insofern nämlich das germanische Reich das Reich der Totalität ist,
sehen wir in demselben die bestimmte Wiederholung der früheren Epochen.

Karls des großen Zeit ist mit dem Perserreiche zu vergleichen;
es ist die Periode der substantiellen Einheit,
wo diese Einheit auf dem Innern, dem Gemüte beruht
und im Geistigen und Weltlichen noch unbefangen ist.

Der griechischen Welt und ihrer nur ideellen Einheit
entspricht die Zeit vor Karl dem Fünften,
wo die reale Einheit nicht mehr vorhanden ist,
weil alle Partikularitäten
festgeworden sind in den Privilegien und besonderen Rechten. ((417))

Wie im Innern der Staaten
die verschiedenen Stände in ihren besonderen Berechtigungen isoliert sind,
so stehen auch die besonderen Staaten
nach außen nur in äußerlicher Beziehung zueinander.

Es tritt eine diplomatische Politik ein,
welche im Interesse des Gleichgewichts von Europa
die Staaten mit- und gegeneinander verbündet.

Es ist die Zeit, wo die Welt sich klar wird (Entdeckung von Amerika).

Auch das Bewußtsein wird nun klar innerhalb der übersinnlichen Welt
und über sie:
die substantielle reale Religion bringt sich zur sinnlichen Klarheit
im Elemente des Sinnlichen (die christliche Kunst in Papst Leos Zeitalter)
und wird sich auch klar im Elemente der innersten Wahrheit.

Das Insichgehen des Geistes beginnt (Sokrates - Luther);
doch Perikles fehlt in dieser Epoche.

Karl der Fünfte hat die ungeheure Möglichkeit an äußeren Mitteln
und scheint in seiner Macht absolut,
aber ihm fehlt der innere Geist des Perikles
und damit das absolute Mittel freier Herrschaft.

Dies ist die Epoche des sich selbst klar werdenden Geistes in der realen Trennung;
jetzt kommen die Unterschiede der germanischen Welt hervor
und zeigen sich wesentlich.

Die dritte Epoche ist zu vergleichen mit der römischen Welt.

Die Einheit des Allgemeinen ist in ihr ebenso vorhanden,
aber nicht als die Einheit der abstrakten Weltherrschaft,
sondern als die Hegemonie des selbstbewußten Gedankens.

Verständiger Zweck gilt jetzt,
und Privilegien und Partikularitäten verschmelzen
vor dem allgemeinen Zweck des Staats.

Die Völker wollen das Recht an und für sich;
nicht bloß die besonderen Traktate gelten,
sondern zugleich Grundsätze machen den Inhalt der Diplomatik aus.

Ebenso kann es die Religion nicht aushalten ohne den Gedanken
und geht teils zum Begriff fort,
teils wird sie, durch den Gedanken selbst genötigt,
zum intensiven Glauben
oder auch, aus Verzweiflung über den Gedanken,
indem sie ganz von ihm zurückflieht, zum Aberglauben. ((418))

Erster Abschnitt Die Elemente der christlich-germanischen Welt

Erstes Kapitel DIE VÖLKERWANDERUNGEN

Über diese erste Periode ist im ganzen wenig zu sagen,
denn sie bietet uns geringeren Stoff zum Nachdenken dar.

Wir wollen die Germanen nicht in ihre Wälder zurückverfolgen,
noch den Ursprung der Völkerwanderung aufsuchen.

Jene Wälder haben immer als die Wohnsitze freier Völker gegolten,
und Tacitus hat sein berühmtes Gemälde Germaniens
mit einer gewissen Liebe und Sehnsucht,
im Gegensatz zu der Verdorbenheit und Künstlichkeit der Welt entworfen,
der er selbst angehörte.

Wir können aber deswegen einen solchen Zustand der Wildheit
nicht für einen hohen halten
und etwa in den Irrtum Rousseaus verfallen,
der den Zustand der Wilden Amerikas als einen solchen vorgestellt hat,
in welchem der Mensch im Besitz der wahren Freiheit sei.

Allerdings kennt der Wilde ungeheuer viel Unglück und Schmerz gar nicht,
aber das ist nur negativ, während die Freiheit wesentlich affirmativ sein muß.

Die Güter der affirmativen Freiheit sind erst die Güter des höchsten Bewußtseins.

Jedes Individuum besteht bei den Germanen als ein freies für sich,
und doch ist eine gewisse Gemeinsamkeit vorhanden,
wenn auch noch nicht ein politischer Zustand.

Wir sehen dann die Germanen das Römische Reich überschwemmen.

Teils haben sie die fruchtbaren Gegenden,
teils der Drang, sich andere Wohnsitze zu suchen, angereizt.

Trotz den Kriegen, in welchen sie mit den Römern sich befinden,
nehmen doch Einzelne und ganze Stämme Kriegsdienste bei denselben;
schon mit Cäsar focht germanische Reiterei auf den pharsalischen Feldern.

Im Kriegsdienst und Verkehr mit gebildeten Völkern
lernten sie die Güter derselben kennen,
Güter für den Genuß und die Bequemlichkeit des Lebens, ((419))
aber vornehmlich auch Güter der geistigen Bildung.

Bei den späteren Auswanderungen blieben manche Nationen,
einige ganz, andere zum Teil, in ihrem Vaterlande zurück.

Wir haben demnach unter den germanischen Nationen
solche zu unterscheiden, welche in ihren alten Wohnsitzen geblieben sind,
und solche, welche sich über das Römische Reich ausbreiteten
und sich mit den unterworfenen Nationen vermischt haben.

Da die Germanen bei den Zügen nach außen
sich den Anführern auf freie Weise anschlossen,
so zeigt sich das eigentümliche Verhältnis,
daß die germanischen Völker sich gleichsam verdoppeln
(Ost- und Westgoten; Goten auf allen Punkten der Welt und in ihrem Vaterlande;
Skandinavier, Normannen in Norwegen und dann als Ritter in der Welt).

Wie verschieden die Schicksale dieser Völker auch sind,
sie hatten doch das gemeinsame Ziel,
sich Besitz zu verschaffen und sich dem Staate entgegen zu bilden.

Dieses Fortbilden kommt allen gleichmäßig zu.

Im Westen, in Spanien und Portugal,
lassen sich zuerst die Sueben und Vandalen nieder,
werden aber dann von den Westgoten unterworfen und verdrängt.

Es bildete sich ein großes Westgotisches Reich,
zu dem Spanien, Portugal und ein Teil von Südfrankreich gehörte.

Das zweite Reich ist das der Franken,
mit welchem gemeinsamen Namen
die istaevonischen Stämme zwischen Rhein und Weser
seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts genannt werden;
sie setzten sich zwischen Mosel und Schelde fest
und drangen unter ihrem Heerführer Chlodwig in Gallien bis an die Loire vor.

Derselbe unterwarf sich dann noch die Franken am Niederrhein
und die Alemannen am Oberrhein
und seine Söhne die Thüringer und Burgunder.

Das dritte Reich ist das der Ostgoten in Italien,
das von Theoderich gestiftet wurde und unter diesem besonders blühte.

Die gelehrten Römer Cassiodorus und Boëthius
waren die obersten Staatsbeamten des Theoderich.

Aber dieses ostgotische Reich bestand nicht lange,
es wurde von den Byzantinern unter Belisar und Narses zerstört.

In der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts (568) rückten ((420))
dann die Langobarden in Italien ein und herrschten zwei Jahrhunderte,
bis auch dieses Reich von Karl dem Großen
dem fränkischen Zepter unterworfen wurde.

Später setzten sich noch die Normannen in Unteritalien fest.

Dann sind die Burgunder zu erwähnen, die von den Franken bezwungen wurden
und deren Reich eine Art von Scheidewand
zwischen Frankreich und Deutschland bildet.

Nach Britannien sind die Angeln und Sachsen gezogen
und haben sich dasselbe unterworfen.

Später kommen auch hier die Normannen herein.

Diese Länder, welche früher einen Teil des Römischen Reiches bildeten,
haben so das Schicksal gehabt, von den Barbaren unterworfen zu werden.

Augenblicklich stellte sich ein großer Kontrast
zwischen den schon gebildeten Einwohnern jener Länder und den Siegern auf,
aber dieser Kontrast endete
in der Zwitternatur der nunmehr gebildeten neuen Nationen.

Das ganze geistige Dasein solcher Staaten enthält eine Geteiltheit in sich,
im Innersten zugleich eine Äußerlichkeit.

Dieser Unterschied fällt äußerlich sogleich durch die Sprache auf,
welche eine Ineinanderarbeitung
des selbst schon mit dem Einheimischen verknüpften Altrömischen
und des Germanischen ist.

Wir können diese Völker als romanische zusammenstellen
und begreifen darunter Italien, Spanien mit Portugal und Frankreich.

Diesen gegenüber stehen drei andere,
mehr oder weniger deutsch redende Nationen,
welche sich in dem einen Ton der ungebrochenen Innigkeit gehalten haben,
nämlich Deutschland selbst, Skandinavien und England,
welches letztere zwar dem Römischen Reiche einverleibt,
doch von römischer Bildung mehr nur am Saum, wie Deutschland selbst,
berührt und durch Angeln und Sachsen wieder germanisiert wurde.

Das eigentliche Deutschland erhielt sich rein von aller Vermischung,
nur der südliche und westliche Saum an der Donau und dem Rhein
war den Römern unterworfen gewesen;
der Teil zwischen Rhein und Elbe blieb durchaus volkstümlich.

Dieser Teil von Deutschland wurde von mehreren Völkerschaften bewohnt.

außer ((421)) den ripuarischen
und den durch Chlodwig in den Maingegenden angesiedelten Franken
sind noch vier Hauptstämme,
die Alemannen, die Boer, die Thüringer und die Sachsen zu nennen.

Die Skandinavier erhielten sich ebenso in ihrem Vaterlande
rein von aller Vermischung;
sie machten sich dann aber auch unter dem Namen der Normannen
durch ihre Heereszüge berühmt.

Sie dehnten ihre Ritterzüge fast über alle Teile von Europa aus:
ein Teil kam nach Rußland und gründete dort das russische Reich,
ein Teil ließ sich in Nordfrankreich und Britannien nieder;
ein anderer stiftete Fürstentümer in Unteritalien und Sizilien.

So hat ein Teil der Skandinavier außerhalb Staaten begründet,
ein anderer hat seine Nationalität am väterlichen Herde bewahrt.

Wir finden nun außerdem im Osten von Europa die große slawische Nation,
deren Wohnsitze sich im Westen der Elbe entlang bis an die Donau erstreckten;
zwischen sie hinein haben sich dann die Magyaren (Ungarn) gelagert;
in Moldau und Walachei und dem nördlichen Griechenland
sind die Bulgaren, Serben und Albanesen ebenso asiatischen Ursprungs
und in den Stößen und Gegenstößen der Völkerschaften
hier als gebrochene barbarische Reste geblieben.

Es haben zwar diese Völkerschaften Königreiche gebildet
und mutige Kämpfe mit den verschiedenen Nationen bestanden;
sie haben bisweilen als Vortruppen, als ein Mittelwesen
in den Kampf des christlichen Europa und unchristlichen Asien eingegriffen,
die Polen haben sogar das belagerte Wien von den Türken befreit,
und ein Teil der Slawen ist der westlichen Vernunft erobert worden.

Dennoch aber bleibt diese ganze Masse aus unserer Betrachtung ausgeschlossen,
weil sie bisher nicht als ein selbständiges Moment
in der Reihe der Gestaltungen der Vernunft in der Welt aufgetreten ist.

Ob dies in der Folge geschehen werde, geht uns hier nicht an;
denn in der Geschichte haben wir es mit der Vergangenheit zu tun.

Die germanische Nation
hatte die Empfindung der natürlichen ((422)) Totalität in sich,
und wir können dies Gemüt nennen.

Gemüt ist diese eingehüllte, unbestimmte Totalität des Geistes,
in Beziehung auf den Willen,
worin der Mensch auf ebenso allgemeine und unbestimmte Weise
die Befriedigung in sich hat.

Charakter ist eine bestimmte Form des Willens und des Interesses,
die sich geltend macht;
die Gemütlichkeit aber hat keinen bestimmten Zweck,
des Reichtums, der Ehre und dergleichen,
betrifft überhaupt nicht einen objektiven Zustand,
sondern den ganzen Zustand als der allgemeine Genuß seiner selbst.

Es ist darin also nur der Wille überhaupt als formeller Wille
und die subjektive Freiheit als Eigensinn.

Für die Gemütlichkeit wird jede Besonderheit wichtig,
weil das Gemüt sich ganz in jede hineinlegt;
weil es ihm aber wiederum
nicht um die Bestimmtheit des besonderen Zweckes als solche zu tun ist,
so kommt es darin auch nicht zum Isolieren in gewalttätigen, bösen Leidenschaften,
nicht zum Bösen überhaupt.

Im Gemüt ist diese Trennung nicht,
sondern es sieht im ganzen aus wie ein Wohlmeinen.

Charakter ist das Gegenteil davon.

Dies ist das abstrakte Prinzip der germanischen Völker
und die subjektive Seite gegen die objektive im Christentum.

Das Gemüt hat keinen besonderen Inhalt;
im Christentum ist es dagegen gerade um die Sache,
um den Inhalt als Objekt zu tun.

Aber im Gemüt liegt eben dies Befriedigtseinwollen
auf eine ganz allgemeine Weise,
und dies ist ebendasselbe, was sich als Inhalt
im Prinzip des Christentums ergeben hat.

Das Unbestimmte als Substanz, objektiv, ist das ganz Allgemeine, Gott;
daß aber in Gott der einzelne Wille zu Gnaden aufgenommen werde,
ist das andere Moment in der christlichen, konkreten Einheit.

Das absolute Allgemeine ist es, das alle Bestimmungen in sich enthält
und insofern unbestimmt ist;
das Subjekt ist das schlechthin Bestimmte;
beide sind identisch.

Dies ist zuerst als Inhalt im Christentum aufgewiesen worden,
jetzt aber auf subjektive Weise als Gemüt.

Das Subjekt muss nun auch objektive Form gewinnen,
d.h. sich zum Gegenstande entfalten.

Es ist Bedürfnis, ((423)))
daß für die unbestimmt empfindende Weise des Gemütes
das Absolute auch als Objekt werde,
damit der Mensch auch zum Bewußtsein
seiner Einheit mit diesem Objekte gelange.

Dazu gehört die Reinigung des Subjektes an ihm,
daß es wirkliches, konkretes Subjekt werde,
daß es als weltliches Subjekt allgemeine Interessen gewinne,
daß es nach allgemeinen Zwecken handle, vom Gesetze wisse
und darin befriedigt werde.

Das Weitere ist nun, daß wir das germanische Prinzip
in seiner unmittelbaren Existenz betrachten,
d.h. die ersten geschichtlichen Zustände der germanischen Nationen.

Die Gemütlichkeit ist in ihrer ersten Erscheinung ganz abstrakt,
ohne Entwicklung, ohne besonderen Inhalt;
denn die substantiellen Zwecke liegen nicht im Gemüt als solchem.

Wo das Gemütliche die ganze Form des Zustandes ist,
da erscheint es als ein Charakterloses und Stumpfes.

Gemüt ganz abstrakt ist Stumpfheit,
und so sehen wir im ursprünglichen Zustande der Germanen
eine barbarische Stumpfheit, Verworrenheit und Unbestimmtheit in sich.

Von der Religion der Germanen wissen wir wenig.

Die Druiden waren in Gallien zu Hause
und sind von den Römern ausgerottet worden.

Es hat zwar eine eigentümliche nordische Mythologie gegeben;
wie wenig tief aber die Religion der Deutschen in den Gemütern wurzelte,
ist schon bemerkt worden,
und man sieht es auch daraus, daß die Deutschen
sich leicht zur christlichen Religion bekehren ließen.

Zwar haben die Sachsen Karl dem großen bedeutenden Widerstand geleistet,
aber dieser Kampf war nicht sowohl gegen die Religion
als gegen die Unterdrückung überhaupt gerichtet.

Die Religion hatte bei ihnen nichts Tiefes, ebensowenig die Rechtsbegriffe.

Der Mord ist nicht als Verbrechen angesehen und bestraft worden;
er wurde mit einer Geldbuße gesühnt.

Das zeigt einen Mangel an Tiefe der Empfindung
in dem Nichtentzweitsein ((424)) des Gemütes,
welches es nur als eine Beeinträchtigung der Gemeinde ansieht,
wenn einer getötet wird, und als weiter nichts.

Die Blutrache der Araber beruht auf der Empfindung,
daß die Ehre der Familie verletzt ist.

Bei den Germanen war die Gemeinde nicht Herr über das Individuum;
denn das Element der Freiheit ist das Erste
bei ihrer Vereinigung zu einem gesellschaftlichen Verhältnis.

Die alten Deutschen sind berühmt durch ihre Freiheitsliebe,
und die Römer haben sie gleich anfangs so ganz richtig aufgefaßt.

Die Freiheit in Deutschland ist bis auf die neuesten Zeiten das Panier gewesen,
und selbst der Fürstenbund unter Friedrich II. war aus Freiheitsliebe entstanden.

Dieses Element der Freiheit,
indem es zu einem gesellschaftlichen Verhältnisse übergeht,
kann nichts setzen als Volksgemeinden,
so daß diese Gemeinden das Ganze ausmachen
und jedes Mitglied der Gemeinde als solches ein freier Mann ist.

Der Totschlag konnte durch eine Geldbuße abgemacht werden,
weil der freie Mann als bestehend galt und blieb,
er mochte getan haben, was er wollte.

Dieses absolute Gelten des Individuums macht eine Hauptbestimmung aus,
wie schon Tacitus bemerkt hat.

Die Gemeinde oder ihr Vorstand mit Zuziehung von Gemeindemitgliedern
richtete in Angelegenheiten des Privatrechts
zur Sicherheit der Person und des Eigentums.

Für gemeine Angelegenheiten, Kriege und dergleichen
waren gemeinsame Beratschlagungen und Beschlüsse erforderlich.

Das andere Moment ist, daß sich Mittelpunkte bildeten
durch eine freiwillige Genossenschaft
und durch freies Anschließen an Heerführer und Fürsten.

Der Zusammenhang ist hier der der Treue,
und die Treue ist das zweite Panier der Germanen, wie die Freiheit das erste war.

Die Individuen schließen sich mit freier Willkür einem Subjekte an
und machen dieses Verhältnis aus sich zu einem unverbrüchlichen.

Dies finden wir weder bei den Griechen noch bei den Römern.

Das Verhältnis Agamemnons und seiner Könige war nicht ein Dienstgefolge,
sondern eine freie Assoziation nur zu einem besonderen Zwecke,
eine Hegemonie.

Die ((425)) deutschen Genossenschaften aber
stehen nicht in Beziehung der objektiven Sache nur,
sondern in Beziehung des geistigen Selbst,
der subjektiven, innerlichsten Persönlichkeit.

Herz, Gemüt, die ganze konkrete Subjektivität, die nicht vom Inhalte abstrahiert,
sondern diesen zugleich zur Bedingung macht,
indem sie sich von der Person und von der Sache abhängig setzt,
macht dies Verhältnis zu einer Vermischung der Treue und des Gehorsams.

Um die Vereinigung der beiden Verhältnisse,
der individuellen Freiheit in der Gemeinde
und des Zusammenhangs der Genossenschaft,
handelt es sich nun für die Bildung zum Staate,
worin die Pflichten und Rechte nicht mehr der Willkür überlassen,
sondern als rechtliche Verhältnisse fixiert sind,
und zwar so, daß der Staat die Seele des Ganzen sei
und der Herr darüber bleibe,
daß von ihm aus die bestimmten Zwecke und die Berechtigung
sowohl der Geschäfte als der Gewalten aus gehen,
indem die allgemeine Bestimmung die Grundlage darin bleibt.

Hier ist nun aber das Eigentümliche in den germanischen Staaten,
daß im Gegenteil die gesellschaftlichen Verhältnisse
nicht den Charakter allgemeiner Bestimmungen und Gesetze erhalten,
sondern durchaus zu Privatrechten und Privatverpflichtungen zersplittert werden.

Es ist wohl eine gemeinschaftliche Art und Weise darin,
aber nichts Allgemeines;
die Gesetze sind schlechthin partikulär und die Berechtigungen Privilegien.

So ist der Staat aus Privatrechten zusammengesetzt,
und mühselig aus Kämpfen und Krämpfen
ist erst spät ein verständiges Staatsleben zustande gekommen.

Es ist gesagt worden, daß die germanischen Nationen die Bestimmung hatten,
die Träger des christlichen Prinzips zu sein
und die Idee als den absolut vernünftigen Zweck auszuführen.

Zunächst ist nur der trübe Wille,
in dessen Hintergrund das Wahre und Unendliche liegt, vorhanden.

Das Wahre ist nur als Aufgabe, denn das Gemüt ist noch nicht gereinigt.

Ein langer Prozeß kann die Reinigung zum konkreten Geiste erst zustande bringen.

Die Religion tritt mit ((426)) einer Forderung
gegen die Gewalttätigkeit der Leidenschaften auf und bringt diese bis zur Wut;
das Gewaltige der Leidenschaften wird durch das böse Gewissen erbittert
und zur Raserei gebracht,
zu der es vielleicht nicht so gekommen wäre,
wenn es ohne Gegensatz geblieben wäre.

Wir sehen nun das schreckliche Schauspiel
der furchtbarsten Losgebundenheit in allen Königshäusern der damaligen Zeit.

Chlodwig, der Stifter der fränkischen Monarchie,
macht sich der ärgsten Verbrechen schuldig.

Härte und Grausamkeit charakterisiert die ganze folgende Reihe der Merowinger;
dasselbe Schauspiel wiederholt sich
in dem thüringischen und in den anderen Königshäusern.

Das christliche Prinzip ist allerdings die Aufgabe in den Gemütern;
aber diese sind unmittelbar noch roh.

Der Wille, der an sich der wahrhafte ist, verkennt sich selbst
und trennt sich von dem wahrhaften Zweck durch partikuläre, endliche Zwecke;
aber es ist mit diesem Kampfe mit sich selbst und wider seinen Willen,
daß er das hervorbringt, was er will;
er bekämpft das, was er wahrhaft will, und so bewirkt er es,
denn er ist an sich versöhnt.

Der Geist Gottes lebt in der Gemeinde;
er ist der innere treibende Geist.

Aber es ist in der Welt, daß der Geist realisiert werden soll
in einem Material, das ihm noch nicht gemäß ist;
dies Material aber ist selbst der subjektive Wille,
welcher so den Widerspruch in sich selbst hat.

Nach der religiösen Seite sehen wir oft den Übergang,
daß ein Mensch sein ganzes Leben hindurch
sich in der Wirklichkeit herumgeschlagen und zerhauen,
mit aller Kraft des Charakters und der Leidenschaft
in weltlichen Geschäften gerungen und genossen hat
und dann auf einmal alles abwirft,
um sich in religiöse Einsamkeit zu begeben.

Aber in der Welt wirft sich jenes Geschäft nicht ab,
sondern es will vollbracht sein,
und es findet sich zuletzt, daß der Geist gerade in dem,
was er zum Gegenstande seines Widerstandes machte,
das Ende seines Kampfes und seine Befriedigung findet,
daß das weltliche Treiben ein geistiges Geschäft ist.

Wir finden daher, daß Individuen und Völker das, was ihr ((427)) Unglück ist,
für ihr größtes Glück ansehen
und umgekehrt, was ihr Glück ist, als ihr größtes Unglück bekämpfen.

La vérité, en la repoussant, on l’embrasse.

Europa kommt zur Wahrheit, indem und insofern es sie zurückgestoßen hat.

In dieser Bewegung ist es, daß die Vorsehung im eigentlichen Sinne regiert,
indem sie aus Unglück, Leiden, aus partikulären Zwecken
und dem unbewußten Willen der Völker
ihren absoluten Zweck und ihre Ehre vollführt.

Wenn also im Abendlande dieser lange Prozeß der Weltgeschichte beginnt,
welcher zur Reinigung zum konkreten Geiste notwendig ist,
so ist dagegen die Reinigung zum abstrakten Geiste,
wie wir sie gleichzeitig im Osten sehen,
schneller vollbracht.

Diese bedarf des langen Prozesses nicht,
und wir sehen sie schnell und plötzlich
in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts im Mohammedanismus erstehen.

Zweites Kapitel DER MOHAMMEDANISMUS

Während auf der einen Seite die europäische Welt sich neu gestaltet,
die Völker sich darin festsetzen,
um eine nach allen Seiten hin ausgebildete Welt der freien Wirklichkeit hervorzubringen,
und ihr Werk damit beginnen,
alle Verhältnisse auf eine partikuläre Weise zu bestimmen
und mit trübem, gebundenem Sinne,
was seiner Natur nach allgemein und Regel ist,
zu einer Menge zufälliger Abhängigkeiten,
was einfacher Grundsatz und Gesetz sein sollte,
zu einem verwickelten Zusammenhang zu machen,
kurz, während das Abendland anfängt, sich in Zufälligkeit,
Verwicklung und Partikularität einzuhausen,
so musste die entgegengesetzte Richtung in der Welt
zur Integration des Ganzen auftreten,
und das geschah in der Revolution des Orients,
welche alle Partikularität und Abhängigkeit zerschlug
und das Gemüt vollkommen aufklärte und reinigte,
indem sie nur den abstrakt Einen zum absoluten Gegenstande
und ebenso das ((428)) reine subjektive Bewußtsein,
das Wissen nur dieses Einen zum einzigen Zwecke der Wirklichkeit
- das Verhältnislose zum Verhältnis der Existenz - machte.

Wir haben schon früher die Natur des orientalischen Prinzips kennengelernt
und gesehen, daß das Höchste desselben nur negativ ist
und daß das Affirmative das Herausfallen in die Natürlichkeit
und die reale Knechtschaft des Geistes bedeutet.

Nur bei den Juden haben wir bemerkt,
daß sich das Prinzip der einfachen Einheit in den Gedanken erhoben hat,
denn nur bei diesen ist der Eine, der für den Gedanken ist, verehrt worden.

Diese Einheit ist nun in der Reinigung zum abstrakten Geiste geblieben,
aber sie ist von der Partikularität, mit der der Jehovadienst behaftet war,
befreit worden.

Jehova war nur der Gott dieses einzelnen Volkes,
der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs:
nur mit den Juden hat dieser Gott einen Bund gemacht,
nur diesem Volke hat er sich offenbart.

Diese Partikularität des Verhältnisses ist im Mohammedanismus abgestreift worden.

In dieser geistigen Allgemeinheit,
in dieser Reinheit ohne Schranken und ohne Bestimmung
hat das Subjekt keinen anderen Zweck
als die Verwirklichung dieser Allgemeinheit und Reinheit.

Allah hat den affirmativen beschränkten Zweck des jüdischen Gottes nicht mehr.

Die Verehrung des Einen ist der einzige Endzweck des Mohammedanismus,
und die Subjektivität hat nur diese Verehrung als Inhalt der Tätigkeit,
sowie die Absicht, dem Einen die Weltlichkeit zu unterwerfen.

Dieser Eine hat nun zwar die Bestimmung des Geistes,
doch weil die Subjektivität sich in den Gegenstand aufgehen läßt,
fällt aus diesem Einen alle konkrete Bestimmung fort,
und sie selbst wird weder für sich geistig frei,
noch ist ihr Gegenstand selber konkret.

Aber der Mohammedanismus ist nicht die indische,
nicht die mönchische Versenkung in das Absolute,
sondern die Subjektivität ist hier lebendig und unendlich,
eine Tätigkeit, welche ins Weltliche tretend dasselbe nur negiert
und nur wirksam und vermittelnd auf die Weise ist,
daß die reine Verehrung des Einen existieren soll.

Der Gegenstand ((429)) des Mohammedanismus ist rein intellektuell,
kein Bild, keine Vorstellung von Allah wird geduldet:
Mohammed ist Prophet, aber Mensch
und über des Menschen Schwächen nicht erhaben.

Die Grundzüge des Mohammedanismus enthalten dies,
daß in der Wirklichkeit nichts fest werden kann,
sondern daß alles tätig, lebendig in die unendliche Weite der Welt geht,
so daß die Verehrung des Einen das einzige Band bleibt,
welches alles verbinden soll.

In dieser Weite, in dieser Macht verschwinden alle Schranken,
aller National- und Kastenunterschied;
kein Stamm, kein politisches Recht der Geburt und des Besitzes
hat einen Wert, sondern der Mensch nur als Glaubender.

Den Einen anzubeten, an ihn zu glauben, zu fasten,
das leibliche Gefühl der Besonderheit abzutun, Almosen zu geben,
das heißt sich des partikulären Besitzes zu entschlagen:
das sind die einfachen Gebote;
das höchste Verdienst aber ist, für den Glauben zu sterben,
und wer in der Schlacht dafür umkommt, ist des Paradieses gewiß.

Die mohammedanische Religion nahm ihren Ursprung bei den Arabern:
hier ist der Geist ein ganz einfacher,
und der Sinn des Formlosen ist hier zu Hause,
denn in diesen Wüsten ist nichts, was gebildet werden könnte.

Von der Flucht Mohammeds aus Mekka im Jahre 622
beginnt die Zeitrechnung der Mohammedaner.

Noch bei Lebzeiten Mohammeds unter seiner eigenen Führung
und dann besonders nach seinem Tode unter der Leitung seiner Nachfolger
haben die Araber diese ungeheuren Eroberungen gemacht.

Sie warfen sich zunächst auf Syrien
und eroberten den Hauptort Damaskus im Jahre 634;
weiter zogen sie dann über den Euphrat und Tigris
und kehrten ihre Waffen gegen Persien, das ihnen bald unterlag;
im Westen eroberten sie Ägypten, das nördliche Afrika, Spanien
und drangen ins südliche Frankreich bis an die Loire,
wo sie von Karl Martell bei Tours im Jahre 732 besiegt wurden.

So dehnte sich die Herrschaft der Araber im Westen aus,
im Osten unterwarfen sie sich, wie gesagt, Persien, Samarkand
und den südwestlichen ((430)) Teil von Kleinasien nacheinander.

Diese Eroberungen, wie die Verbreitung der Religion,
geschehen mit einer ungemeinen Schnelligkeit.

Wer sich zum Islam bekehrte, bekam völlig gleiche Rechte mit allen Muselmännern.

Was sich nicht bekehrte, wurde in der ersten Zeit umgebracht;
später verfuhren jedoch die Araber milder gegen die Besiegten,
so daß diese, wenn sie nicht zum Islam übergehen wollten,
nur ein jährliches Kopfgeld zu entrichten hatten.

Die Städte, welche sich sogleich ergaben,
mussten dem Sieger ein Zehntel alles Besitzes abgeben;
die, welche erst genommen werden mussten, ein Fünftel.

Die Abstraktion beherrschte die Mohammedaner:
ihr Ziel war, den abstrakten Dienst geltend zu machen,
und danach haben sie mit der größten Begeisterung gestrebt.

Diese Begeisterung war Fanatismus,
d.i. eine Begeisterung für ein Abstraktes,
für einen abstrakten Gedanken, der negierend sich zum Bestehenden verhält.

Der Fanatismus ist wesentlich nur dadurch, daß er verwüstend,
zerstörend gegen das Konkrete sich verhält;
aber der mohammedanische war zugleich aller Erhabenheit fähig,
und diese Erhabenheit ist frei von allen kleinlichen Interessen
und mit allen Tugenden der Großmut und Tapferkeit verbunden.

La Religion et la terreur war hier das Prinzip,
wie bei Robespierre la liberté et la terreur.

Aber das wirkliche Leben ist dennoch konkret
und bringt besondere Zwecke herbei;
es kommt durch die Eroberung zu Herrschaft und Reichtum,
zu Rechten der Herrscherfamilie, zu einem Bande der Individuen.

Aber alles dieses ist nur akzidentell und auf Sand gebaut,
es ist heute, und morgen ist es nicht;
der Mohammedaner ist bei aller Leidenschaft gleichgültig dagegen
und bewegt sich im wilden Glückswechsel.

Viele Reiche und Dynastien
hat der Mohammedanismus bei seiner Ausbreitung begründet.

Auf diesem unendlichen Meere wird es immer weiter, nichts ist fest;
was sich kräuselt zur Gestalt, bleibt durchsichtig und ist ebenso zerflossen.

Jene Dynastien waren ohne Band einer organischen Festigkeit,
die Reiche sind darum nur ausgeartet, ((431))
die Individuen darin nur verschwunden.

Wo aber eine edle Seele sich fixiert,
wie die Welle in der Kräuselung des Meeres,
da tritt sie in einer Freiheit auf,
daß es nichts Edleres, Großmütigeres, Tapfereres, Resignierteres gibt.

Das Besondere, Bestimmte, was das Individuum ergreift,
wird von demselben ganz ergriffen.

Während die Europäer eine Menge von Verhältnissen haben
und ein Konvolut derselben sind,
ist im Mohammedanismus das Individuum nur dieses,
und zwar im Superlativ, grausam, listig, tapfer, großmütig im höchsten Grade.

Wo Empfindung der Liebe ist,
da ist sie ebenso rücksichtslos und Liebe aufs innigste.

Der Herrscher, der den Sklaven liebt,
verherrlicht den Gegenstand seiner Liebe dadurch, daß er ihm alle Pracht,
Macht, Ehre zu Füßen legt und Zepter und Krone vergißt;
aber umgekehrt opfert er ihn dann ebenso rücksichtslos wieder auf.

Diese rücksichtslose Innigkeit
zeigt sich auch in der Glut der Poesie der Araber und Sarazenen.

Diese Glut ist die vollkommene Freiheit der Phantasie von allem,
so daß sie ganz nur das Leben ihres Gegenstandes
und dieser Empfindung ist,
daß sie keine Selbstsucht und Eigenheit für sich behält.

Nie hat die Begeisterung als solche größere Taten vollbracht.

Individuen können sich für das Hohe in vielerlei Gestalten begeistern;
auch die Begeisterung eines Volkes für seine Unabhängigkeit
hat noch ein bestimmtes Ziel;
aber die abstrakte, darum allumfassende, durch nichts aufgehaltene
und nirgend sich begrenzende, gar nichts bedürfende Begeisterung
ist die des mohammedanischen Orients.

So schnell die Araber ihre Eroberungen gemacht hatten,
so schnell erreichten bei ihnen auch
die Künste und Wissenschaften ihre höchste Blüte.

Wir sehen diese Eroberer zuerst
alles, was die Kunst und Wissenschaft angeht, zerstören:
Omar soll die herrliche alexandrinische Bibliothek zerstört haben.

Entweder enthalten diese Bücher, sagte er, was im Koran steht,
oder ihr Inhalt ist ein anderer: in beiden Fällen sind sie überflüssig.

Bald darauf aber lassen es sich die Araber angelegen sein,
die Künste und Wissenschaften zu ((432)) heben und überall zu verbreiten.

Zur höchsten Blüte kam das Reich unter dem Kalifen Almansor und Harun al-Raschid.

große Städte entstanden in allen Teilen des Reiches,
wo Handel und Gewerbe blühten,
prächtige Paläste wurden erbaut und Schulen eingerichtet,
die Gelehrten des Reiches fanden sich am Hofe des Kalifen zusammen,
und es glänzte der Hof
nicht bloß durch die äußerliche Pracht der köstlichsten Edelsteine,
Gerätschaften und Paläste,
sondern vorzüglich durch die Blüte der Dichtkunst und aller Wissenschaften.

Anfangs behielten die Kalifen auch noch
die ganze Einfachheit und Schlichtheit bei,
welche den Arabern der Wüste eigen war
(besonders wird der Kalif Abu Bekr in dieser Hinsicht gerühmt)
und keinen Unterschied von Stand und Bildung kannte.

Der gemeinste Sarazene und das geringste Weib
ging den Kalifen wie seinesgleichen an.

Die rücksichtslose Naivität bedarf der Bildung nicht;
und jeder verhält sich durch die Freiheit seines Geistes
zu dem Herrscher als zu seinesgleichen.

Das große Reich der Kalifen hat nicht lange bestanden,
denn auf dem Boden der Allgemeinheit ist nichts fest.

Das große arabische Reich ist fast um dieselbe Zeit zerfallen als das fränkische:
Throne wurden durch Sklaven und neu hereinbrechende Völker,
die Seldschuken und Mongolen, gestürzt
und neue Reiche gegründet, neue Dynastien auf den Thron gehoben.

Den Osmanen ist es endlich gelungen, eine feste Herrschaft aufzustellen,
und zwar dadurch,
daß sie sich in den Janitscharen einen festen Mittelpunkt bildeten.

Nachdem der Fanatismus sich abgekühlt hatte,
war kein sittliches Prinzip in den Gemütern geblieben.

Im Kampfe mit den Sarazenen hatte sich die europäische Tapferkeit
zum schönen, edlen Rittertum idealisiert;
Wissenschaft und Kenntnisse, insbesondere der Philosophie,
sind von den Arabern ins Abendland gekommen;
eine edle Poesie und freie Phantasie
ist bei den Germanen im Orient angezündet worden,
und so hat sich auch Goethe an das Morgenland gewandt
und in seinem Divan eine Perlenschnur geliefert, ((433))
die an Innigkeit und Glückseligkeit der Phantasie alles übertrifft.

Gegenwärtig nach Asien und Afrika zurückgedrängt
und nur in einem Winkel Europas
durch die Eifersucht der christlichen Mächte geduldet,
ist der Islam schon längst von dem Boden der Weltgeschichte verschwunden
und in orientalische Gemächlichkeit und Ruhe zurückgetreten.

Drittes Kapitel DAS REICH KARLS DES großen

Das Reich der Franken wurde, wie schon gesagt worden ist,
von Chlodwig gestiftet.

Nach seinem Tode wurde es unter seine Söhne geteilt,
später mit vielen Kämpfen durch Hinterlist, Meuchelmord, Gewalttat
wieder vereinigt und abermals geteilt.

Nach innen wurde die Macht der Könige dadurch sehr vermehrt,
daß sie Fürsten in eroberten Ländern wurden.

Diese wurden zwar unter die freien Franken verteilt;
aber dem Könige fielen höchst beträchtliche stehende Einkünfte zu,
nebst den ehemals kaiserlichen und den konfiszierten Gütern.

Diese verlieh nun der König als persönliche,
d.h. nicht erbliche Benefizien an seine Krieger,
die damit eine persönliche Verbindlichkeit übernahmen,
seine Leute wurden und seine Dienstmannschaft bildeten.

Ihnen schlossen sich dann die sehr begüterten Bischöfe an
und machten mit ihnen den Rat des Königs aus,
der jedoch den König nicht band.

An der Spitze der Dienstmannschaft stand der maior domus.

Diese maiores domus maßten sich bald alle Gewalt an,
stellten die königliche Macht in Schatten,
indes ((434)) die Könige in Dumpfheit versanken und bloße Figuranten wurden.

Aus ihnen ging die Dynastie der Karolinger hervor.

Pippin der Kurze, Karl Martells Sohn,
wurde im Jahre 752 zum König der Franken erhoben.

Der Papst Zacharias entband die Franken
ihres Eides gegen den noch lebenden letzten Merowinger Childerich III.,
welcher die Tonsur erhielt, d.h. er wurde Mönch
und zugleich der königlichen Auszeichnung des langen Haarwuchses beraubt.

Die letzten Merowinger waren durchaus Weichlinge,
welche sich mit dem Namen ihrer Würde begnügten
und sich fast nur dem Genusse hingaben, eine Erscheinung,
welche in den morgenländischen Herrscherfamilien ganz gewöhnlich ist
und sich bei den letzten Karolingern ebenfalls wiederholt.

Die maiores domus dagegen waren in der Energie des Emporsteigens
und befanden sich in einer so engen Verkettung mit der Dienstmannschaft,
daß es ihnen zuletzt leicht wurde, den Thron zu erringen.

Die Päpste waren aufs ärgste von den langobardischen Königen bedrängt
und suchten Schutz bei den Franken.

Pippin übernahm es aus Dankbarkeit, Stephan II. zu verteidigen,
er zog zweimal über die Alpen und schlug zweimal die Langobarden.

Seine Siege gaben dem neuen Throne Glanz
und dem Stuhle Petri ein ansehnliches Erbe.

Im Jahre 800 n. Chr. Geburt wurde der Sohn Pippins,
Karl der große, vom Papste zum Kaiser gekrönt, und hiermit beginnt
die feste Verbindung der Karolinger mit dem Päpstlichen Stuhle.

Das Römische Reich hatte nämlich immer noch bei den Barbaren
das Ansehen einer hohen Macht
und galt ihnen immer noch als der Mittelpunkt, von dem alle Würde,
ebenso wie die Religion, die Gesetze
und alle Kenntnisse, von der Buchstabenschrift an, zu ihnen gelange.

Karl Martell,
nachdem er Europa von der Herrschaft der Sarazenen befreit hatte,
wurde, er selbst und seine Nachkommenschaft,
vom römischen Volk und Senat zum Patrizier ernannt;
Karl der große aber wurde zum Römischen Kaiser gekrönt,
und zwar vom Papste. ((435))

Es gab nunmehr zwei Kaiserreiche,
und allmählich trennte sich in diesen die christliche Religion in zwei Kirchen:
in die griechische und römische.

Der Römische Kaiser war der geborene Beschützer der Römischen Kirche,
und durch diese Stellung des Kaisers zum Papste war gleichsam ausgesprochen,
die fränkische Herrschaft sei nur eine Fortsetzung des Römischen Reiches.

Das Reich Karls des großen hatte einen sehr großen Umfang.

Das eigentliche Franken dehnte sich vom Rhein bis zur Loire aus.

Aquitanien, südlich von der Loire,
ward 768, im Todesjahre Pippins, völlig unterworfen.

Es gehörten ferner zum Frankenreiche: Burgund, Alemannien
(das südliche Deutschland zwischen dem Lech, Main und Rhein),
Thüringen, das bis an die Saale sich ausdehnte, ferner Bayern.

außerdem hat Karl die Sachsen,
welche zwischen dem Rhein und der Weser wohnten, besiegt
und dem langobardischen Reiche ein Ende gemacht,
wodurch er Herr Ober- und Mittelitaliens wurde.

Dieses große Reich hat Karl der Große
zu einem systematisch geordneten Staate gebildet
und dem Frankenreiche feste Einrichtungen,
die dasselbe zusammenhielten, gegeben;
doch nicht als ob er die Verfassung seines Reichs überall erst eingeführt habe,
sondern die zum Teil schon früheren Institutionen
sind unter ihm entwickelt worden
und zu einer bestimmteren, ungehinderten Wirksamkeit gekommen.

Der König stand an der Spitze der Reichsbeamten,
und das Prinzip der Erblichkeit der Königswürde trat schon hervor.

Der König war ebenso Herr der bewaffneten Macht
wie der reichste Eigentümer an Grund und Boden,
und die höchste Richtergewalt befand sich nicht minder in seinen Händen.

Die Kriegsverfassung beruhte auf dem Heerbann.

Jeder Freie war verpflichtet, sich zur Verteidigung des Reiches zu bewaffnen,
und jeder hatte auf gewisse Zeit für seinen Unterhalt zu sorgen.

Diese Landwehr, wie man sie heute nennen würde,
stand unter dem Befehle von Grafen und Markgrafen,
welche letztere größeren Bezirken an den ((436)) Grenzen des Reichs,
den Marken vorstanden.

Der allgemeinen Einteilung nach war das Land in Gaue geteilt,
deren jedem ein Graf vorstand.

Über diesen standen unter den späteren Karolingern wieder Herzöge,
deren Sitze große Städte wie Köln, Regensburg und dergleichen mehr waren.

Nach ihnen war das Land in Herzogtümer eingeteilt:
es gab so ein Herzogtum Elsaß, Lothringen, Friesland, Thüringen, Rätien.

Diese Herzöge wurden vom Kaiser eingesetzt.

Völkerschaften,
welche ihre eigenen Stammfürsten nach ihrer Unterwerfung beibehalten hatten,
verloren dieses Vorrecht und bekamen Herzöge, sobald sie sich empörten;
so ging es Alemannien, Thüringen, Bayern und Sachsen.

Es gab aber auch eine Art von stehendem Heere zur schnelleren Hilfe.

Die Dienstmannen des Kaisers nämlich bekamen Güter zur Benutzung
mit der Verpflichtung, Kriegsdienste zu leisten, wenn sie Befehl erhielten.

Um diese Einrichtungen nun aufrechtzuerhalten,
wurden Gewaltsboten (missi) vom Kaiser abgeschickt,
welche die Aufsicht haben und Berichte erstatten,
auch das Gerichtswesen und die königlichen Güter inspizieren sollten.

Nicht minder merkwürdig ist die Verwaltung der Staatseinkünfte.

Es gab keine direkten Steuern und wenige Zölle auf Flüssen und Straßen,
von denen mehrere an höhere Reichsbeamten verliehen waren.

In den Fiskus flossen teils die gerichtlichen Strafgelder,
teils die Geldbußen
derer, die sich auf den Aufruf des Kaisers nicht zur Armee gestellt hatten.

Auch diejenigen, welche Benefizien genossen,
verloren dieselben, sobald sie diese Pflicht verabsäumten.

Die Haupteinkünfte kamen aus den Kammergütern,
deren der Kaiser eine große Menge besaß,
auf denen sich königliche Pfalzen befanden.

Es war schon lange Sitte, daß die Könige in den Hauptlandschaften herumreisten
und sich dann in jeder Pfalz eine Zeitlang aufhielten;
die gehörigen Vorbereitungen für den Unterhalt des Hofes
waren schon früher durch Marschälle, Kämmerer usw. getroffen.

Was nun die Gerichtsverfassung betrifft,
so liegen die Angelegenheiten, ((437))
welche Leib und Leben sowie das Grundeigentum betreffen,
in den Händen der Gemeindeversammlungen unter dem Vorsitz eines Grafen;
weniger wichtige wurden unter dem Vorsitz des Zentgrafen
von wenigstens sieben freien Männern, welche erwählte Schöffen waren,
entschieden.

Die höchsten Gerichte waren die Hofgerichte,
wo der König in der Pfalz den Vorsitz hatte:
hier wurde die Dienstmannschaft, geistliche und weltliche, gerichtet.

Die königlichen Gewaltsboten, von denen schon oben gesprochen worden ist,
hatten bei ihren Inspektionsreisen auch besonders das Gerichtswesen zu untersuchen,
alle Klagen anzuhören und die Ungerechtigkeiten zu bestrafen.

Ein geistlicher und ein weltlicher Bote
mussten viermal des Jahres ihre Sprengel bereisen.

Zur Zeit Karls des Großen
hatte die Geistlichkeit schon eine große Bedeutung erlangt.

Die Bischöfe hatten große Kathedralen unter sich,
mit denen zugleich Seminarien und Schulanstalten verbunden waren.

Karl suchte nämlich die fast ganz untergegangene Wissenschaftlichkeit wiederherzustellen,
indem er verlangte, daß in Städten und Dörfern Schulen angelegt würden.

Fromme Gemüter glaubten, ein gutes Werk zu tun
und die Seligkeit zu erringen, wenn sie der Geistlichkeit Geschenke machten;
auf diese Weise haben die wildesten und rohesten Könige
ihre Frevel abbüßen wollen.

Die gewöhnliche Schenkung der Privatleute war in der Weise,
daß sie ihre Güter an Klöster vermachten
und sich den Nießbrauch nur für ihr Leben oder auf gewisse Zeiten ausbedungen.

Oft geschah es jedoch auch beim Tode eines Bischofs oder Abtes,
daß die weltlichen großen mit ihren Dienstmannen
über die Güter der Geistlichkeit herfielen
und darin lebten und hausten, bis alles verzehrt war;
denn die Religion hatte damals noch nicht die Gewalt über die Gemüter,
die Habsucht der Mächtigen zu zügeln.

Zur Verwaltung ihrer Güter
musste die Geistlichkeit Wirtschafter und Meier anstellen;
außerdem besorgten Vögte alle ihre weltlichen Angelegenheiten,
führten die Kriegsmannschaft ins Feld
und ((438)) erhielten allmählich von den Königen
auch die landesherrliche Gerichtsbarkeit,
als die Geistlichkeit eigene Gerichtsbarkeit und Immunität
von der der königlichen Beamten (Grafen) erlangte.

Es geschah damit ein großer Schritt zur Veränderung der Verhältnisse,
da nun die geistlichen Güter mehr und mehr
vollkommen selbständige Gebiete wurden,
in einer Art, wie es die weltlichen noch gar nicht waren.

außerdem wußte die Geistlichkeit sich später von den Staatslasten zu befreien
und eröffnete die Kirchen und Klöster als Asyle,
d.h. unverletzbare Freistätten für Verbrecher.

Diese Einrichtung war einerseits allerdings sehr wohltätig gegen Gewalttätigkeiten
und Unterdrückungen, welche von dem Kaiser und den großen ausgingen,
aber andererseits artete sie
in Ungestraftheit der größten Verbrechen vor den Gesetzen aus.

Zu Karls des großen Zeiten
musste jeder noch von den Klöstern ausgeliefert werden.

Die Bischöfe wurden von einer Behörde gerichtet, die aus Bischöfen bestand;
als Dienstmannen waren sie eigentlich dem Hofgerichte unterworfen.

Späterhin suchten auch die Klöster
sich von der bischöflichen Gerichtsbarkeit zu befreien
und machten sich so selbst von der Kirche unabhängig.

Die Bischöfe wurden von den Geistlichen und den Gemeinden gewählt,
allein insofern sie auch Dienstmannen des Königs waren,
hatte auch dieser jene Würde zu verleihen.

Der Streit wurde dahin ausgeglichen,
daß ein Mann gewählt werden musste, welcher dem Könige genehm war.

Die Reichsgerichte wurden in der Pfalz gehalten, wo der Kaiser sich aufhielt.

Der König selbst hatte dabei den Vorsitz,
und die Reichshofleute bildeten mit ihm den obersten Gerichtshof
über die großen selbst.

Die Reichsberatungen über die Angelegenheiten des Reichs
fanden nicht immer zu bestimmten Zeiten statt,
sondern gelegentlich bei Heerschauen im Frühling,
bei Kirchenversammlungen und Hoftagen.
Besonders die Hoftage, wozu die Dienstmannen eingeladen waren
(wenn der König in einer Landschaft,
zumeist am Rhein, dem Mittelpunkte des Frankenreichs, ((439)) Hof hielt),
gaben Gelegenheit zu solchen Beratungen.

Es war die Regel, daß der König zweimal im Jahre
einen Ausschuß von den höheren Staats- und Kirchenbeamten berief,
aber auch hier blieb dem Könige alle Entscheidung.

Diese Versammlungen sind daher verschieden von den späteren Reichstagen,
wo die großen selbständiger auftreten.

So war das Frankenreich beschaffen,
dieses erste sich Zusammennehmen des Christentums
zu einer staatlichen Bildung, die aus ihm selbst hervorging,
während das Römische Reich von dem Christentum verzehrt worden war.

Die eben beschriebene Verfassung sieht vortrefflich aus,
sie gab eine feste Kriegsorganisation und sorgte für Gerechtigkeit im Innern;
und dennoch erwies sie sich nach Karls des großen Tode
als vollkommen ohnmächtig,
sowohl nach außen
verteidigungslos gegen die Einfälle der Normannen, Ungarn, Araber,
als nach innen
unwirksam gegen Rechtlosigkeit, Beraubung und Unterdrückung jeder Art.

Wir sehen so neben einer vortrefflichen Verfassung den schlechtesten Zustand
und somit Widerspruch nach allen Seiten.

Solche Bildungen bedürfen, eben weil sie plötzlich hervorsteigen,
noch der Stärkung der Negativität in sich selber;
sie bedürfen der Reaktionen in jeder Weise,
welche in der folgenden Periode hervortreten.

Zweiter Abschnitt Das Mittelalter

Wenn die erste Periode der germanischen Welt
glänzend mit einem mächtigen Reiche endet,
so beginnt mit der zweiten
die Reaktion aus dem Widerspruch der unendlichen Lüge,
welcher das Mittelalter beherrscht und das Leben und den Geist desselben ausmacht.

Diese Reaktion ist zuerst
die der besonderen Nationen gegen die allgemeine Herrschaft des Frankenreichs,
welches sich in der Teilung des großen Reichs offenbart.

Die zweite Reaktion
ist die der Individuen gegen ((440)) die gesetzliche Macht und Staatsgewalt,
gegen die Subordination, den Heerbann, die Gerichtsverfassung.

Sie hat das Isolieren der Individuen
und daher die Schutzlosigkeit derselben hervorgebracht.

Das Allgemeine der Staatsgewalt ist durch die Reaktion verschwunden;
die Individuen haben bei den Gewaltigen Schutz gesucht,
und diese sind die Unterdrücker geworden.

So trat allmählich der Zustand einer allgemeinen Abhängigkeit ein,
welches Schutzverhältnis sich dann zur Feudalverfassung systematisiert.

Die dritte Reaktion
ist die der Kirche als Reaktion des Geistigen gegen die vorhandene Wirklichkeit.

Die weltliche Wildheit wurde durch die Kirche unterdrückt und gebändigt,
aber diese ist dadurch selbst verweltlicht worden
und hat den ihr gebührenden Standpunkt verlassen,
von welchem Augenblicke an das Insichgehen des weltlichen Prinzips beginnt.

Alle diese Verhältnisse und Reaktionen bilden die Geschichte des Mittelalters,
und der Kulminationspunkt dieser Periode sind die Kreuzzüge,
denn mit ihnen entsteht eine allgemeine Schwankung,
wodurch aber erst die Staaten zur inneren und äußeren Selbständigkeit gelangen.

Erstes Kapitel DIE FEUDALITÄT UND DIE HIERARCHIE

Die erste Reaktion ist die der besonderen Nationalität
gegen die allgemeine fränkische Herrschaft.

Es scheint zwar zunächst,
daß das Frankenreich durch die Willkür der Könige geteilt worden ist;
das andere Moment aber ist, daß diese Teilung populär war
und ebenso durch die Völker behauptet worden ist:
sie war also nicht bloß ein Familienakt, der unklug erscheinen könnte,
indem die Fürsten ihre eigene Macht dadurch geschwächt haben,
sondern eine Wiederherstellung der eigentümlichen Nationalitäten,
die durch einen Zusammenhang übermächtiger Gewalt
und das Genie eines großen Mannes waren zusammengehalten worden. ((441))

Ludwig der Fromme, Sohn Karls des großen,
teilte das Reich unter seine drei Söhne.

Später aber erhielt er aus einer zweiten Ehe noch einen Sohn, Karl den Kahlen.

Da er auch diesem ein Erbteil geben wollte,
so entstanden Kriege und Streitigkeiten mit den anderen Söhnen,
welche des schon Erhaltenen beraubt werden sollten.

Diese Kriege hatten so zunächst ein individuelles Interesse,
aber die Nationen nehmen auch aus dem ihrigen heraus daran Anteil.

Die westlichen Franken hatten sich bereits mit den Galliern identifiziert,
und von ihnen ging eine Reaktion gegen die deutschen Franken aus,
so wie später eine von Italien gegen die Deutschen.

Durch den Verduner Vertrag im Jahre 843
wurde zwar eine Teilung unter den Nachkommen Karls des großen gemacht,
aber dennoch wurde später
das ganze fränkische Reich mit Ausnahme einiger Provinzen
auf einen Augenblick unter Karl dem Dicken wieder vereinigt.

Nur kurze Zeit indessen vermochte dieser schwache Fürst
das große Reich zusammenzuhalten;
es wurde in viele kleinere Reiche zersplittert,
die sich selbständig ausbildeten und erhielten:
in das Königreich Italien, das selbst in sich geteilt war,
die beiden burgundischen Reiche,
Hochburgund,
wovon die Hauptpunkte Genf und das Kloster St. Maurice in Wallis waren,
und Niederburgund zwischen dem Jura, dem Mittelmeer und der Rhone,
ferner Lothringen, zwischen dem Rhein und der Maas,
die Normandie, Bretagne.

Zwischen diesen Reichen war das eigentliche Frankreich eingeschlossen,
und so beschränkt fand es Hugo Capet vor, als er den Thron bestieg.

Ostfranken, Sachsen, Thüringen, Bayern, Schwaben
blieb dem Deutschen Reiche.

Also zerfiel die Einheit der fränkischen Monarchie.

Auch die inneren fränkischen Einrichtungen verschwanden nach und nach gänzlich,
besonders die Organisation der Kriegsmacht.

Bald nach Karl dem großen sehen wir von vielen Seiten her
die Normannen Einfälle in England, Frankreich und Deutschland machen.

In England regierten ursprünglich sieben Dynastien angelsächsischer Könige,
aber ((442)) im Jahre 827 vereinigte Egbert sämtliche Herrschaften
in ein einziges Reich.

Unter seinem Nachfolger machten die Dänen sehr häufige Einfälle
und plünderten das Land aus.

Tapferen Widerstand fanden sie erst unter Alfred dem großen,
aber der Dänenkönig Knut eroberte später ganz England.

Gleichzeitig waren die Einfälle der Normannen in Frankreich.

Sie fuhren auf leichten Kähnen die Seine und die Loire hinauf,
plünderten die Städte, verheerten die Klöster
und zogen mit ihrer gemachten Beute davon;
sie belagerten selbst Paris,
und die karolingischen Könige mussten schimpflich den Frieden erkaufen.

Ebenso verwüsteten sie die an der Elbe liegenden Städte;
vom Rhein aus plünderten sie Aachen und Köln
und machten sich Lothringen zinsbar.

Zwar ließ der Reichstag zu Worms 882
ein allgemeines Aufgebot an alle Untertanen ergehen,
dennoch musste man sich aber zu einem schimpflichen Vergleiche bequemen.

Diese Stürme kamen von Norden und Westen.

Im Osten brachen die Magyaren herein.

Mit Weib und Kindern zogen diese barbarischen Völker auf Wagen herum
und verwüsteten das ganze südliche Deutschland.

Durch Bayern, Schwaben, die Schweiz
gelangten sie bis ins Innere von Frankreich und nach Italien.

Von Süden her drängten die Sarazenen.

Sizilien befand sich schon längst in ihren Händen;
von da aus faßten sie festen Fuß in Italien, bedrohten Rom,
das durch einen Vergleich sie von sich abwendete,
und waren der Schrecken Piemonts und der Provence.

So rückten diese drei Völker in großen Massen von allen Seiten in das Reich ein
und stießen in ihren Verheerungszügen fast zusammen.

Frankreich wurde von den Normannen bis an den Jura verwüstet;
die Ungarn kamen bis nach der Schweiz und die Sarazenen bis nach Wallis.

Denken wir an jene Organisation des Heerbannes
und betrachten wir dabei diesen traurigen Zustand,
so müssen wir uns über die Wirkungslosigkeit
aller dieser hochgerühmten Einrichtungen verwundern,
indem sie nun gerade am wirksamsten sich hätten zeigen sollen.

Man könnte geneigt sein,
die Schilderung ((443)) von der schönen, vernünftigen Verfassung
der fränkischen Monarchie unter Karl dem großen,
die sich als stark, groß und ordnungsvoll nach innen und außen gezeigt hat,
für eine leere Träumerei zu halten;
dennoch hat sie bestanden.

Aber diese ganze Staatseinrichtung war nur
durch die Kraft, die größe und den edlen Sinn dieses Individuums gehalten
und war nicht auf den Geist des Volkes gegründet,
nicht lebendig in denselben eingegangen,
sondern nur ein äußerlich Auferlegtes, eine apriorische Konstitution,
wie die, welche Napoleon Spanien gab, die sogleich unterging,
als sie nicht mehr durch die Gewalt aufrechterhalten wurde.

Was vielmehr die Wirklichkeit einer Verfassung ausmacht, ist,
daß sie als objektive Freiheit, substantielle Weise des Wollens,
als Verpflichtung und Verbindlichkeit in den Subjekten existiert.

Aber für den germanischen Geist,
der nur erst als Gemüt und subjektive Willkür war,
war noch keine Verpflichtung vorhanden, noch keine Innerlichkeit der Einheit,
sondern nur eine Innerlichkeit
des gleichgültigen, oberflächlichen Fürsichseins überhaupt.

Auf diese Weise war jene Verfassung ohne festes Band,
ohne den objektiven Halt in der Subjektivität;
denn es war überhaupt noch keine Verfassung möglich.

Dies führt uns zur zweiten Reaktion,
welche die der Individuen gegen die gesetzliche Macht ist.

Der Sinn für Gesetzlichkeit und Allgemeinheit ist durchaus nicht vorhanden,
ist in den Völkern selbst nicht lebendig.

Die Verpflichtungen jedes freien Bürgers,
die Befugnisse des Richters, Recht zu sprechen,
die des Gaugrafen, Gericht zu halten,
das Interesse für die Gesetze als solche zeigten sich als unkräftig,
sobald die starke Hand von oben nicht mehr die Zügel straff hält.

Die glänzende Staatsverwaltung Karls des großen war spurlos geschwunden,
und die nächste Folge davon war
die allgemeine Schutzbedürftigkeit der Individuen.

Eine gewisse Schutzbedürftigkeit ist sicherlich in jedem wohlorganisierten Staat:
jeder Bürger kennt seine Rechte
und weiß auch, daß zur Sicherheit des Besitzes
der gesellschaftliche Zustand überhaupt ((444)) notwendig ist.

Barbaren kennen dieses Bedürfnis, einen Schutz am anderen zu haben, noch nicht;
sie sehen es als eine Beschränkung ihrer Freiheit an,
wenn ihre Rechte ihnen von anderen zugesichert werden sollen.

So war also der Drang nach einer festen Organisation nicht vorhanden;
die Menschen mussten erst in den Zustand der Schutzlosigkeit versetzt werden,
um das notwendige Erscheinen des Staates zu empfinden.

Die Staatsbildung fing wieder von ganz vorne an.

Das Allgemeine hatte durchaus keine Lebendigkeit und Festigkeit
in sich und im Volke,
und seine Schwäche offenbarte sich darin,
daß es den Individuen keinen Schutz zu geben vermochte.

Die Bestimmung der Verpflichtung
war im Geiste der Germanen, wie gesagt, nicht vorhanden;
es kam darauf an, sie herzustellen.

Der Wille konnte nun zunächst nur
an dem Äußerlichen des Besitztums festgehalten werden,
und bei der Erfahrung der Wichtigkeit des Staatsschutzes
ward er gewaltsam aus der Stumpfheit gerissen
und durch die Not zum Bedürfnis einer Verbindung
und einer Gesellschaftlichkeit getrieben.

Die Individuen mussten daher selbst ihre Zuflucht zu Individuen nehmen
und wurden unter die Macht einiger Gewalthaber gestellt,
welche aus der Autorität, die früher dem Allgemeinen angehörte,
einen Privatbesitz und eine persönliche Herrschaft bildeten.

Die Grafen haben als Staatsbeamte
bei ihren Untergebenen keinen Gehorsam gefunden,
aber ebensowenig verlangt,
sondern nur für sich haben sie denselben gewollt.

Sie haben die Gewalt des Staates für sich selbst genommen
und die ihnen verliehene Macht zu einem erblichen Besitze gemacht.

So wie früher der König oder andere hohe Personen
Lehen zur Belohnung an ihre Dienstmannen gaben,
so gaben nun umgekehrt die Schwächeren und Ärmeren
den Mächtigen ihr Besitztum, um dadurch einen starken Schutz zu gewinnen;
sie übergaben ihre Güter einem Herrn, Kloster, Abt, Bischof (feudum oblatum)
und erhielten sie zurück,
belastet mit der Verpflichtung einer Leistung an diese Herren.

Sie wurden aus Freien Vasallen, Lehnsleute,
und ihr Besitztum wurde ((445)) ein geliehenes.

Dies ist das Verhältnis des Feudalsystems.

Feudum ist mit fides verwandt;
die Treue ist hier eine Verbindlichkeit durch Unrecht,
ein Verhältnis, das etwas Rechtliches bezweckt,
aber zu seinem Inhalt ebensosehr das Unrecht hat;
denn die Treue der Vasallen ist nicht eine Pflicht gegen das Allgemeine,
sondern eine Privatverpflichtung,
welche ebenso der Zufälligkeit, Willkür und Gewalttat anheimgestellt ist.

Das allgemeine Unrecht, die allgemeine Rechtslosigkeit
wird in ein System von Privatabhängigkeit und Privatverpflichtung gebracht,
so daß das Formelle des Verpflichtetseins
allein die rechtliche Seite davon ausmacht.

Da jeder sich selbst zu schützen hatte,
so wurde auch der kriegerische Geist wieder erweckt,
der in der Verteidigung nach außen aufs schmählichste verschwunden schien;
denn die Stumpfheit wurde teils durch die äußerste Mißhandlung aufgerüttelt,
teils durch die Privathabsucht und Herrschsucht.

Die Tapferkeit, die sich jetzt zeigte, galt nicht dem Staate,
sondern den subjektiven Interessen.

In allen Gegenden entstanden Burgen, wurden Befestigungen aufgerichtet,
und zwar zur Verteidigung des Besitzes, zum Raub und zur Tyrannei.

Auf die eben angeführte Weise
verschwand das Ganze in solchen Punkten der Einzelheit,
als welche hauptsächlich die Sitze der Bischöfe und Erzbischöfe zu nennen sind.

Die Bistümer hatten die Immunität
von den Gerichten und aller Amtswirksamkeit erhalten;
die Bischöfe hielten sich Vögte
und ließen denselben vom Kaiser die Gerichtsbarkeit übertragen,
welche sonst die Grafen ausgeübt hatten.

So gab es abgeschlossene geistliche Territorien, Gemeinden,
die einem Heiligen angehörten (Weichbilder).

Ebenso bildeten sich späterhin weltliche Herrschaften aus.

Beide traten an die Stelle der ehemaligen Gaue oder Grafschaften.

Nur in wenigen Städten,
wo die Gemeinden der freien Männer für sich stark genug waren,
Schutz und Sicherheit auch ohne des Königs Hilfe zu gewähren,
blieben Reste der alten freien Verfassung.

Sonst verschwanden überall die freien Gemeinden
und wurden den Prälaten oder den Grafen und Herzögen, ((446))
den nunmehrigen Landesherren und Fürsten, untertan.

Die kaiserliche Gewalt wurde im ganzen
für etwas sehr großes und Hohes ausgegeben:
der Kaiser galt für das weltliche Oberhaupt der gesamten Christenheit;
je größer aber diese Vorstellung war,
desto weniger galt die Macht der Kaiser in der Wirklichkeit.

Frankreich gewann außerordentlich dadurch,
daß es diese hohle Anmaßung von sich entfernt hielt,
während in Deutschland das Fortschreiten der Bildung
durch jene Scheingewalt gehemmt wurde.

Die Könige und Kaiser waren nicht mehr Oberhäupter des Staats,
sondern der Fürsten, welche zwar ihre Vasallen waren,
aber eigene Herrschermacht und Territorialherrschaften besaßen.

Indem nun alles auf partikuläre Herrschaft gegründet ist,
so könnte man glauben, daß eine Fortbildung zum Staate
sich nur so hätte machen können,
daß jene partikulären Herrschaften in ein amtliches Verhältnis zurückgetreten wären.

Dazu wäre aber eine Übermacht erforderlich gewesen,
welche nicht vorhanden war,
denn die Dynasten bestimmten selbst,
inwiefern sie noch abhängig seien vom Allgemeinen.

Es gilt keine Macht des Gesetzes und des Rechts mehr,
sondern nur die zufällige Gewalt, die eigensinnige Roheit des partikulären Rechts,
und diese strebt gegen die Gleichheit der Rechte und der Gesetze.

Eine Ungleichheit der Rechte in der ganzen Zufälligkeit ist vorhanden,
und aus dieser kann die Entwicklung der Monarchie
nicht so geschehen, daß das Oberhaupt als solches
die besonderen Gewalten unterdrückt,
sondern es sind diese allmählich in Fürstentümer übergegangen
und mit dem Fürstentume des Oberhauptes vereinigt worden,
und so hat sich die Macht des Königs und des Staates geltend gemacht.

Während nun das Band der Einheit im Staate noch nicht vorhanden war,
haben sich die besonderen Territorien für sich ausgebildet.

In Frankreich ging das Haus Karls des großen wie das Chlodwigs
durch die Schwäche der Regenten unter.

Ihre Herrschaft war zuletzt nur auf die kleine Herrschaft Laon ((447)) beschränkt,
und der letzte der Karolinger, Herzog Karl von Lothringen,
der nach Ludwigs V. Tode die Krone in Anspruch nahm,
ward geschlagen und gefangen.

Der mächtige Hugo Capet, Herzog von Francien, wurde zum König ausgerufen.

Der Titel König gab ihm jedoch keine wirkliche Gewalt,
denn seine Macht war nur auf seinen Besitz gegründet.

Später wurden die Könige durch Kauf, Heirat, Aussterben der Familien
Eigentümer mehrerer Herrschaften,
und man fing besonders an, sich an sie zu wenden,
um vor den Gewalttätigkeiten der Fürsten Schutz zu suchen.

Die königliche Gewalt wurde in Frankreich früh erblich,
weil die Lehnsherrschaften erblich waren,
doch haben im Anfang die Könige noch die Vorsicht gebraucht,
ihre Söhne bei ihren Lebzeiten krönen zu lassen.

Frankreich war in viele Herrschaften geteilt:
in das Herzogtum Guyenne, Grafschaft Flandern, Herzogtum Gascogne,
Grafschaft Toulouse, Herzogtum Burgund, Grafschaft Vermandois;
Lothringen hatte auch einige Zeit zu Frankreich gehört.

Die Normandie war von den Königen von Frankreich
den Normannen eingeräumt worden,
um auf einige Zeit Ruhe vor ihnen zu haben.

Von der Normandie aus ging Herzog Wilhelm nach England hinüber
und eroberte dasselbe im Jahre 1066.

Er führte hier durchweg ein ausgebildetes Lehnssystem ein,
dessen Netz zum großen Teile noch heute England umgarnt.

Auf diese Weise standen aber die Herzöge der Normandie
mit einer großen Macht den schwachen Königen von Frankreich gegenüber.

Jedes dieser Herzogtümer zerfiel wieder ebenso in viele,
mehr oder weniger unabhängige Herrschaften.

Mehrere Male hatte es den Anschein,
als vereinigte der Kaiser mehrere Herzogtümer
unter seiner unmittelbaren Herrschaft.

Kaiser Heinrich III. war bei seiner Thronbesteigung
Herr mehrerer großer Herzogtümer,
aber er schwächte selbst seine Macht,
indem er ((448)) diese wieder an andere verlieh.

Deutschland war von Hause aus eine freie Nation
und hatte nicht wie Frankreich den Mittelpunkt einer erobernden Familie;
es blieb ein Wahlreich.

Die Fürsten ließen sich das Recht nicht nehmen,
ihr Oberhaupt selbst zu wählen;
bei jeder neuen Wahl machten sie neue einschränkende Bedingungen,
so daß die kaiserliche Macht zum leeren Schatten herabsank.

Italien war wie Deutschland in viele größere und kleinere Herzogtümer,
Grafschaften, Bistümer und Herrschaften geteilt.

Der Papst vermochte äußerst wenig, weder im Norden noch im Süden,
welcher lange Zeit zwischen Langobarden und Griechen geteilt war,
bis späterhin beide von den Normannen unterworfen wurden.

Alles Recht verschwand so vor der partikulären Macht,
denn Gleichheit der Rechte, Vernünftigkeit der Gesetze,
wo das Ganze, der Staat Zweck ist, war nicht vorhanden.

Die dritte Reaktion, deren wir oben Erwähnung taten,
war die vom Element der Allgemeinheit aus
gegen die in Partikularität gesplitterte Wirklichkeit.

Diese Reaktion kam von unten herauf aus dem partikulären Besitze selbst
und wurde dann hauptsächlich durch die Kirche aufgestellt.

Es ist durch die Welt gleichsam
ein allgemeines Gefühl der Nichtigkeit ihres Zustandes gegangen.

Zu dem Zustande vollkommener Vereinzelung,
wo durchaus nur die Gewalt des Machthabers galt,
haben die Menschen zu keiner Ruhe kommen können,
und gleichsam ein böses Gewissen hat die Christenheit durchschauert.

Im elften Jahrhundert verbreitete sich allgemein durch ganz Europa
die Furcht vor dem herannahenden Jüngsten Gericht
und der Glaube an den nahen Untergang der ((449)) Welt.

Das innerliche Grauen trieb die Menschen zu den widersinnigsten Handlungen.

Einige haben ihr ganzes Besitztum der Kirche geschenkt
und ihr Leben in beständiger Buße hin gebracht,
die meisten haben sich der Schwelgerei ergeben und ihr Besitztum verpraßt.

Die Kirche allein gewann dabei an Reichtum
durch Schenkungen und Vermächtnisse.

In diesem Zustande war nichts als Rechtslosigkeit,
viehische Begierde, roheste Willkür, Trug und List bei den Menschen anzutreffen.

Am greulichsten sah es in Italien, dem Mittelpunkte des Christentums, aus.

Jede Tugend war dieser Zeit fremd,
und so hatte virtus seine eigentümliche Bedeutung verloren:
es hieß im Gebrauch nichts anderes als Gewalt, Zwang, zuweilen sogar Notzucht.

In gleicher Verdorbenheit befand sich die Geistlichkeit:
ihre eigenen Vögte hatten sich zu Herren auf den geistlichen Gütern gemacht
und hausten daselbst nach ihrem Belieben,
indem sie den Mönchen und Geistlichen
nur einen Sparsamen Unterhalt zukommen ließen.

Klöster, welche keine Vögte annehmen wollten,
wurden dazu gezwungen, indem die benachbarten Herren sich selbst
oder ihre Söhne zu Vögten machen ließen.

Nur Bischöfe und Äbte erhielten sich im Besitz,
indem sie sich teils durch eigene Macht zu schützen wußten,
teils durch ihren Anhang, da sie meist aus adeligen Familien waren.

Die Bistümer waren weltliche Territorien
und somit auch zu Reichs- und Lehnsdiensten verpflichtet.

Die Könige hatten die Bischöfe einzusetzen,
und ihr Interesse erheischte es, daß diese Geistlichen ihnen zugetan seien.

Wer ein Bistum wollte, hatte sich deshalb an den König zu wenden,
und so wurde ein förmlicher Handel mit den Bistümern und Abteien getrieben.

Wucherer, welche dem Könige Geld vorgestreckt hatten,
ließen sich dadurch entschädigen,
und die schlechtesten Menschen kamen so in Besitz von geistlichen Stellen.

Allerdings sollten die Geistlichen von der Gemeinde gewählt ((450)) werden,
und es gab immer mächtige Wahlberechtigte,
aber diese zwang der König, seine Befehle anzuerkennen.

Nicht besser ging es mit dem Päpstlichen Stuhl:
eine lange Reihe von Jahren hindurch
besetzten ihn die Grafen von Tusculum bei Rom
entweder mit Mitgliedern ihrer Familie
oder mit solchen, an welche sie ihn für teures Geld verkauft hatten.

Dieser Zustand wurde am Ende zu arg,
daß sich Weltliche sowohl wie Geistliche von energischem Charakter
demselben widersetzten.

Kaiser Heinrich III. machte dem Streite der Faktionen ein Ende,
indem er selbst römische Päpste ernannte,
die er, wie sie auch vom römischen Adel gehaßt wurden,
dennoch durch seine Autorität hinreichend unterstützte.

Durch Papst Nikolaus II. wurde bestimmt,
daß die Päpste von den Kardinälen gewählt werden sollten;
da diese aber zum Teil aus herrschenden Familien waren,
so traten bei der Wahl immer noch ähnliche Zwistigkeiten der Faktionen ein.

Gregor VII. (schon als Kardinal Hildebrand berühmt)
suchte nun die Unabhängigkeit der Kirche in diesem grauenvollen Zustande
besonders durch zwei Maßregeln zu sichern.

Zuerst setzte er das Zölibat der Geistlichkeit durch.

Schon von den frühesten Zeiten an hatte man nämlich dafürgehalten,
daß es gut und angemessen wäre,
wenn die Geistlichen nicht verheiratet seien.

Doch melden die Geschichtsschreiber und Chronisten,
daß dieser Anforderung wenig Genüge geleistet wurde.

Nikolaus II. hatte schon die verheirateten Geistlichen für eine neue Sekte erklärt;
Gregor VII. aber vollendete mit seltener Energie diese Maßregel,
indem er alle verheirateten Geistlichen und alle Laien,
die bei diesen Messe hören würden, in den Bann tat.

Auf diese Weise wurde die Geistlichkeit auf sich angewiesen
und von der Sittlichkeit des Staates ausgeschlossen.

Die geistlichen Stellen sollten fortan
nur von den sie verdienen den Geistlichen besetzt werden,
eine Bestimmung, welche die ((451)) Geistlichen
in großen Streit mit den weltlichen Herrschaften bringen mußte.

Diese zwei großen Maßregeln sind es, durch welche Gregor
die Kirche vom Zustande der Abhängigkeit und Gewalttätigkeit befreien wollte.

Gregor machte aber noch weitere Anforderungen an die weltliche Macht:
es sollten nämlich alle Benefizien
nur durch die Ordination des kirchlichen Oberen dem Neueingesetzten zufallen,
und nur der Papst sollte über das ungeheure Vermögen der Geistlichkeit
zu disponieren haben.

Die Kirche wollte als göttliche Macht die Herrschaft über die weltliche,
von dem abstrakten Prinzipe ausgehend,
daß das Göttliche höher stehe als das Weltliche.

Der Kaiser musste bei seiner Krönung, welche nur dem Papste zukam,
einen Eid leisten, daß er dem Papste und der Kirche immer gehorsam sein wolle.

Ganze Länder und Staaten wie Neapel, Portugal, England, Irland
kamen in ein förmliches Vasallenverhältnis zum Päpstlichen Stuhle.

Die Kirche erhielt so eine selbständige Stellung:
die Bischöfe versammelten in den verschiedenen Ländern Synoden,
und an diesen Zusammenberufungen
hatte der Klerus einen fortdauernden Anhaltspunkt.

Auf diese Weise kam die Kirche
zum größten Einfluß in den weltlichen Angelegenheiten,
sie maßte sich die Entscheidung über die Krone der Fürsten an,
machte die Vermittlerin zwischen den Mächten in Krieg und Frieden.

Die nähere Veranlassung,
welche die Kirche zu dieser Einmischung in die weltlichen Angelegenheiten hatte,
war die Ehe der Fürsten.

Es kam nämlich oft vor,
daß die Fürsten von ihren Gemahlinnen geschieden sein wollten,
und dazu bedurften sie der Erlaubnis der Kirche.

Diese nahm die Gelegenheit wahr, auf ihren sonstigen Forderungen zu bestehen,
und so ging sie weiter und wußte ihren Einfluß auf alles auszudehnen.

Bei der allgemeinen Unordnung
wurde das Dazwischentreten der Autorität der Kirche als Bedürfnis gefühlt.

Durch die Einführung des Gottesfriedens
wurde die Unterbrechung der Fehden und der Privatrache
wenigstens für gewisse Wochentage und ((452)) Wochen erlangt;
und die Kirche behauptete diesen Waffenstillstand
mit allen ihren geistlichen Mitteln des Bannes,
des Interdikts und anderer Drohungen und Strafen.

Durch die weltlichen Besitzungen
kam aber die Kirche in ein ihr eigentlich fremdes Verhältnis
zu den anderen weltlichen Fürsten und Herren,
sie bildete eine furchtbare weltliche Macht gegen dieselben
und war zunächst so ein Mittelpunkt des Widerstandes
gegen Gewalttätigkeit und Willkür.

Insbesondere widerstand sie den Gewalttätigkeiten
gegen die Stifter, die weltlichen Herrschaften der Bischöfe;
und wenn die Vasallen der Gewalt und Willkür der Fürsten
ihre Gewalt entgegensetzten,
so wurden sie dabei vom Papste unterstützt.

So aber setzte sie selbst nur gleiche Gewalt und Willkür entgegen
und vermischte ihr weltliches Interesse
mit dem Interesse der Kirche als geistlicher, d.h. göttlich substantieller Macht.

Die Dynasten und Völker haben das wohl zu unterscheiden gewußt
und in der Einmischung der Kirche die weltlichen Zwecke erkannt.

Sie haben daher die Kirche unterstützt, insofern es ihr eigener Vorteil war,
sonst aber den Bann und die geistlichen Mittel wenig gescheut.

Am wenigsten wurde die Autorität der Päpste in Italien geachtet,
und die Römer sind am schlechtesten mit ihnen umgegangen.

Was so die Päpste an Land und Gütern und an direkter Herrschaft gewannen,
verloren sie an Ansehen und Achtung.

Wir haben nun wesentlich die geistige Seite der Kirche,
die Form ihrer Macht zu betrachten.

Das Wesen des christlichen Prinzips ist schon früher entwickelt worden,
es ist das Prinzip der Vermittlung.

Der Mensch wird erst als geistiges Wesen wirklich,
wenn er seine Natürlichkeit überwindet.

Diese Überwindung wird nur durch die Voraussetzung möglich,
daß die menschliche und göttliche Natur an und für sich eins seien
und daß der Mensch, insofern er Geist ist,
auch die Wesentlichkeit und Substantialität hat,
die dem Begriffe Gottes angehört.

Die Vermittlung ist eben durch das Bewußtsein dieser Einheit bedingt,
und die Anschauung dieser Einheit
ist dem Menschen in Christo gegeben worden. ((453))

Die Hauptsache nun ist, daß der Mensch dieses Bewußtsein ergreife
und daß es beständig in ihm geweckt werde.

Dies sollte in der Messe geschehen:
in der Hostie wird Christus als gegenwärtig dargestellt;
das Stückchen Brot, durch den Priester geweiht, ist der gegenwärtige Gott,
der zur Anschauung kommt und ewig geopfert wird.

Es ist darin das Richtige erkannt,
daß das Opfer Christi ein wirkliches und ewiges Geschehen ist,
insofern Christus nicht bloß sinnliches und einzelnes,
sondern ganz allgemeines, d.h. göttliches Individuum ist;
aber das Verkehrte ist, daß das sinnliche Moment für sich isoliert wird
und die Verehrung der Hostie, auch insofern sie nicht genossen wird, bleibt,
daß also die Gegenwart Christi
nicht wesentlich in die Vorstellung und den Geist gesetzt wird.

Mit Recht ging die Lutherische Reformation besonders gegen diese Lehre.

Luther stellte den großen Satz auf, daß die Hostie nur etwas
sei und Christus nur empfangen werde im Glauben an ihn;
außerdem sei die Hostie nur ein äußerliches Ding,
das keinen größeren Wert habe als jedes andere.

Der Katholik aber fällt vor der Hostie nieder,
und so ist das Äußerliche zu einem Heiligen gemacht.

Das Heilige als Ding hat den Charakter der Äußerlichkeit,
und insofern ist es fähig, in Besitz genommen zu werden
von einem anderen gegen mich;
es kann sich in fremder Hand befinden, weil der Prozeß nicht im Geiste vorgeht,
sondern durch die Dingheit selbst vermittelt wird.

Das höchste Gut des Menschen ist in anderen Händen.

Hier tritt nun sogleich eine Trennung ein
zwischen solchen, die dieses besitzen,
und solchen, die es von anderen zu empfangen haben,
zwischen der Geistlichkeit und den Laien.

Die Laien sind dem Göttlichen fremd.

Dies ist die absolute Entzweiung,
in welcher die Kirche im Mittelalter befangen war;
sie ist daraus entstanden, daß das Heilige als Äußerliches gewußt wurde.

Die Geistlichkeit stellte gewisse Bedingungen auf,
unter welchen die Laien des Heiligen teilhaftig werden könnten.

Die ganze Entwicklung der Lehre,
die Einsicht, die Wissenschaft des Göttlichen
ist durchaus im Besitze der Kirche:
sie ((454)) hat zu bestimmen, und die Laien haben nur schlechtweg zu glauben;
der Gehorsam ist ihre Pflicht, der Gehorsam des Glaubens,
ohne eigene Einsicht.

Dies Verhältnis hat den Glauben zu einer Sache des äußerlichen Rechts gemacht
und ist fortgegangen bis zu Zwang und Scheiterhaufen.

Wie die Menschen so von der Kirche abgeschnitten sind,
so sind sie es von allem Heiligen.

Denn da der Klerus überhaupt das Vermittelnde
zwischen den Menschen und zwischen Christus und Gott ist,
so kann sich auch der Laie
nicht unmittelbar zu demselben in seinen Gebeten wenden,
sondern nur durch Mittelspersonen,
durch versöhnende Menschen, Verstorbene, Vollendete - die Heiligen.

So kam die Verehrung der Heiligen auf
und zugleich diese Unmasse von Fabeln und Lügen,
die Heiligen und ihre Geschichte betreffend.

Im Morgenlande war schon früh der Bilderdienst herrschend gewesen
und hatte sich nach langen Streitigkeiten behauptet;
das Bild, das Gemälde gehört noch mehr der Vorstellung an,
aber die rohere abendländische Natur
verlangte etwas Unmittelbareres für die Anschauung,
und so entstand der Reliquiendienst.

Eine förmliche Auferstehung der Toten erfolgte in den Zeiten des Mittelalters:
jeder fromme Christ wollte im Besitz solcher heiligen irdischen Überreste sein.

Der Hauptgegenstand der Verehrung unter den Heiligen war die Mutter Maria.

Sie ist allerdings das schöne Bild der reinen Liebe, der Mutterliebe,
aber der Geist und das Denken ist noch höher,
und über dem Bilde ging die Anbetung Gottes im Geiste verloren,
und selbst Christus ist auf die Seite gestellt worden.

Das Vermittelnde zwischen Gott und dem Menschen
ist also als etwas Äußerliches aufgefaßt und gehalten worden:
damit wurde durch die Verkehrung des Prinzips der Freiheit
die absolute Unfreiheit zum Gesetze.

Die weiteren Bestimmungen und Verhältnisse sind eine Folge dieses Prinzips.

Das Wissen, die Erkenntnis der Lehre ist etwas, dessen der Geist unfähig ist,
sie ist allein im Besitz eines Standes, der das Wahre zu bestimmen hat.

Denn der Mensch ist zu niedrig,
um in einer direkten Beziehung ((455)) zu Gott zu stehen,
und, wie schon gesagt worden ist, wenn er sich an denselben wendet,
so bedarf er einer Mittelsperson, eines Heiligen.

Insofern wird die an sich seiende Einheit des Göttlichen und Menschlichen geleugnet,
indem der Mensch als solcher für unfähig erklärt wird,
das Göttliche zu erkennen und sich demselben zu nähern.

Bei dieser Trennung, in der der Mensch sich vom Guten befindet,
wird nicht auf eine Änderung des Herzens als solche gedrungen,
was voraussetzte, daß die Einheit des Göttlichen und Menschlichen
im Menschen befindlich wäre,
sondern es werden die Schrecken der Hölle
mit den furchtbarsten Farben dem Menschen gegenübergestellt,
auf daß er ihnen, nicht etwa durch Besserung,
sondern vielmehr durch ein Äußerliches, die Gnadenmittel, entgehen solle.

Diese jedoch sind dem Laien unbekannt,
ein anderer, der Beichtvater, muss sie ihnen an die Hand geben.

Das Individuum hat zu beichten,
muss die ganze Partikularität seines Tuns vor der Ansicht des Beichtvaters ausbreiten
und erfährt dann, wie es sich zu verhalten habe.

So hat die Kirche die Stelle des Gewissens vertreten,
sie hat die Individuen wie Kinder geleitet
und ihnen gesagt, daß der Mensch von den verdienten Qualen befreit werden könne,
nicht durch seine eigene Besserung,
sondern durch äußerliche Handlungen,
opera operata - Handlungen nicht des guten Willens,
sondern die auf Befehl der Diener der Kirche verrichtet werden,
als Messe hören, Büßungen anstellen, Gebete verrichten, pilgern,
Handlungen, die geistlos sind, den Geist stumpf machen
und die nicht allein das an sich tragen, daß sie äußerlich verrichtet werden,
sondern man kann sie noch dazu von anderen verrichten lassen.

Man kann sich sogar von dem Überfluß der guten Handlungen,
welche den Heiligen zugeschrieben werden, einige erkaufen,
und man erlangt damit das Heil, das diese mit sich bringen.

So ist eine vollkommene Verrückung alles dessen,
was als gut und sittlich in der christlichen Kirche anerkannt wird, geschehen;
nur äußerliche Forderungen werden an den Menschen gemacht,
und diesen ((456)) wird auf äußerliche Weise genügt.

Das Verhältnis der absoluten Unfreiheit
ist so in das Prinzip der Freiheit selbst hineingebracht.

Mit dieser Verkehrung hängt die absolute Trennung
des geistigen und weltlichen Prinzips überhaupt zusammen.

Es gibt zwei göttliche Reiche,
das intellektuelle in Gemüt und Erkenntnis
und das sittliche, dessen Stoff und Boden die weltliche Existenz ist.

Die Wissenschaft ist es allein,
welche das Reich Gottes und die sittliche Welt als eine Idee fassen kann
und welche erkennt, daß die Zeit darauf hingearbeitet hat,
diese Einheit auszuführen.

Die Frömmigkeit aber als solche hat es nicht mit dem Weltlichen zu tun;
sie tritt darin wohl in der Weise der Barmherzigkeit auf,
aber diese ist noch nicht rechtlich sittliche Weise, noch nicht Freiheit.

Die Frömmigkeit ist außer der Geschichte und ohne Geschichte,
denn die Geschichte ist vielmehr das Reich
des in seiner subjektiven Freiheit sich gegenwärtigen Geistes,
als sittliches Reich des Staates.

Im Mittelalter nun ist nicht diese Verwirklichung des Göttlichen,
sondern der Gegensatz ist unausgeglichen.

Das Sittliche ist als ein Nichtiges aufgestellt worden,
und zwar in seinen wahrhaften drei Hauptpunkten.

Eine Sittlichkeit ist nämlich die der Liebe,
der Empfindung in dem ehelichen Verhältnisse.

Man muss nicht sagen, das Zölibat sei gegen die Natur,
sondern gegen die Sittlichkeit.

Die Ehe wurde nun zwar von der Kirche zu den Sakramenten gerechnet,
trotz diesem Standpunkte aber degradiert,
indem die Ehelosigkeit als das Heiligere gilt.

Eine andere Sittlichkeit liegt in der Tätigkeit,
in der Arbeit des Menschen für seine Subsistenz.

Darin liegt seine Ehre, daß er in Rücksicht auf seine Bedürfnisse
nur von seinem Fleiße, seinem Betragen und seinem Verstande abhänge.

Diesem gegenüber wurde nun die Armut,
die Trägheit und Untätigkeit als höher gestellt
und das Unsittliche so zum Heiligen geweiht.

Ein drittes Moment der Sittlichkeit ist,
daß der Gehorsam auf das Sittliche und Vernünftige gerichtet sei,
als der Gehorsam gegen die Gesetze, die ich als die rechten ((457)) weiß,
nicht aber der blinde und unbedingte, der nicht weiß, was er tut,
und ohne Bewußtsein und Kenntnis in seinem Handel herumtappt.

Dieser letztere Gehorsam aber gerade galt als der Gott wohlgefälligste,
wodurch also die Obedienz der Unfreiheit,
welche die Willkür der Kirche auferlegt
über den wahren Gehorsam der Freiheit gesetzt ist.

Also sind die drei Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams
gerade das Umgekehrte dessen, was sie sein sollten,
und in ihnen ist alle Sittlichkeit degradiert worden.

Die Kirche war keine geistige Gewalt mehr, sondern eine geistliche,
und die Weltlichkeit hatte zu ihr
ein geistloses, willenloses und einsichtsloses Verhältnis.

Als Folge davon erblicken wir überall
Lasterhaftigkeit, Gewissenlosigkeit, Schamlosigkeit,
eine Zerrissenheit, deren weitläufiges Bild die ganze Geschichte der Zeit gibt.

Nach dem Gesagten zeigt sich uns die Kirche des Mittelalters
als ein vielfacher Widerspruch in sich.

Der subjektive Geist nämlich, wenn auch vom Absoluten zeugend,
ist dennoch auch zugleich endlicher und existierender Geist,
als Intelligenz und Wille.

Seine Endlichkeit beginnt damit, in diesen Unterschied herauszutreten,
und hier fängt zugleich der Widerspruch
und das Erscheinen der Entfremdung an;
denn die Intelligenz und der Wille sind nicht von der Wahrheit durchdrungen,
die für sie nur ein Gegebenes ist.

Diese Äußerlichkeit des absoluten Inhalts bestimmt sich für das Bewußtsein so,
daß er als sinnliches, äußerliches Ding, als gemeine äußerliche Existenz vorkommt
und doch auch so als Absolutes gelten soll:
diese absolute Zumutung wird dem Geiste hier gemacht.

Die andere Form des Widerspruchs
betrifft das Verhältnis in der Kirche als solcher.

Der wahrhafte Geist existiert im Menschen, ist sein Geist,
und die Gewißheit seiner Identität mit dem Absoluten
gibt sich das Individuum im Kultus,
während die Kirche
nur das Verhältnis einer Lehrerin und Anordnerin dieses Kultus einnimmt.

Aber hier ist vielmehr der geistliche Stand, wie die Brahmanen bei den Indern,
im Besitze der Wahrheit,
zwar nicht ((458)) durch Geburt,
sondern durch Erkenntnis, Lehren, Übung,
aber so, daß dies allein nicht hinreichend ist,
sondern nur eine äußerliche Weise, ein geistloser Besitztitel,
den Besitz erst wirklich konstituiert.

Diese äußerliche Weise ist die Priesterweihe,
so daß die Konsekration wesentlich als sinnlich am Individuum haftet,
sein Inneres mag beschaffen sein, wie es will
- irreligiös, unmoralisch, unwissend in jeder Rücksicht.

Die dritte Art des Widerspruchs ist die Kirche,
insofern sie als eine äußerliche Existenz
Besitztümer und ein ungeheures Vermögen erhielt,
was, da sie eigentlich den Reichtum verachtet oder verachten soll, eine Lüge ist.

Auf ähnliche Weise ist der Staat des Mittelalters,
wie wir ihn betrachtet, in Widersprüche verwickelt.

Wir haben oben von einem Kaisertum gesprochen,
das der Kirche zur Seite stehen und ihr weltlicher Arm sein soll.

Aber diese anerkannte Macht hat den Widerspruch in sich,
daß dieses Kaisertum eine leere Ehre ist, ohne Ernst für den Kaiser selbst
oder die, welche durch ihn ihre ehrsüchtigen Zwecke erfüllen wollen,
denn die Leidenschaft und Gewalt existieren für sich,
ununterworfen durch jene bloß allgemein bleibende Vorstellung.

Zweitens ist aber das Band an diesem vorgestellten Staat, das wir Treue nennen,
der Willkür des Gemüts anheimgestellt,
welches keine objektiven Pflichten anerkennt.

Dadurch aber ist diese Treue das Allerungetreueste.

Die deutsche Ehrlichkeit des Mittelalters ist sprichwörtlich geworden:
betrachten wir sie aber näher in der Geschichte,
so ist sie eine wahre punica fides oder graeca fides zu nennen,
denn treu und redlich sind die Fürsten und Vasallen des Kaisers nur
gegen ihre Selbstsucht, Eigennutz und Leidenschaft,
durchaus untreu aber gegen das Reich und den Kaiser,
weil in der Treue als solcher ihre subjektive Willkür berechtigt
und der Staat nicht als ein sittliches Ganzes organisiert ist.

Ein dritter Widerspruch ist der der Individuen in sich,
der der Frömmigkeit, der schönsten und innigsten Andacht,
und dann der Barbarei der Intelligenz und des Willens.

Es ist Kenntnis der allgemeinen Wahrheit da
und doch die ungebildetste, ((459)) roheste Vorstellung
über Weltliches und Geistiges vorhanden:
grausames Wüten der Leidenschaft und christliche Heiligkeit,
welche allem Weltlichen entsagt und ganz sich dem Heiligen weiht.

So widersprechend, so betrugvoll ist dieses Mittelalter,
und es ist eine Abgeschmacktheit unserer Zeit,
die Vortrefflichkeit desselben zum Schlagwort machen zu wollen.

Unbefangene Barbarei, Wildheit der Sitte, kindische Einbildung
ist nicht empörend, sondern nur zu bedauern;
aber die höchste Reinheit der Seele durch die greulichste Wildheit besudelt,
die gewußte Wahrheit durch Lüge und Selbstsucht zum Mittel gemacht,
das Vernunftwidrigste, Roheste, Schmutzigste
durch das Religiöse begründet und bekräftigt
- dies ist das widrigste und empörendste Schauspiel, das jemals gesehen worden
und das nur die Philosophie begreifen und darum rechtfertigen kann.

Denn es ist ein notwendiger Gegensatz,
welcher in das Bewußtsein des Heiligen treten muss,
wenn dies Bewußtsein noch erstes und unmittelbares Bewußtsein ist;
und je tiefer die Wahrheit ist, zu der der Geist sich an sich verhält,
indem er zugleich noch nicht seine Gegenwart in dieser Tiefe erfaßt hat,
desto entfremdeter ist er sich selbst in dieser seiner Gegenwart,
aber nur aus dieser Entfremdung gewinnt er seine wahrhafte Versöhnung.

Wir haben nun die Kirche als Reaktion des Geistigen
gegen die vorhandene Weltlichkeit gesehen,
aber diese Reaktion ist in sich so beschaffen,
daß sie das, wogegen sie reagiert, sich nur untertänig macht,
nicht aber dasselbe reformiert.

Indem sich das Geistige,
durch ein Prinzip der Verrückung seines eigenen Inhalts, die Gewalt erwirbt,
hat sich auch eine weltliche Herrschaft konsolidiert
und sich zu einem Systematischen, dem Feudalsystem, entwickelt.

Da die Menschen durch ihre Isolierung
auf individuelle Kraft und Macht reduziert sind,
so wird jeder Punkt, auf welchem sie sich in der Welt aufrechterhalten,
ein energischer.

Wenn das Individuum noch nicht durch Gesetze,
sondern nur durch seine eigene Kraftanstrengung geschützt ist,
so ist eine allgemeine ((460)) Lebendigkeit, Betriebsamkeit und Erregung vorhanden.

Da die Menschen durch die Kirche der ewigen Seligkeit gewiß sind
und dazu ihr nur geistig gehorsam zu sein brauchen,
so wird andererseits ihre Sucht nach weltlichem Genuß
um so größer, je weniger daraus für das geistige Heil irgendein Schaden entsteht;
denn für alle Willkür, allen Frevel, alle Laster
erteilt die Kirche Ablaß, wenn er verlangt wird.

Vom elften bis zum dreizehnten Jahrhundert entstand ein Drang,
der sich auf vielfache Weise äußerte.

Die Gemeinden fingen an, ungeheure Gotteshäuser zu erbauen,
Dome, errichtet zur Umschließung der Gemeinde.

Die Baukunst ist immer die erste Kunst,
welche das unorganische Moment, die Behausung des Gottes, bildet;
dann erst versucht es die Kunst, den Gott selbst,
das Objektive der Gemeinde darzustellen.

Von den Städten an den italienischen, spanischen, flandrischen Küsten
wurde ein lebhafter Seehandel getrieben,
welcher wiederum eine große Regsamkeit der Gewerbe bei ihnen hervorrief.

Die Wissenschaften begannen einigermaßen wieder aufzuleben,
die Scholastik war im Schwunge,
Rechtsschulen wurden zu Bologna und an anderen Orten gestiftet,
ebenso medizinische.

Allen diesen Schöpfungen liegt als Hauptbedingung
die Entstehung und wachsende Bedeutung der Städte zugrunde;
ein Thema, das in neueren Zeiten sehr beliebt geworden ist.

Für dieses Entstehen der Städte war ein großes Bedürfnis vorhanden.

Wie die Kirche stellen sich die Städte nämlich
als Reaktionen gegen die Gewalttätigkeit des Feudalwesens dar,
als erste in sich rechtliche Macht.

Es ist schon früher des Umstandes Erwähnung geschehen,
daß die Gewaltigen andere zwangen, Schutz bei ihnen zu suchen.

Solche Schutzpunkte waren Burgen, Kirchen und Klöster,
um welche herum sich die Schutzbedürftigen,
die nunmehr Bürger, Schutzpflichtige der Burgherrn und Klöster wurden,
versammelten.

So bildete sich an vielen Orten ein festes Zusammensein.

Aus den alten Römerzeiten hatten sich noch viele Städte und Kastelle
in Italien, im südlichen Frankreich und in Deutschland am Rhein erhalten, ((461))
welche anfänglich Munizipalrechte hatten,
späterhin aber dieselben unter der Herrschaft der Vögte verloren.

Die Städter waren Leibeigene geworden wie die Landbewohner.

Aus dem Schutzverhältnis erwuchs jedoch nunmehr
das Prinzip des freien Eigentums, d.h. aus der Unfreiheit die Freiheit.

Die Dynasten oder adeligen Herren hatten eigentlich auch kein freies Eigentum;
sie hatten alle Gewalt über ihre Untergebenen,
zugleich waren sie aber auch Vasallen von Höheren und Mächtigeren,
sie hatten Verpflichtungen gegen dieselben,
die sie freilich nur, wenn sie gezwungen wurden, erfüllten.

Die alten Germanen hatten nur von freiem Eigentum gewußt,
aber dieses Prinzip hatte sich zur vollkommenen Unfreiheit verkehrt,
und erst jetzt erblicken wir wenige schwache Anfänge
eines wiedererwachenden Sinnes für Freiheit.

Individuen, welche durch den Boden, den sie bebauten,
einander nahe gebracht waren,
bildeten unter sich eine Art von Bund, Konföderation oder Konjuration.

Sie kamen überein, für sich das zu sein und zu leisten,
was sie früher allein dem Herrn geleistet hatten.

Die erste gemeinsame Unternehmung war,
daß ein Turm, in dem eine Glocke aufgehängt war, erbaut wurde;
auf das Läuten der Glocke mussten sich alle einfinden,
und die Bestimmung des Vereins war, auf diese Weise eine Art Miliz zu bilden.

Der weitere Fortgang ist alsdann,
daß eine Obrigkeit von Schöffen, Geschworenen, Konsuln eingesetzt wird
und die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Kasse,
die Erhebung von Abgaben, Zöllen usw. sich findet.

Gräben und Mauern werden als gemeinsame Schutzmittel gezogen,
und dem Einzelnen wird verboten,
besondere Befestigungen für sich zu haben.

In solcher Gemeinsamkeit sind die Gewerbe,
die sich vom Ackerbau unterscheiden, einheimisch.

Die Gewerbetreibenden mussten bald
einen notwendigen Vorrang vor den Ackerbauern gewinnen,
denn diese wurden mit Gewalt zur Arbeit getrieben;
jene aber hatten eigene Tätigkeit, Fleiß und Interesse am Erwerb.

Die Erlaubnis, ihre Arbeit zu verkaufen und sich so etwas zu verdienen,
mussten früher ((462)) die Gewerbsleute auch erst von dem Herrn einholen;
sie mussten ihnen für diese Freiheit des Marktes eine gewisse Summe entrichten,
und außerdem bekamen die Herren noch immer einen Teil des Erworbenen.

Diejenigen, welche eigene Häuser hatten,
mussten einen beträchtlichen Erbzins dafür entrichten;
von allem, was ein- und ausging, erhoben die Herren große Zölle,
und für die zugestandene Sicherheit der Wege bekamen sie Geleitsgeld.

Als späterhin diese Gemeinheiten erstarkten,
wurden den Herren alle Rechte abgekauft oder mit Gewalt abgenötigt;
die Städte erkauften sich allmählich die eigene Gerichtsbarkeit
und befreiten sich ebenso von allen Abgaben, Zöllen, Zinsen.

Am längsten erhielt sich noch die Einrichtung,
daß die Städte den Kaiser und sein ganzes Gefolge
während seines Aufenthalts verpflegen mußten
und auf dieselbe Weise die kleinen Dynasten.

Das Gewerbe teilte sich später in Zünfte,
deren jede besondere Rechte und Verpflichtungen erhielt.

Die Faktionen,
welche sich bei der Wahl der Bischöfe und anderen Gelegenheiten bildeten,
haben den Städten sehr oft zu diesen Rechten verholfen.

Wenn es nämlich oft geschah, daß zwei Bischöfe für einen gewählt wurden,
so suchte jeder die Bürger in sein Interesse zu ziehen,
indem er ihnen Privilegien und Befreiung von Abgaben zugestand.

Späterhin treten auch manche Fehden mit der Geistlichkeit,
den Bischöfen und Äbten ein.

In einzelnen Städten erhielten sie sich als Herren,
in anderen blieben die Bürger Meister und machten sich frei.

So befreite sich zum Beispiel Köln von seinem Bischof, Mainz jedoch nicht.

Nach und nach erstarkten die Städte zu freien Republiken:
in Italien ganz besonders, dann in den Niederlanden, in Deutschland, Frankreich.

Sie treten bald in ein eigentümliches Verhältnis zum Adel.

Dieser vereinigte sich mit den Korporationen der Städte
und machte selbst, wie z.B. in Bern, eine Zunft aus.

Bald maßte er sich in den Korporationen der Städte eine besondere Gewalt an
und gelangte zur Herrschaft;
die Bürger lehnten sich aber dagegen auf und erlangten für sich die Regierung.

Die reichen Bürger ((463)) (populus crassus) schlossen nun den Adel aus.

Wie dieser aber in Faktionen, besonders in Ghibellinen und Guelfen,
wovon jene sich dem Kaiser, diese dem Papste anschlossen, geteilt war,
so zerfielen nun auch wiederum die Bürger in sich.

Die siegende Faktion schloß die unterliegende von der Regierung aus.

Der patrizische Adel, welcher im Gegensatz des Adels der Dynasten auftrat,
entfernte das gemeine Volk von der Leitung des Staates
und machte es so nicht besser als der eigentliche Adel.

Die Geschichte der Städte ist eine beständige Abwechslung von Verfassungen,
je nachdem dieser Teil der Bürgerschaft oder jener,
diese oder jene Faktion die Oberhand bekam.

Ein Ausschuß von Bürgern wählte anfänglich die Magistratspersonen,
aber da bei diesen Wahlen immer die siegende Faktion den größten Einfluß hatte,
so blieb, um unparteiische Beamte zu bekommen,
kein anderes Mittel übrig, als daß man Fremde zu Richtern und Potestaten wählte.

Häufig geschah es auch, daß die Städte fremde Fürsten zu Oberhäuptern erwählten
und ihnen die Signoria übergaben.

Aber alle diese Einrichtungen waren nur von kurzer Dauer;
die Fürsten mißbrauchten bald ihre Oberherrschaft zu ehrgeizigen Plänen
und zur Befriedigung ihrer Leidenschaften
und wurden nach wenigen Jahren ihrer Herrschaft wieder beraubt.

Betrachten wir dieses unruhige und veränderliche Treiben im Innern der Städte,
die fortwährenden Kämpfe der Faktionen,
so erstaunen wir, wenn wir auf der anderen Seite
die Industrie, den Handel zu Lande und zu Wasser in der höchsten Blüte sehen.

Es ist dasselbe Prinzip der Lebendigkeit, das,
gerade von dieser inneren Erregung genährt, diese Erscheinung hervorbringt.

Wir haben jetzt die Kirche, die ihre Gewalt über alle Reiche ausdehnte,
und die Städte, wo ein rechtlicher Zustand zuerst wieder begann,
als die gegen die Fürsten und Dynasten ((464)) reagierenden Mächte gesehen.

Gegen diese beiden sich feststellenden Gewalten
erfolgte nun eine Reaktion der Fürsten;
der Kaiser erscheint jetzt im Kampfe gegen den Papst und die Städte.

Der Kaiser wird vorgestellt
als die Spitze der christlichen, d.h. der weltlichen Macht,
der Papst dagegen als die der geistlichen Macht,
die nun aber ebenso eine weltliche geworden war.

Es war der Theorie nach unbestritten,
daß der Römische Kaiser das Haupt der Christenheit sei,
daß er das dominium mundi besitze,
daß, da alle christlichen Staaten zum Römischen Reiche gehören,
alle Fürsten ihm in ziemlichen und billigen Dingen untergeben sein sollen.

Sowenig die Kaiser selbst an dieser Autorität zweifelten,
so hatten sie doch zu viel Verstand, sie ernsthaft geltend zu machen;
aber die leere Würde eines Römischen Kaisers galt ihnen doch genug,
um alle ihre Kräfte daran zu setzen, sie in Italien zu gewinnen und zu behaupten.

Die Ottonen besonders
haben den Gedanken der Fortsetzung des altrömischen Kaisertums aufgenommen
und haben die deutschen Fürsten immer aufs neue zum Römerzuge aufgefordert,
wobei sie dann oft von diesen verlassen wurden
und schimpflich wieder abziehen mußten.

Ebensolche Täuschung haben die Italiener erfahren,
welche vom Deutschen Kaiser Rettung
von der Pöbelherrschaft in den Städten
oder von der allgemeinen Gewalttätigkeit des Adels hofften.

Die italienischen Fürsten, welche den Kaiser herbeigerufen
und ihm Hilfe zugesagt hatten,
ließen ihn wieder im Stich,
und die, welche vorher Rettung für das Vaterland erwartet hatten,
erhoben dann bittere Klagen, daß ihre schönen Länder
von Barbaren verwüstet,
ihre gebildeteren Sitten mit Füßen getreten würden
und daß auch Recht und Freiheit, nachdem der Kaiser sie verraten,
zugrunde gehen müßten.

Rührend und tief sind besonders die Klagen und Vorwürfe,
welche Dante den Kaisern macht.

Die andere Beziehung zu Italien,
welche zugleich mit der ersten vornehmlich von den großen Schwaben,
den Hohenstaufen, durchgekämpft wurde,
war das Bestreben,
die selbständig ((465)) gewordene weltliche Macht der Kirche
wieder unter den Staat zu bringen.

Auch der Päpstliche Stuhl war eine weltliche Macht und Herrschaft,
und der Kaiser hatte den noch höheren Anspruch
auf die Wahl und Einsetzung des Papstes in die weltliche Herrschaft.

Diese Rechte des Staats waren es, um welche die Kaiser kämpften.

Aber der weltlichen Macht, welche sie bekämpften,
waren sie zugleich als geistlicher unterworfen:
so war der Kampf ein ewiger Widerspruch.

Widersprechend wie die Handlungen, in denen die Aussöhnung
beständig mit den wieder erneuten Feindseligkeiten wechselte,
waren auch die Mittel des Kampfes.

Denn die Macht, mit welcher die Kaiser ihren Feind bekämpften,
die Fürsten, ihm Diener und Untertanen,
waren in sich selbst entzweit,
als zugleich dem Kaiser und dem Feinde desselben
mit den höchsten Banden untertan.

Die Fürsten hatten zu ihrem Hauptinteresse
eben dieselbe Anmaßung der Unabhängigkeit vom Staate
und standen zwar dem Kaiser bei,
solange es sich um die leere Ehre der kaiserlichen Würde
oder um ganz besondere Angelegenheiten, etwa gegen die Städte, handelte,
verließen ihn aber, wenn es ernstlich um die Autorität des Kaisers
gegen die weltliche Macht der Geistlichen
oder die anderer Fürsten zu tun war.

Wie die deutschen Kaiser in Italien ihren Titel realisieren wollten,
so hatte Italien wiederum seinen politischen Mittelpunkt in Deutschland.

Beide Länder waren so aneinander gekettet,
und keines konnte sich in sich konsolidieren.

In der glänzenden Periode der Hohenstaufen
behaupteten Individuen von großem Charakter den Thron,
wie Friedrich Barbarossa,
in welchem sich die kaiserliche Macht in ihrer größten Herrlichkeit darstellte
und welcher durch seine Persönlichkeit
auch die ihm untergebenen Fürsten an sich zu halten wußte.

So glänzend die Geschichte der Hohenstaufen erscheint,
so lärmend der Kampf mit der Kirche war,
so stellt jene doch im ganzen
nur die Tragödie der Familie dieses Hauses und Deutschlands dar,
und dieser hat geistig kein großes Resultat gehabt.

Die Städte wurden zwar zur ((466)) Anerkennung der kaiserlichen Autorität gezwungen,
und die Abgeordneten derselben
beschworen die Schlüsse des ronkalischen Reichstags,
aber sie hielten sie nur so lange, als sie dazu gezwungen waren.

Die Verpflichtung hing nur von dem unmittelbaren Gefühle der Übermacht ab.

Als Kaiser Friedrich I., wie man erzählt,
die Abgeordneten der Städte fragte,
ob sie die Friedensschlüsse nicht beschworen hätten,
da sagten sie:

Ja, aber nicht, daß wir sie halten wollten.

Der Ausgang war, daß Friedrich I. im Konstanzer Frieden (1183)
ihnen die Selbständigkeit so ziemlich einräumen musste,
wenn er auch die Klausel hinzufügte:
unbeschadet der Lehnspflichten gegen das Deutsche Reich.

So wurde dieser langwierige Streit
zwischen den weltlichen und geistlichen Fürsten beigelegt.


Zweites Kapitel DIE KREUZZÜGE [Kirchenmacht]

Die Kirche hat in dem erwähnten Kampfe den Sieg errungen
und dadurch in Deutschland ihre Herrschaft ebenso festgesetzt
wie in den übrigen Staaten auf ruhigere Weise.

Sie hat sich zur Herrin aller Lebensverhältnisse, Wissenschaft und Kunst gemacht
und ist die ununterbrochene Ausstellung der geistigen Schätze.

Doch in dieser Fülle und Vollendung ist es nichtsdestoweniger
ein Mangel und ein Bedürfnis, das die Christenheit befällt und sie außer sich treibt.

Um diesen Mangel zu fassen,
muss auf die Natur der christlichen Religion ((467)) selbst zurückgegangen werden,
und zwar auf die Seite derselben,
wonach sie einen Fuß in der Gegenwart des Selbstbewußtseins hat.

Die objektive Lehre des Christentums
war durch die Konzilien schon so festgesetzt worden,
daß weder die Philosophie des Mittelalters noch eine andere mehr daran tun konnte,
als sie in den Gedanken zu erheben,
um auch die Form des Denkens in ihr zu befriedigen.

Diese Lehre nun hat an ihr selbst die Seite,
daß die göttliche Natur gewußt wird als nicht auf irgendeine Weise ein Jenseits,
sondern in der Einheit mit der menschlichen Natur in der Gegenwart zu sein.

Aber diese Gegenwart hat zugleich nur als Gegenwart des Geistigen zu sein:
Christus ist als dieser Mensch entrückt worden,
sein zeitliches Dasein ist ein vergangenes, d.h. ein nur vorgestelltes.

Darum, weil das göttliche Diesseits wesentlich geistiges sein soll,
so kann es nicht in der Weise des Dalai-Lama erscheinen.

Der Papst, so hoch er auch als Haupt der Christenheit und als Vikarius Christi gestellt ist,
nennt sich doch nur den Knecht der Knechte.

Wie hat nun doch die Kirche Christus als Diesen in sich gehabt?

Die Hauptgestalt hiervon ist, wie schon gesagt, das Nachtmahl der Kirche als Messe:
in ihr ist das Leben, Leiden und Sterben des wirklichen Christus vorhanden,
als das ewige und alle Tage geschehende Opfer.

Christus ist als Dieses in sinnlicher Gegenwart als die Hostie, die vom Priester konsekriert ist;
dagegen ist nichts zu sagen: nämlich, es ist die Kirche, der Geist Christi,
der zur unmittelbaren Gewißheit heraustritt.

Aber der Hauptpunkt ist,
daß dies, wie sich Gott zur Erscheinung bringt, befestigt wird als ein Dieses,
daß die Hostie, dies Ding, als Gott angebetet werden soll.

Die Kirche hätte sich nun mit dieser sinnlichen Gegenwart Gottes begnügen können;
wenn aber einmal zugegeben ist, daß Gott in äußerlicher Gegenwart ist,
so wird zugleich dieses Äußerliche zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit,
denn das Bedürfnis dieser Gegenwart ist unendlich.

Es wird also in der Kirche ein Reichtum von Ereignissen sein,
daß Christus da und ((468)) dort diesem und jenem erschienen ist,
noch mehr aber seine göttliche Mutter, welche als dem Menschen näherstehend
selbst wieder eine Vermittlerin zwischen dem Vermittler und dem Menschen ist
(die wundertätigen Marienbilder sind in ihrer Art Hostien,
indem sie eine gnädige und günstige Gegenwart Gottes gewähren).

Allerorten werden also in höher begnadigten Erscheinungen, Bluteindrücken von Christus usf.
sich Vergegenwärtigungen des Himmlischen begeben,
und das Göttliche wird in Wundern sich auf einzelne Weise ereignen.

Die Kirche ist daher in diesen Zeiten eine Welt von Wunder,
und für die andächtige, fromme Gemeinde hat das natürliche Dasein keine letzte Gewißheit mehr;
vielmehr ist die absolute Gewißheit gegen dasselbe gekehrt,
und das Göttliche stellt sich ihr nicht in allgemeiner Weise als Gesetz und Natur des Geistes vor,
sondern offenbart sich auf einzelne Weise, worin das verständige Dasein verkehrt ist.

In dieser Vollendung der Kirche kann für uns ein Mangel sein;
aber was kann ihr darin mangeln?
was nötigt sie, die in dieser vollen Befriedigung und Genuß steht,
innerhalb ihrer selbst ein anderes zu wollen, ohne von sich abzufallen?

Die Wunderbilder, die Wunderorte und Wunderzeiten
sind nur einzelne Punkte und momentane Erscheinungen,
sind nicht von der höchsten absoluten Art.

Die Hostie, das Höchste, ist in unzähligen Kirchen;
Christus ist darin wohl transsubstantiiert zur gegenwärtigen Einzelheit,
aber diese ist selbst nur allgemeine, nicht diese letzte im Raume partikularisierte Gegenwart.

Diese Gegenwart ist in der Zeit vergangen,
aber als räumliche und im Raum konkrete, an dieser Stelle, diesem Dorfe usf.,
ist sie ein erhaltenes Diesseits.

Dies Diesseits nun ist es, was der Christenheit abgeht, was sie noch gewinnen muß.

Pilgrime in Menge hatten es zwar genießen können;
aber der Zugang dazu ist in den Händen der Ungläubigen,
und es ist der Christenheit unwürdig, daß die heiligen Orte und das Grab Christi
nicht im Besitz der Kirche sind.

In diesem Gefühl ist die Christenheit eins gewesen;
darum hat sie die Kreuzzüge unternommen, ((469))
und sie hatte dabei nicht diesen oder jenen, sondern einen einzigen Zweck
- das Heilige Land zu erobern.

Das Abendland ist wiederum gegen das Morgenland ausgezogen.

Wie in dem Zuge der Griechen nach Troja,
so waren es auch hier lauter selbständige Dynasten und Ritter, die gen Morgen aufbrachen;
doch waren sie nicht schon unter einer wirklichen Individualität,
wie die Griechen unter Agamemnon oder Alexander, vereint,
sondern die Christenheit ging vielmehr darauf aus,
das Dieses, die wirkliche Spitze der Individualität, zu holen.

Dieser Zweck hat das Abendland nach dem Morgenlande getrieben,
und um ihn handelt es sich in den Kreuzzügen.

Die Kreuzzüge fingen sogleich unmittelbar im Abendlande selbst an,
viele Tausende von Juden wurden getötet und geplündert,
- und nach diesem fürchterlichen Anfange zog das Christenvolk aus.

Der Mönch Peter der Einsiedler aus Amiens
schritt mit einem ungeheuren Haufen von Gesindel voran.

Der Zug ging in der größten Unordnung durch Ungarn,
überall wurde geraubt und geplündert,
der Haufen aber selbst schmolz sehr zusammen,
und nur wenige erreichten Konstantinopel.

Denn von Vernunftgründen konnte nicht die Rede sein;
die Menge glaubte, Gott würde sie unmittelbar führen und bewahren.

Daß die Begeisterung die Völker bald zum Wahnwitz gebracht hatte,
zeigt sich am meisten darin, daß späterhin Scharen von Kindern ihren Eltern entliefen
und nach Marseille zogen, um sich dort nach dem Gelobten Lande einschiffen zu lassen.

Wenige kamen an,
und die anderen wurden von den Kaufleuten den Sarazenen als Sklaven verkauft.

Endlich haben mit vieler Mühe und ungeheurem Verluste
geordnetere Heere ihren Zweck erreicht:
sie sehen sich im Besitz aller berühmten heiligen Orte,
Bethlehems, Gethsemanes, Golgathas, ja des Heiligen Grabes.

In der ganzen Begebenheit, in allen Handlungen der Christen
erschien dieser ungeheure Kontrast, der überhaupt vorhanden war,
daß von den größten Ausschweifungen und Gewalttätigkeiten ((470))
das Christenheer wieder zur höchsten Zerknirschung und Niederwerfung überging.

Noch triefend vom Blute der gemordeten Einwohnerschaft Jerusalems
fielen die Christen am Grabe des Erlösers auf ihr Angesicht
und richteten inbrünstige Gebete an ihn.

So kam die Christenheit in den Besitz des höchsten Gutes.

Es wurde ein Königreich Jerusalem gestiftet
und daselbst das ganze Lehnssystem eingeführt,
eine Verfassung, welche den Sarazenen gegenüber
sicher die schlechteste war, die man finden konnte.

Ein anderes Kreuzheer hat im Jahre 1204 Konstantinopel erobert
und daselbst ein lateinisches Königreich gestiftet.

Die Christenheit hatte nun ihr religiöses Bedürfnis befriedigt,
sie konnte jetzt in der Tat ungehindert in die Fußtapfen des Heilands treten.

Ganze Schiffsladungen von Erde wurden aus dem Gelobten Lande nach Europa gebracht.

Von Christus selbst konnte man keine Reliquien haben, denn er war auferstanden;
das Schweißtuch Christi, das Kreuz Christi, endlich das Grab Christi
wurden die höchsten Reliquien.

Aber im Grabe liegt wahrhaft der eigentliche Punkt der Umkehrung,
im Grabe ist es, wo alle Eitelkeit des Sinnlichen untergeht.

Am Heiligen Grabe vergeht alle Eitelkeit der Meinung, da wird es Ernst überhaupt.

Im Negativen des Dieses, des Sinnlichen ist es,
daß die Umkehrung geschieht und sich die Worte bewähren:
“Du lässest nicht zu, daß Dein Heiliger verwese.”

Im Grabe sollte die Christenheit das Letzte ihrer Wahrheit nicht finden.

An diesem Grabe ist der Christenheit noch einmal geantwortet worden,
was den Jüngern, als sie dort den Leib des Herrn suchten:

“Was suchet ihr den Lebendigen bei den Toten?
Er ist nicht hier, er ist auferstanden”

Das Prinzip eurer Religion habt ihr nicht im Sinnlichen, im Grabe bei den Toten zu suchen,
sondern im lebendigen Geist bei euch selbst.

Die ungeheure Idee der Verknüpfung des Endlichen und ((471)) Unendlichen
haben wir zum Geistlosen werden sehen, daß das Unendliche als Dieses
in einem ganz vereinzelten äußerlichen Dinge gesucht worden ist.

Die Christenheit hat das leere Grab,
nicht aber die Verknüpfung des Weltlichen und Ewigen gefunden
und das Heilige Land deshalb verloren.

Sie ist praktisch enttäuscht worden,
und das Resultat, das sie mitbrachte, war von negativer Art:
es war, daß nämlich für das Dieses, welches gesucht wurde,
nur das subjektive Bewußtsein und kein äußerliches Ding das natürliche Dasein ist,
daß das Dieses, als das Verknüpfende des Weltlichen und Ewigen,
das geistige Fürsichsein der Person ist.

So gewinnt die Welt das Bewußtsein,
daß der Mensch das Dieses, welches göttlicher Art ist, in sich selbst suchen müsse;
dadurch wird die Subjektivität absolut berechtigt
und hat an sich selbst die Bestimmung des Verhältnisses zum Göttlichen.

Dies aber war das absolute Resultat der Kreuzzüge,
und von hier fängt die Zeit des Selbstvertrauens, der Selbsttätigkeit an.

Das Abendland hat vom Morgenlande am Heiligen Grabe
auf ewig Abschied genommen und sein Prinzip der subjektiven unendlichen Freiheit erfaßt.

Die Christenheit ist nie wieder als ein Ganzes aufgetreten.

Kreuzzüge anderer Art, mehr Eroberungskriege,
die aber auch das Moment religiöser Bestimmung hatten,
waren die Kämpfe in Spanien gegen die Sarazenen auf der Halbinsel selbst.

Die Christen waren von den Arabern auf einen Winkel beschränkt worden,
wurden aber dadurch mächtig,
daß die Sarazenen in Spanien und Afrika in vielfachem Kampf begriffen waren
und unter sich selbst zerfielen.

Die Spanier, verbunden mit fränkischen Rittern,
unternahmen häufig Züge gegen die Sarazenen,
und bei diesem Zusammentreffen der Christen mit dem Rittertum des Orients
und mit seiner Freiheit und vollkommenen Unabhängigkeit der Seele
haben auch die Christen diese Freiheit angenommen.

Das schönste Bild von dem Rittertum des Mittelalters gibt Spanien,
und der Held desselben ist der Cid.

Mehrere Kreuzzüge, die nur mit Abscheu erfüllen können,
wurden auch gegen das südliche ((472)) Frankreich unternommen.

Es hatte sich daselbst eine schöne Bildung entwickelt:
durch die Troubadours war eine Freiheit der Sitte,
ähnlich der unter den Hohenstaufenschen Kaisern in Deutschland,
aufgeblüht, nur mit dem Unterschiede,
daß jene etwas Affektiertes in sich trug, diese aber innigerer Art war.

Aber wie in Oberitalien, so hatten im südlichen Frankreich
schwärmerische Vorstellungen von Reinigkeit Eingang gefunden;
die Päpste ließen daher gegen dieses Land das Kreuz predigen.

Der heilige Dominikus ging dahin mit zahlreichen Heeren,
die auf die fürchterlichste Weise Schuldige und Unschuldige beraubten und ermordeten
und das herrliche Land gänzlich verwüsteten.

Durch die Kreuzzüge vollendete die Kirche ihre Autorität:
sie hatte die Verrückung der Religion und des göttlichen Geistes zustande gebracht,
das Prinzip der christlichen Freiheit
zur unrechtlichen und unsittlichen Knechtschaft der Gemüter verkehrt
und damit die rechtlose Willkür und Gewalttätigkeit nicht aufgehoben und verdrängt,
sondern vielmehr in die Hände der Kirchenhäupter gebracht.

In den Kreuzzügen stand der Papst an der Spitze der weltlichen Macht,
der Kaiser erschien nur, wie die anderen Fürsten, in untergeordneter Gestalt
und musste dem Papste, als dem sichtbaren Oberhaupt der Unternehmung,
das Sprechen und das Handeln überlassen.

Wir haben schon gesehen, wie die edlen Hohenstaufen
mit ritterlichem, edlem und gebildetem Sinn
dieser Gewalt, gegen welche der Geist keinen Widerstand mehr hatte, entgegengetreten
und wie sie der Kirche, welche, elastisch genug,
jeden Widerstand beseitigte und von keiner Aussöhnung wissen wollte,
endlich unterlegen sind.

Der Untergang der Kirche sollte nicht durch offene Gewalt bewirkt werden,
sondern von innen heraus, vom Geiste aus,
und von unten herauf drohte ihr der Sturz.

Daß der hohe Zweck der Befriedigung
durch den Genuß der sinnlichen Gegenwart nicht erreicht wurde,
musste das päpstliche Ansehen von vornherein schwächen.

Die Päpste erreichten ebensowenig ihren Zweck,
das Heilige Land auf die Dauer zu ((473)) besitzen.

Der Eifer für die heilige Sache war bei den Fürsten ermattet;
mit unendlichem Schmerz ließen die Päpste dringende Anforderungen an sie ergehen,
so viel mal wurde ihr Herz durchbohrt durch die Niederlage der Christen;
aber vergeblich war ihr Wehklagen, und sie vermochten nichts.

Der Geist, unbefriedigt bei jener Sehnsucht nach der höchsten sinnlichen Gegenwart,
hat sich in sich zurückgeworfen.

Es ist ein erster und tiefer Bruch geschehen.

Von nun an sehen wir die Regungen, in denen der Geist,
hinausgehend über die greuelhafte und unvernünftige Existenz,
entweder sich in sich ergeht und aus sich die Befriedigung zu schöpfen sucht
oder sich in die Wirklichkeit allgemeiner und berechtigter Zwecke,
welche eben damit Zwecke der Freiheit sind, begibt.

Die Bestrebungen, die daraus entstanden, sind nunmehr anzugeben;
sie sind die Vorbereitungen für den Geist gewesen,
den Zweck seiner Freiheit in der höheren Reinheit und Berechtigung aufzufassen.

Es gehören hierher zunächst die Stiftungen von Mönchs- und Ritterorden,
welche eine Ausführung dessen sein sollten,
was die Kirche bestimmt ausgesprochen hatte:
es sollte Ernst gemacht werden mit der Entsagung des Besitzes,
des Reichtums, der Genüsse, des freien Willens,
welche von der Kirche als das Höchste aufgestellt worden war.

Die Klöster oder sonstigen Stiftungen, welchen dieses Gelübde der Entsagung auferlegt war,
waren ganz in das Verderben der Weltlichkeit versunken.

Jetzt aber suchte der Geist innerhalb des Prinzips der Negativität
rein an sich zu verwirklichen, was die Kirche aufgestellt hatte.

Die nähere Veranlassung dazu waren
die vielen Ketzereien in Südfrankreich und in Italien, die eine schwärmerische Richtung hatten,
und der um sich greifende Unglaube,
der aber der Kirche mit Recht nicht so gefährlich zu sein schien als jene Ketzereien.

Gegen diese Erscheinungen erheben sich nun neue Mönchsorden,
hauptsächlich die Franziskaner, Bettelmönche,
deren Stifter, Franz von Assisi, von der ungeheuersten Begeisterung und Ekstase beseelt,
sein Leben im beständigen Ringen nach der höchsten ((474)) Reinheit zubrachte.

Dieselbe Richtung gab er seinem Orden;
die äußerste Verandächtigung, die Entsagung aller Genüsse,
im Gegensatze gegen die einreißende Weltlichkeit der Kirche,
die beständigen Bußübungen, die größte Armut (die Franziskaner lebten von täglichen Almosen)
waren demselben daher besonders eigen.

Neben ihm erhob sich fast gleichzeitig der Dominikanerorden, vom heiligen Dominikus gestiftet;
sein Geschäft war besonders das Predigen.

Die Bettelmönche verbreiteten sich auf eine ganz unglaubliche Weise über die ganze Christenheit;
sie waren einerseits das stehende Apostelheer des Papstes,
andererseits sind sie auch gegen seine Weltlichkeit stark aufgetreten;
die Franziskaner waren ein starker Beistand Ludwigs des Bayern gegen die päpstlichen Anmaßungen,
auch soll von ihnen die Bestimmung ausgegangen sein,
daß das allgemeine Kirchenkonzilium über dem Papste stehe;
später aber sind auch sie in Stumpfheit und Unwissenheit versunken.

Es ist schon der eigentümliche Rittergeist,
der sich in Spanien durch den Kampf mit den Sarazenen entwickelt hatte, bemerkt worden;
derselbe Geist hat sich durch die Kreuzzüge über ganz Europa verbreitet.

Die Wildheit und der Mut des Raubes,
befriedigt und befestigt im Besitz, beschränkt durch Gegenseitigkeit,
hat sich durch die Religion in sich verklärt
und dann durch die Anschauung des unendlichen Edelmuts orientalischer Tapferkeit entzündet.

Denn auch das Christentum hat das Moment unendlicher Abstraktion und Freiheit in sich,
und der orientalisch ritterliche Geist fand darum in abendländischen Herzen einen Anklang,
der sie zur edleren Tugend ausbildete.

Es wurden geistliche Ritterorden, gleich den Mönchsorden, gestiftet.

Den Mitgliedern derselben wurde dieselbe mönchische Aufopferung auferlegt,
die Entbehrung alles Weltlichen.

Zugleich aber übernahmen sie den Schutz der Pilgrime;
ihre Pflicht war demnach auch vor allem ritterliche Tapferkeit.

Endlich waren sie auch zur Versorgung und Verpflegung der ((475)) Armen und Kranken verpflichtet.

Die Ritterorden teilten sich in diese drei:
in den Johanniterorden, Tempelorden und Deutschen Orden.

Diese Assoziationen unterschieden sich wesentlich von dem selbstsüchtigen Prinzip des Feudalwesens.

Mit fast selbstmörderischer Tapferkeit opferten sich die Ritter für das Gemeinsame auf.

So treten diese Orden aus dem Kreise des Vorhandenen aus
und bilden ein Netz der Verbrüderung über ganz Europa.

Aber auch diese Ritter sind zu den gewöhnlichen Interessen herabgesunken,
und ihre Orden wurden in späterer Zeit mehr eine Versorgungsanstalt für den Adel überhaupt.

Dem Tempelorden gab man sogar schuld, daß er sich eine eigene Religion gebildet
und, angeregt vom orientalischen Geiste, in seiner Glaubenslehre Christus geleugnet habe.

Eine weitere Richtung ist nun aber die auf die Wissenschaft.

Die Ausbildung des Denkens, des abstrakten Allgemeinen nahm ihren Anfang.

Schon jene Verbrüderungen zu einem gemeinsamen Zwecke, dem die Glieder untergeordnet sind,
weisen darauf hin, daß ein Allgemeines zu gelten anfing,
welches allmählich eben zum Gefühle seiner Kraft gelangte.

Es wendete sich das Denken zuerst an die Theologie,
welche nunmehr Philosophie unter dem Namen der scholastischen Theologie wurde.

Denn die Philosophie und Theologie haben das Göttliche zum gemeinsamen Gegenstand,
und wenn die Theologie der Kirche ein festgesetztes Dogma ist,
so ist nun die Bewegung entstanden, diesen Inhalt für den Gedanken zu rechtfertigen.

Der berühmte Scholastiker Anselmus sagt:

“Wenn man zum Glauben gekommen ist, so ist es eine Nachlässigkeit,
sich nicht auch durch das Denken vom Inhalt des Glaubens zu überzeugen.”

Das Denken war aber auf diese Weise nicht frei,
denn der Inhalt war ein gegebener:
diesen Inhalt zu beweisen war die Richtung der Philosophie.

Aber das Denken führte auf eine Menge Bestimmungen,
die nicht unmittelbar im Dogma ausgebildet waren,
und insofern die Kirche nichts darüber festgesetzt hatte,
war es erlaubt, darüber zu streiten.

Die Philosophie hieß zwar eine ancilla fidei, ((476))
denn sie war dem festen Inhalt des Glaubens unterworfen;
aber es konnte nicht fehlen,
daß auch der Gegensatz zwischen Denken und Glauben sich auftun mußte.

Wie Europa allgemein das Schauspiel von Ritterkämpfen, Fehden und Turnieren darbot,
so war es jetzt auch der Schauplatz des Turnierens der Gedanken.

Es ist nämlich unglaublich, wie weit die abstrakten Formen des Denkens ausgeführt worden sind
und wie groß die Fertigkeit der Individuen war, sich darin zu bewegen.

Am meisten wurde dieses Gedankenturnen zur Schau und zum Spiel
(denn nicht über die dogmatischen Lehren selbst, sondern nur über die Formen wurde gekämpft)
in Frankreich betrieben und ausgebildet.

Frankreich fing überhaupt damals an, als Mittelpunkt der Christen angesehen zu werden;
von dort gingen die ersten Kreuzzüge aus, und von französischen Heeren wurden sie ausgeführt;
dahin flüchteten sich die Päpste aus ihren Kämpfen mit den deutschen Kaisern
und mit den neapolitanischen und sizilianischen Normannenfürsten,
und dort schlugen sie eine Zeitlang ihren bleibenden Wohnsitz auf.

Wir sehen in dieser Zeit nach den Kreuzzügen auch schon Anfänge der Kunst, der Malerei;
schon während derselben hatte sich eine eigentümliche Poesie hervorgebracht.

Der Geist, da er keine Befriedigung finden konnte,
erzeugte sich durch die Phantasie schönere Gebilde
und in einer ruhigeren, freieren Weise, als sie die Wirklichkeit darbot.


Drittes Kapitel DER ÜBERGANG DER FEUDALHERRSCHAFT IN DIE MONARCHIE

Die erwähnten Richtungen auf das Allgemeine
waren teils subjektiver, teils theoretischer Art.

Jetzt aber haben wir die praktischen Bewegungen im Staate näher zu betrachten.

Der Fortschritt hat die negative Seite,
daß er im Brechen der subjektiven Willkür
und der Vereinzelung der Macht besteht, ((477))
die affirmative ist das Hervorgehen einer Obergewalt, die ein Gemeinsames ist,
einer Staatsmacht als solcher, deren Angehörige gleiche Rechte erhalten
und worin der besondere Wille dem substantiellen Zweck unterworfen ist.

Das ist der Fortschritt der Feudalherrschaft zur Monarchie.

Das Prinzip der Feudalherrschaft
ist die äußere Gewalt Einzelner, Fürsten, Dynasten,
ohne Rechtsprinzip in sich selbst;
sie sind Vasallen eines höheren Fürsten, Lehnsherrn,
gegen den sie Verpflichtungen haben;
ob sie aber dieselben leisten, kommt darauf an,
ob er sie durch Gewalt, durch seinen Charakter
oder durch Vergünstigungen dazu vermögen kann,
- so wie auch jene Rechte des Lehnsherrn selbst
nur ein Resultat sind, das durch Gewalt abgetrotzt ist,
dessen Erfüllung und Leistung aber auch nur
durch fortdauernde Gewalt aufrechterhalten werden kann.

Das monarchische Prinzip ist auch Obergewalt,
aber über solche, die keine selbständige Macht für ihre Willkür besitzen,
wo nicht mehr Willkür gegen Willkür steht;
denn die Obergewalt der Monarchie ist wesentlich eine Staatsgewalt
und hat in sich den substantiellen rechtlichen Zweck.

Die Feudalherrschaft ist eine Polyarchie:
es sind lauter Herren und Knechte;
in der Monarchie dagegen ist einer Herr und keiner Knecht,
denn die Knechtschaft ist durch sie gebrochen,
und in ihr gilt das Recht und das Gesetz;
aus ihr geht die reelle Freiheit hervor.

In der Monarchie wird also die Willkür der Einzelnen unterdrückt
und ein Gesamtwesen der Herrschaft aufgestellt.

Bei der Unterdrückung dieser Vereinzelung wie beim Widerstande
ist es zweideutig, ob dabei die Absicht des Rechts oder nur der Willkür ist.

Der Widerstand gegen die königliche Obergewalt heißt Freiheit
und wird als rechtmäßig und edel gepriesen,
insofern man nur die Vorstellung der Willkür vor sich hat.

Aber durch die willkürliche Gesamtgewalt eines Einzelnen
wird doch ein Gesamtwesen gebildet;
in Vergleichung mit dem Zustand, wo jeder einzelne Punkt
ein Ort der gewalttätigen Willkür ist,
sind es nun viel weniger Punkte, die willkürliche Gewalt leiden.

Der große Umfang ((478))
macht allgemeine Dispositionen des Zusammenhalts notwendig,
und die innerhalb derselben Regierenden sind zugleich wesentlich Gehorchende:
die Vasallen werden Staatsbeamte,
welche Gesetze der Staatsordnung auszuführen haben.

Da aber die Monarchie aus dem Feudalismus hervorgeht,
so trägt sie zunächst noch den Charakter desselben an sich.

Die Individuen gehen aus ihrer Einzelberechtigung
in Stände und Korporationen über;
die Vasallen sind nur mächtig durch Zusammenhalt als ein Stand;
ihnen gegenüber bilden die Städte Mächte im Gemeinwesen.

Auf diese Weise kann die Macht des Herrschers keine bloß willkürliche mehr sein.

Es bedarf der Einwilligung der Stände und Korporationen,
und will der Fürst diese haben, so muss er notwendig das Gerechte und Billige wollen.

Wir sehen jetzt eine Staatenbildung beginnen,
während die Feudalherrschaft keine Staaten kennt.

Der Übergang von ihr zur Monarchie geschieht auf dreifache Weise:

  1. indem der Lehnsherr Meister über seine unabhängigen Vasallen wird,
    indem er ihre partikuläre Gewalt unterdrückt
    und sich zum einzigen Gewalthaber erhebt,
  2. indem die Fürsten sich ganz vom Lehnsverhältnis frei machen
    und selbst Landesherren über einige Staaten werden,
    oder endlich 3. indem der oberste Lehnsherr auf eine mehr friedliche Weise
    die besonderen Herrschaften mit seiner eigenen besonderen vereinigt
    und so Herrscher über das Ganze wird.

Die geschichtlichen Übergänge sind zwar nicht immer so rein,
wie sie hier vorgestellt worden sind,
oft kommen mehrere zugleich vor;
aber der eine oder der andere bildet immer das Überwiegende.

Die Hauptsache ist, daß für solche Staatsbildung
Grundlage und Voraussetzung die partikulären Nationen sind.

Es sind partikuläre Nationen vorhanden, die eine Einheit von Haus aus sind
und die absolute Tendenz haben, einen Staat zu bilden.

Nicht allen ist es gelungen, zu dieser Staatseinheit zu gelangen;
wir haben sie jetzt einzeln in dieser Beziehung zu betrachten. ((479))

Was zuerst das römische Kaiserreich betrifft,
so geht der Zusammenhang von Deutschland und Italien
aus der Vorstellung des Kaiserreichs hervor:
die weltliche Herrschaft sollte verbunden mit der geistlichen ein Ganzes ausmachen,
aber diese Formation war immer mehr Kampf, als daß sie wirklich geschehen wäre.

In Deutschland und Italien
geschah der Übergang vom Feudalverhältnis zur Monarchie so,
daß das Feudalverhältnis gänzlich verdrängt wurde;
die Vasallen wurden selbständige Monarchen.

In Deutschland war schon immer eine große Verschiedenheit der Stämme gewesen,
von Schwaben, Bayern, Franken, Thüringern, Sachsen, Burgundern;
hierzu kamen die Slawen in Böhmen,
germanisierte Slawen in Mecklenburg, Brandenburg,
in einem Teil von Sachsen und Österreich,
so daß kein solcher Zusammenhalt wie in Frankreich sich machen konnte.

Ein ähnliches Verhältnis war in Italien.

Langobarden hatten sich da festgesetzt,
während die Griechen noch das Exarchat und Unteritalien innehatten;
in Unteritalien bildeten dann die Normannen ein eigenes Reich,
und die Sarazenen behaupteten eine Zeitlang Sizilien.

Nach dem Untergange der Hohenstaufen
nahm eine allgemeine Barbarei in Deutschland überhand,
welches in viele Punkte der Gewaltherrschaft zersplittert wurde.

Es war Maxime der Kurfürsten, nur schwache Fürsten zu Kaisern zu wählen,
ja sie haben die Kaiserwürde an Ausländer verkauft.

So verschwand die Einheit des Staates der Sache nach.

Es bildeten sich eine Menge Punkte, deren jeder ein Raubstaat war:
das Feudalrecht war zur förmlichen Rauferei und Räuberei losgebunden,
und die mächtigen Fürsten haben sich als Landesherren konstituiert.

Nach dem Interregnum wurde der Graf von Habsburg zum Kaiser gewählt,
und das habsburgische Geschlecht behauptete nun
mit wenigen Zwischenräumen den Kaiserthron.

Diese Kaiser waren darauf reduziert, sich eine Hausmacht anzuschaffen,
da die Fürsten ihnen keine Staatsmacht einräumen wollten.

Kleinere Assoziationen waren schon die Städte selbst;
jetzt aber bildeten sich Städtebündnisse
im gemeinschaftlichen Interesse gegen die Räuberei:
so der Hansebund im Norden,
der Rheinische Bund aus den Städten längs dem Rhein,
der Schwäbische Städtebund.

Die Bündnisse waren sämtlich gegen die Dynasten gerichtet,
und selbst Fürsten traten den Städten bei,
um dem Fehdezustand entgegenzuarbeiten
und den allgemeinen Landfrieden herzustellen.

Welcher Zustand in der Feudalherrschaft gewesen,
erhellt aus jener berüchtigten Assoziation der Kriminaljustiz:
es war eine Privatgerichtsbarkeit,
welche unter dem Namen des Femgerichts geschlossene Sitzungen hielt;
besonders im nordwestlichen Deutschland war sie ansässig.

Auch eine eigentümliche Bauerngenossenschaft bildete sich.

In Deutschland waren die Bauern Leibeigene;
viele von ihnen flüchteten sich in die Städte
oder siedelten sich als Freie in der Nähe der Städte an (Pfahlbürger);
in der Schweiz aber bildete sich eine Bauernverbrüderung.

Die Bauern von Uri, Schwyz und Unterwalden standen unter kaiserlichen Vögten,
denn diese Vogteien waren nicht Privateigentum, sondern Reichsämter;
aber die Habsburger suchten sie in Hauseigentum zu verwandeln.

Die Bauern mit Kolben und Morgenstern
gingen siegreich aus dem Kampfe gegen den geharnischten,
mit Spieß und Schwert gerüsteten
und in Turnieren ritterlich geübten Adel und dessen Anmaßung hervor.

Es ist alsdann gegen jene Übermacht der Bewaffnung
noch ein anderes technisches Mittel gefunden worden - das Schießpulver.

Die Menschheit bedurfte seiner, und alsobald war es da.

Es war ein Hauptmittel zur Befreiung von der physischen Gewalt
und zur Gleichmachung der Stände.

Mit dem Unterschied in den Waffen
schwand auch der Unterschied zwischen Herren und Knechten.

Auch die Festigkeit der Burgen hat das Schießpulver gebrochen,
und Burgen und Schlösser verlieren nunmehr ihre Wichtigkeit.

Man kann zwar den Untergang
oder die Herabsetzung des Wertes der persönlichen Tapferkeit bedauern
(der Tapferste, Edelste ((481)) kann von einem Schuft aus der Ferne,
aus einem Winkel niedergeschossen werden);
aber das Schießpulver hat vielmehr eine vernünftige, besonnene Tapferkeit,
den geistigen Mut zur Hauptsache gemacht.

Nur durch dieses Mittel konnte die höhere Tapferkeit hervorgehen,
die Tapferkeit ohne persönliche Leidenschaft;
denn beim Gebrauch der Schießgewehre wird ins Allgemeine hineingeschossen,
gegen den abstrakten Feind und nicht gegen besondere Personen.

Ruhig geht der Krieger der Todesgefahr entgegen,
indem er sich für das Allgemeine aufopfert,
und das ist eben der Mut gebildeter Nationen,
daß er seine Stärke nicht in den Arm allein setzt,
sondern wesentlich in den Verstand,
die Anführung, den Charakter der Anführer
und, wie bei den Alten, in den Zusammenhalt und das Bewußtsein des Ganzen.

In Italien wiederholt sich, wie schon gesagt ist, dasselbe Schauspiel,
das wir in Deutschland gesehen,
daß nämlich die einzelnen Punkte zur Selbständigkeit gelangt sind.

Das Kriegführen wurde dort durch die Condottieri zu einem förmlichen Handwerk.

Die Städte mussten auf ihrer Gewerbe sehen
und nahmen deshalb Söldner in Dienst, deren Häupter häufig Dynasten wurden;
Franz Sforza machte sich sogar zum Herzog von Mailand.

In Florenz wurden die Medici, eine Familie von Kaufleuten, herrschend.

Die größeren Städte Italiens
unterwarfen sich wiederum eine Menge von kleineren und von Dynasten.

Ebenso bildete sich ein päpstliches Gebiet.

Auch hier hatte sich eine unzählige Menge von Dynasten unabhängig gemacht;
nach und nach wurden sie sämtlich der einen Herrschaft des Papstes unterworfen.

Wie zu dieser Unterwerfung im sittlichen Sinne durchaus ein Recht vorhanden war,
ersieht man aus der berühmten Schrift Macchiavellis Der Fürst.

Oft hat man dieses Buch, als mit den Maximen der grausamsten Tyrannei erfüllt,
mit Abscheu verworfen,
aber in dem hohen Sinne der Notwendigkeit einer Staatsbildung
hat Macchiavelli die Grundsätze aufgestellt,
nach welchen in jenen Umständen die Staaten gebildet werden mußten.

Die einzelnen Herren und Herrschaften ((482))
mussten durchaus unterdrückt werden,
und wenn wir mit unserem Begriffe von Freiheit die Mittel,
die er uns als die einzigen und vollkommen berechtigten zu erkennen gibt,
nicht vereinigen können,
weil zu ihnen die rücksichtsloseste Gewalttätigkeit,
alle Arten von Betrug, Mord usw. gehören,
so müssen wir doch gestehen,
daß die Dynasten, die niederzuwerfen waren, nur so angegriffen werden konnten,
da ihnen unbeugsame Gewissenlosigkeit
und eine vollkommene Verworfenheit durchaus zu eigen waren.

In Frankreich ist der umgekehrte Fall als in Deutschland und Italien eingetreten.

Mehrere Jahrhunderte hindurch besaßen die Könige von Frankreich
nur ein sehr kleines Territorium,
so daß viele der ihnen untergebenen Vasallen mächtiger als sie selbst waren;
aber sehr vorteilhaft war es für die königliche Würde in Frankreich,
daß sie als erblich festgesetzt war.

Auch gewann sie dadurch Ansehen, daß die Korporationen und Städte
von dem Könige ihre Berechtigungen und Privilegien bestätigen ließen
und die Berufungen an den obersten Lehnshof,
den Pairshof, aus zwölf Pairs bestehend,
immer häufiger wurden.

Es kam dadurch der König in das Ansehen,
daß bei ihm vor den Unterdrückern Schutz zu suchen sei.

Was aber dem Könige wesentlich
auch bei den mächtigen Vasallen zu Ansehen verhalf,
war seine sich vermehrende Hausmacht:
auf mannigfache Weise, durch Beerbung, durch Heirat,
durch Gewalt der Waffen usw.
waren die Könige in den Besitz vieler Grafschaften
und mehrerer Herzogtümer gekommen.

Die Herzöge der Normandie waren jedoch Könige von England geworden,
und es stand so eine starke Macht Frankreich gegenüber,
welcher durch die Normandie das Innere geöffnet war.

Ebenso blieben mächtige Herzogtümer übrig;
aber der König war trotzdem nicht bloß Lehnsherr, wie die deutschen Kaiser,
sondern auch Landesherr geworden:
er hatte eine Menge von Baronen und Städten unter sich,
die seiner unmittelbaren Gerichtsbarkeit unterworfen waren,
und Ludwig IX. führte die Appellationen an den königlichen Gerichtshof
allgemein ein. ((483))

Die Städte erhoben sich zu größerer Bedeutung.

Wenn nämlich der König Geld brauchte
und alle Mittel, wie Steuern und gezwungene Kontributionen aller Art, erschöpft waren,
so wandte er sich an die Städte und unterhandelte einzeln mit ihnen.

Philipp der Schöne war es zuerst,
welcher im Jahre 1302 die Städtedeputierten als dritten Stand
zur Versammlung der Geistlichkeit und der Barone zusammenberief.

Es war freilich nur um die Autorität des Königs und um Steuern zu tun,
aber die Stände bekamen dennoch eine Bedeutung und Macht im Staate
und so auch einen Einfluß auf die Gesetzgebung.

Besonders auffallend ist es, daß die Könige von Frankreich erklärten,
daß die leibeigenen Bauern
für ein Geringes in ihrem Kronlande sich freikaufen könnten.

Auf diese Weise kamen die Könige von Frankreich
sehr bald zu einer großen Macht,
und die Blüte der Poesie durch die Troubadours
sowie die Ausbildung der scholastischen Theologie,
deren eigentlicher Mittelpunkt Paris war,
gaben Frankreich eine Bildung,
welche es vor den übrigen europäischen Staaten voraus hatte
und welche demselben im Auslande Achtung verschaffte.

England wurde, wie schon bei Gelegenheit erwähnt worden ist,
von Wilhelm dem Eroberer, Herzog der Normandie, unterworfen.

Wilhelm führte daselbst die Lehnsherrschaft ein
und teilte das Königreich in Lehnsgüter, die er fast nur seinen Normannen verlieh.

Er selbst behielt sich bedeutende Kronbesitzungen vor;
die Vasallen waren verpflichtet, in den Krieg zu ziehen und bei Gericht zu sitzen;
der König war Vormund der Minderjährigen unter seinen Vasallen:
sie durften sich nur nach erhaltener Zustimmung verheiraten.

Erst nach und nach kamen die Barone und die Städte zu einer Bedeutsamkeit.

Besonders bei den Streitigkeiten und Kämpfen um den Thron
erlangten sie ein großes Gewicht.

Als der Druck und die Anforderungen von seiten des Königs zu groß wurden,
kam es zu Zwistigkeiten, selbst zum Kriege:
die Barone zwangen den König Johann, die Magna Charta,
die Grundlage der englischen Freiheit,
d.h. besonders der ((484)) Privilegien des Adels,
zu beschwören.

Unter diesen Freiheiten stand die richterliche obenan:
keinem Engländer sollte ohne ein gerichtliches Urteil von seinesgleichen
Freiheit der Person, Vermögen oder Leben genommen werden.

Jeder sollte ferner die freie Disposition über sein Eigentum haben.

Der König sollte ferner keine Steuern auflegen
ohne Zustimmung der Erzbischöfe, Bischöfe, Grafen und Barone.

Auch die Städte erhoben sich bald, von den Königen gegen die Barone begünstigt,
zum dritten Stand und zur Repräsentation der Gemeinen.

Dennoch war der König immer sehr mächtig, wenn er Charakterstärke besaß;
seine Krongüter verschafften ihm ein gehöriges Ansehen;
später jedoch wurden dieselbigen nach und nach veräußert, verschenkt,
so daß der König dazu kam, vom Parlamente Subsidien zu empfangen.

Das Nähere und Geschichtliche,
wie die Fürstentümer den Staaten einverleibt worden sind,
und die Mißverhältnisse und Kämpfe bei solchen Einverleibungen
berühren wir hier nicht näher.

Nur das ist noch zu sagen, daß die Könige,
als sie durch die Schwächung der Lehnsverfassung
zu einer größeren Macht gelangten,
diese nun gegeneinander im bloßen Interesse ihrer Herrschaft gebrauchten.

So führten Frankreich und England hundertjährige Kriege gegeneinander.

Immer versuchten es die Könige, nach außen hin Eroberungen zu machen;
die Städte, welche meist die Beschwerden und Auflagen zu tragen hatten,
lehnten sich dawider auf,
und die Könige räumten ihnen, um sie zu beschwichtigen, wichtige Vorrechte ein.

Bei allen diesen Mißhelligkeiten suchten die Päpste ihre Autorität einwirken zu lassen,
aber das Interesse der Staatsbildung war so fest,
daß die Päpste mit ihrem eigenen Interesse einer absoluten Autorität
wenig dagegen vermochten.

Die Fürsten und Völker ließen die Päpste schreien,
wenn sie sie zu neuen Kreuzzügen aufforderten.

Kaiser Ludwig ließ sich auf Demonstrationen
aus Aristoteles, der Bibel und dem römischen Recht
gegen die Anmaßungen des Päpstlichen ((485)) Stuhles ein;
und die Kurfürsten erklärten auf dem Tage zu Rense im Jahre 1338,
und dann noch bestimmter auf dem Reichstag zu Frankfurt,
das Reich bei seinen Freiheiten und Herkommen schirmen zu wollen,
und daß es keiner päpstlichen Konfirmation bedürfe
bei der Wahl eines römischen Königs oder Kaisers.

Ebenso hatte schon im Jahre 1302
bei einem Streite des Papstes Bonifacius mit Philipp dem Schönen
die Reichsversammlung, welche letzterer zusammenberufen hatte,
gegen den Papst gestritten;
denn die Staaten und Gemeinwesen waren zum Bewußtsein gekommen,
ein Selbständiges zu sein.

Viele Versuche gegen das System der Kirche
haben das Bedürfnis einer Reformation sanktioniert.

Arnold von Brescia, Wiclif, Hus bestritten mit Erfolg
die päpstliche Statthalterschaft Christi und die groben Mißbräuche der Hierarchie.

Diese Versuche waren jedoch immer nur etwas Partielles.

Einerseits war die Zeit noch nicht reif dazu,
andererseits haben jene Männer die Sache nicht in ihrem Mittelpunkte angegriffen,
sondern sich, namentlich die beiden letzteren,
mehr auf die Gelehrsamkeit des Dogmas gewendet,
was nicht so das Interesse des Volks erwecken konnte.

Mehr aber als dies stand, wie gesagt, dem Prinzipe der Kirche
die beginnende Staatenbildung gegenüber:
ein allgemeiner Zweck, ein in sich vollkommen Berechtigtes
ist für die Weltlichkeit in der Staatenbildung aufgegangen,
und diesem Zwecke der Gemeinschaftlichkeit
hat sich der Wille, die Begierde, die Willkür des Einzelnen unterworfen.

Die Härte des selbstsüchtigen, auf seiner Einzelheit stehenden Gemütes
- dieses knorrigen Eichenherzen des germanischen Gemütes -
ist durch die fürchterliche Zucht des Mittelalters gebrochen und zermürbt worden.

Die zwei eisernen Ruten ((486)) dieser Zucht
waren die Kirche und die Leibeigenschaft.

Die Kirche hat das Gemüt außer sich gebracht,
den Geist durch die härteste Knechtschaft hindurchgeführt,
so daß die Seele nicht mehr ihr eigen war;
aber sie hat ihn nicht zu indischer Dumpfheit herabgebracht,
denn das Christentum ist in sich geistiges Prinzip
und hat als solches eine unendliche Elastizität.

Ebenso hat die Leibeigenschaft,
wodurch der Leib nicht dem Menschen eigen ist, sondern einem anderen gehört,
die Menschheit durch alle Roheit der Knechtschaft
und der zügellosen Begierde hindurchgeschleppt,
und diese hat sich an ihr selbst zerschlagen.

Es ist die Menschheit nicht sowohl aus der Knechtschaft befreit worden,
als vielmehr durch die Knechtschaft.

Denn die Roheit, die Begierde, das Unrecht sind das Böse;
der Mensch, als in ihm gefangen, ist der Sittlichkeit und Religiosität unfähig,
und dieses gewalttätige Wollen eben ist es, wovon die Zucht ihn befreit hat.

Die Kirche hat den Kampf mit der Wildheit der rohen Sinnlichkeit
auf ebenso wilde, terroristische Weise bestanden,
sie hat sie durch die Kraft der Schrecken der Hölle zu Boden geworfen
und sie fortdauernd unterworfen gehalten,
um den wilden Geist zur Abstumpfung zu bringen und zur Ruhe zu zähmen.

Es wird in der Dogmatik ausgesprochen,
daß diesen Kampf notwendig jeder Mensch durchgemacht haben müsse,
denn er ist von Natur böse,
und erst durch seine innere Zerrissenheit hindurchgehend
kommt er zur Gewißheit der Versöhnung.

Wenn wir dies einerseits zugeben, so muss andererseits doch gesagt werden,
daß die Form des Kampfes sehr verändert ist,
wenn die Grundlage eine andere
und die Versöhnung in der Wirklichkeit vollbracht ist.

Der Weg der Qual ist alsdann hinweggefallen
(er erscheint zwar noch später, aber in einer ganz anderen Gestalt),
denn wie das Bewußtsein erwacht ist,
befindet sich der Mensch in dem Elemente eines sittlichen Zustandes.

Das Moment der Negation ist freilich ein notwendiges im Menschen,
aber es hat jetzt die ruhige Form der Erziehung erhalten,
und somit schwindet alle Fürchterlichkeit des inneren Kampfes. ((487))

Die Menschheit hat das Gefühl
der wirklichen Versöhnung des Geistes in ihm selbst
und ein gutes Gewissen in ihrer Wirklichkeit, in der Weltlichkeit, erlangt.

Der Menschengeist hat sich auf seine Füße gestellt.

In diesem erlangten Selbstgefühle des Menschen
liegt nicht eine Empörung gegen das Göttliche,
sondern es zeigt sich darin die bessere Subjektivität,
welche das Göttliche in sich empfindet, die vom Echten durchzogen ist
und die ihre Tätigkeit auf allgemeine Zwecke
der Vernünftigkeit und der Schönheit richtet.


Kunst und Wissenschaft als Auflösung des Mittelalters

Der Himmel des Geistes klärt sich für die Menschheit auf.

Mit der Beruhigung der Welt zur Staatsordnung, die wir gesehen,
war noch ein weiterer, konkreterer Aufschwung des Geistes
zur edleren Menschlichkeit verbunden.

Man hat das Grab, das Tote des Geistes, und das Jenseits aufgegeben.

Das Prinzip des Dieses, welches die Welt zu den Kreuzzügen getrieben,
hat sich vielmehr in der Weltlichkeit für sich entwickelt:
der Geist hat es nach außen entfaltet und sich in dieser Äußerlichkeit ergangen.

Die Kirche aber ist geblieben und hat es an ihr behalten;
doch auch in ihr ist geschehen,
daß es nicht als Äußerlichkeit in seiner Unmittelbarkeit an ihr geblieben,
sondern verklärt worden ist durch die Kunst.

Die Kunst begeistert, beseelt diese Äußerlichkeit, das bloß Sinnliche
mit der Form, welche Seele, Empfindung, Geist ausdrückt,
so daß die Andacht nicht bloß ein sinnliches Dieses vor sich hat
und nicht gegen ein bloßes Ding fromm ist,
sondern gegen das Höhere in ihm, die seelenvolle Form,
welche vom Geiste hineingetragen ist.

Dort ist der Geist außer sich, gebunden an ein ihm schlechthin anderes,
welches das Sinnliche, Ungeistige ist.

Hier aber ((488)) ist das Sinnliche ein Schönes
und die geistige Form das in ihm Beseelende und ein in sich selbst Wahres.

Aber einerseits ist dies Wahre, wie es erscheint,
nur in der Weise eines Sinnlichen, nicht in seiner ihm selbst gemäßen Form;
und andererseits, wenn die Religion die Abhängigkeit sein soll
von einem wesentlich außerhalb Seienden, von einem Ding,
so findet die Art Religion im Verhältnis zum Schönen nicht ihre Befriedigung,
sondern für eine solche sind ganz schlechte, häßliche, platte Darstellungen
das ebenso Zweckmäßige oder das vielmehr Zweckmäßigere.

Wie man denn auch sagt, daß die wahrhaften Kunstwerke,
z.B. Raffaels Madonnenbilder, nicht die Verehrung genießen,
nicht die Menge von Gaben empfangen,
als vielmehr die schlechten Bilder vornehmlich aufgesucht werden
und Gegenstand der größeren Andacht und Freigebigkeit sind,
wogegen die Frömmigkeit bei jenen vorbeigeht,
indem sie sich durch sie innerlich aufgefordert und angesprochen fühlen würde;
aber solche Ansprüche sind da ein Fremdartiges,
wo es nur um das Gefühl selbstloser Gebundenheit
und abhängiger Dumpfheit zu tun ist.

Da sie aber nur sinnliche Darstellungen hat,
so gilt sie zunächst als etwas Unbefangenes.

Daher ist die Kirche ihr noch gefolgt,
trennte sich aber dann von dem freien Geiste,
aus dem die Kunst hervorgegangen war,
als derselbe sich zum Gedanken und zur Wissenschaft erhob.

Denn unterstützt und gehoben wurde die Kunst zweitens
durch das Studium des Altertums
(der Name humaniora ist sehr bezeichnend, denn in jenen Werken des Altertums
wird das Menschliche und die Menschenbildung geehrt);
das Abendland wurde durch dasselbe
mit dem Wahrhaften, Ewigen der menschlichen Betätigung bekannt.

Äußerlich ist dieses Wiederaufleben der Wissenschaft
durch den Untergang des byzantinischen Kaisertums herbeigeführt worden.

Eine Menge Griechen haben sich nach dem Abendlande geflüchtet
und die griechische Literatur daselbst hingebracht;
und sie brachten nicht allein die Kenntnis der griechischen Sprache ((489)) mit,
sondern auch die griechischen Werke selbst.

Sehr wenig war davon in den Klöstern aufbewahrt geblieben,
und die Kenntnis der griechischen Sprache war kaum vorhanden.

Mit der römischen Literatur war es anders,
es herrschten hier noch alte Traditionen:
Vergil galt als ein großer Zauberer
(bei Dante ist er Führer in der Hölle und dem Fegefeuer).

Durch den Einfluß der Griechen nun kam die alte griechische Literatur wieder auf;
das Abendland war fähig geworden, sie zu genießen und anzuerkennen;
es erschienen ganz andere Gestalten, eine andere Tugend, als es bisher kannte;
es erhielt einen ganz anderen Maßstab
für das, was zu ehren, zu loben und nachzuahmen sei.

Ganz andere Gebote der Moral stellten die Griechen in ihren Werken auf,
als das Abendland kannte;
an die Stelle des scholastischen Formalismus trat ein ganz anderer Inhalt:
Platon wurde im Abendlande bekannt,
und in diesem ging eine neue menschliche Welt auf.

Die neuen Vorstellungen fanden ein Hauptmittel zu ihrer Verbreitung
in der eben erfundenen Buchdruckerkunst,
welche wie das Mittel des Schießpulvers dem modernen Charakter entspricht
und dem Bedürfnisse,
auf eine ideelle Weise miteinander in Zusammenhang zu stehen,
entgegengekommen ist.

Insofern sich in dem Studium der Alten
die Liebe zu menschlichen Taten und Tugenden kundtat,
hat die Kirche daran noch kein Arges gehabt,
und sie hat nicht bemerkt, daß in jenen fremden Werken
ihr ein ganz fremdes Prinzip entgegentrat.

Eine dritte Haupterscheinung, die zu erwähnen ist, wäre diese Hinaus des Geistes,
diese Begierde des Menschen, seine Erde kennenzulernen.

Der Rittergeist der portugiesischen und spanischen Seehelden
hat einen neuen Weg nach Ostindien gefunden und Amerika entdeckt.

Auch dieser Fortschritt ist noch innerhalb der Kirche geschehen.

Der Zweck des Kolumbus war auch besonders ein religiöser:
die Schätze der reichen noch zu entdeckenden indischen Länder
sollten, seiner Ansicht nach, zu einem neuen Kreuzzuge verwendet
und die heidnischen Einwohner derselben
zum ((490)) Christentume bekehrt werden.

Der Mensch erkannte, daß die Erde rund, also ein für ihn Abgeschlossenes sei,
und der Schiffahrt war das neu erfundene technische Mittel der Magnetnadel
zugute gekommen, wodurch sie aufhörte, bloß Küstenschiffahrt zu sein;
das Technische findet sich ein, wenn das Bedürfnis vorhanden ist.

Diese drei Tatsachen
der sogenannten Restauration der Wissenschaften,
der Blüte der schönen Künste
und der Entdeckung Amerikas und des Weges nach Ostindien
sind der Morgenröte zu vergleichen,
die nach langen Stürmen zum ersten Male wieder einen schönen Tag verkündet.

Dieser Tag ist der Tag der Allgemeinheit, welcher endlich
nach der langen folgenreichen und furchtbaren Nacht des Mittelalters
hereinbricht,
ein Tag, der sich durch Wissenschaft, Kunst und Entdeckungstrieb,
d.h. durch das Edelste und Höchste bezeichnet,
was der durch das Christentum freigewordene
und durch die Kirche emanzipierte Menschengeist
als seinen ewigen und wahren Inhalt darstellt.


Dritter Abschnitt: Die neue Zeit

Wir sind nunmehr zur dritten Periode des germanischen Reiches gekommen
und treten hiermit in die Periode des Geistes, der sich als freier weiß,
indem er das Wahrhafte, Ewige, an und für sich Allgemeine will.

In dieser dritten Periode sind wieder drei Abteilungen zu machen.

Zuerst haben wir die Reformation als solche zu betrachten,
die alles verklärende Sonne,
die auf jene Morgenröte am Ende des Mittelalters folgt,
dann die Entwicklung des Zustandes nach der Reformation
und endlich die neueren Zeiten
von dem Ende des vorigen Jahrhunderts an. ((491))


Erstes Kapitel: DIE REFORMATION

Die Reformation ist aus dem Verderben der Kirche hervorgegangen.

Das Verderben der Kirche ist nicht zufällig,
nicht nur Mißbrauch der Gewalt und Herrschaft.

Mißbrauch ist die sehr gewöhnliche Weise, ein Verderben zu benennen;
es wird vorausgesetzt, daß die Grundlage gut, die Sache selbst mangellos,
aber die Leidenschaften, subjektiven Interessen,
überhaupt der zufällige Wille der Menschen
jenes Gute als ein Mittel für sich gebraucht habe
und daß es um nichts zu tun sei, als diese Zufälligkeiten zu entfernen.

In solcher Vorstellung wird die Sache gerettet
und das Übel als ein ihr nur Äußerliches genommen.

Aber wenn eine Sache auf eine zufällige Weise mißbraucht wird,
so ist dies nur im einzelnen,
aber etwas ganz anderes ist ein allgemeines großes Übel
in einer so großen und allgemeinen Sache, als eine Kirche ist.

(Die Verklärung desselben durch die Kunst ist nicht hinreichend.)

Der höhere, der Weltgeist hat das Geistige aus ihr bereits ausgeschlossen;
sie nimmt keinen Teil daran und an der Beschäftigung mit demselben;
sie behält so das Dieses an ihr;
- es ist die sinnliche Subjektivität, die unmittelbare,
welche nicht von ihr zur geistigen verklärt ist.

Solche Bestimmung, die von Hause aus in der Kirche ist,
entfaltet sich notwendig erst als Verderben in ihr,
wenn sie keinen Widerstand mehr hat, wenn sie fest geworden ist. ((492))

Dann werden die Elemente frei und vollführen ihre Bestimmung.

Diese Äußerlichkeit innerhalb der Kirche selbst ist es also,
welche Übel und Verderben wird
und als das Negative innerhalb ihrer selbst sich entwickelt.

Es ist in dieser Frömmigkeit Aberglauben überhaupt,
Gebundensein an ein Sinnliches, an ein gemeines Ding
- in den verschiedensten Gestalten:
- Sklaverei der Autorität, denn der Geist, als in ihm selbst außer sich,
ist unfrei, außer sich festgehalten;
- Wunderglauben der ungereimtesten und läppischsten Art,
denn das Göttliche wird auf eine ganz vereinzelte und endliche Weise
für ganz endliche und besondere Zwecke dazusein gemeint;
- dann Herrschsucht, Schwelgerei,
alle Verdorbenheit der Roheit und Gemeinheit, Heuchelei, Betrug,
- alles dieses tut sich in ihr auf;
denn das Sinnliche überhaupt ist in ihr
nicht durch den Verstand gebändigt und gebildet;
es ist frei geworden, und zwar frei nur auf eine rohe, wilde Weise.

Diese Kontraste innerhalb ihrer
- rohes Laster und Begierde
und die alles aufopfernde Erhabenheit der Seele -
werden noch stärker durch die Energie,
in welcher der Mensch nun in seiner subjektiven Kraft
gegen die äußerlichen Dinge, in der Natur sich fühlt,
in welcher er sich frei weiß und so ein absolutes Recht nun für sich gewinnt.

Der Ablaß der Sünden, die höchste Befriedigung, welche die Seele sucht,
ihrer Einigkeit mit Gott gewiß zu sein, das Tiefste, Innerste
wird dem Menschen auf die äußerlichste, ((493)) leichtsinnigste Weise geboten
- nämlich mit bloßem Gelde zu kaufen -,
und zugleich geschieht dieses für die äußerlichsten Zwecke der Schwelgerei.

Zwar ist ein Zweck wohl auch der Bau der Peterskirche,
des herrlichen Baues der Christenheit
in dem Mittelpunkte der Residenz der Religion.

Aber wie das Kunstwerk aller Kunstwerke,
die Athene und ihre Tempelburg zu Athen,
von dem Gelde der Bundesgenossen Athens aufgerichtet wird
und diese Stadt um ihre Bundesgenossen und ihre Macht bringt,
so wird die Vollendung dieser Kirche des hl. Petrus
und Michelangelos Jüngstes Gericht in der päpstlichen Kapelle
das Jüngste Gericht und der Sturz dieses stolzen Baues.

Die alte und durch und durch bewahrte Innigkeit des deutschen Volkes
hat aus dem einfachen, schlichten Herzen diesen Umsturz zu vollbringen.

Während die übrige Welt hinaus ist nach Ostindien, Amerika
- aus ist, Reichtümer zu gewinnen,
eine weltliche Herrschaft zusammenzubringen,
deren Land die Erde rings umlaufen
und wo die Sonne nicht untergehen soll -,
ist es ein einfacher Mönch, der das Dieses,
das die Christenheit vormals in einem irdischen, steinernen Grabe suchte,
vielmehr in dem tieferen Grabe
der absoluten Idealität alles Sinnlichen und Äußerlichen,
in dem Geiste findet und in dem Herzen zeigt
- dem Herzen, das, unendlich verletzt
durch diese dem Bedürfnisse des Innersten geschehene Darbietung des Äußerlichsten,
die Verrückung des absoluten Verhältnisses der Wahrheit
in allen einzelnen Zügen erkennt, verfolgt und zerstört.

Luthers einfache Lehre ist, daß das Dieses, die unendliche Subjektivität,
d.i. die wahrhafte Geistigkeit, Christus,
auf keine Art in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist,
sondern als Geistiges überhaupt
nur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird
im Glauben und im Genusse.

Diese zwei Worte sagen alles.

Es ist nicht das Bewußtsein eines sinnlichen Dinges als des Gottes
noch auch eines bloß Vorgestellten, das nicht wirklich und gegenwärtig ist,
sondern von einem Wirklichen, das nicht sinnlich ist.

Diese Entfernung der Äußerlichkeit ((494))
rekonstruiert alle Lehren und reformiert allen Aberglauben,
in den die Kirche konsequent auseinandergegangen ist.

Sie betrifft hauptsächlich die Lehre von den Werken;
denn die Werke sind das auf irgendeine Weise
nicht im Glauben, im eigenen Geiste,
sondern äußerlich auf Autorität usf. Vollbrachte.

Der Glaube aber ist ebensowenig nur die Gewißheit von bloß endlichen Dingen
- eine Gewißheit, die nur dem endlichen Subjekte angehört,
wie etwa der Glaube, daß dieser und jener existiert
und dies und jenes gesagt hat,
oder der, daß die Kinder Israel trockenen Fußes durchs Rote Meer gegangen,
daß vor den Mauern von Jericho die Posaunen
so stark gewirkt haben wie unsere Kanonen,
denn wenn auch von diesem allen nichts gemeldet wäre,
so wäre unsere Kenntnis von Gott darum nicht unvollständiger,
- er ist überhaupt nicht Glauben an Abwesendes, Geschehenes und Vergangenes,
sondern die subjektive Gewißheit des Ewigen,
der an und für sich seienden Wahrheit, der Wahrheit von Gott.

Von dieser Gewißheit sagt die lutherische Kirche,
daß sie nur der Heilige Geist bewirkt,
d.h. eine Gewißheit, die nicht dem Individuum nach seiner partikulären Besonderheit,
sondern nach seinem Wesen zukommt.

Luther hat darum nicht anders können,
als in der Lehre vom Nachtmahl, worin sich alles konzentriert,
nichts nachzugeben.

Auch der reformierten Kirche konnte er nicht zu geben,
daß Christus ein bloßes Andenken, eine Erinnerung sei,
sondern er stimmte darin vielmehr mit der katholischen Kirche überein,
daß Christus ein Gegenwärtiges sei, aber im Glauben, im Geiste.

Der Geist Christi erfülle wirklich das menschliche Herz,
Christus sei also nicht bloß als historische Person zu nehmen,
sondern der Mensch habe zu ihm ein unmittelbares Verhältnis im Geiste.

Indem das Individuum nun weiß,
daß es mit dem göttlichen Geiste erfüllt ist,
so fallen damit alle Verhältnisse der Äußerlichkeit ((495)) weg:
es gibt jetzt keinen Unterschied mehr zwischen Priestern und Laien,
es ist nicht eine Klasse ausschließlich im Besitz des Inhalts der Wahrheit
wie aller geistigen und zeitlichen Schätze der Kirche;
sondern es ist das Herz, die empfindende Geistigkeit des Menschen,
die in den Besitz der Wahrheit kommen kann und kommen soll,
und diese Subjektivität ist die aller Menschen.

Jeder hat an sich selbst das Werk der Versöhnung zu vollbringen.

Hiermit ist die absolute Innigkeit der Seele, die der Religion selbst angehört,
und die Freiheit in der Kirche gewonnen.

Die Subjektivität macht sich nun den objektiven Inhalt,
d.h. die Lehre der Kirche zu eigen.

In der lutherischen Kirche ist die Subjektivität und Gewißheit des Individuums
ebenso notwendig als die Objektivität der Wahrheit.

Die Wahrheit ist den Lutheranern nicht ein gemachter Gegenstand,
sondern das Subjekt selbst soll ein wahrhaftes werden,
indem es seinen partikulären Inhalt gegen die substantielle Wahrheit aufgibt
und sich diese Wahrheit zu eigen macht.

So wird der subjektive Geist in der Wahrheit frei,
negiert seine Partikularität und kommt zu sich selbst in seiner Wahrheit.

So ist die christliche Freiheit wirklich geworden.

Wenn man die Subjektivität bloß in das Gefühl setzt ohne diesen Inhalt,
so bleibt man bei dem bloß natürlichen Willen stehen.

Hiermit ist das neue, das letzte Panier aufgetan,
um welches die Völker sich sammeln,
die Fahne des freien Geistes, der bei sich selbst,
und zwar in der Wahrheit ist und nur in ihr bei sich selbst ist.

Dies ist die Fahne, unter der wir dienen und die wir tragen.

Die Zeit von da bis zu uns hat kein anderes Werk zu tun gehabt und zu tun,
als dieses Prinzip in die Welt hineinzubilden,
indem die Versöhnung an sich und die Wahrheit auch objektiv wird,
der Form nach.

Der Bildung überhaupt gehört die Form an;
Bildung ist Betätigung der Form des Allgemeinen,
und das ist das Denken überhaupt.

Recht, Eigentum, Sittlichkeit, Regierung, Verfassung ((496)) usw.
müssen nun auf allgemeine Weise bestimmt werden,
damit sie dem Begriffe des freien Willens gemäß und vernünftig seien.

So nur kann der Geist der Wahrheit im subjektiven Willen,
in der besonderen Tätigkeit des Willens erscheinen;
indem die Intensität des subjektiven freien Geistes
sich zur Form der Allgemeinheit entschließt, kann der objektive Geist erscheinen.

In diesem Sinne muss man es fassen,
daß der Staat auf Religion gegründet sei.

Staaten und Gesetze sind nichts anderes
als das Erscheinende der Religion an den Verhältnissen der Wirklichkeit.

Dies ist der wesentliche Inhalt der Reformation;
der Mensch ist durch sich selbst bestimmt, frei zu sein.

Die Reformation hat im Anfang
nur einzelne Seiten der Verderbnis der katholischen Kirche betroffen,
Luther wollte in Gemeinsamkeit mit der ganzen katholischen Welt handeln
und verlangte Kirchenversammlungen.

In allen Ländern fanden sich Beistimmende für seine Behauptungen.

Wenn man den Protestanten und Luther Übertreibung oder gar Verleumdung
in ihrer Beschreibung des Verderbens der Kirche vorgeworfen hat,
so braucht man nur die Katholiken selbst,
insbesondere in den offiziellen Akten der Kirchenversammlungen,
über denselben Gegenstand zu hören.

Der Widerstreit Luthers aber, der zuerst nur beschränkte Punkte betraf,
dehnte sich bald auf die Dogmen aus,
betraf nicht Individuen, sondern zusammenhängende Institutionen,
das Klosterleben, die weltliche Herrschaft der Bischöfe usw.;
er betraf nicht bloß einzelne Aussprüche des Papstes und der Konzilien,
sondern die ganze Art und Weise solchen Entscheidens überhaupt,
endlich die Autorität der Kirche.

Luther hat diese Autorität verworfen
und an ihre Stelle die Bibel und das Zeugnis des menschlichen Geistes gesetzt.

Daß nun die Bibel selbst
die Grundlage der christlichen Kirche geworden ist,
ist von der größten Wichtigkeit:
jeder soll sich nun selbst daraus belehren,
jeder sein Gewissen daraus bestimmen können.

Dies ist die ungeheure Veränderung im Prinzip:
die ganze Tradition und das Gebäude der Kirche wird problematisch ((497))
und das Prinzip der Autorität der Kirche umgestoßen.

Die Übersetzung, welche Luther von der Bibel gemacht hat,
ist von unschätzbarem Werte für das deutsche Volk gewesen.

Dieses hat dadurch ein Volksbuch erhalten,
wie keine Nation der katholischen Welt ein solches hat;
sie haben wohl eine Unzahl von Gebetbüchlein,
aber kein Grundbuch zur Belehrung des Volkes.

Trotzdem hat man in neueren Zeiten Streit deshalb erhoben,
ob es zweckmäßig sei, dem Volke die Bibel in die Hand zu geben;
die wenigen Nachteile, die dieses hat,
werden doch bei weitem von den ungeheuren Vorteilen überwogen;
die äußerlichen Geschichten,
die dem Herzen und Verstande anstößig sein könnten,
weiß der religiöse Sinn sehr wohl zu unterscheiden,
und sich an das Substantielle haltend, überwindet er sie.

Wenn auch endlich die Bücher, welche Volksbücher sein sollten,
nicht so oberflächlich wären, als sie es sind,
so gehört zu einem Volksbuche doch notwendig,
daß es das Ansehen des einzigen habe.

Dies ist aber nicht leicht, denn wird auch ein sonst gutes gemacht,
so findet doch jeder Pfarrer daran auszusetzen und macht ein besseres.

In Frankreich hat man sehr wohl das Bedürfnis eines Volksbuches gefühlt,
es sind große Preise darauf gesetzt worden,
aber aus dem eben angegebenen Grunde ist keines zustande gekommen.

Daß es ein Volksbuch gebe, dazu ist vor allen Dingen auch nötig,
daß das Volk lesen könne,
was in den katholischen Ländern wenig der Fall ist.

Durch die Verleugnung der Autorität der Kirche
wurde die Scheidung notwendig.

Das Tridentinische Konzilium
setzte die Grundsätze der katholischen Kirche fest,
und nach diesem Konzilium
konnte von einer Vereinigung nicht mehr die Rede sein.

Leibniz ließ sich noch mit dem Bischof Bossuet
über die Vereinigung der Kirchen ein,
aber das Tridentinische Konzilium bleibt das unübersteigliche Hindernis.

Die Kirchen wurden Parteien gegeneinander,
denn auch in Ansehung der weltlichen Ordnung
trat ein auffallender Unterschied ein.

In den nicht katholischen Ländern
wurden ((498)) die Klöster und Bistümer aufgehoben
und das Eigentumsrecht derselben nicht anerkannt;
der Unterricht wurde anders organisiert,
die Fasten, die heiligen Tage abgeschafft.

So war auch eine weltliche Reform in Ansehung des äußerlichen Zustandes,
denn auch gegen die weltliche Herrschaft empörte man sich an vielen Orten.

Die Wiedertäufer verjagten in Münster den Bischof
und richteten eine eigene Herrschaft ein,
und die Bauern standen in Masse auf,
um von dem Druck, der auf ihnen lastete, befreit zu werden.

Doch war zu einer politischen Umgestaltung,
als Konsequenz der kirchlichen Reformation,
die Welt damals noch nicht reif.

Vieles, was außerhalb ihres Prinzips lag
und worin sie bisher unbefangen mitgegangen war, verwarf sie nun,
die Kirche machte halt: bis hierher und nicht weiter;
sie trennte sich von der aufblühenden Wissenschaft,
von der Philosophie und humanistischen Literatur
und hatte bald Gelegenheit,
ihren Widerwillen gegen Wissenschaftliches kundzugeben.

Der berühmte Kopernikus hatte gefunden,
daß die Erde und die Planeten sich um die Sonne drehen,
aber gegen diesen Fortschritt erklärte sich die Kirche.

Galilei, der in einem Dialoge die Gründe für und wider
die neue Entdeckung des Kopernikus auseinandergelegt hatte
(allerdings so, daß er sich für dieselbe erklärte),
musste auf den Knien für dieses Verbrechen Abbitte tun.

Die griechische Literatur wurde nicht zur Grundlage der Bildung gemacht;
die Erziehung wurde den Jesuiten übergeben.

Eine Hauptfrage, welche jetzt zu beantworten ist, wäre,
warum die Reformation in ihrer Ausbreitung
sich nur auf einige Nationen beschränkt hat
und warum sie nicht die ganze katholische Welt durchdrang.

Die Reformation ist in Deutschland aufgegangen
und auch nur von den rein germanischen ((499)) Völkern erfaßt worden,
denn außer Deutschland setzte sie sich auch
in Skandinavien und England fest.

Die romanischen und slawischen Nationen haben sich aber fern davon gehalten.

Selbst Süddeutschland hat die Reform nur teilweise aufgenommen,
sowie überhaupt der Zustand daselbst ein gemischter war.

In Schwaben, Franken und den Rheinländern
waren eine Menge von Klöstern und Bistümern sowie viele freie Reichsstädte,
und an diese Existenzen knüpfte sich
die Aufnahme oder die Verwerfung der Reformation,
denn es wurde vorhin schon bemerkt, daß die Reform zugleich
eine ins politische Leben eingreifende Veränderung war.

Ferner ist auch die Autorität viel wichtiger, als man zu glauben geneigt ist.

Es gibt gewisse Voraussetzungen, die auf Autorität angenommen werden,
und so entschied auch bloß die Autorität oft für und wider
die Annahme der Reformation.

In Österreich, in Bayern, in Böhmen hatte die Reformation
schon große Fortschritte gemacht,
und obgleich man sagt:
wenn die Wahrheit einmal die Gemüter durchdrungen hat,
so kann sie ihnen nicht wieder entrissen werden,
so ist sie doch hier durch die Gewalt der Waffen,
durch List oder Überredung wieder erdrückt worden.

Die slawischen Nationen waren ackerbauende.

Dieses Verhältnis führt aber das von Herren und Knechten mit sich.

Beim Ackerbau ist das Treiben der Natur überwiegend;
menschliche Betriebsamkeit und subjektive Aktivität
findet im ganzen bei dieser Arbeit weniger statt.

Die Slawen sind daher langsamer und schwerer
zum Grundgefühl des subjektiven Selbsts,
zum Bewußtsein des Allgemeinen,
zu dem, was wir früher Staatsmacht genannt haben, gekommen,
und sie haben nicht an der aufgehenden Freiheit teilnehmen können.

Viel hat wohl die äußere Gewalt vermocht,
doch darauf allein kann man sich nicht berufen,
denn wenn der Geist einer Nation etwas verlangt, so bändigt ihn keine Gewalt;
man kann auch von ((500)) diesen Nationen nicht sagen,
daß es ihnen an Bildung gefehlt habe,
im Gegenteil, sie waren darin vielleicht den Deutschen voraus.

Es lag vielmehr im Grundcharakter dieser Nationen,
daß sie die Reformation nicht angenommen haben.

Was ist aber dieses Eigentümliche ihres Charakters,
das ein Hindernis der Freiheit des Geistes gewesen ist?

Die reine Innigkeit der germanischen Nation
war der eigentliche Boden für die Befreiung des Geistes,
die romanischen Nationen dagegen
haben im innersten Grunde der Seele, im Bewußtsein des Geistes
die Entzweiung beibehalten:
sie sind aus der Vermischung des römischen und germanischen Blutes hervorgegangen
und behalten dieses Heterogene immer noch in sich.

Der Deutsche kann es nicht leugnen,
daß die Franzosen, Italiener, Spanier mehr Charakterbestimmtheit besitzen,
einen festen Zweck
(mag dieser nun auch eine fixe Vorstellung zum Gegenstande haben)
mit vollkommenem Bewußtsein und der größten Aufmerksamkeit verfolgen,
einen Plan mit großer Besonnenheit durchführen
und die größte Entschiedenheit in Ansehung bestimmter Zwecke beweisen.

Die Franzosen nennen die Deutschen entiers, ganz, d.h. eigensinnig;
sie kennen auch nicht die närrische Originalität der Engländer.

Der Engländer hat das Gefühl der Freiheit im besonderen;
er bekümmert sich nicht um den Verstand,
sondern, im Gegenteil, fühlt sich um so mehr frei,
je mehr das, was er tut oder tun kann,
gegen den Verstand, d.h. gegen allgemeine Bestimmungen, ist.

Aber dann zeigt sich sogleich bei den romanischen Völkern
diese Trennung, das Festhalten eines Abstrakten,
und damit nicht diese Totalität des Geistes, des Empfindens,
die wir Gemüt heißen,
nicht dies Sinnen über den Geist selbst in sich,
- sondern sie sind im Innersten außer sich.

Das Innere ist ein Ort, dessen Tiefe ihr Gefühl nicht auffaßt,
denn es ist bestimmten Interessen verfallen,
und die Unendlichkeit des Geistes ist nicht darin.

Das Innerste ist nicht ihr eigen.

Sie lassen es gleichsam drüben liegen
und sind froh, daß es sonst abgemacht wird.

Das Anderwärts, dem sie es überlassen, ist eben die Kirche. ((501))

Freilich haben sie auch selbst damit zu tun,
aber weil dies Tun nicht ihr selbsteigenes ist,
so machen sie es auf äußerliche Weise ab.

Eh bien, sagt Napoleon, wir werden wieder in die Messe gehen,
und meine Schnurrbärte werden sagen: das ist die Parole!

Das ist der Grundzug dieser Nationen,
Trennung des religiösen Interesses und des weltlichen,
d.i. des eigentümlichen Selbstgefühls;
und der Grund dieser Entzweiung ist im Innersten selbst,
welches jenes Gesammeltsein, jene tiefste Einheit verloren hat.

Die katholische Religion nimmt nicht wesentlich das Weltliche in Anspruch,
sondern die Religion bleibt eine gleichgültige Sache auf der einen Seite,
und die andere Seite ist verschieden davon und für sich.

Gebildete Franzosen haben daher einen Widerwillen gegen den Protestantismus,
denn er erscheint ihnen als etwas Pedantisches,
als etwas Trauriges, kleinlich Moralisches,
weil der Geist und das Denken mit der Religion selbst zu tun haben müßte;
bei der Messe hingegen und anderen Zeremonien
ist es nicht nötig, daran zu denken,
sondern man hat eine imposante, sinnliche Erscheinung vor Augen,
bei welcher man plappern kann ohne alle Aufmerksamkeit
und doch das Nötige abtut.

Es ist schon oben von dem
Verhältnis der neuen Kirche zur Weltlichkeit gesprochen worden,
und jetzt ist nur noch das Nähere anzugeben.

Die Entwicklung und der Fortschritt des Geistes von der Reformation an
besteht darin, daß der Geist, wie er sich seiner Freiheit durch die Vermittlung,
welche zwischen dem Menschen und Gott vorgeht, jetzt bewußt ist
in der Gewißheit des objektiven Prozesses als des göttlichen Wesens selbst,
diesen nun auch ergreift und in der Weiterbildung des Weltlichen durchmacht.

Es ist durch die errungene Versöhnung das Bewußtsein gegeben,
daß das Weltliche fähig ist, das Wahre in ihm zu haben,
wogegen das Weltliche vorher nur für böse galt,
unfähig des Guten, welches ein Jenseits blieb.

Es wird nun gewußt, daß das Sittliche und Rechte im Staate
auch das Göttliche und das Gebot Gottes sind
und daß es dem Inhalte nach kein Höheres, ((502)) Heiligeres gibt.

Daraus folgt daß die Ehe nicht mehr die Ehelosigkeit über sich hat.

Luther hat eine Frau genommen, um zu zeigen, daß er die Ehe achte,
die Verleumdungen, die ihm daraus entstehen würden, nicht fürchtend.

Es war seine Pflicht, es zu tun, sowie freitags Fleisch zu essen,
um zu beweisen, daß dergleichen erlaubt und recht ist,
gegen die vermeintliche höhere Achtung der Entbehrung.

Der Mensch tritt durch die Familie in die Gemeinsamkeit,
in die Wechselbeziehung der Abhängigkeit in der Gesellschaft,
und dieser Verband ist ein sittlicher;
wogegen die Mönche, getrennt aus der sittlichen Gesellschaft,
gleichsam das stehende Heer des Papstes ausmachten,
wie die Janitscharen die Grundlage der türkischen Macht.

Mit der Priesterehe verschwindet nun auch
der äußere Unterschied zwischen Laien und Geistlichen.

Es ist rechtschaffener, daß, wer Geld hat, kauft,
wenn auch für überflüssige Bedürfnisse,
statt es an Faulenzer und Bettler zu verschenken;
denn er gibt es an eine gleiche Anzahl von Menschen,
und die Bedingung ist wenigstens, daß sie tätig gearbeitet haben.

Die Industrie, die Gewerbe sind nunmehr sittlich geworden,
und die Hindernisse sind verschwunden,
die ihnen von seiten der Kirche entgegengesetzt wurden.

Die Kirche nämlich hatte es für eine Sünde erklärt,
Geld gegen Interessen auszuleihen;
die Notwendigkeit der Sache aber führte gerade zum Gegenteil.

Die Lombarden (daher auch der französische Ausdruck lombard für Leihhaus)
und besonders die Mediceer haben den Fürsten in ganz Europa Geld vorgestreckt.

Es wurde jetzt der Gehorsam gegen die Staatsgesetze
als die Vernunft des Wollens und des Tuns zum Prinzip gemacht.

In diesem Gehorsam ist der Mensch frei,
denn die Besonderheit gehorcht dem Allgemeinen.

Der ((503)) Mensch hat selbst ein Gewissen und daher frei zu gehorchen.

Damit ist die Möglichkeit
einer Entwicklung und Einführung der Vernunft und Freiheit gesetzt,
und was die Vernunft ist, das sind nun auch die göttlichen Gebote.

Das Vernünftige erfährt keinen Widerspruch mehr
von seiten des religiösen Gewissens;
es kann sich auf seinem Boden ruhig entwickeln,
ohne Gewalt gegen das Entgegengesetzte gebrauchen zu müssen.

Das Entgegengesetzte aber hat in der katholischen Kirche absolute Berechtigung.

Die Fürsten können zwar immer noch schlecht sein,
aber sie werden nicht mehr dazu
von seiten des religiösen Gewissens berechtigt und aufgefordert.

In der katholischen Kirche dagegen kann das Gewissen
sehr wohl den Staatsgesetzen entgegengesetzt werden.

Königsmorde, Staatsverschwörungen und dergleichen
sind von den Priestern oft unterstützt und ausgeführt worden.

Diese Versöhnung des Staates und der Kirche ist für sich unmittelbar eingetreten.

Es ist noch keine Rekonstruktion des Staats, des Rechtssystems usf.,
denn was an sich recht ist, muss im Gedanken erst gefunden werden.

Die Gesetze der Freiheit haben sich noch erst
zu einem Systeme von dem, was an und für sich recht ist, ausbilden müssen.

Der Geist tritt nach der Reformation nicht gleich in dieser Vollendung auf,
denn sie beschränkt sich zunächst auf unmittelbare Veränderungen,
wie z.B. das Aufheben der Klöster, Bistümer usw.

Die Versöhnung Gottes mit der Welt war zunächst noch in abstrakter Form,
noch nicht zu einem System der sittlichen Welt entwickelt.

Die Versöhnung soll zunächst im Subjekte als solchem vorgehen,
in seiner bewußten Empfindung;
das Subjekt soll sich dessen versichern, daß der Geist in ihm wohne,
daß es, nach der kirchlichen Sprache, zum Bruch seines Herzens
und zum Durchbruch der göttlichen Gnade in ihm gekommen sei.

Der Mensch ist nicht von Natur, wie er sein soll;
er kommt erst durch den Prozeß der Umbildung zur Wahrheit.

Dies ist eben das Allgemeine und Spekulative,
daß das menschliche Herz nicht ist, was es sein soll.

Es ist nun verlangt worden, ((504))
daß das Subjekt dessen, was es an sich ist, sich bewußt werde,
das heißt die Dogmatik wollte, daß der Mensch wisse, daß er böse sei.

Aber das Individuum ist erst böse,
wenn das Natürliche in der sinnlichen Begierde, der Wille des Ungerechten
ungebrochen, unerzogen, gewalttätig zur Existenz kommt;
und dennoch wird verlangt, er solle wissen, daß er böse sei
und daß der gute Geist in ihm wohne;
er soll somit auf unmittelbare Weise haben und durchmachen,
was in spekulativer Weise an sich ist.

Indem die Versöhnung nun diese abstrakte Form angenommen hat,
ist der Mensch in diese Qual versetzt worden,
sich das Bewußtsein seiner Sündhaftigkeit aufzuzwingen
und sich als böse zu wissen.

Die unbefangensten Gemüter und unschuldigsten Naturen
sind grüblerischerweise den geheimsten Regungen ihres Herzens gefolgt,
um sie genau zu beobachten.

Mit dieser Pflicht ist auch die entgegengesetzte verbunden worden,
nämlich der Mensch soll auch wissen, daß der gute Geist in ihm wohne,
daß die göttliche Gnade in ihm zum Durchbruche gekommen sei.

Man hat eben den großen Unterschied nicht berücksichtigt:
wissen, was an sich ist, und wissen, was in der Existenz ist.

Es ist die Qual der Ungewißheit,
ob der gute Geist dem Menschen inwohne, eingetreten,
und der ganze Prozeß der Umbildung
hat im Subjekte selbst gewußt werden sollen.

Einen Nachklang von dieser Qual haben wir noch
in vielen geistlichen Liedern aus jener Zeit;
die Psalmen Davids, welche einen ähnlichen Charakter an sich tragen,
waren damals auch als Kirchengesänge eingeführt.

Der Protestantismus hat diese Wendung eines kleinlichen Grübelns
über den subjektiven Seelenzustand
und der Wichtigkeit der Beschäftigung damit genommen
und lange Zeit den Charakter einer innerlichen Quälerei
und einer Jämmerlichkeit in sich gehabt,
was heutzutage viele bewogen hat, zum Katholizismus überzutreten,
um gegen diese innere Ungewißheit eine förmliche breite Gewißheit
an dem imponierenden Ganzen der Kirche zu erhalten.

Auch in die katholische Kirche kam eine gebildete Reflexion
über die Handlungen herein.

Die Jesuiten ((505)) haben ebenso grüblerisch
den ersten Anfängen des Wollens (velleitas) nachgedacht;
sie haben aber die Kasuistik besessen,
für alles einen guten Grund zu finden und somit das Böse zu entfernen.

Hiermit hängt auch noch eine weitere wunderbare Erscheinung zusammen,
welche der katholischen und protestantischen Welt gemeinschaftlich gewesen.

Der Mensch ist ins Innerliche, Abstrakte getrieben,
und das Geistliche ist als vom Weltlichen verschieden gehalten worden.

Das aufgegangene Bewußtsein der Subjektivität des Menschen,
der Innerlichkeit seines Wollens hat den Glauben an das Böse,
als eine ungeheure Macht der Weltlichkeit, mitgebracht.

Dieser Glaube ist dem Ablaß parallel:
so wie man sich für den Preis des Geldes die ewige Seligkeit erkaufen konnte,
so glaubte man nun, man könne für den Preis seiner Seligkeit
durch einen mit dem Teufel gemachten Bund sich die Reichtümer der Welt
und die Macht für seine Begierden und Leidenschaften erkaufen.

So ist jene berühmte Geschichte von Faust entstanden,
der sich aus Überdruß der theoretischen Wissenschaft in die Welt gestürzt
und mit Verlust seiner Seligkeit alle Herrlichkeit derselben erkauft habe.

Faust hätte dafür, nach dem Dichter, die Herrlichkeit der Welt genossen;
aber jene armen Weiber, die man Hexen nannte,
sollten nur die Befriedigung einer kleinen Rache
an ihrer Nachbarin gehabt haben,
wenn sie der Kuh die Milch versetzten oder das Kind krank machten.

Man hat aber gegen sie nicht die größe des Schadens
beim Verderben der Milch oder Krankwerden des Kindes usf.
in Anschlag gebracht,
sondern hat abstrakt die Macht des Bösen in ihnen verfolgt.

So sind denn in dem Glauben
an diese abgetrennte, besondere Macht der Weltlichkeit,
an den Teufel und dessen List
in den katholischen sowohl wie in den protestantischen Ländern
eine unendliche Menge von Hexenprozessen eingeleitet worden.

Man konnte den Angeklagten ihre Schuld nicht beweisen,
man hatte sie nur in Verdacht:
es war somit nur ein unmittelbares Wissen,
worauf sich diese Wut gegen das Böse gründete.

Man sah ((506)) sich allerdings genötigt, zu Beweisen fortzugehen,
aber die Grundlage der Prozesse war nur eben der Glaube,
daß Personen die Macht des Bösen haben.

Es war dies wie eine ungeheure Pest,
welche die Völker vorzüglich im sechzehnten Jahrhundert durchrast hat.

Der Hauptgrund war die Verdächtigkeit.

In gleicher Fürchterlichkeit erscheint dieses Prinzip des Verdachts
unter der römischen Kaiserherrschaft
und unter der Schreckensherrschaft Robespierres,
wo die Gesinnung als solche bestraft wurde.

Bei den Katholiken waren es die Dominikaner,
welchen, wie die Inquisition überhaupt,
so auch die Hexenprozesse anvertraut waren.

Gegen sie schrieb der Pater Spee, ein edler Jesuit,
(von ihm rührt auch eine Sammlung herrlicher Gedichte
unter dem Titel Trutznachtigall her)
eine Schrift, aus welcher man in diesen Fällen
die ganze Fürchterlichkeit der Kriminaljustiz kennenlernt.

Die Tortur, welche nur einmal angewendet werden sollte,
wurde so lange fortgesetzt, bis das Geständnis erfolgte.

Wenn die angeklagte Person aus Schwäche bei der Tortur in Ohnmacht verfiel,
so hieß es, der Teufel gebe ihr Schlaf;
bekam sie Krämpfe, so sagte man, der Teufel lache aus ihr;
hielt sie standhaft aus, der Teufel gebe ihr Kraft.

Wie eine epidemische Krankheit haben sich diese Verfolgungen
über Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland verbreitet.

Der ernste Einspruch aufgeklärter Männer wie Spees und anderer
bewirkte schon sehr viel.

Mit dem größten Erfolg widersetzte sich aber zuerst
Thomasius, Professor zu Halle, diesem durchgreifenden Aberglauben.

Die ganze Erscheinung ist an und für sich höchst wunderbar,
wenn wir bemerken, wie es noch gar nicht lange ist,
daß wir aus dieser furchtbaren Barbarei heraus sind
(noch im Jahre 1780 wurde zu Glarus in der Schweiz eine Hexe verbrannt).

Bei den Katholiken war die Verfolgung
ebensowohl gegen die Ketzer als gegen die Hexen gerichtet;
beides war ungefähr in eine ((507)) Kategorie gestellt,
der Unglaube der Ketzer galt ebenso schlechthin für das Böse.

Von dieser abstrakten Form der Innerlichkeit abgehend,
haben wir jetzt die weltliche Seite zu betrachten,
die Staatsbildung und das Aufgehen des Allgemeinen,
das Bewußtwerden allgemeiner Gesetze der Freiheit.

Dies ist das andere und wesentliche Moment.

Zweites Kapitel: WIRKUNG DER REFORMATION AUF DIE STAATSBILDUNG

Was die Staatsbildung anbetrifft,
so sehen wir zunächst die Monarchie sich befestigen
und den Monarchen mit der Staatsmacht angetan sein.

Wir haben schon früher das beginnende Hervortreten der Königsmacht
und die werdende Einheit der Staaten gesehen.

Dabei bestand die ganze Masse
von Privatverbindlichkeiten und Rechten fort,
die aus dem Mittelalter überliefert worden.

Unendlich wichtig ist diese Form von Privatrechten,
welche die Momente der Staatsgewalt erlangt haben.

An der obersten Spitze derselben ist nun dies Positive,
daß eine ausschließende Familie als die regierende Dynastie existiert,
daß die Folge der Könige nach Erbrecht,
und zwar nach der Primogenitur bestimmt ist.

Daran hat der Staat einen unverrückbaren Mittelpunkt.

Weil Deutschland ein Wahlreich war, deswegen ist es nicht ein Staat geworden,
und aus demselben Grunde ist Polen
aus der Reihe der selbständigen Staaten verschwunden.

Der Staat muss einen letzten entscheidenden Willen haben;
soll aber ein Individuum das letzte entscheidende sein,
so muss es auf unmittelbare natürliche Weise,
nicht nach Wahl, Einsicht u. dgl. bestimmt werden.

Selbst bei den freien Griechen war das Orakel die äußerliche Macht,
die sie in ihren Hauptangelegenheiten bestimmte;
hier ist nun die Geburt das Orakel,
ein Etwas, das unabhängig ist von aller Willkür.

Dadurch aber, daß die oberste Spitze einer Monarchie
einer ((508)) Familie angehört,
erscheint die Herrschaft als Privateigentum derselben.

Nun wäre dieses als solches teilbar;
da jedoch die Teilbarkeit dem Begriffe des Staates widerspricht,
so mussten die Rechte des Monarchen und der Familie desselben
genauer bestimmt werden.

Es gehören die Domänen nicht dem einzelnen Oberhaupte,
sondern der Familie als Fideikommisse,
und die Garantie darüber haben die Stände,
denn diese haben die Einheit zu bewachen.

So geht nun das fürstliche Eigentum
aus der Bedeutung von Privateigentum und eines Privatbesitzes
von Gütern und Domänen und Gerichtsbarkeiten usf.
in Staatseigentum und Staatsgeschäft über.

Ebenso wichtig und damit zusammenhängend
ist die Verwandlung der Gewalten, Geschäfte, Pflichten und Rechte,
die dem Begriffe nach dem Staate zugehören
und die zu Privateigentum und zu Privatverbindlichkeiten geworden waren,
in Staatsbesitz.

Die Rechte der Dynasten und Barone sind unterdrückt worden,
indem sie sich mit Staatsämtern begnügen mußten.

Diese Umwandlung der Rechte der Vasallen in Staatspflichten
hat sich in den verschiedenen Reichen auf verschiedene Weise gemacht.

In Frankreich z.B. wurden die großen Barone,
welche Gouverneurs von Provinzen waren,
die solche Stellen als Rechte beanspruchen konnten
und gleichwie die türkischen Paschas
aus den Mitteln derselben Truppen hielten,
welche sie jeden Augenblick gegen den König auftreten lassen konnten,
herabgesetzt zu Güterbesitzern, zu Hofadel,
und jene Paschaschaften wurden zu Stellen,
welche nun als Ämter erteilt wurden;
oder der Adel wurde zu Offizieren, Generalen der Armee,
und zwar der Armee des Staates verwendet.

In dieser Beziehung ist das Aufkommen der stehenden Heere so wichtig,
denn sie geben der Monarchie eine unabhängige Macht
und sind ebenso nötig zur Befestigung des Mittelpunkts
gegen die Aufstände der unterworfenen Individuen,
als sie nach außenhin den Staat verteidigen.

Die Abgaben hatten freilich noch keinen allgemeinen Charakter,
sondern bestanden in einer unendlichen Menge
von Gefällen, Zinsen und Zöllen,
außerdem in ((509)) Subsidien und Beiträgen der Stände,
welchen dafür das Recht der Beschwerden, wie jetzt noch in Ungarn, zustand.

Dieser Rittergeist, diese Rittergröße, zu einer tatlosen Ehre herabgesunken,
ist hinreichend unter dem Namen der spanischen Grandezza bekannt.

Die Granden haben für sich keine eigenen Truppen mehr unterhalten dürfen
und sind auch von dem Kommando der Armeen entfernt worden;
ohne Macht haben sie sich als Privatpersonen mit einer leeren Ehre begnügt.

Das Mittel aber, wodurch die königliche Macht in Spanien sich befestigte,
war die Inquisition.

Diese, dazu eingesetzt, heimliche Juden, Mauren und Ketzer zu verfolgen,
nahm bald einen politischen Charakter an,
indem sie gegen die Staatsfeinde sich richtete.

Die Inquisition machte so die despotische Macht der Könige erstarken:
sie stand selbst über Bischöfen und Erzbischöfen
und durfte diese vor ihr Tribunal ziehen.

Häufige Konfiskation der Güter, eine der dabei gewöhnlichsten Strafen,
bereicherte bei dieser Gelegenheit den Staatsschatz.

Die Inquisition war dazu noch ein Gericht des Verdachts,
und indem sie somit eine furchtbare Gewalt gegen die Geistlichkeit ausübte,
hatte sie in dem Nationalstolz ihre eigentliche Stütze.

Jeder Spanier wollte nämlich von christlichem Blute sein,
und dieser Stolz fiel mit den Absichten
und der Richtung der Inquisition wohl zusammen.

Einzelne Provinzen der spanischen Monarchie, wie z.B. Aragonien,
hatten noch viele Einzelrechte und Privilegien,
aber die spanischen Könige von Philipp II. abwärts
unterdrückten dieselben ganz.

Es würde zu weit führen, den Gang der Depression der Aristokratie
in den einzelnen Reichen näher zu verfolgen.

Das Hauptinteresse war, wie schon gesagt,
daß die Privatrechte der Dynasten geschmälert wurden
und daß ihre Herrschaftsrechte
in Pflichten gegen den Staat sich umsetzen mußten.

Dieses Interesse war dem Könige und dem Volke gemeinschaftlich.

Die mächtigen Barone schienen die Mitte zu ((510)) sein,
welche die Freiheit behauptete,
aber es waren eigentlich nur ihre Privilegien
gegen die königliche Macht und gegen die Bürger,
welche sie verteidigten.

Die Barone von England nötigten dem Könige die Magna Charta ab,
aber die Bürger gewannen durch dieselbe nichts,
vielmehr blieben sie in ihrem früheren Zustande.

Die polnische Freiheit war ebenso nichts anderes
als die Freiheit der Barone gegen den Monarchen,
wobei die Nation zur absoluten Knechtschaft erniedrigt war.

Man muss, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl achtgeben,
ob es nicht eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird.

Denn wenn auch dem Adel seine souveräne Macht genommen war,
so blieb das Volk noch durch Hörigkeit, Leibeigenschaft und Gerichtsbarkeit
von demselben unterdrückt und war teils des Eigentums gar nicht fähig,
teils war es belastet mit Dienstbarkeit und durfte das Seinige nicht frei verkaufen.

Das höchste Interesse der Befreiung daraus
ging sowohl die Staatsmacht als die Untertanen selbst an,
daß sie als Bürger nun auch wirklich freie Individuen seien
und daß, was für das Allgemeine zu leisten,
nach Gerechtigkeit, nicht nach Zufälligkeit gemessen sei.

Die Aristokratie des Besitzes ist in diesem Besitz gegen beide,
gegen die Staatsmacht und gegen die Individuen.

Aber die Aristokratie soll ihre Stellung erfüllen, Stütze des Thrones zu sein,
als für den Staat und das Allgemeine beschäftigt und sich betätigend
und zugleich Stütze der Freiheit der Bürger.

Das eben ist der Vorzug der verbindenden Mitte,
daß sie das Wissen und das Betätigen
des in sich Vernünftigen und Allgemeinen übernimmt;
und dieses Wissen und dieses Geschäft des Allgemeinen
hat an die Stelle des positiven persönlichen Rechts zu treten.

Diese Unterwerfung der positiven Mitte unter das Staatsoberhaupt
war nun geschehen,
aber es war damit noch nicht die Befreiung der Hörigen vollbracht.

Diese ist erst später geschehen,
als der Gedanke von dem, was Recht an und für sich sei, auftrat.

Die Könige haben dann, auf die Völker sich stützend,
die Kaste der Ungerechtigkeit überwunden;
wo sie aber auf die Barone ((511)) sich stützten
oder diese ihre Freiheit gegen die Könige behaupteten,
da sind die positiven Rechte oder Unrechte geblieben.

Es tritt jetzt auch wesentlich ein Staatensystem
und ein Verhältnis der Staaten gegeneinander auf.

Sie verwickeln sich in mannigfaltige Kriege:
die Könige, die ihre Staatsmacht vergrößert haben,
wenden sich nun nach außen, Ansprüche aller Art geltend machend.

Der Zweck und das eigentliche Interesse der Kriege ist jetzt immer Eroberung.

Ein solcher Gegenstand der Eroberung war besonders Italien geworden,
das den Franzosen, Spaniern und später auch den Österreichern
zum Objekte der Beute dienen mußte.

Die absolute Vereinzelung und Zersplitterung
ist überhaupt immer der Grundcharakter der Bewohner Italiens gewesen,
sowohl im Altertume als auch in der neueren Zeit.

Die Starrheit der Individualität ist unter der Römerherrschaft
gewaltsam verbunden gewesen;
aber als dieses Band zerschnitten war,
trat auch der ursprüngliche Charakter schroff heraus.

Die Italiener sind späterhin, gleichsam darin eine Einheit findend,
nachdem die ungeheuerste, zu allen Verbrechen ausgeartete Selbstsucht
überwunden worden,
zum Genusse der schönen Kunst gekommen:
so ist die Bildung, die Milderung der Selbstsucht, nur zur Schönheit,
nicht aber zur Vernünftigkeit, zur höheren Einheit des Gedankens gelangt.

Deshalb ist selbst in Poesie und Gesang
die italienische Natur anders als die unsrige.

Die Italiener sind improvisierende Naturen,
ganz in Kunst und in seligem Genuß ergossen.

Bei solchem Kunstnaturell muss der Staat zufällig sein.

Aus diesen Kriegen der Staatsmächte entstanden gemeinsame Interessen,
und der Zweck des Gemeinsamen war, das Besondere festzuhalten,
die besonderen Staaten in ihrer Selbständigkeit zu erhalten,
oder das politische Gleichgewicht.

Hierin lag ein sehr reeller Bestimmungsgrund,
nämlich der, die besonderen Staaten vor der Eroberung ((512)) zu schützen.

Die Verbindung der Staaten als das Mittel,
die einzelnen Staaten gegen die Gewalttätigkeit der Übermächtigen zu schützen,
der Gleichgewichtszweck,
war jetzt an die Stelle des früheren allgemeinen Zweckes,
einer Christenheit, deren Mittelpunkt der Papst wäre, getreten.

Zu diesem neuen Zwecke gesellte sich notwendig ein diplomatisches Verhältnis,
worin die entferntesten Glieder des Staatensystems alles,
was einer Macht geschah, mitfühlten.

Die diplomatische Politik war in Italien
zur höchsten Feinheit ausgebildet worden und von da auf Europa übertragen.

Es schienen mehrere Fürsten nacheinander
das europäische Gleichgewicht schwankend zu machen.

Gleich im Beginnen des Staatensystems strebte Karl V.
nach einer Universalmonarchie;
denn er war Deutscher Kaiser und König von Spanien zugleich,
die Niederlande und Italien gehörten ihm,
und der ganze Reichtum Amerikas floß ihm zu.

Mit dieser ungeheuren Macht, welche,
wie die Zufälligkeit eines Privatbesitzes,
durch die glücklichsten Kombinationen der Klugheit,
unter anderem durch Heiraten, zusammengebracht worden,
aber des inneren wahrhaften Zusammenhanges entbehrte,
vermochte er jedoch nichts gegen Frankreich,
selbst nichts gegen die deutschen Fürsten
und wurde vielmehr von Moritz von Sachsen zum Frieden gezwungen.

Sein ganzes Leben brachte er damit zu,
die ausgebrochenen Unruhen in allen Teilen seines Reiches zu dämpfen
und die Kriege nach außen zu leiten.

Durch die Depression der großen seines Reiches,
welche Richelieu und später Mazarin vollendet hatten,
war er unumschränkter Herrscher geworden;
außerdem hatte auch Frankreich das Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit
durch seine dem übrigen Europa voranschreitende Bildung.

Ludwigs Prätentionen gründeten sich weniger
wie die Karls V. auf seine ausgedehnte Macht
als auf die Bildung seines Volkes,
welche damals mit der französischen Sprache
allgemein aufgenommen und bewundert wurde:
somit hatten sie allerdings
eine höhere Berechtigung ((513)) als die Karls V.

Aber wie schon die großen Streitkräfte Philipps II.
sich an dem Widerstand der Holländer gebrochen hatten,
so scheiterten auch an demselben heldenmütigen Volke
Ludwigs ehrgeizige Pläne.

Durch alle diese Stürme hindurch haben die Nationen
ihre Individualität und Selbständigkeit behauptet.

Ein gemeinsames Interesse der europäischen Staaten nach außen
war das gegen die Türken, gegen diese furchtbare Macht,
die von Osten her Europa zu überschwemmen drohte.

Es war damals noch eine kerngesunde, kraftvolle Nation,
deren Macht auf Eroberung gegründet war,
die deshalb fortdauernd Krieg führte und nur Waffenstillstände einging.

Die eroberten Länder wurden, wie bei den Franken, unter die Krieger verteilt
zu persönlichem, nicht zu erblichem Besitz;
als später die Erblichkeit eintrat, war die Macht der Nation gebrochen.

Die Blüte der osmanischen Kraft, die Janitscharen,
waren den Europäern ein Schrecken.

Es wurden dazu schöne und kräftige Christenknaben,
hauptsächlich durch jährliche Konskriptionen
bei den griechischen Untertanen, zusammengebracht,
im Islam streng erzogen und von Jugend auf in den Waffen geübt;
ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Weiber
waren sie wie die Mönche eine ganz unabhängige und furchtbare Schar.

Die europäischen Mächte im Osten mussten sämtlich den Türken entgegentreten,
Österreich, Ungarn, Venedig und Polen.

Die Schlacht bei Lepanto rettete Italien, und vielleicht ganz Europa,
vor der Überschwemmung der Barbaren.

Wichtig aber besonders infolge der Reformation
ist der Kampf der protestantischen Kirche um eine politische Existenz.

Die protestantische Kirche, auch wie sie unmittelbar aufgetreten,
griff zu sehr in das Weltliche ein,
als daß sie nicht weltliche Verwicklungen
und politische Streitigkeiten über politischen Besitz hätte veranlassen sollen.

Untertanen ((514)) katholischer Fürsten werden protestantisch,
haben und machen Ansprüche auf Kirchengüter,
verändern die Natur des Besitzes
und entziehen sich den Handlungen des Kultus,
welche Emolumente abwerfen (iura stolae).

Überdem ist die katholische Regierung verbunden,
der Kirche das brachium seculare zu sein;
die Inquisition z.B. hat nie einen Menschen hinrichten lassen,
sondern nur zum Ketzer erklärt, gleichsam als Geschwornengericht,
und nach den bürgerlichen Gesetzen ist er dann gestraft worden.

Ferner wurden tausend Anstöße gegeben und Reibungen veranlaßt
bei Prozessionen und Festen,
beim Tragen der Monstranz über die Straße,
durch das Austreten aus den Klöstern usf.,
oder gar wenn ein Erzbischof von Köln sein Erzbistum
zu einem weltlichen Fürstentum für sich und seine Familie machen wollte.

Den katholischen Fürsten wurde von den Beichtvätern
zur Gewissenssache gemacht,
die vormals geistlichen Güter aus den Händen der Ketzer zu reißen.

Doch waren in Deutschland die Verhältnisse dem Protestantismus
noch insofern vorteilhaft,
als die besonderen ehemaligen Reichslehen zu Fürstentümern geworden waren.

Aber in Ländern wie Österreich standen die Protestanten
teils ohne die Fürsten, teils hatten sie dieselben gegen sich,
und in Frankreich mussten sie sich Festungen einräumen lassen
zur Sicherheit ihrer Religionsübung.

Es trat ein Verhältnis absoluten Mißtrauens ein,
weil das Mißtrauen des religiösen Gewissens zugrunde lag.

Die protestantischen Fürsten und Städte machten dann einen matten Bund
und führten eine viel mattere Verteidigung.

Nachdem sie unterlegen, erzwang Kurfürst Moritz von Sachsen
durch einen ganz unerwarteten, abenteuerlichen Schlag
den selbst zweideutigen Frieden,
der die ganze Tiefe des Hasses bestehen ließ.

Die Sache musste von Grund aus ((515)) durchgekämpft werden.

Dies geschah im Dreißigjährigen Kriege,
in welchem zuerst Dänemark und dann Schweden
die Sache der Freiheit übernahm.
Ersteres war bald genötigt, vom Kampfplatze zu weichen,
letzteres spielte aber unter dem ruhmwürdigen Helden aus dem Norden,
Gustav Adolf, eine um so glänzendere Rolle,
als es selbst ohne die Hilfe der protestantischen Reichsstände Deutschlands
den Krieg mit der ungeheuren Macht der Katholiken auszufechten begann.

Alle Mächte Europas, mit wenigen Ausnahmen,
stürzen sich nun auf Deutschland, wohin sie wie zur Quelle zurückströmen,
von der sie ausgegangen waren,
und wo jetzt das Recht der nunmehr religiösen Innigkeit
und das Recht der innerlichen Getrenntheit ausgefochten werden soll.

Der Kampf endigt ohne Idee,
ohne einen Grundsatz als Gedanken gewonnen zu haben,
mit der Ermüdung aller, der gänzlichen Verwüstung,
an der sich alle Kräfte zerschlagen hatten,
und dem bloßen Geschehenlassen und Bestehen der Parteien
auf dem Grund der äußeren Macht.

Der Ausgang ist nur politischer Natur.

Auch in England musste sich die protestantische Kirche
durch den Krieg festsetzen:
der Kampf war gegen die Könige gerichtet,
denn diese hingen insgeheim der katholischen Religion an,
indem sie darin das Prinzip der absoluten Willkür bestätigt fanden.

Gegen die Behauptung der absoluten Machtvollkommenheit,
nach welcher die Könige nur Gott (d.h. dem Beichtvater)
Rechenschaft zu geben schuldig seien,
stand das fanatisierte Volk auf
und erreichte dem äußerlichen Katholizismus gegenüber
im Puritanismus die Spitze der Innerlichkeit,
welche, in eine objektive Welt ausschlagend,
teils fanatisch erhoben, teils lächerlich erscheint.

Diese Fanatiker, wie auch die in Münster,
wollten den Staat unmittelbar aus der Gottesfurcht regieren,
wie ebenso fanatisiert die Soldaten ihre Sache
im Felde betend ausfechten mußten.

Aber ein militärischer Anführer hat nun die Gewalt
und damit die Regierung in Händen;
denn es muss regiert werden im Staate;
und Cromwell wußte, was Regieren ist.

Er ((516)) hat sich also zum Herrscher gemacht
und jenes betende Parlament auseinandergejagt.

Mit seinem Tode jedoch schwand sein Recht,
und die alte Dynastie bemächtigte sich wieder der Herrschaft.

Es ist zu bemerken, daß für die Sicherheit der Regierung
den Fürsten die katholische Religion angerühmt wird,
- offenbar besonders, wenn die Inquisition mit der Regierung verbunden ist,
denn diese wird durch jene gewaffnet.

Diese Sicherheit aber liegt in dem knechtischen religiösen Gehorsam
und ist nur vorhanden, wenn die Staatsverfassung und alles Staatsrecht
noch auf dem positiven Besitze beruht;
aber wenn die Verfassung und die Gesetze
auf wahrhaft ewiges Recht gebaut werden sollen,
dann ist Sicherheit allein in der protestantischen Religion,
in deren Prinzip auch die subjektive Freiheit der Vernünftigkeit
zur Ausbildung kommt.

Das katholische Prinzip wurde noch besonders von den Holländern
in der spanischen Herrschaft bekämpft.

Belgien war der katholischen Religion noch zugetan
und blieb unter spanischer Herrschaft;
der nördliche Teil dagegen, Holland,
hat sich heldenmütig gegen seine Unterdrücker behauptet.

Die gewerbetreibende Klasse, die Gilden und Schützengesellschaften
haben die Miliz gebildet und die damals berühmte spanische Infanterie
durch Heldenmut überwunden.

Wie die schweizerischen Bauern der Ritterschaft standgehalten haben,
so hier die gewerbetreibenden Städte den disziplinierten Truppen.

Währenddessen haben die holländischen Seestädte Flotten ausgerüstet
und den Spaniern ihre Kolonien, woher ihnen aller Reichtum floß,
zum Teil genommen.

Wie Holland durch das protestantische Prinzip
seine Selbständigkeit errang, so verlor sie Polen,
als es dasselbe in den Dissidenten unterdrücken wollte.

Durch den Westfälischen Frieden war die protestantische Kirche
als eine selbständige anerkannt worden,
zur ungeheuren Schmach und Demütigung für die katholische.

Dieser Friede hat häufig für das Palladium Deutschlands gegolten,
weil er die politische Konstitution Deutschlands festgestellt hat.

Aber diese Konstitution war in der Tat eine Festsetzung ((517))
von den Privatrechten der Länder, in die es zerfallen war.

Vom Zwecke eines Staates ist dabei kein Gedanke und keine Vorstellung.

Man muss den Hippolytus a lapide lesen
(ein Buch, das, vor dem Friedensschlusse geschrieben,
großen Einfluß auf die Reichsverhältnisse gehabt hat),
um die deutsche Freiheit, deren Vorstellung die Köpfe beherrscht, kennenzulernen.

In diesem Frieden ist der Zweck der vollkommenen Partikularität
und die privatrechtliche Bestimmung aller Verhältnisse ausgesprochen;
er ist die konstituierte Anarchie, wie sie noch nie in der Welt gesehen worden,
d.h. die Feststellung, daß ein Reich Eines, ein Ganzes sein soll, ein Staat,
und daß dabei doch alle Verhältnisse so privatrechtlich bestimmt werden,
daß das Interesse der Teile für sich,
gegen das Interesse des Ganzen zu handeln
oder das zu unterlassen, was dessen Interesse fordert
und selbst gesetzlich bestimmt ist,
aufs unverbrüchlichste verwahrt und gesichert ist.

Es hat sich sogleich nach dieser Festsetzung gezeigt,
was das Deutsche Reich als Staat gegen andere war:
es hat schmähliche Kriege gegen die Türken geführt,
von denen Wien durch die Polen befreit werden mußte.

Noch schmählicher war sein Verhältnis zu Frankreich,
welches freie Städte, Schutzmauern Deutschlands,
und blühende Provinzen während des Friedens geradezu in Besitz genommen
und ohne Mühe behalten hat.

Diese Konstitution, die das Ende von Deutschland
als einem Reiche vollends bewirkt hat,
ist vornehmlich das Werk Richelieus gewesen,
durch dessen Hilfe, eines römischen Kardinals,
die Religionsfreiheit in Deutschland gerettet worden ist.

Richelieu hat zum Besten des Staates, dem er vorstand,
das Gegenteil von dem getan, was er an dessen Feinden tat;
denn diese löste er auf zur politischen Ohnmacht,
indem er die politische Selbständigkeit der Teile begründete;
in seinem Reiche aber unterdrückte er die Selbständigkeit
der protestantischen Partei,
und er hat darüber das Schicksal vieler großen Staatsmänner gehabt,
daß er von seinen Mitbürgern verwünscht worden ist,
während die Feinde das Werk, wodurch ((518)) er sie ruiniert hat,
für das heiligste Ziel ihrer Wünsche,
ihres Rechts und ihrer Freiheit angesehen haben.

Das Resultat des Kampfes also war das durch Gewalt erzwungene
und nun politisch begründete Bestehen der Religionsparteien nebeneinander
als politischer Staaten und nach positiven staats- oder privatrechtlichen Verhältnissen.

Weiter aber und später hat die protestantische Kirche
ihre politische Garantie darin vollendet,
daß einer der ihr angehörigen Staaten
sich zu einer selbständigen europäischen Macht erhoben.

Diese Macht musste mit dem Protestantismus neu entstehen:
es ist Preußen, das, am Ende des siebzehnten Jahrhunderts auftretend,
in Friedrich dem großen sein, wenn nicht begründendes,
doch fest- und sicherstellendes Individuum
und im Siebenjährigen Kriege
den Kampf dieser Fest- und Sicherstellung gefunden hat.

Friedrich II. hat die Selbständigkeit seiner Macht dadurch erwiesen,
daß er der Macht von fast ganz Europa,
der Vereinigung der Hauptmächte desselben, widerstanden hat.

Er trat als Held des Protestantismus auf,
nicht nur persönlich wie Gustav Adolf, sondern als König einer Staatsmacht.

Zwar war der Siebenjährige Krieg an sich kein Religionskrieg,
aber er war es dennoch in seinem definitiven Ausgange,
in der Gesinnung der Soldaten sowohl als der Mächte.

Der Papst konsekrierte den Degen des Feldmarschalls Daun,
und der Hauptgegenstand der koalitionierten Mächte war,
den preußischen Staat als Schutz der protestantischen Kirche zu unterdrücken.

Friedrich der große hat aber nicht nur Preußen
unter die großen Staatsmächte Europas als protestantische Macht eingeführt,
sondern er ist auch ein philosophischer König gewesen,
eine ganz eigentümliche und einzige Erscheinung in der neueren Zeit.

Die englischen Könige waren spitzfindige Theologen gewesen,
für das Prinzip des Absolutismus streitend;
Friedrich dagegen faßte das protestantische Prinzip
von der weltlichen Seite auf,
und indem er den religiösen Streitigkeiten abhold war
und sich für diese und jene Meinung derselben nicht entschied,
hatte er das Bewußtsein von ((519)) der Allgemeinheit,
die die letzte Tiefe des Geistes
und die ihrer selbst bewußte Kraft des Denkens ist.

Drittes Kapitel: DIE AUFKLÄRUNG UND REVOLUTION [individuelle Freiheit]

In der protestantischen Religion war das Prinzip der Innerlichkeit
mit der religiösen Befreiung und Befriedigung in sich selbst eingetreten
und damit auch der Glaube an die Innerlichkeit als das Böse
und an die Macht des Weltlichen.

Auch in der katholischen Kirche führte die jesuitische Kasuistik
unendliche Untersuchungen ein,
so weitläufig und spitzfindig als ehemals in der scholastischen Theologie,
über das Innerliche des Willens und die Beweggründe desselben.

In dieser Dialektik, wodurch alles Besondere wankend gemacht wurde,
indem das Böse in Gutes und das Gute in Böses verkehrt wurde,
blieb zuletzt nichts übrig als die reine Tätigkeit der Innerlichkeit selbst,
das Abstrakte des Geistes - das Denken.

Das Denken betrachtet alles in der Form der Allgemeinheit
und ist dadurch die Tätigkeit und Produktion des Allgemeinen.

In der vormaligen scholastischen Theologie
blieb der eigentliche Inhalt, die Lehre der Kirche, ein Jenseits;
auch in der protestantischen Theologie
blieb die Beziehung des Geistes auf ein Jenseits;
denn auf der einen Seite bleibt
der eigene Wille, der Geist des Menschen, Ich selbst,
und auf der anderen die Gnade Gottes, der Heilige Geist,
und so im Bösen der Teufel.

Aber im Denken ist das Selbst sich präsent,
sein Inhalt, seine Objekte sind ihm ebenso schlechthin gegenwärtig;
denn indem ich denke, muss ich den Gegenstand zur Allgemeinheit erheben.

Das ist schlechthin die absolute Freiheit,
denn das reine Ich ist, wie das reine Licht, schlechthin bei sich;
also ist ihm das Unterschiedene, Sinnliches wie Geistiges, nicht mehr furchtbar,
denn es ist dabei in sich frei und steht demselben frei gegenüber.

Das praktische Interesse gebraucht die Gegenstände, ((520)) verzehrt sie;
das theoretische betrachtet sie mit der Sicherheit,
daß sie an sich nichts Verschiedenes sind.

Der Mensch ist nicht frei, wenn er nicht denkt,
denn er verhält sich dann zu einem Anderen.

Dieses Erfassen, das Übergreifen über das Andere mit der innersten Selbstgewißheit
enthält unmittelbar die Versöhnung:
die Einheit des Denkens mit dem Anderen ist an sich vorhanden,
denn die Vernunft ist die substantielle Grundlage
ebensowohl des Bewußtseins als des Äußerlichen und Natürlichen.

So ist das Gegenüber auch nicht mehr ein Jenseits,
nicht von anderer substantieller Natur.

Das Denken ist jetzt die Stufe, auf welche der Geist gelangt ist.

Es enthält die Versöhnung in ihrer ganz reinen Wesenheit,
indem es an das Äußerliche mit der Anforderung geht,
daß es dieselbe Vernunft in sich habe als das Subjekt.

Der Geist erkennt, daß die Natur, die Welt
auch eine Vernunft an ihr haben müsse,
denn Gott hat sie vernünftig geschaffen.

Es ist nun ein allgemeines Interesse,
die gegenwärtige Welt zu betrachten und kennenzulernen, entstanden.

Das Allgemeine in der Natur sind
die Arten, die Gattungen, die Kraft, die Schwere,
reduziert auf ihre Erscheinungen usw.

Es ist also die Erfahrung die Wissenschaft der Welt geworden,
denn die Erfahrung ist einerseits die Wahrnehmung,
dann aber auch Auffinden des Gesetzes, des Innern, der Kraft,
indem sie das Vorhandene auf seine Einfachheit zurückführt.

Wie in den rein germanischen Nationen
das Prinzip des Geistes aufgegangen ist,
so wurde von den romanischen zuerst die Abstraktion erfaßt,
welche mit ihrem oben angegebenen Charakter
der innerlichen Geschiedenheit zusammenhängt.

Die Erfahrungswissenschaft hat daher bei ihnen,
gemeinschaftlich mit den protestantischen Engländern,
und bei den Italienern vorzugsweise schnellen Eingang gefunden.

Es war für die Menschen, als habe Gott jetzt erst
die Sonne, den Mond, die Gestirne, die Pflanzen ((521)) und Tiere geschaffen,
als ob die Gesetze jetzt erst bestimmt worden wären,
denn nun erst haben die Menschen ein Interesse daran gehabt,
als sie ihre Vernunft in jener Vernunft wiedererkannten.

Das Auge des Menschen wurde klar, der Sinn erregt,
das Denken arbeitend und erklärend.

Mit den Naturgesetzen ist man dem ungeheuren Aberglauben der Zeit entgegengetreten
sowie allen Vorstellungen von fremden gewaltigen Mächten,
über die man nur durch Magie siegreich werden könne.

Die Menschen haben überall ebenso gesagt,
und zwar Katholiken nicht minder als Protestanten:
das Äußerliche, woran die Kirche das Höhere knüpfen will,
ist eben nur äußerlich, die Hostie ist nur Teig, die Reliquie nur Knochen.

Gegen den Glauben auf Autorität
ist die Herrschaft des Subjekts durch sich selbst gesetzt worden,
und die Naturgesetze wurden
als das einzig Verbindende des Äußerlichen mit Äußerlichem anerkannt.

So wurde allen Wundern widersprochen;
denn die Natur ist nun ein System bekannter und erkannter Gesetze,
der Mensch ist zu Hause darin, und nur das gilt, worin er zu Hause ist,
er ist frei durch die Erkenntnis der Natur.

Auch auf die geistige Seite hat sich dann das Denken gerichtet:
man hat Recht und Sittlichkeit als
auf dem präsenten Boden des Willens des Menschen gegründet betrachtet,
da es früher nur als Gebot Gottes, äußerlich auferlegt,
im Alten und Neuen Testament geschrieben
oder in Form besonderen Rechts in alten Pergamenten,
als Privilegien, oder in Traktaten vorhanden war.

Man hat aus der Erfahrung empirisch beobachtet,
was die Nationen als Recht gegeneinander gelten lassen (wie Grotius );
dann hat man als Quelle des vorhandenen bürgerlichen wie Staatsrechts,
in Ciceros Weise, die Triebe der Menschen,
welche die Natur ihnen ins Herz gepflanzt habe, angesehen,
so z.B. den Sozialitätstrieb,
ferner das Prinzip der Sicherheit der Person und des Eigentums der Bürger
sowie das Prinzip des allgemeinen Besten, die Staatsräson.

Aus diesen ((522)) Prinzipien hat man
von der einen Seite despotisch die Privatrechte nicht respektiert,
dadurch aber andererseits allgemeine Staatszwecke
gegen das Positive durchgeführt.

Friedrich II. kann als der Regent genannt werden,
mit welchem die neue Epoche in die Wirklichkeit tritt,
worin das wirkliche Staatsinteresse seine Allgemeinheit
und seine höchste Berechtigung erhält.

Friedrich II. muss besonders deshalb hervorgehoben werden,
daß er den allgemeinen Zweck des Staats denkend gefaßt hat
und daß er der erste unter den Regenten war,
der das Allgemeine im Staate festhielt
und das Besondere, wenn es dem Staatszwecke entgegen war,
nicht weiter gelten ließ.

Sein unsterbliches Werk ist ein einheimisches Gesetzbuch, das Landrecht.

Wie ein Hausvater für das Wohl seines Haushalts
und der ihm Untergebenen mit Energie sorgt und regiert,
davon hat er ein einziges Beispiel aufgestellt.

Diese so auf das gegenwärtige Bewußtsein gegründeten allgemeinen Bestimmungen,
die Gesetze der Natur und den Inhalt dessen, was recht und gut ist,
hat man Vernunft genannt.

Aufklärung hieß man das Gelten dieser Gesetze.

Von Frankreich kam sie nach Deutschland herüber,
und eine neue Welt von Vorstellungen ging darin auf.

Das absolute Kriterium gegen alle Autorität des religiösen Glaubens,
der positiven Gesetze des Rechts, insbesondere des Staatsrechts war nun,
daß der Inhalt vom Geiste selbst in freier Gegenwart eingesehen werde.

Luther hatte die geistige Freiheit und die konkrete Versöhnung erworben,
er hat siegreich festgestellt, was die ewige Bestimmung des Menschen sei,
müsse in ihm selber vorgehen.

Der Inhalt aber von dem, was in ihm vorgehen
und welche Wahrheit in ihm lebendig werden müsse,
ist von Luther angenommen worden, ein Gegebenes zu sein,
ein durch die Religion Offenbartes.

Jetzt ist das Prinzip aufgestellt worden,
daß dieser Inhalt ein gegenwärtiger sei,
wovon ich mich innerlich überzeugen könne,
und daß auf diesen inneren Grund alles zurückgeführt werden müsse.

Dieses Prinzip des Denkens tritt zunächst
in seiner Allgemeinheit noch abstrakt auf
und beruht auf dem Grundsatz ((523)) des Widerspruchs und der Identität.

Der Inhalt wird damit als endlicher gesetzt,
und alles Spekulative aus menschlichen und göttlichen Dingen
hat die Aufklärung verbannt und vertilgt.

Wenn es unendlich wichtig ist, daß der mannigfaltige Gehalt
in seine einfache Bestimmung in der Form der Allgemeinheit gebracht wird,
so wird mit diesem noch abstrakten Prinzip
dem lebendigen Geist, dem konkreten Gemüt nicht genügt.

Mit diesem formell absoluten Prinzip kommen wir
an das letzte Stadium der Geschichte, an unsere Welt, an unsere Tage.

Die Weltlichkeit ist das geistige Reich im Dasein,
das Reich des Willens, der sich zur Existenz bringt.

Empfindung, Sinnlichkeit, Triebe
sind auch Weisen der Realisierung des Innern,
aber im Einzelnen vorübergehend;
denn sie sind der veränderliche Inhalt des Willens.

Was aber gerecht und sittlich ist,
gehört dem wesentlichen, an sich seien den Willen,
dem in sich allgemeinen Willen an,
und um zu wissen, was wahrhaft Recht ist,
muss man von Neigung, Trieb, Begierde, als von dem Besonderen, abstrahieren;
man muss also wissen, was der Wille an sich ist.

Dem Triebe des Wohlwollens, der Hilfeleistung, der Geselligkeit
bleiben Triebe, denen andere mannigfache Triebe feindlich sind.

Was der Wille an sich ist, muss heraus aus diesen Besonderheiten und Gegensätzen.

Damit bleibt der Wille als Wille abstrakt.

Der Wille ist frei nur, insofern er
nichts Anderes, Äußerliches, Fremdes will, denn da wäre er abhängig,
sondern nur sich selbst - den Willen will.

Der absolute Wille ist dies, frei sein zu wollen.

Der sich wollende Wille ist der Grund alles Rechts und aller Verpflichtung
und damit aller Rechtsgesetze, Pflichtengebote und auferlegten Verbindlichkeiten.

Die Freiheit des Willens selbst, als solche,
ist Prinzip und substantielle Grundlage alles Rechts,
ist selbst absolutes, an und für sich ewiges Recht
und das höchste, insofern andere, besondere Rechte danebengestellt werden;
sie ist sogar das, wodurch der Mensch Mensch wird,
also das Grundprinzip ((524)) des Geistes.

Denn indem er sich selbst will, ist er nur identische Beziehung auf sich;
aber er will auch Besonderes;
es gibt, weiß man, unterschiedene Pflichten und Rechte.

Man fordert einen Inhalt, eine Bestimmtheit des Willens;
denn der reine Wille ist sich sein Gegenstand
und sein eigener Inhalt, der keiner ist.

So überhaupt ist er nur der formelle Wille.

Wie aber spekulativ weiter aus diesem einfachen Willen heraus
zur Bestimmung der Freiheit,
damit zu Rechten und Pflichten fortgegangen werde, ist hier nicht zu erörtern.

Nur kann hier gleich bemerkt werden,
daß dasselbe Prinzip theoretisch in Deutschland
durch die Kantische Philosophie ist aufgestellt worden.

Denn nach ihr ist die einfache Einheit des Selbstbewußtseins, Ich,
die undurchbrechbare, schlechthin unabhängige Freiheit
und die Quelle aller allgemeinen, d.i. Denkbestimmungen
- die theoretische Vernunft,
und ebenso das höchste aller praktischen Bestimmungen
- die praktische Vernunft, als freier und reiner Wille;
und die Vernunft des Willens ist eben, sich in der reinen Freiheit zu halten,
in allem Besonderen nur sie zu wollen,
das Recht nur um des Rechts, die Pflicht nur um der Pflicht willen.

Das blieb bei den Deutschen ruhige Theorie;
die Franzosen aber wollten dasselbe praktisch ausführen.

Es entsteht nun die doppelte Frage:
Warum blieb dies Freiheitsprinzip nur formell?
und warum sind nur die Franzosen und nicht auch die Deutschen
auf das Realisieren desselben losgegangen?

Bei dem formellen Prinzip wurden wohl inhaltsvollere Kategorien herbeigebracht:
also hauptsächlich die Gesellschaft
und was nützlich für die Gesellschaft sei;
aber der Zweck der Gesellschaft ist selbst politisch, der des Staats
(s. Droits de l’homme et du citoyen, 1791),
nämlich der, die natürlichen Rechte aufrechtzuerhalten;
das natürliche Recht aber ist die Freiheit,
und die weitere Bestimmung derselben
ist die Gleichheit in den Rechten vor dem Gesetz.

Dies hängt unmittelbar zusammen,
denn die Gleichheit ist durch die ((525)) Vergleichung Vieler,
aber eben diese Vielen sind Menschen,
deren Grundbestimmung dieselbe ist, die Freiheit.

Formell bleibt dies Prinzip,
weil es aus dem abstrakten Denken, dem Verstande, hervorgegangen ist,
welches zuerst Selbstbewußtsein der reinen Vernunft
und, als unmittelbar, abstrakt ist.

Es entwickelt noch nichts weiter aus sich,
denn es hält sich der Religion überhaupt,
dem konkreten absoluten Inhalt, noch gegenüber.

Was die andere Frage betrifft:
warum sind die Franzosen sogleich vom Theoretischen
zum Praktischen übergegangen,
wogegen die Deutschen bei der theoretischen Abstraktion stehenblieben,
so könnte man sagen:
die Franzosen sind Hitzköpfe (ils ont la tête près du bonnet);
der Grund liegt aber tiefer.

Dem formellen Prinzip der Philosophie in Deutschland nämlich
steht die konkrete Welt und Wirklichkeit
mit innerlich befriedigtem Bedürfnis des Geistes
und mit beruhigtem Gewissen gegenüber.

Denn es ist einerseits die protestantische Welt selbst, welche so weit im Denken
zum Bewußtsein der absoluten Spitze des Selbstbewußtseins gekommen ist,
und andererseits hat der Protestantismus die Beruhigung
über die sittliche und rechtliche Wirklichkeit in der Gesinnung,
welche selbst, mit der Religion eins,
die Quelle alles rechtlichen Inhalts im Privatrecht
und in der Staatsverfassung ist.

In Deutschland war die Aufklärung auf seiten der Theologie;
in Frankreich nahm sie sogleich eine Richtung gegen die Kirche.

In Deutschland war in Ansehung der Weltlichkeit
schon alles durch die Reformation gebessert worden,
jene verderblichen Institute der Ehelosigkeit, der Armut und Faulheit
waren schon abgeschafft,
es war kein toter Reichtum der Kirche und kein Zwang gegen das Sittliche,
welcher die Quelle und Veranlassung von Lastern ist,
nicht jenes unsägliche Unrecht,
das aus der Einmischung der geistlichen Gewalt in das weltliche Recht entsteht,
noch jenes andere der gesalbten Legitimität der Könige,
d.i. eine Willkür der Fürsten, die als solche,
weil sie Willkür der Gesalbten ist, göttlich, heilig sein soll;
sondern ((526)) ihr Wille wird nur für ehrwürdig gehalten,
insoweit er mit Weisheit das Recht, die Gerechtigkeit
und das Wohl des Ganzen will.

So war das Prinzip des Denkens schon so weit versöhnt;
auch hatte die protestantische Welt in ihr das Bewußtsein,
daß in der früher explizierten Versöhnung
das Prinzip zur weiteren Ausbildung des Rechts vorhanden sei.

Das abstrakt gebildete, verständige Bewußtsein
kann die Religion auf der Seite liegenlassen;
aber die Religion ist die allgemeine Form,
in welcher für das nicht abstrakte Bewußtsein die Wahrheit ist.

Die protestantische Religion nun läßt nicht zweierlei Gewissen zu;
aber in der katholischen Welt steht das Heilige auf der einen Seite
und auf der andern die Abstraktion gegen die Religion,
d.h. gegen ihren Aberglauben und ihre Wahrheit.

Dieser formelle, eigene Wille wird nun zur Grundlage gemacht:
Recht in der Gesellschaft ist, was das Gesetz will,
und der Wille ist als einzelner;
also der Staat, als Aggregat der vielen Einzelnen,
ist nicht eine an und für sich substantielle Einheit
und die Wahrheit des Rechts an und für sich,
welcher sich der Wille der Einzelnen angemessen machen muss,
um wahrhafter, um freier Wille zu sein,
sondern es wird nun ausgegangen von den Willensatomen,
und jeder Wille ist unmittelbar als absoluter vorgestellt.

Hiermit ist also ein Gedankenprinzip für den Staat gefunden worden,
welches nun nicht mehr irgendein Prinzip der Meinung ist,
wie der Sozialitätstrieb, das Bedürfnis der Sicherheit des Eigentums usf.,
noch der Frömmigkeit, wie die göttliche Einsetzung der Obrigkeit,
sondern das Prinzip der Gewißheit,
welche die Identität mit meinem Selbstbewußtsein ist,
noch nicht aber das der Wahrheit, welches wohl davon zu unterscheiden ist.

Dies ist eine ungeheure Entdeckung über das Innerste und die Freiheit.

Das Bewußtsein des Geistigen ist jetzt wesentlich das Fundament,
und die Herrschaft ist dadurch der Philosophie geworden.

Man hat gesagt, die Französische Revolution sei von der Philosophie ausgegangen,
und nicht ohne Grund hat man die ((527)) Philosophie Weltweisheit genannt,
denn sie ist nicht nur die Wahrheit an und für sich, als reine Wesenheit,
sondern auch die Wahrheit, insofern sie in der Weltlichkeit lebendig wird.

Man muss sich also nicht dagegen erklären, wenn gesagt wird,
daß die Revolution von der Philosophie ihre erste Anregung erhalten habe.

Aber diese Philosophie ist nur erst abstraktes Denken,
nicht konkretes Begreifen der absoluten Wahrheit,
was ein unermeßlicher Unterschied ist.

Das Prinzip der Freiheit des Willens also
hat sich gegen das vorhandene Recht geltend gemacht.

Vor der Französischen Revolution
sind zwar schon durch Richelieu die großen unterdrückt
und ihre Privilegien aufgehoben worden,
aber wie die Geistlichkeit behielten sie alle ihre Rechte gegen die untere Klasse.

Der ganze Zustand Frankreichs in der damaligen Zeit
ist ein wüstes Aggregat von Privilegien
gegen alle Gedanken und Vernunft überhaupt,
ein unsinniger Zustand, womit zugleich
die höchste Verdorbenheit der Sitten, des Geistes verbunden ist,
- ein Reich des Unrechts, welches
mit dem beginnenden Bewußtsein desselben schamloses Unrecht wird.

Der fürchterlich harte Druck, der auf dem Volke lastete,
die Verlegenheit der Regierung,
dem Hofe die Mittel zur Üppigkeit und zur Verschwendung herbeizutreiben,
gaben den ersten Anlaß zur Unzufriedenheit.

Der neue Geist wurde tätig; der Druck trieb zur Untersuchung.

Man sah, daß die dem Schweiße des Volkes abgepreßten Summen
nicht für den Staatszweck verwendet,
sondern aufs unsinnigste verschwendet wurden.

Das ganze System des Staats erschien als eine Ungerechtigkeit.

Die Veränderung war notwendig gewaltsam,
weil die Umgestaltung nicht von der Regierung vorgenommen wurde.

Von der Regierung aber wurde sie nicht vorgenommen,
weil der Hof, die Klerisei, der Adel, die Parlamente
selbst ihren Besitz der Privilegien weder um der Not
noch um des an und für sich seienden Rechts willen aufgeben wollten,
weil die Regierung ferner, als konkreter Mittelpunkt der Staatsmacht,
nicht die abstrakten Einzelwillen zum Prinzip nehmen
und von diesen ((528)) aus den Staat rekonstruieren konnte,
und endlich weil sie eine katholische war,
also der Begriff der Freiheit, der Vernunft der Gesetze,
nicht als letzte absolute Verbindlichkeit galt,
da das Heilige und das religiöse Gewissen davon getrennt sind.

Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich mit einem Male geltend,
und dagegen konnte das alte Gerüst des Unrechts keinen Widerstand leisten.

Im Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung errichtet worden,
und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basiert sein.

Solange die Sonne am Firmamente steht und die Planeten um sie herumkreisen,
war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf,
d.i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem erbaut.

Anaxagoras hatte zuerst gesagt, daß der “nous” die Welt regiert;
nun aber erst ist der Mensch dazu gekommen, zu erkennen,
daß der Gedanke die geistige Wirklichkeit regieren solle.

Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang.

Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert.

Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht,
ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert,
als sei es zur wirklichen Versöhnung
des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen.

Folgende zwei Momente müssen uns nunmehr beschäftigen:

  1. der Gang der Revolution in Frankreich,

  2. wie dieselbe auch welthistorisch geworden ist.

  3. Die Freiheit hat eine doppelte Bestimmung an sich:
    die eine betrifft den Inhalt der Freiheit, die Objektivität derselben

Danach sind die drei Elemente und Mächte des lebendigen Staats zu betrachten,
wobei wir das Detail den Vorlesungen über die Rechtsphilosophie überlassen.
a) Die Gesetze der Vernünftigkeit, des Rechts an sich,
die objektive oder die reelle Freiheit:
hierher gehört Freiheit des Eigentums und Freiheit der Person.

Alle Unfreiheit aus ((529)) dem Lehnsverband hört hiermit auf,
alle jene aus dem Feudalrecht hergekommenen Bestimmungen,
die Zehnten und Zinsen fallen hiermit weg.

Zur reellen Freiheit gehört ferner die Freiheit der Gewerbe,
daß dem Menschen erlaubt sei, seine Kräfte zu gebrauchen, wie er wolle,
und der freie Zutritt zu allen Staatsämtern.

Dieses sind die Momente der reellen Freiheit,
welche nicht auf dem Gefühl beruhen,
denn das Gefühl läßt auch Leibeigenschaft und Sklaverei bestehen,
sondern auf dem Gedanken und Selbstbewußtsein des Menschen
von seinem geistigen Wesen.
b) Die verwirklichende Tätigkeit der Gesetze ist aber die Regierung überhaupt.

Die Regierung ist zuerst
formelle Ausübung der Gesetze und Aufrechthaltung derselben;
nach außen hin verfolgt sie den Staatszweck,
welcher die Selbständigkeit der Nation
als einer Individualität gegen andere ist;
endlich nach innen hat sie das Wohl des Staates
und aller seiner Klassen zu besorgen und ist Verwaltung;
denn es ist nicht bloß darum zu tun,
daß der Bürger ein Gewerbe treiben könne,
er muss auch einen Gewinn davon haben;
es ist nicht genug, daß der Mensch seine Kräfte gebrauchen könne,
er muss auch die Gelegenheit finden, sie anzuwenden.

Im Staate ist also ein Allgemeines und eine Betätigung desselben.

Die Betätigung kommt einem subjektiven Willen zu,
einem Willen, der beschließt und entscheidet.

Schon das Machen der Gesetze
- diese Bestimmungen zu finden und positiv aufzustellen -
ist eine Betätigung.

Das Weitere ist dann das Beschließen und Ausführen.

Hier tritt nun die Frage ein:
welches soll der Wille sein, der da entscheidet?

Dem Monarchen kommt die letzte Entscheidung zu;
ist aber der Staat auf Freiheit gegründet,
so wollen die vielen Willen der Individuen
auch Anteil an den Beschlüssen haben.

Die Vielen sind aber Alle,
und es scheint ein leeres Auskunftsmittel und eine ungeheure Inkonsequenz,
nur Wenige am Beschließen teilnehmen zu lassen,
da doch jeder mit seinem Willen bei dem dabei sein will,
was ihm Gesetz sein soll.

Die Wenigen sollen die Vielen vertreten, aber oft zertreten sie sie nur.

Nicht ((530)) minder ist die Herrschaft der Majorität über die Minorität
eine große Inkonsequenz.
c) Diese Kollision der subjektiven Willen
führt dann noch auf ein drittes Moment,
auf das Moment der Gesinnung, welche das innere Wollen der Gesetze ist,
nicht nur Sitte, sondern die Gesinnung,
daß die Gesetze und die Verfassung überhaupt das Feste seien
und daß es die höchste Pflicht der Individuen sei,
ihre besonderen Willen ihnen zu unterwerfen.

Es können vielerlei Meinungen und Ansichten
über Gesetze, Verfassung, Regierung sein,
aber die Gesinnung muss die sein,
daß alle diese Meinungen
gegen das Substantielle des Staats untergeordnet und aufzugeben sind;
sie muss ferner die sein,
daß es gegen die Gesinnung des Staats nichts Höheres und Heiligeres gebe
oder daß, wenn zwar die Religion höher und heiliger,
in ihr doch nichts enthalten sei, was von der Staatsverfassung verschieden
oder ihr entgegengesetzt wäre.

Zwar gilt es für eine Grundweisheit,
Staatsgesetze und Verfassung ganz von der Religion zu trennen,
indem man Bigotterie und Heuchelei von einer Staatsreligion befürchtet;
aber wenn Religion und Staat auch dem Inhalt nach verschieden sind,
so sind sie doch in der Wurzel eins,
und die Gesetze haben ihre höchste Bewährung in der Religion.

Hier muss nun schlechthin ausgesprochen werden,
daß mit der katholischen Religion
keine vernünftige Verfassung möglich ist;
denn Regierung und Volk müssen gegenseitig
diese letzte Garantie der Gesinnung haben
und können sie nur haben in einer Religion,
die der vernünftigen Staatsverfassung nicht entgegengesetzt ist.

Platon in seiner Republik setzt alles auf die Regierung
und macht die Gesinnung zum Prinzip,
weshalb er denn das Hauptgewicht auf die Erziehung legt.

Ganz dem entgegengesetzt ist die moderne Theorie,
welche alles dem individuellen Willen anheimstellt.

Dabei ist aber keine Garantie,
daß dieser Wille auch die rechte Gesinnung habe,
bei der der Staat bestehen kann.

Nach diesen Hauptbestimmungen haben wir nun
den Gang ((531)) der Französischen Revolution
und die Umbildung des Staates aus dem Begriffe des Rechts heraus zu verfolgen.

Es wurden zunächst nur die ganz abstrakt philosophischen Grundsätze aufgestellt,
auf Gesinnung und Religion wurde gar nicht gerechnet.

Die erste Verfassung in Frankreich
war die Konstituierung des Königtums:
an der Spitze des Staates sollte der Monarch stehen,
dem mit seinen Ministern die Ausübung zukommen sollte;
der gesetzgebende Körper hingegen sollte die Gesetze machen.

Aber diese Verfassung war sogleich ein innerer Widerspruch;
denn die ganze Macht der Administration
ward in die gesetzgebende Gewalt gelegt:
das Budget, Krieg und Frieden, die Aushebung der bewaffneten Macht
kam der gesetzgebenden Kammer zu.

Unter Gesetz wurde alles befaßt.

Das Budget aber ist seinem Begriffe nach kein Gesetz,
denn es wiederholt sich alle Jahre,
und die Gewalt, die es zu machen hat, ist Regierungsgewalt.

Damit hängt weiter zusammen
die indirekte Ernennung der Minister und der Beamten usf.

Die Regierung wurde also in die Kammern verlegt, wie in England ins Parlament.

Ferner war diese Verfassung mit dem absoluten Mißtrauen behaftet:
die Dynastie war verdächtig, weil sie die vorhergehende Macht verloren,
und die Priester verweigerten den Eid.

Regierung und Verfassung konnten so nicht bestehen und wurden gestürzt.

Aber eine Regierung ist immer vorhanden.

Die Frage ist daher: wo kam sie hin?

Sie ging an das Volk, der Theorie nach,
aber der Sache nach an den Nationalkonvent und dessen Komitees.

Es herrschen nun die abstrakten Prinzipien der Freiheit
und - wie sie im subjektiven Willen ist - der Tugend.

Die Tugend hat jetzt zu regieren gegen die Vielen,
welche mit ihrer Verdorbenheit und mit ihren alten Interessen
oder auch durch die Exzesse der Freiheit und Leidenschaften
der Tugend ungetreu sind.

Die Tugend ist hier ein einfaches Prinzip
und unterscheidet nur solche, die in der Gesinnung sind,
und solche, die es nicht sind.

Die Gesinnung aber kann nur von der Gesinnung erkannt und beurteilt werden.

Es herrscht somit der Verdacht; ((532))
die Tugend aber, sobald sie verdächtig wird, ist schon verurteilt.

Der Verdacht erhielt eine fürchterliche Gewalt
und brachte den Monarchen aufs Schaffot,
dessen subjektiver Wille eben das katholisch religiöse Gewissen war.

Von Robespierre wurde das Prinzip der Tugend als das Höchste aufgestellt,
und man kann sagen, es sei diesem Menschen mit der Tugend Ernst gewesen.

Es herrschen jetzt die Tugend und der Schrecken;
denn die subjektive Tugend, die bloß von der Gesinnung aus regiert,
bringt die fürchterlichste Tyrannei mit sich.

Sie übt ihre Macht ohne gerichtliche Formen,
und ihre Strafe ist ebenso nur einfach - der Tod.

Diese Tyrannei musste zugrunde gehen;
denn alle Neigungen, alle Interessen, die Vernünftigkeit selbst
war gegen diese fürchterliche konsequente Freiheit,
die in ihrer Konzentration so fanatisch auftrat.

Es tritt wieder eine organisierte Regierung ein,
wie die frühere, nur ist der Chef und Monarch jetzt
ein veränderliches Direktorium von Fünf,
welche wohl eine moralische, aber nicht individuelle Einheit bilden.

Der Verdacht herrschte auch unter ihnen,
die Regierung war in den gesetzgebenden Versammlungen;
sie hatte daher dasselbe Schicksal des Untergangs,
denn es hatte sich das absolute Bedürfnis einer Regierungsgewalt dargetan.

Napoleon richtete sie als Militärgewalt auf
und stellte sich dann wieder als ein individueller Wille
an die Spitze des Staates;
er wußte zu herrschen und wurde im Innern bald fertig.

Was von Advokaten, Ideologen und Prinzipienmännern noch da war,
jagte er auseinander,
und es herrschte nun nicht mehr Mißtrauen, sondern Respekt und Furcht.

Mit der ungeheuren Macht seines Charakters
hat er sich dann nach außen gewendet, ganz Europa unterworfen
und seine liberalen Einrichtungen überall verbreitet.

Keine größeren Siege sind je gesiegt, >
keine genievolleren Züge je ausgeführt worden;
aber auch nie ist die Ohnmacht des Sieges
in einem helleren Lichte erschienen als damals.

Die Gesinnung der Völker, d.h. ihre religiöse und die ihrer Nationalität,
hat endlich diesen Koloß gestürzt,
und in Frankreich ist wiederum eine ((533)) konstitutionelle Monarchie,
mit der Charte zu ihrer Grundlage, errichtet worden.

Hier erschien aber wieder der Gegensatz der Gesinnung und des Mißtrauens.

Die Franzosen waren in der Lüge gegeneinander,
wenn sie Adressen voll Ergebenheit und Liebe zur Monarchie,
voll des Segens derselben erließen.

Es wurde eine fünfzehnjährige Farce gespielt.

Wenn nämlich auch die Charte das allgemeine Panier war
und beide Teile sie beschworen hatten,
so war doch die Gesinnung auf der einen Seite eine katholische,
welche es sich zur Gewissenssache machte,
die vorhandenen Institutionen zu vernichten.

Es ist so wieder ein Bruch geschehen, und die Regierung ist gestürzt worden.

Endlich nach vierzig Jahren von Kriegen und unermeßlicher Verwirrung
könnte ein altes Herz sich freuen,
ein Ende derselben und eine Befriedigung eintreten zu sehen.

Allein, wenn auch jetzt ein Hauptpunkt ausgeglichen worden,
so bleibt einerseits immer noch dieser Bruch
von seiten des katholischen Prinzips, andererseits der der subjektiven Willen.

In der letzteren Beziehung besteht die Haupteinseitigkeit noch,
daß der allgemeine Wille auch der empirisch allgemeine sein soll,
d.h. daß die Einzelnen als solche regieren
oder am Regimente teilnehmen sollen.

Nicht zufrieden, daß vernünftige Rechte,
Freiheit der Person und des Eigentums gelten,
daß eine Organisation des Staates
und in ihr Kreise des bürgerlichen Lebens sind,
welche selbst Geschäfte auszuführen haben,
daß die Verständigen Einfluß haben im Volke
und Zutrauen in demselben herrscht,
setzt der Liberalismus allem diesen das Prinzip der Atome,
der Einzelwillen entgegen:
alles soll durch ihre ausdrückliche Macht
und ausdrückliche Einwilligung geschehen.

Mit diesem Formellen der Freiheit, mit dieser Abstraktion
lassen sie nichts Festes von Organisation aufkommen.

Den besonderen Verfügungen der Regierung
stellt sich sogleich die Freiheit entgegen,
denn sie sind besonderer Wille, also Willkür.

Der Wille der Vielen stürzt das Ministerium,
und die bisherige Opposition tritt nunmehr ein;
aber diese, insofern sie jetzt Regierung ist,
hat wieder ((534)) die Vielen gegen sich.

So geht die Bewegung und Unruhe fort.

Diese Kollision, dieser Knoten, dieses Problem ist es,
an dem die Geschichte steht und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat.



[Liberalismus]

  1. Wir haben jetzt die Französische Revolution als welthistorische zu betrachten,
    denn dem Gehalt nach ist diese Begebenheit welthistorisch,
    und der Kampf des Formalismus muss davon wohl unterschieden werden.

Was die äußere Ausbreitung betrifft,
so sind fast alle modernen Staaten durch Eroberung demselben Prinzip geöffnet
oder dieses ausdrücklich darin eingeführt worden;
namentlich hat der Liberalismus alle romanischen Nationen,
nämlich die römisch-katholische Welt, Frankreich, Italien, Spanien, beherrscht.

Aber allenthalben hat er bankrott gemacht,
zuerst die große Firma desselben in Frankreich, dann in Spanien, in Italien;
und zwar zweimal in den Staaten, wo er eingeführt worden.

Er war in Spanien einmal durch die Napoleonische Konstitution,
dann durch die Verfassung der Cortes,
in Piemont einmal, als es dem französischen Reich einverleibt war,
dann durch eigene Insurrektion, so in Rom, in Neapel zweimal.

Die Abstraktion des Liberalismus hat so von Frankreich aus
die romanische Welt durchlaufen,
aber diese blieb durch religiöse Knechtschaft
an politische Unfreiheit angeschmiedet.

Denn es ist ein falsches Prinzip, daß die Fesseln des Rechts und der Freiheit
ohne die Befreiung des Gewissens abgestreift werden,
daß eine Revolution ohne Reformation sein könne.

Venedig, Genua, diese alten Aristokratien,
die wenigstens gewiß legitim waren,
sind als morsche Despotismen verschwunden.

Äußere Übermacht vermag nichts auf die Dauer:
Napoleon hat Spanien sowenig zur Freiheit
als Philipp II. Holland zur Knechtschaft zwingen können.

Diesen romanischen stehen die anderen
und besonders die protestantischen Nationen gegenüber.

Österreich und England ((535))
sind aus dem Kreise der inneren Bewegung herausgeblieben
und haben große, ungeheure Beweise ihrer Festigkeit in sich gegeben.

Österreich ist nicht ein Königtum, sondern ein Kaisertum,
d.h. ein Aggregat von vielen Staatsorganisationen.

Die hauptsächlichsten seiner Länder sind nicht germanischer Natur
und unberührt von den Ideen geblieben.

Weder durch Bildung noch durch Religion gehoben,
sind teils die Untertanen in der Leibeigenschaft
und die großen deprimiert geblieben, wie in Böhmen,
teils hat sich, bei demselben Zustand der Untertanen,
die Freiheit der Barone für ihre Gewaltherrschaft behauptet, wie in Ungarn.

Österreich hat die engere Verbindung mit Deutschland
durch die kaiserliche Würde aufgegeben
und sich der vielen Besitzungen und Rechte in Deutschland
und in den Niederlanden entschlagen.

Es ist nun in Europa als eine politische Macht für sich.

England hat sich ebenso mit großen Anstrengungen
auf seinen alten Grundlagen erhalten;
die englische Verfassung hat sich bei der allgemeinen Erschütterung behauptet,
obwohl diese ihr um so näher lag, als in ihr selbst schon,
durch das öffentliche Parlament,
durch die Gewohnheit öffentlicher Versammlungen von allen Ständen,
durch die freie Presse die Möglichkeit leicht war,
den französischen Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit
bei allen Klassen des Volkes Eingang zu verschaffen.

Ist die englische Nation in ihrer Bildung zu stumpf gewesen,
um diese allgemeinen Grundsätze zu fassen?

Aber in keinem Lande hat mehr Reflexion und öffentliches Besprechen
über Freiheit stattgefunden.

Oder ist die englische Verfassung
so ganz eine Verfassung der Freiheit schon gewesen,
waren jene Grundsätze in ihr schon realisiert,
daß sie keinen Widerstand, ja selbst kein Interesse mehr erregen konnten?

Die englische Nation hat der Befreiung Frankreichs wohl Beifall gegeben,
war aber ihrer eigenen Verfassung und ihrer Freiheit mit Stolz gewiß,
und statt das Fremde nachzuahmen,
hat sie die eingewohnte feindselige Haltung dagegen behauptet
und ist bald in einen populären Krieg mit Frankreich verwickelt worden.

((536)) Englands Verfassung ist aus lauter partikulären Rechten
und besonderen Privilegien zusammengesetzt:
die Regierung ist wesentlich verwaltend,
d.i. das Interesse aller besonderen Stände und Klassen wahrnehmend;
und diese besondere Kirche, Gemeinden, Grafschaften, Gesellschaften
sorgen für sich selbst, so daß die Regierung eigentlich
nirgend weniger zu tun hat als in England.

Dies ist hauptsächlich das, was die Engländer ihre Freiheit nennen,
und das Gegenteil der Zentralisation der Verwaltung,
wie sie in Frankreich ist, wo bis auf das kleinste Dorf herunter
der Maire vom Ministerium oder dessen Unterbeamten ernannt wird.

Nirgend weniger als in Frankreich kann man es ertragen,
andere etwas tun zu lassen:
das Ministerium vereinigt dort alle Verwaltungsgewalt in sich,
welche wieder die Deputiertenkammer in Anspruch nimmt.

In England dagegen hat jede Gemeinde,
jeder untergeordnete Kreis und Assoziation das Ihrige zu tun.

Das allgemeine Interesse ist auf diese Weise konkret,
und das partikuläre wird darin gewußt und gewollt.

Diese Einrichtungen des partikulären Interesses
lassen durchaus kein allgemeines System zu.

Daher auch abstrakte und allgemeine Prinzipien
den Engländern nichts sagen und ihnen leer in den Ohren liegen.

Sie sind, mit der höchsten Inkonsequenz, zugleich das höchste Unrecht,
und von Institutionen der reellen Freiheit
ist nirgends weniger als gerade in England.

Im Privatrecht, in Freiheit des Eigentums
sind sie auf unglaubliche Weise zurück;
man denke nur an die Majorate, wobei den jüngeren Söhnen
Offiziers- oder geistliche Stellen gekauft und verschafft werden.

Das Parlament regiert, wenn es auch die Engländer nicht dafür ansehen wollen.

Nun ist zu bemerken, daß, was man zu allen Zeiten
für die Periode der Verdorbenheit eines republikanischen Volks gehalten hat,
hier der Fall ist, nämlich, daß die Wahlen ins Parlament
durch Bestechung erlangt ((537)) werden.

Aber auch dies heißt Freiheit bei ihnen,
daß man seine Stimme verkaufen
und daß man einen Sitz im Parlament sich kaufen könne.

Und die Nation hat den richtigen Sinn und Verstand, zu erkennen,
daß eine Regierung sein müsse,
und deshalb einem Verein von Männern ihr Zutrauen zu geben,
die im Regieren erfahren sind;
denn der Sinn der Partikularität
erkennt auch die allgemeine Partikularität der Kenntnis,
der Erfahrung, der Geübtheit an,
welche die Aristokratie, die sich ausschließlich solchem Interesse widmet,
besitzt.

Dies ist dem Sinne der Prinzipien und der Abstraktion ganz entgegengesetzt,
welche jeder sogleich in Besitz nehmen kann
und die ohnehin in allen Konstitutionen und Charten stehen.

Englands materielle Existenz ist auf den Handel und die Industrie begründet,
und die Engländer haben die große Bestimmung übernommen,
die Missionarien der Zivilisation in der ganzen Welt zu sein;
denn ihr Handelsgeist treibt sie, alle Meere und alle Länder zu durchsuchen,
Verbindungen mit den barbarischen Völkern anzuknüpfen,
in ihnen Bedürfnisse und Industrie zu erwecken
und vor allem die Bedingungen des Verkehrs bei ihnen herzustellen,
nämlich das Aufgeben von Gewalttätigkeiten,
den Respekt vor dem Eigentum und die Gastfreundschaft.

Deutschland wurde von den siegreichen französischen Heeren durchzogen,
aber die deutsche Nationalität schüttelte diesen Druck ab.

Ein Hauptmoment in Deutschland sind die ((538)) Gesetze des Rechts,
welche allerdings durch die französische Unterdrückung veranlaßt wurden,
indem die Mängel früherer Einrichtungen dadurch besonders ans Licht kamen.

Die Lüge eines Reichs ist vollends verschwunden.

Es ist in souveräne Staaten auseinandergefallen.

Die Lehnsverbindlichkeiten sind aufgehoben,
die Prinzipien der Freiheit des Eigentums und der Person
sind zu Grundprinzipien gemacht worden.

Jeder Bürger hat Zutritt zu Staatsämtern,
doch ist Geschicklichkeit und Brauchbarkeit notwendige Bedingung.

Die Regierung ruht in der Beamtenwelt,
und die persönliche Entscheidung des Monarchen steht an der Spitze,
denn eine letzte Entscheidung ist, wie früher bemerkt worden,
schlechthin notwendig.

Doch bei feststehenden Gesetzen und bestimmter Organisation des Staats
ist das, was der alleinigen Entscheidung des Monarchen anheimgestellt worden,
in Ansehung des Substantiellen für wenig zu achten.

Allerdings ist es für ein großes Glück zu halten,
wenn einem Volk ein edler Monarch zugeteilt ist;
doch auch das hat in einem großen Staat weniger auf sich,
denn dieser hat die Stärke in seiner Vernunft.

Kleine Staaten sind in ihrer Existenz und Ruhe
mehr oder weniger durch die anderen garantiert;
sie sind deshalb keine wahrhaft selbständigen Staaten
und haben nicht die Feuerprobe des Kriegs zu bestehen.

Es sollen die Wissenden regieren, “oi aridtoi,”
nicht die Ignoranz und die Eitelkeit des Besserwissens.

Es gibt kein heiliges, kein religiöses Gewissen,
das vom weltlichen Recht getrennt oder ihm gar entgegengesetzt wäre.

Bis hierher ist das Bewußtsein gekommen,
und dies sind die Hauptmomente der Form,
in welcher das Prinzip der Freiheit sich verwirklicht hat,
denn die Weltgeschichte ist nichts ((539))
als die Entwicklung des Begriffes der Freiheit.

Die objektive Freiheit aber, die Gesetze der reellen Freiheit
fordern die Unterwerfung des zufälligen Willens,
denn dieser ist überhaupt formell.

Wenn das Objektive an sich vernünftig ist,
so muss die Einsicht dieser Vernunft entsprechend sein,
und dann ist auch das wesentliche Moment der subjektiven Freiheit vorhanden.

Wir haben diesen Fortgang des Begriffs allein betrachtet
und haben dem Reize entsagen müssen,
das Glück, die Perioden der Blüte der Völker,
die Schönheit und größe der Individuen,
das Interesse ihres Schicksals in Leid und Freud näher zu schildern.

Die Philosophie hat es nur mit dem Glanze der Idee zu tun,
die sich in der Weltgeschichte spiegelt.

Aus dem Überdruß an den Bewegungen
der unmittelbaren Leidenschaften in der Wirklichkeit
macht sich die Philosophie zur Betrachtung heraus;
ihr Interesse ist,
den Entwicklungsgang der sich verwirklichenden Idee zu erkennen,
und zwar der Idee der Freiheit, welche nur ist als Bewußtsein der Freiheit.

Daß die Weltgeschichte dieser Entwicklungsgang
und das wirkliche Werden des Geistes ist,
unter dem wechselnden Schauspiele ihrer Geschichten
- dies ist die wahrhafte Theodizee,
die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte.

Nur die Einsicht kann den Geist
mit der Weltgeschichte und der Wirklichkeit versöhnen,
daß das, was geschehen ist und alle Tage geschieht,
nicht nur nicht ohne Gott,
sondern wesentlich das Werk seiner selbst ist. ((540))