(1802-73; Schüler und Freund Hegels; Professor der Ästhetik)


Es war noch im Beginn meiner Studienjahre,
als ich eines Morgens, um mich ihm vorzustellen,
scheu und doch zutrauungsvoll zum erstenmale in Hegels Zimmer trat.

Er saß vor einem breiten Schreibtische,
und wühlte soeben ungeduldig in unordentlich übereinandergeschichteten,
durcheinander geworfenen Büchern und Papieren.

Die früh gealterte Figur war gebeugt,
doch von ursprünglicher Ausdauer und Kraft;
nachlässig bequem fiel ein gelbgrauer Schlafrock
von den Schultern über den eingezogenen Leib bis zur Erde herab;
weder von imponierender Hoheit noch von fesselnder Anmut
zeigte sich eine äußerliche Spur,
ein Zug altbürgerlich ehrbarer Gradheit war das Nächste,
was sich im ganzen Behaben bemerkbar machte.

Den ersten Eindruck des Gesichts werd’ ich niemals vergessen.

Fahl und schlaff hingen alle Züge wie erstorben nieder,
keine zerstörende Leidenschaft,
aber die ganze Vergangenheit eines Tag und Nacht
verschwiegen fortarbeitenden Denkens spiegelte sich in ihnen wieder;
die Qual des Zweifels, die Gährung beschwichtigungsloser Gedankenstürme
schien dieses vierzigjährige Sinnen, Suchen und Finden
nicht gepeinigt und umhergeworfen zu haben;
nur der rastlose Drang, den frühen Keim glücklich entdeckter Wahrheit
immer reicher und tiefer, immer strenger und unabweisbarer zu entfalten,
hatte die Stirn, die Wangen, den Mund gefurcht.

Schlummerte diese Einsicht, so schienen die Züge alt und welk,
trat sie erwacht heraus, so musste sie jenen vollen Ernst
,,um eine in sich große und nur durch die schwere Arbeit
vollendeter Entwicklung sich genügende Sache aussprechen,
der sich lange in stiller Beschäftigung in dieselbe versenkt."

Wie würdig war das ganze Haupt, wie edel die Nase,
die hohe, wenn auch in etwas zurückgebogene Stirn,
das ruhige Kinn gebildet;
der Adel der Treue und gründlichen Rechtlichkeit im größten wie im Kleinsten,
des klaren Bewußtseins mit besten Kräften
nur in der Wahrheit eine letzte Befriedigung gesucht zu haben,
war allen Formen aufs individuellste sprechend eingeprägt.

Ich hatte ein wissenschaftlich herumtastendes oder anfeuerndes Gespräch erwartet,
und verwunderte mich höchlich, gerade das Entgegengesetzte zu vernehmen.

Von einer Reise nach den Niederlanden soeben erst zurückgekehrt,
wußte der seltene Mann nur von der Reinlichkeit der Städte,
der Anmut und künstlichen Fruchtbarkeit des Landes,
von den grünen weitgestreckten Wiesen,
den Herden, Kanälen, turmartigen Mühlen und bequemen Chausseen,
von den Kunstschätzen und der steifbehaglichen Lebensweise einen breiten Bericht zu erstatten,
so daß ich mich nach Verlauf einer halben Stunde schon
in Holland wie bei ihm selber ganz heimisch fühlte.

Als ich ihn aber nach wenigen Tagen auf dem Lehrstuhle wiedersah,
konnt’ ich mich zunächst weder in die Art des äußeren Vortrags,
noch der inneren Gedankenfolge hineinfinden.

Abgespannt, grämlich saß er mit niedergebücktem Kopf in sich zusammengefallen da,
und blätterte und suchte immer fortsprechend in den langen Folioheften vorwärts und rückwärts, unten und oben;
das stete Räuspern und Husten störte allen Fluss der Rede,
jeder Satz stand vereinzelt da,
und kam mit Anstrengung zerstückt und durcheinandergeworfen heraus;
jedes Wort, jede Silbe loste sich nur widerwillig los,
um von der metalleeren Stimme dann in schwäbisch breitem Dialekt,
als sei jedes das Wichtigste, einen wundersam gründlichen Nachdruck zu erhalten.

Dennoch zwang die ganze Erscheinung zu einem so tiefen Respekt,
zu solch einer Empfindung der Würdigkeit,
und zog durch eine Naivität des überwältigendsten Ernstes an,
daß ich mich bei aller Mißbehaglichkeit, obschon ich wenig
genug von dem Gesagten mochte verstanden haben, unabtrennbar gefesselt fand.

Kaum war ich jedoch durch Eifer und Konsequenz
in kurzer Zeit an diese Außenseite des Vortrags gewohnt,
als mir die innern Vorzüge desselben immer heller in die Augen sprangen,
und sich mit jenen Mängeln zu einem Ganzen verwebten,
welches in sich selber allein den Maßstab seiner Vollendung trug.

Eine glatt einströmende Beredsamkeit
setzt das in- und auswendige Fertigsein mit ihrem Gegenstande voraus,
und die formelle Geschicklichkeit
vermag im Halben und Platten am anmutigsten geschwätzig fortzugleiten.

Jener aber hatte die mächtigsten Gedanken aus dem untersten Grunde der Dinge heraufzufördern,
und sollten sie lebendig einwirken, so mussten sie sich,
wenn auch jahrelang zuvor und immer von neuem durchsonnen und verarbeitet,
in stets lebendiger Gegenwart in ihm selber wieder erzeugen.

Eine anschaulichere Plastik dieser Schwierigkeit und harten Mühe
lal3t sich in anderer Weise, als dieser Vortrag sie gab, nicht ersinnen.

Wie die ältesten Propheten, je drangvoller sie mit der Sprache ringen,
nur um so kerniger was in ihnen selber ringt bewältigend
halb und halb überwunden hervorarbeiten,
kämpfte und siegte auch er in schwerfälliger Gedrungenheit.

Ganz nur in die Sache versenkt, schien er dieselbe nur aus ihr, ihrer selbst willen
und kaum aus eigenem Geist der Hörer wegen zu entwickeln,
und doch entsprang sie aus ihm allein,
und eine fast väterliche Sorge um Klarheit milderte den starren Ernst,
der vor der Aufnahme so mühseliger Gedanken hatte zurückschrecken Können.

Stockend schon begann er, strebte weiter, fing noch einmal an, hielt wieder ein,
sprach und sann, das treffende Wort schien für immer zu fehlen,
und nun erst schlug es am sichersten ein,
es schien gewöhnlich, und war doch unnachahmlich passend,
ungebräuchlich und dennoch das einzig rechte;
das Eigentlichste schien immer erst folgen zu sollen,
und doch war es schon unvermerkt so vollständig als möglich ausgesprochen.

Nun hatte man die klare Bedeutung eines Satzes gefaßt,
und hoffte sehnlichst weiterzuschreiten.

Vergebens.

Der Gedanke, statt vorwärts zu rucken,
drehte sich mit den ähnlichen Worten stets wieder um denselben Punkt.

Schweifte jedoch die erlahmte Aufmerksamkeit zerstreuend ab,
und kehrte nach Minuten erst plötzlich aufgeschreckt zu dem Vortrage zurück,
so fand sie zur Strafe sich aus allem Zusammenhange herausgerissen.

Denn leise und bedachtsam durch scheinbar bedeutungslose Mittelglieder fortleitend
hatte sich irgendein voller Gedanke zur Einseitigkeit beschrankt,
zu Unterschieden auseinandergetrieben, und in Widersprüche verwickelt,
deren siegreiche Losung erst das Widerstrebendste endlich
zur Wiedervereinigung zu bezwingen kräftig war.

Und so das Frühere sorglich immer wieder aufnehmend,
um vertiefter umgestaltet daraus das Spätere entzweiender
und doch stets versöhnungsreicher zu entwickeln,
schlang sich und drängte und rang der wunderbarste Gedankenstrom
bald vereinzelnd, bald weit zusammenfassend, stellenweise zögernd,
ruckweise fortreißend, unaufhaltsam vorwärts.

Doch wer auch mit vollem Geist und Verständnis ohne rechts noch links zu blicken
nachfolgen konnte, sah sich in die seltsamste Spannung und Angst versetzt.

Zu welchen Abgründen ward das Denken hinabgeführt,
zu welch unendlichen Gegensätzen auseinandergerissen,
immer wieder dünkte alles bereits Gewonnene verloren,
und jede Anstrengung umsonst,
denn auch die höchste Macht der Erkenntnis
schien an den Grenzen ihrer Befugnis verstummend stillezustehn genötigt.

Aber in diesen Tiefen des anscheinend Unentzifferbaren gerade
wühlte und webte jener gewaltige Geist in großartig selbstgewisser Behaglichkeit und Ruhe.

Dann erst erhob sich die Stimme, das Auge blitzte scharf über die Versammelten hin
und leuchtete in stillaufloderndem Feuer seines überzeugungstiefen Glanzes,
wahrend er mit nie mangelnden Worten durch alle Hohen und Tiefen der Seele griff.

Was er in diesen Augenblicken aussprach, war so klar und erschöpfend,
von solch einfacher Wahrhaftigkeit, daß jedem, der es zu fassen vermochte,
zu Mute ward, als hatt’ er es selber gefunden und gedacht,
und so gänzlich verschwanden dagegen alle früheren Vorstellungsweisen,
daß keine Erinnerung der träumerischen Tage übrig blieb,
in welchen die gleichen Gedanken noch zu der gleichen Erkenntnis nicht erweckt hatten.

Nur im Faßlichsten wurde er schwerfällig und ermüdend.

Er wandte und drehte sich, in allen Zugen
stand die Mißlaunigkeit geschrieben, mit der er sich mit diesen Dingen herumplagte,
und dennoch, wenn er das tädiöse Geschäft zu Ende gebracht hatte,
lag wieder alles so klar und vollständig vor Augen,
daß auch in dieser Beziehung nur die lebendigste Eigentümlichkeit zu bewundern war.

Dagegen bewegte er sich mit gleicher Meisterschaft in den sinnlichkeitslosesten Abstraktionen
wie in der regsten Fülle der Erscheinungen.

In einem bisher unerreichten Grade vermochte er sich auf jeden,
auch den individuellsten Standpunkt zu versetzen,
und den ganzen Umkreis desselben herauszustellen.

Als sei es seine eigene Welt schien er damit verwachsen,
und erst nachdem das volle Bild entworfen war,
kehrte er die Mangel, die Widersprüche heraus,
durch welche es in sich zusammenbrach
oder zu anderen Stufen und Gestalten hinüberleitete.

In dieser Weise Epochen, Volker, Begebnisse, Individuen zu schildern,
gelang ihm vollkommen;
denn sein tief eindringender Blick ließ ihn überall das Durchgreifende erkennen,
und die Energie seiner ursprünglichen Anschauung
verlor selbst im Alter nicht ihre jugendliche Kraft und Frische.

Bei solchen Schilderungen wurde seine Wortfülle sprudelnd,
mit treffend malenden Eigenschaftswörtern konnt’ er nicht enden,
und doch war jedes notwendig, neu, unerwartet,
und so kernhaft in sich selber beschlossen,
daß sich das Ganze, zu welchem die einzelnen bunt durcheinandergewürfelten Züge
vollständig sich rundeten, um nie wieder entschwinden zu Können,
dem Gedächtnisse einzwang.

Solch ein Bild selbständig umzuändern blieb unmöglich;
in so feste Formen war es ein für allemal ausgegossen.

Und dieser Darstellungsgabe vermochten sich selbst
die eigensten Sonderbarkeiten und Tiefen des Gemüts,
welche in Worte zu fassen vergeblich scheint, nicht zu entziehen.

Unersättlich war er in preisender Anerkennung des lobenswert Tüchtigen und großen,
doch auch in Scharfe und Bitterkeit der stachlichsten Polemik
bewies er die gleiche Gewalt.

Wie freundlich dagegen verklang das Liebliche und Zarte zu den anmutigsten Tönen;
das Starke brauste gewaltig bin, ordnungslos verwob sich das Verworrene,
das Barocke und Lächerliche widerte an und ergötzte,
das Hassenswerte schreckte in dem gleichen Maße zurück,
als das Sittliche und Gute hob und erquickte,
das Schone leuchtete in mildem Glanz,
das Tiefe vertiefte sich in seiner Rede,
und wie das Erhabene über alle Schranken hinausragte,
gebot das Heilige die ewige Scheu der Ehrfurcht.

Und doch bei aller Vollendung ließ es sich schwer entscheiden,
ob er sich mehr der Dinge,
oder die Dinge sich seiner mehr bemeistert hatten.

Denn auch hier blieb das Ringen nicht aus,
und das Gefügige und Fertige selber verleugnete das saure Mühen
trotz aller Erleuchtung des Genius nicht.

Nach wenigen Jahren schon ward mir das Gluck zuteil mich zu dem nächsten Kreise
seiner jüngeren Bekannten und Freunde rechnen zu dürfen.

Was ihn mir auch heute noch vor Allem unentbehrlich machen würde:
er war ein durchweg in sich einklangsvoller Charakter.

Seine Gesinnung stimmte aufs engste mit seiner Philosophie zusammen,
sein innerstes Gemüt blieb mit seinem Denken,
sein eigenstes Wollen unzertrennlich mit dem verschlungen,
was seine wissenschaftliche Überzeugung ihm als das Sittliche und Rechte vorschrieb,
und wenn es unter allen, die je sich der Zucht willkürlichkeitsloser Gedanken unterwarfen,
ihm als dem Ersten gegeben war, in jeder Sphäre der Vergangenheit die Vernunft
eines gottwiderspiegelnden und verwirklichenden Verlaufs zu erkennen,
so verband ihn der gleiche Frieden mit der Welt um ihn her,
indem sie vor ihm nur als das lebensbunte Gegenbild
seines eigensten durch alles hindurchgewobenen Denkens da stand.

Das durfte, das musste er sich selber eingestehen.

Dennoch wie weit ich auch immer umherblicken mochte,
fand ich nirgend die gleiche anspruchslose Bescheidenheit.

Kein Widerspruch reizte ihn,
den gewohnten Tadel der Schwachen wies er lachend zurück,
und nur den Hochmut des Unverstandes,
die alles verkehrende Frechheit halber Einsicht
brachten ihn hin und wieder in Harnisch,
und da er sich nach dem edelsten Bestreben des schwer errungenen Sieges bewußt war,
konnte ihn das vornehm absichtliche Übersehen anerkannter Autoritäten kranken und verletzen.

Denn es war ein Grundzug seines Charakters,
mit der unerschütterlichsten Selbständigkeit die höchste Ehrfurcht gründlich zu vereinigen.

In religiösen Vorstellungen focht er mit scharfen Waffen
für die aufgeklärte Freiheit denkender Überzeugung,
wahrend er doch in dem klaren Begreifen der orthodoxesten Dogmen fast allen voranging;
in der Politik neigte seine maßvoll konstitutionelle Gesinnung
sich zu den Hauptgrundsätzen der englischen Verfassung hin;
korporative Grundlagen hielt er auch bei den allgemeineren Angelegenheiten für unerläßlich,
die Rechte der Erstgeburt für Pairs und Fürsten verteidigte er in jeder Rücksicht,
ja selbst den zufälligen Vorzügen des gesellschaftlichen Ranges,
Standes und Reichtums erwies er einen unwillkürlich zeremoniösen Respekt,
und weil er im ganzen die Meinung hegte,
daß Minister und Beamte von Haus aus die Einsichtigeren waren,
gestattete er mehr nur die Freiheit des Dreinsprechens und Besserwissens
in Kammerverhandlungen und Presse,
als daß er sie als unaufgebbares Bürgerrecht hatte in Anspruch nehmen mögen.

Vorzüglich aber war ihm alles demagogische Aufrühren verhaßt,
und stellte es sich gar mit unklaren Empfindungen und haltlosen Gedanken,
wie jenes wüste deutsche politische Herzensgetreibe,
vernünftigeren Zuständen gegenüber,
so fand es in ihm den erbittertsten Gegner.

Denn die Zufälligkeit des eigenen Gemüts, der subjektiven Meinung,
Willkür und Leidenschaft von Jugend auf zu brechen,
und gegen die gediegene Gesinnung für alles im Leben Feste,
Gesetzgemäße und Substantielle einzutauschen,
war seine durchgängige Forderung,
wenn er auch statt jener stets nur mit halben Erfolgen kämpfenden Moralität
sich außer Goethe am tiefsten zu jener echten Sittlichkeit bekannte,
welche Gemüt, Sinne, Triebe, Wünschen und Wollen
mit dem Notwendigen und Vernünftigen zum freien Einklang
ungestörter Gewohnheit und Sitte vollendet zu vereinigen im Stande ist.

Auf solch eine vollständig hergestellte Einheit des Wahrhaftigen und
sich reich entfalteten Allgemeinen mit dem Subjektiven und Einzelnen
ging sein Denken und Handeln in allen Beziehungen aus.

Da sich jedoch diese Richtung in ihm zu einer Zeit entwickelte,
welche auf entgegengesetzt einseitige Art nur die subjektivste Freiheit des Gewissens,
der Handlungsweise und Überzeugung ausgebildet hatte,
drängte er, mehr freilich seiner Gesinnung als seinem Denken nach,
die unbestreitbaren Rechte moderner Persönlichkeit zurück.

So war er der liebevoll treuste Gatte, der zärtlich besorgteste, wenn auch strenge Vater,
aber er verlangte doch, die Ehe sei der Ehe und nicht der innigsten Seelenliebe wegen einzugehen;
Neigung, Ehrfurcht und Treue werde sich dann schon von selber finden,
und die unauflöslichsten Bande knüpfen.

Bei dieser rechtschaffenen Sinnesart fehlte ihm die Einsicht in die mannigfachen Schwankungen,
Widersprüche und Wunderlichkeiten heutiger Gemüter nicht,
und wie er diese Zwiespalte und Untiefen zu schildern verstand,
wul3te er ihnen, wenn sich nur irgend gehaltreichere Bedürfnisse erschütternd hindurchbewegten,
eine dauernde Teilnahme und Schonung zu bewahren.

Denn alles was nur in der Menschenbrust Tiefes arbeiten,
und sie zerreißen mag, blieb seinem eigenen reichen Gemüte niemals fremd.

Wie hatte sonst auch bis zu den letzten Jahren hin
seine Liebe zur Kunst sich immer nur steigern Können.

Auch in ihr blieb er ganz in seinem eigenen Bereiche,
und mit welch universalem Überblick war er alle ihre Gebiete,
Epochen und Werke zu durchdringen befähigt.

Die Poesie zwar erwies sich ihm am zugänglichsten,
doch auch der Baukunst fragte er nicht vergebens ihre Geheimnisse ab,
die Skulptur entzog sich weniger noch seiner Erkenntnis,
der Blick für Malerei war ihm angeboren,
und in der Musik wurden die Meisterwerke aller Art seinem Ohr und Geist immer verständlicher.

Der orientalischen Kunst gab er zuerst ihre rechte Stellung,
und wußte sie, je mehr er in späteren Jahren sich auch in die chinesische,
indische, arabische und persische Anschauungsweise hineinlebte,
treffender stets zu würdigen.

Die griechische Skulptur, Baukunst und Poesie galt ihm als Kunst aller Kunst,
indem er sie als das erreichte wirklichkeitsschönste Ideal bewunderte;
mit dem Mittelalter dagegen, die Architektur ausgenommen,
so lange es dem Altertume sich nachzubilden noch kein Bedürfnis empfand,
vermochte er sich zu keiner Zeit ganz zu befreunden.

Das äußere Gewirr und in sich gezogene Gemüt,
welches unbekümmert die Außengestalt der Barbarei des Zufalls anheimgibt,
das Diabolische und Häßliche, die anschauungswidrigen Drangsale und Martern,
der ganze nicht getilgte Widerspruch des inneren religiös vertieften,
weltlich unausgebildeten Herzens und seiner sichtbaren Erscheinung
blieben ihm dauernd ein Stein des Anstoßes.

Wenn aber ein reicher Gehalt wesentlicher Lebensmächte sich auftat,
oder Liebliches und Zartes naiv hervorlächelte,
fühlte er sich auch diesem Kreise verwandt,
denn die Tiefe des dargestellten Inhalts war überall seine nächste Forderung,
und von dem Reiz innerer oder äußerer Anmut wendete er sich niemals ab.

In Spaß und Heiterkeit fand er sich gleichfalls behaglich,
doch die letzte Tiefe des Humors blieb ihm teilweise verschlossen,
und die neueste Form der Ironie widerstrebte dermaßen seiner eigenen Richtung,
daß es ihm fast an dem Organ gebrach,
auch das Echte in ihr anzuerkennen oder gar zu genießen.

manches Jahr hindurch sein wissenschaftliches Weltgebäude aufgeführt,
doch die Starrheit der Form, durch welche dasselbe beim ersten Blick schon erschreckte,
verbot den Eintritt wie den Beifall der Menge.

Auch das konnt’ er sich nicht verhehlen.

Nun begrüßte er mit Freundlichkeit jeden, der sich ihm zutrauungsvoll näherte.

Wie viele der Kommenden aber musste er nach kurzem Verweilen resultatlos wieder scheiden sehen!

Mit desto vollerer Liebe hielt er an denen fest, welche keine Mühe scheuten,
den Weg seiner eigenen Anstrengung treulich entlangzuwandern,
und erreichten sie wirklich das Ziel,
so gehörten sie seiner immer gleichen Teilnahme fürs Leben an.

Von frühen Jugendtagen an war er mit unermüdlicher Rechtschaffenheit
jeder Art wissenschaftlicher Studien hingegeben;
in späteren Jahren, wie Schiller in halb klösterlicher Beschränkung der Außenwelt entfremdet,
gährte in ihm der Trieb nach ungebundener Regsamkeit;
er trat aus der Stille heraus, nun aber unterwarf das Leben ihn einer harten Schule,
äußere Bedrängnisse engten ihn von allen Seiten ein,
und wie klar ihm auch in jedem Gebiete die Notwendigkeit theoretischer ganzlicher Umgestaltung ward,
so wenig fühlte er doch zu jener Zeit in sich selber die alleinige Macht für diese umfassende Reformation.

Denn er gehörte zu den markigen Naturen,
welche nur langsam wachsend im Mannesalter zuerst ihre volle Tiefe öffnen,
dann aber, was so lange ungesehen sich fortgebildet hatte, in umso reiferer Vollendung entfalten.

Als ich ihn kennenlernte, waren seine Hauptwerke schon verbreitet,
sein Ruhm stand fest, und auch äußerlich befand er sich in glücklichen Verhältnissen.

Diese Behaglichkeit und Ruhe liehen seiner ganzen Erscheinung,
wenn ihn körperliche Leiden nicht verdrießlich oder stumpf gemacht hatten,
die gründlichste Liebenswürdigkeit.

Wie gern begegnete ich ihm auf seinen täglichen Spaziergängen.

Mühsam schien er sich erschlafft vorwärtszubewegen,
und war doch rüstiger und kräftiger als wir Jüngeren;
von keiner Lustfahrt schloß er sich aus,
ja eine zerstreuende Erholung wurde ihm mehr und mehr zum Bedürfnis.

Wer hatte dann in ihm den tiefsten Geist seiner Zeit beim ersten Blick erkennen sollen.

Immer zum Plaudern aufgelegt, suchte er wissenschaftlichen Gesprächen,
obschon er sich ihnen nicht direkt entzog, lieber auszuweichen, als sie anzuknüpfen;
Tagesgeschichten dagegen und Stadtgeschwätz waren ihm oft willkommen,
die politischen Neuigkeiten ließ er nicht unbesprochen,
die Kunst des Augenblicks beschäftigte ihn in ununterbrochener Folge,
und da er sie nur des Vergnügens und Zeitvertreibs wegen auf sich einwirken ließ,
billigte er dann, was er sonst gescholten haben wurde,
verteidigte, was er so häufig schon verworfen hatte,
und fand kein Ende, mich mit meiner richterlichen Strenge und Ernsthaftigkeit auszulachen.

Wie lebendig wurde er in solchen Stunden.

Doch ging man ihm zur Seite, so war nicht vom Flecke zu kommen.

Denn in jedem Augenblicke blieb er stehen, sprach, gestikulierte
oder schlug ein helles herzliches Gelächter auf,
und was er nun auch sagen mochte, selbst wenn es unhaltbar schien und zum Widerspruch reizte,
zuletzt war man ihm dennoch beizustimmen versucht,
so ganz, klar und energisch prägte sich jedes Wort, jede Meinung, jede Gesinnung aus.

Ein gleich erfreulicher Gefährte war er in Konzerten und Theatern;
heiter, zum Beifall geneigt, immer laut und behaglich, scherzhaft,
und wenn es galt, selbst mit dem Mittelmäßigen der guten Gesellschaft wegen gern zufrieden.

Besonders wußten es ihm seine Lieblinge unter Sängerinnen, Schauspielerinnen und Dichtern,
wie es auch kommen mochte, jedesmal recht zu machen.

In Geschäftsbeziehungen dagegen war sein scharfer Verstand
im Abwagen jedes Für und Wider so peinlich genau, so bedenklich und zähe,
daß schnell und rücksichtsloser Entschiedene oft in Verzweiflung gerieten;
doch hatte er es endlich zum Entschluß gebracht, dann blieb seine Festigkeit unbeugsam.

Denn auch in praktischen Dingen fehlte es ihm keineswegs an Blick und Einsicht,
nur die Ausführung fiel ihm zuweilen schwer,
und im Geringfügigen gerade war er am unbehülflichsten.

Abstoßende Persönlichkeiten, die seiner ganzen Richtung entgegenstrebten,
konnt’ er in keiner Weise ertragen,
zumal wenn ihr Mangel an fester Gesinnung
ihn in den geheimsten Tiefen dessen verletzt hatte,
was er als achtenswert schätzte oder als das Heiligste verehrte.

Nur in der heitersten Stimmung konnte man es ihm abgewinnen,
auch mit Solchen näheren Verkehr zu pflegen.

Wenn aber Befreundete sich um ihn her versammelten,
welch eigentümlich liebenswürdige Geselligkeit zeichnete ihn dann vor allen übrigen aus.

Nuancenvoll geschmeidige Formen waren ihm nicht geläufig,
doch eine bürgerliche zeremoniös bequeme Zuvorkommenheit
vereinigte sich so glücklich mit tüchtigen Späßen, wo sie am rechten Orte waren,
mit Ernst, wo er hingehörte,
und mit dem überall gleichmäßigen Wohlwollen,
daß sich jedem, der ihn umgab, dieselbe Stimmung unwillkürlich mitteilte.

Die Gesellschaft der Frauen war ihm stets genehm,
und kannte er sie naher und sagten sie ihm zu,
so blieben die Schönsten einer Verehrung gewiß,
welche in der behaglichen Sicherheit des nahenden Alters
die Frische der Jugend wunschlos und scherzhaft bewahrt hatte.

Je abgeschlossener ihm die früheren arbeitsvollen Jahre dahingeschwunden waren,
desto lieber suchte er in den späteren gesellige Kreise auf,
und als bedürfte die eigene Tiefe zu der nötigen Ausgleichung fremder Flachheit und Trivialität,
wurden ihm zeitenweise Leute gewöhnlichsten Schlages erfreulich und angenehm,
ja er konnte für sie sogar eine seltene Art gutmütiger Vorliebe fassen.

Mit welch ungewollt schicklicher Würde dagegen in gleichsam ehrlichem Ernst,
fern von jeder Ostentation [Pralerei] erschien er,
wenn bei feierlichen Gelegenheiten sein Auftreten notwendig wurde;
welch nachhaltige Stunden ratender, prüfender, bestätigender Unterhaltung widmete er denen,
welche ihn zu diesem Zwecke aufsuchten,
und wenn Plato im Gastmahl rühmt, wie Sokrates in vollem Genuß ganz Nüchternheit und Maß,
wahrend in später Nacht rings um ihn her die übrigen berauscht schliefen oder sich fortgeschlichen hatten,
allein noch wach blieb, um aus großem Weinbecher rechts herumtrinkend
mit Aristophanes und Agathon zu philosophieren, bis er auch diese zur Ruhe gebracht,
und nun beim Hahnengeschrei fort ins Lyzeum ging,
und erst am Abend dieses neuen Tages wie gewöhnlich sich selber zur Ruhe legte
welcher mir das frohe Bild heiterster Lebenstüchtigkeit zu unvergeßlicher Gegenwart vor Augen gestellt hat.