Zum Verhältnis der hegelschen Logik zu den anderen Wissenschaften, schreibt mir eine Gesprächspartnerin:

Da ich mich derzeit eher mit ökonomischen Fragen beschäftige, muss ich mich mit der dialektischen Methode beschäftigen.

Hm? Die Logik ist bei Hegel natürlich die Grundwissenschaft, aber selbst Hegel hätte beim Studium der Realwissenschaften sicher zunächst einmal zum Studium von deren Gegenständen geraten.

Natürlich ist es nützlich zu wissen, wie richtige Wissenschaft, richtige Begriffsbildung, usw., geht, und umgekehrt, was man da so alles falsch machen kann.

Aber gerade weil das so grundlegend ist, kann man das auch umgekehrt bei der Beschäftigung mit jeder Wissenschaft lernen. Andererseits sind die Realwissenschaften ja nicht einfach noch eine zweite Logik, also gibt es hier auch “Lokale” Kategorien usw.

Die Logik hilft also beim “Begreifen” des Gegenstandes, aber ob die Beschäftigung mit der Logik beim Begreifen des Gegenstandes hilft? Das war, denke ich, mal die Marxsche Kritik an Hegel, ausgeführt an Hegels Vorgehen in seiner Lehre vom “Objektiven Geistes.”

Diese Marx-Kritik halte ich ihrem Gehalt nach prinzipiell für richtig (ohne mich jetzt darauf einzulassen, ob die Kritik auf Hegel zutrifft), jedoch mit den beiden folgenden Einschränkungen:

Wie in dem Programmentwurf zur Hegelrekonstruktion und dem Text zur Wahrheit ausgeführt, sehe ich zwei Ansätze für eine inhaltliche Bestimmung von Inhalten der Realphilosophie durch die Logik:

Die von Hegel in seiner Enzyklopädie dargelegte Systematik der Wissenschaften/Gegenstände leuchtet mir ein. (Siehe dazu auch “Hegels System” von Vittorio Hösle, Meiner Verlag)

Hieraus ergibt sich, dass es zumindest zur Anregung, aber auch zum Verständnis des Gegenstandes beitragen kann, seine Stellung im System zu kennen und die sich daraus ergebenden sachlichen und logischen Beziehungen (bei letzteren: Vergleich mit Gegenständen an ähnlichen “logischen” Stellen, einschließlich solchen in der Logik selbst) in Erwägung zu ziehen, sich davon anregen zu lassen, diese berücksichtigen.

Um ein, auch außerhalb von Hegelkreisen, bekanntes Beispiel zu nehmen:

So ergeben sich sachliche und logische Parallelen zwischen Natur und objektiven Geist: beide sind logisch in der Sphäre der Negation (2.Stelle im System) und inhaltlich handelt der objektive Geist ja, von einer Objektivierung des menschlichen Willens in der Natur (Aber nicht nur, vielleicht noch nicht mal in erster Linie, wie Hösle in seiner Einforderung der Kategorie der Intersubjektivität betont).

Auf der anderen Seite, hat jedes Thema, jede Wissenschaft ihren eigenen Platz im System, und ist schon von daher auch unterschiedlich: während die Natur das andere des Geistes ist, ist im “objektiven Geist,” wie der 2. Namensbestandteil (Geist), bereits Geist involviert, es geht also ganz anders um Zwecke usw. als in der Natur.

(Vgl. auch meine Mail zur Rekonstruktion von Hegels System).

Noch ein zweiter positiver Gedanke dazu:

Spätestens in der Sphäere des Geistes treten Zwecke, Zielvorstellungen, Messen an Maßstäben auf (wobei ich gleichzeitig an eine andere Parallele, zwischen dem 3.Teil der Seinslogik und dem 3.Teil des ganzen Systems erinnere).

Daher kommt hier über die Sphäre des Begriffes hinaus, die Kategorie der Idee ins Spiel.

In der geistigen Sphäre gibt es bei Hegel also sehr wohl ein Sollen, seine Kritik am herkömmlichen Sollen ist eher, dass es zu schwach, zu subjektiv/willkürlich bestimmt ist. Es wäre also interessant, zu untersuchen, inwiefern sich inhaltliche Maßstäbe für dieses Sollen bereits aus der Logik entnehmen lassen.

Dies ist eines der “heißen” Themen der modernen Hegelrezeption, am bekanntesten sind hier die Lesarten von Theunissen (“Sein und Schein”) und Hösle (a.a.O.).