Dieter Wandschneider fordert, (G rundzüge einer Theorie der Dialektik)
das Werden fallenzulassen und mit dem Dasein gleichzusetzen.

“In diesem Sinn erscheint es mir zwingend zu sein,die Kategorie >Werden< an dieser Stelle [der Logik] fallenzulassen
und >X< [gesuchte Synthese (hier: von Sein u. Nichts]
stattdessen mit Hegels Kategorie >Dasein< zu identifizieren.”


Das verstehen wir nicht,
denn Hegel unterscheidet zwischen unruhiger (hier: Werden)
und ruhiger Einheit (hier: Dasein).

Unfraglich ist uns, dass der methodische Dreischritt
in der Entwicklung von der einfachen Einheit
durch die Differenz zur konkreten Einheit besteht.

Die Frage ist nun,
ob die resultierende Einheit einer Sphäre der unmittelbaren Einheit der nächsten Sphäre
gleichzusetzen oder zu unterscheiden ist.


Wir glauben, dass sie unterschieden werden müssen,
d.h. die einfache Einheit ist gleich der ruhigen und die konkrete gleich der unruhigen.


1. Sphäre:                                 unbestimmtes Sein
einfache, ruhige Einheit:          Sein
Differenz:                                  Sein - Nichts
konkrete, unruhige Einheit: Werden

  1. Sphäre:                                 bestimmtes Sein
    einfache, ruhige Einheit:       Dasein (Etwas)
    Differenz:                                  Etwas - Anderes (Endlichkeit)
    konkrete, unruhige Einheit:      Unendlichkeit usw.

    In gleicher Weise wird in der Natur die Bewegung von der Materie unterschieden:

    " Dies Vergehen und Sichwiedererzeugen
    des Raums in Zeit und der Zeit in Raum,
    daß die Zeit sich räumlich als Ort,
    aber diese gleichgültige Räumlichkeit
    ebenso unmittelbar zeitlich gesetzt wird,
    ist die
    Bewegung. *[
     

Weitere Beispiele vom Unterschied unruhige - ruhige Einheit:

Widerspruch - Grund
Grund - Existenz
Zweck - Leben
Heraklit - Demokrit
Persien - Griechen

Wandschneider-Text :
( Grundzüge einer Theorie der Dialektik, Klett-Cotta 1995)

 3.3 Die Synthese: >Werden< oder >Dasein<?
 
Für Hegel ist die Synthese von >Sein< und >Nichtsein< (bzw. >Nichts<)
bekanntlich die Kategorie >Werden<,
und zwar mit folgendem Argument:
 
>Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe..
Aber ebensosehr ist die Wahrheit nicht ihre Ununterschiedenheit,
sondern daß sie nicht dasselbe, daß sie absolut unterschieden,
aber ebenso ungetrennt und untrenbar sind
und unmittelbar jedes in seinem Gegenteil verschwindet.
 
Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung
des unmittelbaren Verschwindens des einem in dem anderen: das Werden;
eine Bewegung, worin beide unterschieden sind,
aber durch einen Unterschied, der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat< (5.83).
 
 
Hegels Deutung der Synthese von >Sein< und >Nichtsein< als >Werden<
ist außerordentlich suggestiv.
 
Aber ist sie auch triftig?
 
Zu denken gibt bereits der Umstand,
daß mit >Werden< eine zeitliche Bestimmung auftaucht,
die im Rahmen der >Logik< deplaziert wirkt.
 
>Ohne die Zeitbestimmung, welche es für das reine Denken nicht gibt,
versteht niemand das Werden< (Trendelenburg 1870, 126).
 
Von einer zeitlichen Bewegung kann aber bestenfalls
hinsichtlich der realen Denkakte des Philosophen gesprochen werden.
 
Doch sind diese entschieden nicht der Gegenstand der >Logik<.
 
Die Logik, so drückt es Hegel selbst aus, sei vielmehr
>das Reich der Schatten, die Welt der einfachen Wesenheiten,
von aller sinnlichen Konkretion befreit< (5.55),
und die Fortbewegung dieses Gegenstandes beruht allein ..
auf der Natur der reinen Wesenheiten, die den Inhalt der Logik ausmachen< (5.17).
 
Es kommt also nicht auf Denkakte,
sondern auf die >Selbstbewegung< der Kategorienentwicklung in logischer Hinsicht an,
die als solche ein semantisches Prinzipiierungsverhältnis betrifft
und nicht als ein zeitlicher Prozeß mißverstanden werden darf.
 
Die Kategorie der Zeit gehört als Kategorie des Realen
vielmehr in die >Naturphilosophie<.
 
 
Würde das fragliche >Werden< aber nicht-zeitlich verstanden, sondern logisch,
etwa als >begrifflicher Übergang<,
so gehörte eine solche Bestimmung zweifellos nicht in die >Seinslogik<,
sondern zur Methodenreflexion der >Logik<
und damit in einen sehr viel späteren Systemteil.
 
Zwar ist auch die Methode schon am Anfang präsupponiert,
aber aufgrund der noch nicht entwickelten dafür benötigten begrifflichen Mittel
hier noch nicht systematisch explizierbar.
 
Hegels eigene Methodenreflexion bildet überhaupt den Abschluß des Werks.
 
Dies wäre auch gegen eine Deutung wie die von Burbidge einzuwenden,
die >Werden< auf den >process of thought itself< zurückzuführen sucht (1981, 40):
 
Der Prozeß begrifflicher Entwicklung als solcher
ist an dieser Stelle noch gar nicht thematisierbar,
und der Rekurs darauf hat insofern den Charakter >äußerer<,
d.h. verfahrensmäßig nicht relevanter Reflexion.
 
 
Daß die Kategorie des Werdens Hegel zufolge
eigentlich als Kategorisierung der antinomischen >Bewegung<
im begrifflichen Verhältnis von Sein und Nichts zu verstehen wäre,
ergibt sich im Zusammenhang mit Hegels bekanntem Diktum,
wonach die Urteilsform wegen der unvermeidlichen Einseitigkeit der Prädikation
>nicht geschickt< sei, >spekulative Wahrheiten< auszudrücken,
wie z.B. die, daß Sein und Nichts dasselbe und auch nicht dasselbe seien (5.93 f).
 
Der Mangel zeige sich näher darin,
daß diese beiden letzteren Sätze >unverbunden sind,
somit den Inhalt nur in der Antinomie darstellen,
während doch ihr Inhalt sich auf ein- und dasselbe bezieht
und die Bestimmungen, die in den zwei Sätzen ausgedrückt sind,
schlechthin vereinigt sein sollen,
- eine Vereinigung, welche dann nur als eine Unruhe zugleich Unverträglicher,
als eine Bewegung ausgesprochen werden kann..
 
So ist das ganze, wahre Resultat, das sich hier ergeben hat, das Werden,
welches nicht bloß die einseitige oder abstrakte Einheit des Seins und Nichts ist.
 
Sondern es besteht in dieser Bewegung, ..
daß der Unterschied derselben [sc. Sein und Nichts] ist,
aber ebensosehr sich aufhebt und nicht ist< (5.94 f).
 
Diese als >Werden< kategorisierte Bewegung ist danach in der Tat nichts anderes
als das Phänomen antinomischen Umschlagens von Sein in Nichts und umgekehrt,
das ja auch für die hier entwickelte Auffassung zentral ist.
 
 
Gleichwohl - das muss hier auch gesagt werden:
 
Die Thematisierung des antinomischen Umschlags als solchen
gehörte zur Methodenreflexion
und ist an dieser Stelle der Kategorienentwicklung
verfahrensmäßig also noch gar nicht zu leisten.
 
Hier hat sie zunächst den Charakter >äußerer<,
d.h. verfahrensmäßig nicht relevanter Reflexion.
 
 
McTaggart wendet gegen den Begriff des Werdens ein,
daß dieser, durch seinen Bezug auf Veränderung,
strukturell viel mehr enthalte, als von Hegel wirklich deduziert wird:
 
>When we speak of Becoming we naturally think of a process of change<.
 
Doch >change involves the existence of some permanent element in what changes
- an element which itself does not change< (1910, 18),
was hinsichtlich des prätendierten Ineinanderübergehens von >Sein< in >Nichts< u.u.
tatsächlich nicht gegeben ist.
 
Im übrigen sei die Verbindung beider das Entscheidende für Hegel (19).
 
Mc Taggart schlägt daher vor, an dieser Stelle nicht mehr von >Werden<,
sondern von dem >Übergang<
in die bei Hegel auf >Werden< folgende Kategorie >Dasein< zu sprechen (20).
 
 
Aber auch das kann wohl nicht die eigentliche Bedeutung
der gesuchten synthetischen Kategorie >X< sein.
 
Denn selbst wenn >X< eine solche Übergangsfunktion hätte,
wäre damit nur eine Eigenschaft dieser Kategorie, nicht deren Bedeutung charakterisiert,
und zwar wiederum durch eine äußere Reflexion auf den Prozeß der Kategorienentwicklung.
 
In der Syntheseforderung >Sein, das gleichermaßen Nichtsein ist<
ist dagegen nichts von dem Übergang enthalten, im Gegenteil:
        
Wesentlich ist vielmehr, daß Sein hier ebenso Nichtsein ist,
oder in umgekehrter Blickrichtung: daß Nichtsein ebenso Sein ist.
 
Bestimmend ist hier also wieder eine Seinshinsicht,
und durch die neue synthetische Kategorie >X<
ist somit eine neue Seinsart charakterisiert.
 
In diesem Sinn erscheint es mir zwingend zu sein,
die Kategorie > Werden< an dieser Stelle fallenzulassen
und >X< stattdessen mit Hegels Kategorie >Dasein< zu identifizieren.
        
 
Sicher sind >Sein< und >Nichtsein<
in irgendeiner Weise auch in der Bestimmung >Werden< enthalten.
 
Wenn etwas [Werdendes] wird, geht es von einem Nichtsein in ein Sein über.
 
Aber was hier übergeht, ist nicht mehr Sein überhaupt,
sondern ein schon bestimmtes Sein, aus dem es herkommt,
und ein bestimmtes Nichtsein, in das es übergeht.
 
Und es ist zudem ein Übergehen
und nicht die bloße Verbindung von >Sein< und >Nichtsein<
(als entgegengesetzt und äquivalent),
also eine viel reichere Struktur
als die an dieser Stelle geforderte Synthese von >Sein< und >Nichtsein<.
        
 
Wird die Kategorie >Werden< fallengelassen,
erledigen sich zugleich Hegels Überlegungen
bezüglich des Übergangs von >Werden< zu >Dasein<,
die ich hier kurz wiedergeben möchte:

Ist das ein Vor- oder Nachteil ? s.u.

 
Sein und Nichts sind, so Hegel, im Werden
>nur als Verschwindende;
aber das Werden als solches ist nur durch die Unterschiedenheit derselben.
 
Ihr Verschwinden ist daher das Verschwinden des Werdens
oder Verschwinden des Verschwindens selbst.
 
Das Werden ist eine haltungslose Unruhe,
die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt<.
 
>Es ist die zur ruhigen Einfachheit gewordene Einheit des Seins und Nichts.
 
Die ruhige Einfachheit aber ist Sein,
jedoch ebenso nicht mehr für sich, sondern als Bestimmung des Ganzen<.
 
>Das Werden so [als] Übergehen in die Einheit des Seins und Nichts,
welche als seiend ist
oder die Gestalt der einseitigen unmittelbaren Einheit dieser Momente hat,
ist das Dasein< (5.113).
 
 
Es scheint mir ein großer Gewinn zu sein,
daß auf diese - m.E. eher dubiose - Argumentation hier verzichtet werden kann:
 
Hegels Gedanke, daß Sein und Nichts als Momente der synthetischen Kategorie
ihre Unterschiedenheit verloren hätten,
ist im Licht der im vorhergehenden entwickelten Überlegungen
als nicht zutreffend zurückzuweisen:
 
Die Synthese hat sich gerade
als die Verbindung von Äquivalenz und Gegensatz beider ergeben.
 
Und im übrigen ist schon nicht einsehbar,
wieso das Werden, wenn die es konstituierenden Momente >verschwinden<,
nicht einfach bloß verschwindet, sondern ein ruhiges Resultat haben soll,
was hier, ganz formal, mit seiner Bestimmung als >Verschwinden des Verschwindes<
- nämlich von Sein und Nichts (s.o.) - zu rechtfertigen versucht wird.
 
Aber warum ist das dann nicht einfach die Rückkehr zu Sein und Nichts?
 
 
Fragwürdige Überlegungen dieser Art werden entbehrlich, wenn, wie dargelegt,
>Dasein< statt >Werden<
als die Synthese von >Sein< und >Nichtsein< angenommen wird.
 
Einen >unmittelbaren Übergang von Sein zum Dasein<
hält übrigens auch Wieland für möglich (1978, 212, Anm. 7),
und zwar mit dem (auf Hegel selbst (5.104) zurückgehenden) Argument,
daß >die Unbestimmtheit des Seins ..
gerade als solche eine Bestimmung besonderer Art< sei (1978, 203)
und damit schon bestimmtes Sein - >Dasein< - involviert sei.
 
Wieland beläßt es freilich bei diesem Hinweis.
 
Tatsächlich formuliert auch schon Hegel selbst den Gedanken,
daß mit dem dialektischen Verhältnis von >Sein< und >Nichts<
bereits >Dasein< als deren Synthese präsupponiert sei:
 
Vom Nichts sei, insofern es ja denkbar sei, auch Sein prädizierbar
- d.h. also von der Kategorie >Nichts<.
 
Es sei daher >nicht zu leugnen, daß das Nichts in Beziehung auf ein Sein steht;
aber in der Beziehung, ob sie gleich auch den Unterschied enthält,
ist eine Einheit mit dem Sein vorhanden.
 
Auf welche Weise das Nichts ausgesprochen oder aufgezeigt werde,
zeigt es sich in Verbindung oder, wenn man will, Berührung mit einem Sein,
ungetrennt von einem Sein, eben in einem Dasein< (5.107).
 
Der Hegeltext selbst markiert so immerhin schon die Möglichkeit,
>Werden< fallenzulassen und stattdessen gleich zu >Dasein< überzugehen.

siehe auch: Vortrag: Werden ist falsch