Hegel und die Astrologie
‘Was die
Beziehung der Seele zum Sonnensystem
betrifft,
so kann bemerkt werden, daß die Astrologie
die
Schicksale
des Menschengeschlechts und der Einzelnenmit den Figurationen und
Stellungen der Planeten
in Verbindung setzt
(wie man denn in neuerer Zeit die Welt überhaupt als einen Spiegel des Geistes
in dem Sinne betrachtet hat, daß man aus der Welt den Geist erklären könne).’
Die Astrologie ist auch für Hegel
insofern
ein Systempunkt ,
als der Geist (als Seele) zuerst in seiner Beziehung zumNicht-Geist (der Natur) bestimmt wird.
Und zwar wird näher zuallererst die Seele auf die außerirdische Natur bezogen,
d.h. sie wird auch beeinflußt von ihr.
’Das
allgemeine Naturleben
ist auch das Leben der Seele,
so daß diese sympathetisch jenes allgemeine Leben
mitlebt.
Wenn man nun
aber
dies Mitleben der Seele mit dem ganzen Universum
zum höchsten Gegenstande der Wissenschaft vom Geiste machen will,
so ist dies ein vollkommener
Irrtum.
Beim Menschen verlieren dergleichen Zusammenhänge
um so mehr an Bedeutung, je gebildeter er
und je mehr damit sein ganzer Zustand auf freie geistige Grundlage gestellt ist.
Die Weltgeschichte hängt nicht mit Umdrehungen im Sonnensysteme zusammen,
sowenig wie die Schicksale der Einzelnen mit den Stellungen von Planeten.
Denn die Tätigkeit des Geistes besteht gerade wesentlich darin,
sich
über das Befangensein in dem bloßen Naturleben zu erheben,
sich in seiner
Selbständigkeit
zu erfassen,die Welt seinem
Denken
zu unterwerfen, dieselbe aus dem Begriffe zu erschaffen.
Im Geiste ist daher das allgemeine Naturleben
nur ein
ganz untergeordnetes Moment;
die kosmischen und tellurischen [irdischen] Mächte werden von ihm beherrscht,
sie können in ihm nur eine
unbedeutende Stimmung
hervorbringen.
Der Inhalt der Astrologie
[die bestimmten Aussagen über Charakter und Schicksale der Menschen]ist als
Aberglaube
zu verwerfen;
es liegt jedoch der Wissenschaft ob,
den bestimmten Grund dieser Verwerfung anzugehen.
Dieser Grund muss nicht bloß darein gesetzt werden,
daß die Planeten von uns
fern
und Körper seien,
sondern bestimmter darein,
daß das planetarische Leben des Sonnensystems
nur ein Leben der [bloß mechanischen] Bewegung,
mit anderen Worten ein Leben ist,
in welchem Raum und Zeit das Bestimmende ausmachen;
denn Raum und Zeit sind die Momente der Bewegung.
Die Gesetze der
Bewegung der Planeten
[im 1. Teil HegelsNaturphilosophie]
sind allein durch den Begriff des Raumes und der Zeit bestimmt;
in den Planeten hat daher die absolut freie Bewegung ihre Wirklichkeit.
Aber schon bei den
physikalischen
Körpern [im 2. TeilHegels Naturphilosophie]
ist jene abstrakte Bewegung etwas durchaus Untergeordnetes;
das Individuelle überhaupt macht sich selber seinen Raum und seine Zeit;
seine Veränderung ist durch seine konkrete Natur bestimmt.
Der
animalische
Körper [im 3. Teil HegelsNaturphilosophie]
gelangt zu noch größerer Selbständigkeit als das bloß physikalisch Individuelle:
er hat einen von der Bewegung der Planeten
ganz unabhängigen Verlauf seiner Entwicklung,
ein nicht von ihnen bestimmtes Maß der Lebensdauer;
seine Gesundheit, wie der Gang seiner Krankheit,
hängt nicht von den Planeten ab;
die periodischen Fieber z.B. haben ihr eigenes bestimmtes Maß;
bei denselben ist nicht die Zeit als Zeit,
sondern der animalische Organismus das Bestimmende.
Vollends für den
Geist
aber
haben die abstrakten Bestimmungen von Raum und Zeit,
- hat der freie Mechanismus keine Bedeutung und keine Macht;
die Bestimmungen des selbstbewußten Geistes sind unendlich gediegener,
konkreter als die abstrakten Bestimmungen des Neben- und des Nacheinander.
Der Geist, als verkörpert,
ist zwar an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit,
dennoch aber
über Raum und Zeit erhaben.
Allerdings ist das Leben des Menschen bedingt
durch ein bestimmtes Maß der Entfernung der Erde von der Sonne;
in größerer Entfernung von der Sonne
könnte er ebensowenig leben wie in geringerer;
weiter jedoch reicht der Einfluß der Stellung der Erde auf den Menschen nicht.
Der Unterschied der
Klimate
enthält eine festere und gewaltigere Bestimmtheit.
Auch die eigentlich terrestrischen Verhältnisse
- die in einem
Jahre
sich vollendende Bewegung der Erde um die Sonne,
die
tägliche
Bewegung der Erde um sich selbst,
die Neigung der Erdachse auf die Bahn der Bewegung um die Sonne -,
alle diese zur Individualität der Erde gehörenden Bestimmungen
sind zwar
nicht ohne Einfluß
auf den Menschen,für den Geist als solchen
aber unbedeutend.
Schon die
Kirche
hat daher den Glauben
an eine von jenen terrestrischen und von den kosmischen Verhältnissen
über den menschlichen Geist ausgeübte Macht
mit Recht als abergläubisch und unsittlich verworfen.
Der Mensch soll sich als frei von den Naturverhältnissen ansehen;
in jenem
Aberglauben
betrachtet er sich aber
als
Naturwesen.
Man muss demnach auch das Unternehmen derjenigen für nichtig erklären,
welche die Epochen in den Evolutionen der Erde
mit den Epochen der menschlichen Geschichte in Zusammenhang zu bringen,
den Ursprung der Religionen und ihrer Bilder
im astronomischen und dann auch im physikalischen Gebiet zu entdecken
sich bemüht haben
und dabei auf den grund- und bodenlosen Einfall geraten sind, zu meinen:
so wie das Äquinoktium aus dem Stiere in den Widder vorgerückt sei,
habe auf den Apisdienst das Christentum,
als die Verehrung des Lammes, folgen müssen.’