Ein Vortrag, der anläßlich des Hegelkongresses in Jena 2002 (mit dem Thema Wissen und Glauben) gehalten wurde. Erschienen im Hegel-Jahrbuch 2003, Akademie-Verlag

I. Das Verhältnis der spekulativen Philosophie zur Religion

Die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen, die der diesjährige Kongreß zu seinem Leitthema gemacht hat, verstehe ich als eine Frage nach dem Verhältnis der spekulativen Philosophie Hegels zur Religion, und zwar, wie zu erläutern sein wird, zur christlichen Religion. Dabei handelt es sich um eine Frage, mit der sich Hegel bereits in seinen ‘Frühen Schriften’ auseinandersetzt und die er in seinem Aufsatz ‘Glauben und Wissen,’ erschienen 1802/03 im ‘Kritischen Journal der Philosophie,’ erneut aufgreift. Die Brisanz dieser Frage läßt sich vor dem historischen Hintergrund der Aufklärungsphilosophie verdeutlichen, deren Kampf gegen den autoritären Geltungsanspruch der Offenbarungsreligionen mit der Trennung der Zuständigkeitsbereiche von Vernunft einerseits und Glauben andererseits endete. Hegel sieht sich also bereits in seinen jungen Jahren dazu herausgefordert, die christliche Lehre auf ihren moralisch-vernünftigen Gehalt hin zu überprüfen und formuliert in der sogenannten ‘Differenzschrift’ (1801) als das Programm seiner Philosophie, „solche festgewordenen Gegensätze" - wie die von Geist und Materie, Seele und Leib, Glaube und Verstand - “aufzuheben” (vgl. Diff. 13) .

Vernunft, Verstand und Wissen stehen somit in einem Ausschlußverhältnis zu Glauben und Religion, denn nur das sinnlich Erfahrbare ist dem vernünftigen Wissen zugänglich, das Übersinnliche aber als das schlechthin Unerfahrbare kann nur blind geglaubt werden. Das Geglaubte kann daher unmöglich zum Gewußten und das Gewußte unmöglich zum Geglaubten werden. In solchen selbständig gewordenen Gegensätzen sieht Hegel den „Quell des Bedürfnisses der Philosophie“, die absolut Getrennten wiederzuvereinigen (vgl. Diff. 12). Will er dabei nicht hinter die von der Aufklärung erreichten Rationalitätsstandards zurückfallen, so muss er einerseits an den von Kant herausgearbeiteten Unterschied zwischen Verstand und Vernunft anknüpfen, andererseits aber entschieden über den Kantischen Vernunftbegriff hinausgehen, der auf ein subjektives Denkvermögen eingeschränkt ist. Vernunft ist schon für Kant nicht auf Verstand reduzierbar, für Hegel aber ist sie „die Erscheinung des Absoluten” (vgl. Diff. 10), somit nicht nur ein subjektives Vermögen, sondern sie manifestiert sich auch - unabhängig von einem Bewußtsein – objektiv in der Wirklichkeit. Vernunft erhält bei Hegel den Status eines Absolutums, das alle vom Verstand fixierten Entgegensetzungen in sich einschließt. Diese absolute Vernunft ist daher auch dem Glauben nicht mehr entgegengesetzt, denn sie fungiert als die Kraft der Vereinigung aller Entgegengesetzten. Was aber liegt in der Konsequenz eines philosophischen Unternehmens, das Glauben und Wissen wiedervereinigen will?

Möglich wird eine solche Wiedervereinigung doch nur unter einer Bedingung, nämlich unter der Bedingung, daß der Inhalt des Wissens und der Inhalt des Glaubens nicht länger verschiedene sind. Der Schritt, den die spekulative Philosophie Hegels über die Reflexionsphilosophie hinaustut, ist, daß sie Gott, der für die Reflexionsphilosophen etwas Unbegreifliches bleibt, d.h. nur geglaubt werden kann, zu ihrem einzigen Inhalt und Gegenstand hat. Nur unter der Bedingung, daß Vernunft- und Glaubenswahrheit denselben Inhalt haben, kann die spekulative Philosophie den Anspruch erheben, die Kluft zwischen Philosophie und Religion zu überbrücken. Der Glaubensinhalt aber, den die Philosophie Hegels als den ihrigen wiedererkennt, ist der christliche, der als vernünftiger, d.h. im Medium des Logischen expliziert, den Anspruch auf universale Geltung erhebt. Somit kann das Verhältnis der spekulativen Philosophie Hegels zur christlichen Religion als ein Implikationsverhältnis bestimmt werden. Sie schließen einander nicht aus, sondern ein, insofern sie denselben Inhalt vermitteln. Zugleich aber sind sie auch unterschiedene durch die Form, in welcher sie denselben Inhalt vermitteln. Während die Religion sich des Mediums der subjektiven Vorstellung bedient, bedient sich die Philosophie des allgemeingültigen Mediums des Logischen und geht insofern über die Religion hinaus, als sie dem Inhalt der Religion universale Geltung verschafft. Die Religion ist, so gesehen, der Philosophie vorgängig, denn, wie Hegel in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie von 1827 hervorhebt, ‘kann die Religion wohl ohne Philosophie, aber die Philosophie nicht ohne Religion sein, sondern schließt diese vielmehr in sich.’ (vgl. Enz. 13)  Das höherstufige Medium des Logischen aber bleibt gleichwohl angewiesen auf die Vorstellungsinhalte, welche die Religion ihm bereitstellt. Den religiösen Vorstellungsinhalten liegt demnach bereits das Paradigma zugrunde, welches das spekulative Denken sich zu eigen macht. Die Philosophie, indem sie die Glaubensinhalte der christlichen Religion sich zur Voraussetzung macht, hat einen diesem Inhalt entsprechenden Paradigmenwechsel zu vollziehen, der allerdings im Rahmen von Hegels Aufsatz ‘Glauben und Wissen’ nur punktuell nachgezeichnet werden kann, da hier das neue Paradigma nur erst als Maßstab für Hegels Kritik an der Reflexionsphilosophie fungiert und erst später systematisch entwickelt wird. In den Blick kommt Hegels Paradigmenwechsel daher an den markantesten Punkten seiner Kritik an Kant, Jacobi und Fichte: 1. seiner Kritik am nur formalen Wissen 2. seiner Kritik an der Entweder-Oder-Struktur des Verstandes 3. seiner Kritik an der Abwesenheit eines Vermittlungsprinzips. Diesen drei Punkten möchte ich in meinem Vortrag nachgehen.

II. Die Grenzen des formalen Wissens

In seinem Aufsatz ‘Glauben und Wissen’ beschreibt Hegel den Standpunkt, auf dem die Philosophie seiner Zeit sich eingerichtet hat, wie folgt: „Da der feste Standpunkt, den die allmächtige Zeit und ihre Cultur für die Philosophie fixirt haben, eine mit Sinnlichkeit afficirte Vernunft ist, so ist das, worauf solche Philosophie ausgehen kann, nicht, Gott zu erkennen, sondern, was man heißt, den Menschen." (G+W, 323) Im Brennpunkt seiner Kitik steht „eine mit Sinnlichkeit afficirte Vernunft“, die Verzicht darauf tut, Gott zu erkennen, sich mithin darauf beschränkt, das sinnlich Gegebene zu erkennen. Eine mit Sinnlichkeit affizierte Vernunft ist insofern keine absolute, als sie beschränkt wird durch eine ihr gegenüber bleibende sinnliche Mannigfaltigkeit, und sie ist zugleich eine leere Vernunft, da sie sich ihren Inhalt von der Sinnenwelt geben lassen muss. Sie gibt sich ihren Inhalt nicht selbst, und darum kann sie nicht absolut genannt werden.  Vernunft ihrem absoluten Begriffe nach zielt auf die Erkenntnis Gottes, des absolut Vernünftigen, und sie ist absolut zu nennen nur dann, wenn sie sich in dem absolut Vernünftigen selbst wiedererkennt und sich somit ihren Inhalt selbst gibt. Eine mit Sinnlichkeit affizierte Vernunft dagegen, die eine absolute Grenze zwischen Diesseits und Jenseits voraussetzt, kommt nicht ohne einen blinden Glauben aus, der sich auf ein ihr unbegreiflich bleibendes Jenseits richtet. Es ist nun leicht einzusehen, daß ein solch blinder Glaube für den christlichen Glauben gegenstandslos geworden ist, denn der Inhalt des letzteren ist die Verkündigung der Menschwerdung Gottes, die eine Grenzüberschreitung voraussetzt. Diese mag für den Verstand ein unbegreifliches Mysterium bleiben, aber sie impliziert, daß Gott sich in seinem Sohn geoffenbart und damit zu erkennen gegeben hat. Gott als der fleischgewordene Logos hat sich nach christlichem Glauben somit auch der menschlichen Vernunft zugänglich gemacht bzw. sich als vernünftig zu erkennen gegeben. Das Paradigma, das der religiösen Vorstellung von der Gottmenschlichkeit Christi zugrunde liegt, ist in seiner abstrakten Allgemeinheit die bei Hegel immer wiederkehrende Formel von der Einheit der Entgegengesetzten: Sein und Denken. Darum erklärt er in der Differenzschrift, „daß die rein formale Erscheinung des Absoluten der Widerspruch ist” (vgl. Diff. 27).  Die Vernunft als die Erscheinung des Absoluten schließt daher das Denken des Widerspruchs ein. Einer der Hauptkritikpunkte, den Hegel gegenüber Kant geltend macht, ist, daß sein philosophisches Wissen ein bloß formales bleibe, da es nur die abstrakte Identität des A=A und somit eine leere Einheit zur Voraussetzung habe, die nur erfüllt werden könne von einer äußerlich gegebenen Mannigfaltigkeit: „Dieses formale Wissen hat also im Allgemeinen die Gestalt, daß seiner formalen Identität absolut eine Mannigfaltigkeit gegenüber steht;" (G+W, 344) Stehen sich ein Ich auf der einen Seite, das sich selbst nur als eine inhaltslose Einheit zu fassen vermag, und eine Mannigfaltigkeit auf der anderen Seite ‘absolut’ gegenüber, so kann dieses leere Ich seinen Inhalt nur von außen aufnehmen. Was zu dieser “reinen Egoität,” wie Hegel sie nennt, hinzutreten muss, ist ein B, ein Plus des Empirischen, und zwar „auf eine unbegreifliche Weise als ein Fremdes" (vgl. G+W, 343). Subjekt und Objekt bleiben sich letztlich fremd gegenüber, denn es ist nur ein additives ‘Und,’ das die Synthese von Subjekt und Objekt leisten soll. In dieser durch Addition gestifteten Verbindung wird die Grenze, die Subjekt und Objekt trennt, nicht aufgehoben. Denn das Überschreiten der Grenze manifestiert sich als der Zusammenfall von Subjekt und Objekt, bzw. als die Erscheinung des Absoluten, welche der Widerspruch ist. Hegels Kriterium für seine Kritik am nur formalen Wissen ist also die von ihm vorausgesetzte absolute Identität des Subjekts und Objekts. Das heißt: er setzt den aporetischen Grenzfall voraus: die Vereinigung von Gott und Mensch. Nur im Ausgang von diesem aporetischen Grenzfall kann an die Stelle der tautologischen Verstandesidentität das neue Paradigma von der Einheit der Entgegengesetzten treten und das nur formale Wissen ein Wissen des Absoluten werden.

III. Das exklusive Entweder-Oder des Verstandes

Während Hegel seine Kritik am formalen Wissen an der Philosophie Kants festmacht, versucht er Jacobi, den leidenschaftlichen Kritiker des philosophischen Atheismus, an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen. Gerade Jacobi, der angibt, im Besitze des wahren Gottesbegriffs zu sein, d.h. die christliche Auffassung von Gott als Geist für sich reklamiert, gerade diesem demonstriert Hegel, daß er mit seinen Aussagen über Gott das Wesen des christlichen Gottes verfehlt: „Jacobi sagt: >Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es gibt kein Drittes.< Es gibt ein Drittes, sagt dagegen die Philosophie, und es ist dadurch Philosophie, daß ein Drittes ist; - indem sie von Gott nicht blos ein Seyn, sondern auch Denken, d.h. Ich prädicirt und ihn als die absolute Identität von beyden erkennt" (G+W, 399). In unmißverständlicher Deutlichkeit bringt Hegel an dieser Stelle seine eigene philosophische Position in unmittelbare Frontstellung zu der Jacobis und legt damit den Finger auf die Schnittstelle, an der sich die Geister scheiden: auf das tertium non datur. Dieses unumstößliche ‘Es gibt kein Drittes’ soll das Denken vor einer Grenzüberschreitung bewahren, wodurch sich sein Widerspruch hervortun würde. Dieses exklusive Entweder-Oder behauptet eine absolute Grenze zwischen außen und Innen, Diesseits und Jenseits, d.h. es schließt den Grenzfall der Menschwerdung Gottes aus. Im Ausgang von diesem Grenzfall muss daher gegen diesen Grundsatz behauptet werden, daß es ein Drittes gibt, insofern Gott nicht entweder nur ein Sein oder nur ein Denken prädiziert werden kann, sondern beides: sowohl ein Sein als auch ein Denken. Die anstößige Behauptung eines Dritten rekurriert auf ein Paradigma, das in der christlichen Vorstellung von der Dreipersonalität Gottes seinen Ausdruck findet. Die Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist weist die paradoxe Struktur einer Dreieinheit auf. Die Dreieinheit nötigt das Denken, den Gegensatz von Einheit und Vielheit, von Identität und Nicht-Identität in einer Einheit und somit den Widerspruch zu denken. Gott als Geist zu begreifen verlangt daher die Annahme eines Dritten, welches die Einheit von Vater und Sohn, Gott und Mensch setzt. Dieses Setzen ist das Tun des Geistes. Nur der Geist stiftet daher die absolute Identität von Subjekt und Objekt. Gott als Geist zu begreifen impliziert zudem den Übergang zu einer Philosophie, die „außer Gott gar kein Bestehen und Nichts anerkennt, also das Entweder, Oder, was ein Princip aller formalen Logik und des der Vernunft entsagenden Verstandes ist, in der absoluten Mitte schlechthin vertilgt"(G+W, 399). Die von Hegel in Aussicht gestellte Philosophie läßt an Radikalität nichts zu wünschen übrig, denn sie wird gegenüber dem trennenden Prinzip der formalen Logik ein Vermittlungsprinzip zur Geltung bringen, das die vom Verstand fixierten Entzweiungen vernichtet. Von dieser neuen Philosophie kann daher gesagt werden, daß sie Gott als ‘Totalität’ begreift. Was aber heißt, Gott als Totalität zu begreifen? Es heißt zunächst, ihn als das umgreifende transzendente Ganze zu fassen, das alle Entgegensetzungen in sich begreift, da es für dieses Ganze schlechthin kein außen mehr gibt, durch das es fremdbestimmt würde. Gott ist darum kein Wesen, das getrennt von der Welt ‘für sich’ bestünde, wie Jacobi angibt, sondern alles, was ist, steht in Beziehung zu dem umgreifenden Ganzen, da es sein Bestehen allein in ihm hat. Darüber hinaus aber heißt es auch, Gott als die absolute Mitte in allem zu begreifen. Er ist zugleich jedem Einzelnen immanent. Als der Umgreifende ist er zugleich der Umgriffene, als das transzendente Ganze zugleich die immanente Mitte, das Zentrum des Ganzen. Der Begriff Gottes als Totalität ist daher für den Verstand nur als Paradox rekonstruierbar, d.i. als eine Einheit, die sich selbst und ihr Anderes als Element enthält. Diese negative Einheit führt Hegel unter dem Decknamen der ‘absoluten Negativität’ in seine Philosophie ein und erhebt sie zum Prinzip aller Vermittlung. Es wird daher im Rahmen von Hegels Fichte-Kritik zu zeigen sein, daß die absolute Negativität als das eigentliche Vermittlungsprinzip fungiert.

IV. Die absolute Negativität als Prinzip der Vermittlung

Die Aufgabe, vor die Hegel seine Philosophie stellt, ist die Vernichtung der festgewordenen Dualismen des Verstandes, die nur ein negatives Prinzip zu leisten vermag. In Fichte nun findet Hegel den Philosophen, der über die Beschränktheiten des endlichen Denkens hinauszukommen und die Unendlichkeit rein zu denken versucht, ohne jedoch dieses Ziel aus Hegels Sicht jemals zu realisieren. So bemerkt er bezogen auf Fichtes System des Wissens, daß auch in ihm nicht an ein Herauskommen aus dem Dualismus zu denken sei: „die nicht dualistische Realität ist im Glauben, und es gibt im Fichte’schen System eben so wenig dasjenige Dritte, welches wahrhaft das Erste und Einzige ist, als auch die nicht dualistische Negativität, die Unendlichkeit, das Nichts rein seyn kann; sie soll rein seyn, aber wird es nicht; sondern sie selbst wird wieder fixirt und dadurch absolute Subjektivität." (G+W, 399) Mit Blick auf Fichte fällt das Stichwort der „nicht dualistischen Negativität“, die rein sein soll, aber nicht rein wird. Die Fichtesche Negativität bleibt gemessen an der absoluten Negativität, auf die Hegel hinauswill, dualistisch strukturiert. Die Frage, die sich in diesem Kontext stellt, ist die nach der Struktur der absoluten Negativität, welche die Vernichtung der Dualismen leisten soll. Meine These ist, daß Hegel das Paradigma für seine absolute, nicht dualistische Negativität im Kreuzigungsgeschehen Christi vorgeprägt sieht, was er allerdings erst in der Schlußpassage seines Aufsatzes enthüllt. Wenn er bekennt, daß seine Philosophie antritt, „das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag [..] in der ganzen Wahrheitund Härte seiner Gottlosigkeit wiederher [zu]stellen” (G+W, 414), so darf davon ausgegangen werden, daß die Passion und die Auferstehung Christi das Modell liefert, nach welchem Hegel seine absolute Negativität konstruiert. Die absolute Negativität, als Synonym für die Unendlichkeit verstanden, bezeichnet im Kontext der Schlußpassage „die negative Bedeutung des Absoluten“, die bereits Hegels Vorgänger geltend machten. Worin er aber über seine Vorgänger hinausgeht, ist, daß er die Negativität verabsolutiert, indem er sie als den „Abgrund des Nichts” begreift, „worinn alles Seyn versinkt" (vgl. G+W, 413). Absolut wird die Negativität dann, wenn alles Positive in ihr untergegangen ist und sie in ihrer Bodenlosigkeit nicht mehr fixiert werden kann, sondern aus sich selbst heraus unmittelbar umschlägt ins Positive. Kurz, seine Philosophie schreckt nicht davor zurück, das Paradox, daß Christus erst im Durchgang durch seinen leibhaftigen Tod als Gott seine Göttlichkeit verifiziert, auf der Ebene des Begriffs zur Darstellung zu bringen. Vorauszusetzen aber für dieses paradoxe Phänomen, daß das Negative, auf die äußerste Spitze getrieben, umschlägt ins Positive, so daß das Positive im Negativen und umgekehrt das Negative im Positiven enthalten sich zeigt, vorauszusetzen für dieses für den Verstand unfaßbare Geschehen ist, daß das Negative sich selbst zu negieren vermag. Solange das Negieren ein relatives bleibt, und das heißt, solange es sich noch auf ein ihm äußerlich bleibendes Anderes bezieht, bleibt die Negation dualistisch strukturiert. Über ihren Dualismus kommt die Negation nur dann hinaus, wenn sie selbstbezüglich wird, d.h. wenn sie sich auf sich selbst als Negatives bezieht und damit ihre endliche Beschränktheit selbst aufhebt. So hebt Christus seine endliche Beschränktheit als Menschensohn auf, indem er sein Leiden, d.i. das Negative, das ihm widerfährt, absolut werden läßt. Absolut leiden in diesem Sinne aber heißt, seinen leibhaftigen Tod als Gott anzunehmen, sich aufzuopfern, indem er seinen endlichen Leib dem Tod übergibt und damit den Willen seines Vaters selbst vollzieht. Diese Selbstaufopferung läßt sich auf die Formel der selbstbezüglichen Negation bringen. Erst im Durchgang durch diesen Abgrund der Gottesferne schlägt seine irdische Nichtigkeit um in eine Beglaubigung seiner Göttlichkeit. Nach christlichem Glauben wird erst nach dem Opfertod und der Auferstehung Christi Gott als Geist gewußt, denn der Geist als das Dritte schließt die Entgegengesetzten: Gott-Vater und Menschensohn zur höchsten Totalität zusammen. Dieses Dritte, das Hegel zum Vermittlungsprinzip aller Entgegengesetzten erhebt, ist die absolute Negativität, die als selbstbezügliche paradox strukturiert ist und daher in ihr Gegenteil umschlägt. Das absolute Wissen, zu dem sich das formale Wissen weiterentwickelt, weiß dieses Dritte als Geist, und dieser vermag als absolut negativer die Entgegengesetzten: Glauben und Wissen zu versöhnen. Die spekulative Philosophie, da sie die Vernunft im Glauben und den Glauben in der Vernunft erschließt, steht, wie ich zu zeigen versucht habe, im Dienste der christlichen Botschaft von der Versöhnung der Entgegengesetzten. Philosophieren heißt daher für Hegel: Gott dienen.

Dr. Gudrun von Düffel Nollendorfstr. 28 D-10777 Berlin e-mail: gudrun.vondueffel@Berlin.de

siehe auch: Philosophie ist Gottesdienst