Zitat (zu erklären)

“Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit.” (Hegel)

Genaues Zitat

“Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit - ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.” (Aus der Einleitung zur “Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte”)1

Eine ähnliche Formulierung findet sich noch etwas später in der Einleitung:

“Die Weltgeschichte stellt […][die] Entwicklung des Prinzips, dessen Gehalt das Bewußtsein der Freiheit ist, dar.”2

Was ist der Stelle der Weltgeschichte innerhalb von Hegels System? (KF)

vgl. auch die Parallele der Teleologie zur Einteilung des Geistes

Die Weltgeschichte ist Teil (Abschluss) der Objektiven Geistes (aber nicht der Abschluss des Gesamtsystems, danach kommt noch der Absolute Geist).

Siehe auch: Unterteilung des Geistes

Weltgeschichte als Verwirklichung menschlicher Zwecke (KF)

Der Zeck/Wille der Menschen verwirklicht sich in der Welt (Natur und andere Menschen), nimmt diese dabei als Mittel für seine Zwecke.

Die Weltgeschichte ist dabei die Geschichte dieser Verwirklichungen ihrer Zwecke.

Ein immanenter Maßstab der Weltgeschichte ergibt sich also an den Zwecken (und Mitteln) der Menschen.

Da die Zwecke sich teilweise widersprechen, teilweise in einer Hierarchie zueinander stehen, kommt es individuell, wie auch gesellschaftlich darauf an, diese zu ordnen.

Der oberste menschliche Zweck ist die Freiheit (KF)

Der oberste verfolgte Zweck ist dabei die Freiheit, verstanden in einem umfassenden Sinne: sowohl im populären Sinne einer Nichtbehinderung der eigenen Zwecke durch fremde Zwecke, wie auch im sinne der Erweiterung des eigenen Möglichkeitsraumes durch mehr Mittel (und sich selbst zum Mittel der eigenen Zwecke machen, siehe etwa auch die letzten Abschnitte der hegelschen Anthropologie), wie auch schließlich eines Bewusstwerdens des Inhaltes der Freiheit, womit sich der Bereich des von Hegel so genannten “Absoluten Geistes” (Kunst, Religion, Philosophie) beschäftigt.

Fortschritt

Was ist Fortschritt? (KF)

Interessant ist vieleicht noch die Frage, dass wir heutzutage gerne von Fortschritt reden, aber uns oft, um im Bild zu bleiben, der Sinn abhanden gekommen ist, in welche Richtung denn da fortgeschritten wird. Was ist also der Maßstab dafür, von Fortschritt zu sprechen?

Hegel benutzt, wie wir an den Zitaten oben sehen, auch das Wort Fortschritt, aber lieber noch das Wort Entwicklung. (“Fortschritt” kommt 61 mal in der Suhrkamp TWA vor, “Entwicklung” 417 mal). Ein Fortschritt wäre dabei, wenn sich etwas (hier also etwa die Welt-bzw.Menschheitsgeschichte) seinem Wesen/Zweck gemäß entwickelt.

Hegel schreibt dazu

“Das Prinzip der Entwicklung enthält das Weitere, daß eine innere Bestimmung, eine an sich vorhandene Voraussetzung zugrunde liege, die sich zur Existenz bringe.”3

und weiter:

“Die Entwicklung ist […] das Hervorbringen eines Zwecks von bestimmtem Inhalte. Diesen Zweck haben wir von Anfang an festgestellt; es ist der Geist, und zwar nach seinem Wesen, dem Begriff der Freiheit.”4

Fortschritt als Entwicklung der Mittel (KF)

Der Fortschritt der Menschheitsgeschichte ist also daran zu messen, inwiefern darin mehr Freiheit gewonnen wird, sowohl nach Seiten der Mittel hin (hier kann wohl kaum ein Zweifel beste-hen, dass die Menschheit sich mit der Entwicklung der “Technik” im weitesteten (= Mittel, schließt auch Körpertechniken usw. ein) Sinne einen Fortschritt gemacht hat, etwa durch Tradierung des jeweils erreichten und Erweiterung des Wissens, insbesondere nachdem dies selbst zum Bewusstsein gekommen ist und als eigenes Ziel verfolgt wird (etwa seit der Renaissance und verstärkt seit der Aufklärung und dann der wissenschaftlich-technischen Revolution des 19.Jhdrts)

Fortschrit als Entwicklung des Bewusstseins über die verfolgten Zwecke (KF)

Wichtiger noch aber als die Entwicklung der Mittel (die ja immer nur Mittel für einen Zweck sind) ist die Entwicklung im Bewusstsein der Zwecke, was insbesondere den Inhalt dieser Zwecke und letztlich der Inhalt dessen, was Freiheit bedeutet, ausmacht.

Auch hier gab es unbestreitbar Fortschritte im Bewusstsein der Menschheit mit der Entwicklung der Kunst, Religion und Philosophie, wobei man natürlich aus asiatischer Sicht sagen kann, dass sich einiges bereits z.B. im Buddhismus entdeckt wurde, was im “Westen” sich erst später durchgesetzt hat.

Nebenbemerkung zu den verschiedenen Religionen (KF)

Bei Hegel geht es vor allem aus der Perspektive für uns, den “Westen,” das “christliche Abendland,” einfach weil das zu seiner Zeit, und auch heute noch, die dominierende Kultur/Zivilisation der Weltgeschichte war. Über das Verhältnis der verschiedenen Religionen zum Christentum (auch im Hinblick auf ein im Christentum “nicht aufgehobenes”) schreibt für den heutigen Kenntnisstand sehr interessant Hans Küng in seiner Reihe “Das Christentum,” “Das Judentum,” “Der Buddhismus,” “Der Hinduismus” usw.

Was die Religionen angeht, so kulminiert Hegels System ja nicht in der Religion, sondern in der Philosophie, denn nur die Philosophie ist so rein an der Wahrheit interessiert, das sie vorurteilslos das Wahre an allen Religionen aufheben kann - was noch längst nicht erreicht ist

Fragen

Frage: “Also ist ein Rückschritt in dieser Entwicklung nicht möglich?”

Doch, warum nicht? Die Weltgeschichte ist doch voll davon. Hegels Bericht von den Fortschritten innerhalb der Weltgeschichte ist voll von kleineren und größeren Rückschritten, sowohl innerhalb eines Landes, wie auch insbesondere in den Perioden, in denen eine Kultur die andere “ablöst.”

So sagt Hegel z.B. “ Es gibt in der Weltgeschichte mehrere große Perioden, die vorübergegangen sind, ´ohne daß die Entwicklung sich fortgesetzt zu haben scheint, in welchen vielmehr der ganze ungeheure Gewinn der Bildung vernichtet worden und nach welchen unglücklicherweise wieder von vorne angefangen werden musste, um mit einiger Beihilfe, etwa von geretteten Trümmern jener Schätze, mit erneuertem unermeßlichen Aufwand von Kräften und Zeit, von Verbrechen und von Leiden, wieder eine der längst gewonnenen Regionen jener Bildung zu erreichen. “5

Wichtig ist es, sich klar zu machen, inwiefern und wodurch es Fortschritt gibt (s.o.). Dann weiss man auch um die Grenzen dieses Fortschrittes.

Da die Zwecke einer Hierarchie unterworfen sind und niedrigere, lokalere Zwecke (etwa diejenigen von Freiheit auf Kosten anderer i.S. von Gruppenegoismen, Freiheit i.S. von Willkür und anti-vernünftiger Zwecke usw.) einschließen kann (und i.d. Regel tut), so ergeben sich die Fortschritte eher “on the long run.”

Frage: “Bewußtsein der Freiheit? Also geht es nicht um konkrete Freiheit, sondern um die philosophische Sicht auf die Freiheit?”

Wieso sollten sich “konkrete” und “philosophische” Freiheit widersprechen?

Eine Reflektion dessen, was man tut und was man will, findet doch sowieso dauernd statt (jeder überlegt doch dauernd, was er will und spricht auch mit anderen darüber, es ist Gegenstand von den meisten psychologischen Therapien, von Ratgebern zum Zeitplanen u.ä., aber auch von Thinktanks, Ratgebern und Stabsstellen von Firmen und Regierungen usw. usf.).

Ohne zu wissen, was man will, was denn der Inhalt der eigenen Zwecke ist (und was dabei Freiheit bedeutet), kommt man nicht weit, kann man diese auch nicht umsetzen (wie auch das Wissen allein natürlich nicht ausreicht, dazu gibt es ja die Sphäre des Objektiven Geistes).

In der Sphäre des Absoluten Geistes (Kunst, Religion, Philosophie) werden diese Zwecke und der Inhalt von Freiheit aber nochmal extra, explizit zum Thema gemacht, auch durch die Reflektion auf das, was das bedeutet und dadurch auch mit Blick über die “kurzatmige unmittelbareren Bewährung im gerade Gegebenen” hinaus, mit der Möglichkeit, bestehende Grenzen des Blickes (durch die Anpassung/Focussierung auf das “realistische,” gegebene) zu überschreiten.

Diese Erkenntnis haben dann natürlich wieder Rückwirkungen auf den “subjektiven Geist” (z.B. handelt ein Individuum, welches sich die Lehren des Buddhismus einleuchten lässt, wahrscheinlich anders als ein anderes) und auf den “objektiven Geist” (denn selbstverständlich will man das für richtig erkannte auch umsetzen).

Frage: “Weltgeschichte ist also eine Sache der Philosophen?”

Die philosophische Behandlung der Weltgeschichte (in einer “Philosophie der Weltgeschichte”) ist natürlich Sache der Philosophen, das ist ja schon eine Tautologie.

Das umgekehrt die “konkrete” Weltgeschichte als Handlungen der Staaten usw. nicht nur (und auch nicht in erster Linie) die Sache der Philosophen ist, ist unstrittig (auch Hegel behauptet nichts anderes).

Frage: “Warum Freiheit als zentraler Wert?”

Ordnen Sie einfach Ihre Zwecke und Sie werden sehen, das es Ihnen dabei immer auch um Freiheit geht, Freiheit meine anderen Zwecke zu verfolgen im Sinne von Abwesenheit von Hindernissen, Freiheit diese zu verfolgen im Sinne von positiver Möglichkeit, Mittel dazu, Freiheit im Sinne der Harmonie der inneren (von mir selbst) und äußeren (von anderen) verfolgten Zwecken usw.

(siehe dazu auch die Hegelschen Ausführungen zum Subjektiven Geist, insbesondere zum “praktischen Geist” und auch die entsprechenden Ausführungen in seiner dabei zugrundeliegenden Begriffslogik)

Nachfrage: “Warum nicht soziale Gerechtigkeit oder die Qualität sozialer Organisation als zentraler Wert?”

Und woran würden Sie diese messen? Folgt nicht auch soziale Gerechtigkeit usw. aus dem wohlverstandenen, umfassenden Gedanken von Freiheit?

Nachfrage: “Warum nicht Politik, die Weltgeschichte schreiben will/vorbereitet, als zentraler Wert?”

Selbstverständlich kann ich eine Politik daran messen, inwiefern sie Fortschritt in Bezug auf Freiheit ist/dazu führt.

Und natürlich kann auch ein Politiker oder ein Staat sich das explizit zum Ziel setzen. Dabei wird aber immer nur das jeweils partielle Verständnis von Freiheit zugrunde gelegt. Spätestens aus der historischen Perspektive sehen wir das jeweils Mangelhafte daran.


  1. Suhrkamp TWA Bd. 12, S.31↩︎

  2. Suhrkamp TWA Bd. 12, S.76↩︎

  3. Suhrkamp TWA Bd. 12, S.74↩︎

  4. Suhrkamp TWA Bd. 12, S.75↩︎

  5. Suhrkamp TWA Bd. 12, S.75-76↩︎