ERSTER TEIL. Die orientalische Welt

Erster Abschnitt: China 147)- Der Buddhismus 209)
Erstes Kapitel. Das Zendvolk 218
Zweites Kapitel. Die Assyrer, Babylonier, Meder und Perser225
Drittes Kapitel. Das persische Reich und seine Bestandteile232
Persien 233)Judäa 241)
Übergang zur griechischen Welt 271

Erster Teil Die orientalische Welt

Wir haben die Aufgabe, mit der orientalischen Welt zu beginnen,
und zwar insofern wir Staaten in derselben sehen.

Die Verbreitung der Sprache und die Ausbildung der Völkerschaften
liegt jenseits der Geschichte.

Die Geschichte ist prosaisch, und Mythen enthalten noch keine Geschichte.

Das Bewußtsein des äußerlichen Daseins tritt erst ein mit abstrakten Bestimmungen,
und sowie die Fähigkeit vorhanden ist, Gesetze auszudrücken,
so tritt auch die Möglichkeit ein, die Gegenstände prosaisch aufzufassen.

Indem das Vorgeschichtliche das ist, was dem Staatsleben vorangeht,
liegt es jenseits des selbstbewußten Lebens,
und wenn Ahnungen und Vermutungen hier aufgestellt werden,
so sind dies noch keine Fakta.

Die orientalische Welt hat als ihr näheres Prinzip die Substantialität des Sittlichen.

Es ist die erste Bemächtigung der Willkür, die in dieser Substantialität versinkt.

Die sittlichen Bestimmungen sind als Gesetze ausgesprochen,
aber so, daß der subjektive Wille von den Gesetzen
als von einer äußerlichen Macht regiert wird,
daß alles Innerliche, Gesinnung, Gewissen, formelle Freiheit
nicht vorhanden ist
und daß insofern die Gesetze nur auf eine äußerliche Weise ausgeübt werden
und nur als Zwangsrecht bestehen.

Unser Zivilrecht enthält zwar auch Zwangspflichten:
ich kann zum Herausgeben eines fremden Eigentums,
zum Halten eines geschlossenen Vertrages angehalten werden;
aber das Sittliche liegt doch bei uns nicht allein im Zwange,
sondern im Gemüte und in der Mitempfindung.

Dieses wird im Oriente ebenfalls äußerlich anbefohlen,
und wenn auch der Inhalt der Sittlichkeit ganz richtig angeordnet ist,
so ist doch das Innerliche äußerlich gemacht.

Es fehlt nicht an dem Willen, der es befiehlt,
wohl aber an dem, welcher es darum tut, weil es innerlich geboten ist.

Weil der Geist die Innerlichkeit noch nicht erlangt hat,
so zeigt er ((142)) sich überhaupt nur als natürliche Geistigkeit.

Wie Äußerliches und Innerliches, Gesetz und Einsicht noch eins sind,
so ist es auch die Religion und der Staat.

Die Verfassung ist im ganzen Theokratie,
und das Reich Gottes ist ebenso weltliches Reich,
als das weltliche Reich nicht minder göttlich ist.

Was wir Gott nennen, ist im Orient noch nicht zum Bewußtsein gekommen,
denn unser Gott tritt erst in der Erhebung zum Übersinnlichen ein,
und wenn wir gehorchen, weil wir das, was wir tun, aus uns selbst nehmen,
so ist dort das Gesetz das Geltende an sich,
ohne dieses subjektiven Dazutretens zu bedürfen.

Der Mensch hat darin nicht die Anschauung seines eigenen,
sondern eines ihm durchaus fremden Wollens.

Von den einzelnen Teilen Asiens haben wir schon als ungeschichtliche ausgeschieden:
Hochasien, soweit und solange die Nomaden desselben
nicht auf den geschichtlichen Boden heraustreten, und Sibirien.

Die übrige asiatische Welt teilt sich in vier Terrains:

Erstens die Stromebenen, gebildet durch den gelben und blauen Strom,
und das Hochland Hinterasiens - China und die Mongolei.

Zweitens das Tal des Ganges und das des Indus.

Das dritte Theater der Geschichte sind die Stromebenen des Oxus und Jaxartes,
das Hochland von Persien und die anderen Talebenen des Euphrat und Tigris,
woran sich Vorderasien anschließt.

Viertens die Stromebene des Nil.

Mit China und den Mongolen, dem Reiche der theokratischen Herrschaft,
beginnt die Geschichte.

Beide haben das Patriarchalische zu ihrem Prinzip,
und zwar auf die Weise, daß es in China
zu einem organisierten Systeme weltlichen Staatslebens entwickelt ist,
während es bei den Mongolen sich
in die Einfachheit eines geistigen, religiösen Reichs zusammennimmt.

In China ist der Monarch Chef als Patriarch:
die Staatsgesetze sind teils rechtliche,
teils moralische, so daß das innerliche Gesetz,
das Wissen des Subjekts vom Inhalte seines Wollens als seiner eigenen Innerlichkeit,
selbst als ein äußerliches Rechtsgebot vorhanden ist.

Die ((143)) Sphäre der Innerlichkeit kommt daher hier nicht zur Reife,
da die moralischen Gesetze wie Staatsgesetze behandelt werden
und das Rechtliche seinerseits den Schein des Moralischen erhält.

Alles, was wir Subjektivität nennen, ist in dem Staatsoberhaupt zusammengenommen,
der, was er bestimmt, zum Besten, Heil und Frommen des Ganzen tut.

Diesem weltlichen Reiche steht nun als geistliches das mongolische gegenüber,
dessen Oberhaupt der Lama ist, der als Gott verehrt wird.

In diesem Reiche des Geistigen kommt es zu keinem weltlichen Staatsleben.

In der zweiten Gestalt, dem indischen Reiche,
sehen wir die Einheit des Staatsorganismus,
die vollendete Maschinerie, wie sie in China besteht, zunächst aufgelöst:
die besonderen Mächte erscheinen als losgebunden und frei gegeneinander.

Die verschiedenen Kasten sind freilich fixiert,
aber durch die Religion, welche sie setzt, werden sie zu natürlichen Unterschieden.

Dadurch werden die Individuen noch selbstloser,
obgleich es scheinen könnte,
als wenn sie durch das Freiwerden der Unterschiede gewönnen;
denn indem der Organismus des Staates nicht mehr wie in China
von dem einen substantiellen Subjekt bestimmt und gegliedert wird,
fallen die Unterschiede der Natur anheim und werden Kastenunterschiede.

Die Einheit, in welche diese Abteilungen am Ende zusammenkommen müssen,
ist eine religiöse, und so entsteht theokratische Aristokratie und ihr Despotismus.

Es beginnt hier nun zwar ebenso
der Unterschied des geistigen Bewußtseins gegen weltliche Zustände,
aber wie die Losgebundenheit der Unterschiede die Hauptsache ist,
so findet sich auch in der Religion
das Prinzip der Isolierung der Momente der Idee, welches die höchsten Extreme,
nämlich die Vorstellung des abstrakt einen und einfachen Gottes
und der allgemein sinnlichen Naturmächte enthält.

Der Zusammenhang beider ist nur ein steter Wechsel,
ein nie beruhigtes Schweifen von einem Extrem zu dem anderen hinüber,
ein wilder konsequenzloser Taumel, der einem geregelten verständigen Bewußtsein
als Verrücktheit erscheinen muß. ((144))

Die dritte große Gestalt, die nun gegen das bewegungslose Eine Chinas
und die schweifende ungebundene indische Unruhe auftritt,
ist das persische Reich.

China ist ganz eigentümlich orientalisch;
Indien könnten wir mit Griechenland,
Persien dagegen mit Rom parallelisieren.

In Persien nämlich tritt das Theokratische als Monarchie auf.

Nun ist die Monarchie eine solche Verfassung,
die ihre Gliederung wohl in der Spitze eines Oberhauptes zusammennimmt,
aber dieses weder als das schlechthin allgemein Bestimmende
noch als das willkürlich Herrschende auf dem Throne stehen sieht,
sondern so, daß sein Wille als Gesetzlichkeit vorhanden ist,
die es mit seinen Untertanen teilt.

So haben wir ein allgemeines Prinzip, ein Gesetz, das allem zugrunde liegt,
aber das selbst noch als natürlich mit dem Gegensatze behaftet ist.

Daher ist die Vorstellung, die der Geist von sich selbst hat,
auf dieser Stufe noch eine ganz natürliche, das Licht.

Dieses allgemeine Prinzip ist ebenso die Bestimmung für den Monarchen
als für jeden der Untertanen,
und der persische Geist ist so der reine, gelichtete,
die Idee eines Volkes in reiner Sittlichkeit
wie in einer heiligen Gemeine lebend.

Diese aber hat
teils als natürliche Gemeine den Gegensatz unüberwunden an ihr,
und ihre Heiligkeit erhält diese Bestimmung des Sollens,
teils aber zeigt sich in Persien dieser Gegensatz
als das Reich feindlicher Völker
sowie als der Zusammenhang der verschiedenen Nationen.

Die persische Einheit ist nicht die abstrakte des chinesischen Reiches,
sondern sie ist bestimmt, über viele unterschiedene Völkerschaften,
die sie unter der milden Gewalt ihrer Allgemeinheit vereinigt, zu herrschen
und wie eine segnende Sonne über alle hinwegzuleuchten, erweckend und wärmend.

Alles Besondere läßt diese Allgemeinheit, die nur die Wurzel ist,
frei aus sich herausschlagen und sich, wie es mag, ausbreiten und verzweigen.

Im Systeme daher dieser besonderen Völker
sind auch alle verschiedenen Prinzipien vollständig auseinandergelegt
und existieren nebeneinander fort.

Wir finden in dieser Völkerzahl schweifende Nomaden,
dann sehen wir in ((145)) Babylonien und Syrien Handel und Gewerbe ausgebildet,
die tollste Sinnlichkeit, den ausgelassensten Taumel.

Durch die Küsten kommt die Beziehung nach außen.

Mitten in diesem Pfuhl tritt uns der geistige Gott der Juden entgegen,
der wie Brahman nur für den Gedanken ist, doch eifrig,
und alle Besonderheit des Unterschiedes,
die in anderen Religionen freigelassen ist, aus sich ausschließend und aufhebend.

Dieses persische Reich also,
weil es die besonderen Prinzipien frei für sich kann gewähren lassen,
hat den Gegensatz lebendig in sich selbst;
und nicht abstrakt und ruhig wie China und Indien in sich beharrend,
macht es einen wirklichen Übergang in der Weltgeschichte.

Wenn Persien den äußerlichen Übergang in das griechische Leben macht,
so ist der innerliche durch Ägypten vermittelt.

Hier werden die abstrakten Gegensätze durchdrungen,
eine Durchdringung, die eine Auflösung derselben ist.

Diese nur an sich seiende Versöhnung
stellt vielmehr den Kampf der widersprechendsten Bestimmungen dar,
die ihre Vereinigung noch nicht herauszugebären vermögen,
sondern, diese Geburt sich als Aufgabe setzend,
sich für sich selbst und andere zum Rätsel machen,
dessen Lösung erst die griechische Welt ist.

Vergleichen wir diese Reiche nach ihren verschiedenen Schicksalen,
so ist das Reich des chinesischen Strompaares
das einzige Reich der Dauer in der Welt.

Eroberungen können solchem Reiche nichts anhaben.

Auch die Welt des Ganges und Indus ist erhalten;
solche Gedankenlosigkeit ist gleichfalls unvergänglich,
aber sie ist wesentlich dazu bestimmt, vermischt,
bezwungen und unterdrückt zu werden.

Wie diese zwei Reiche, nach der zeitlichen Gegenwart, auf Erden geblieben,
so ist dagegen von den Reichen des Tigris und Euphrat nichts mehr übrig
als höchstens ein Haufen von Backsteinen;
denn das persische Reich als das des Überganges ist das vergängliche,
und die Reiche des Kaspischen Meeres
sind dem alten Kampf von Iran und Turan preisgegeben.

Das Reich des einen Nil aber ist nur unter der Erde vorhanden,
in seinen stummen Toten, die jetzt in alle Welt ((146)) verschleppt werden,
und in deren majestätischen Behausungen;
- denn was über der Erde noch steht, sind selbst nur solche prächtige Gräber.


Erster Abschnitt China

Mit dem Reiche China hat die Geschichte zu beginnen,
denn es ist das älteste, soweit die Geschichte Nachricht gibt,
und zwar ist sein Prinzip von solcher Substantialität, daß es zugleich
das älteste und das neueste für dieses Reich ist.

Früh schon sehen wir China
zu dem Zustande heranwachsen, in welchem es sich heute befindet;
denn da der Gegensatz von objektivem Sein und subjektiver Daranbewegung
noch fehlt, so ist jede Veränderlichkeit ausgeschlossen,
und das Statarische, das ewig wiedererscheint,
ersetzt das, was wir das Geschichtliche nennen würden.

China und Indien liegen gleichsam noch außer der Weltgeschichte,
als die Voraussetzung der Momente,
deren Zusammenschließung erst ihr lebendiger Fortgang wird.

Die Einheit von Substantialität und subjektiver Freiheit
ist so ohne Unterschied und Gegensatz beider Seiten,
daß eben dadurch die Substanz nicht vermag, zur Reflexion in sich,
zur Subjektivität zu gelangen.

Das Substantielle, das als Sinnliches erscheint,
herrscht somit nicht als Gesinnung des Subjekts,
sondern als Despotie des Oberhauptes.

Kein Volk hat eine so bestimmt zusammenhängende Zahl von Geschichtsschreibern
wie das chinesische.

Auch andere asiatische Völker haben uralte Traditionen, aber keine Geschichte.

Die Wedas der Inder sind eine solche nicht;
die Überlieferungen der Araber sind uralt,
aber sie beruhen nicht auf einem Staat und seiner Entwicklung.

Dieser besteht aber in China und hat sich hier eigentümlich herausgestellt.

Die chinesische Tradition steigt bis auf 3000 Jahre vor ((147)) Christi Geburt hinauf;
und der Schu-king, das Grundbuch derselben,
welches mit der Regierung des Yao beginnt,
setzt diese 2357 Jahre vor Christi Geburt.

Beiläufig mag hier bemerkt werden,
daß auch die anderen asiatischen Reiche in der Zeitrechnung weit hinaufführen.

Nach der Berechnung eines Engländers geht die ägyptische Geschichte z. B.
bis auf 2207 Jahre vor Christus,
die assyrische bis auf 2221,
die indische bis auf 2204 hinauf.

Also bis auf ungefähr 2300 Jahre vor Christi Geburt steigen die Sagen
in Ansehung der Hauptreiche des Orients.

Wenn wir dies mit der Geschichte des Alten Testaments vergleichen,
so sind, nach der gewöhnlichen Annahme,
von der noahischen Sintflut bis auf Christus 2400 Jahre verflossen.

Johannes von Müller hat aber gegen diese Zahl bedeutende Einwendungen gemacht.

Er setzt die Sintflut in das Jahr 3473 vor Christus,
also ungefähr um 1000 Jahre früher, indem er sich dabei
nach der alexandrinischen Übersetzung der Mosaischen Bücher richtet.

Ich bemerke dies nur darum, daß,
wenn wir Daten von höherem Alter als 2400 Jahre vor Chr. begegnen
und doch nichts von der Flut hören,
uns das in bezug auf die Chronologie nicht weiter genieren darf.

Die Chinesen haben Ur- und Grundbücher, aus denen ihre Geschichte,
ihre Verfassung und Religion erkannt werden kann.

Die Wedas, die Mosaischen Urkunden sind ähnliche Bücher,
wie auch die Homerischen Gesänge.

Bei den Chinesen führen diese Bücher den Namen der Kings
und machen die Grundlage aller ihrer Studien aus.

Der Schu-king enthält die Geschichte,
handelt von der Regierung der alten Könige
und gibt die Befehle, die von diesem oder jenem Könige ausgegangen sind.

Der Yi-king besteht aus Figuren,
die man als Grundlagen der chinesischen Schrift angesehen hat,
so wie man auch dieses Buch als Grundlage der chinesischen Meditation betrachtet.

Denn es fängt mit den Abstraktionen der ((148)) Einheit und Zweiheit an
und handelt dann von konkreten Existenzen solcher abstrakten Gedankenformen.

Der Schi-king endlich ist das Buch der ältesten Lieder der verschiedensten Art.

Alle hohen Beamten hatten früher den Auftrag, bei dem Jahresfeste
alle in ihrer Provinz im Jahre gemachten Gedichte mitzubringen.

Der Kaiser inmitten seines Tribunals war der Richter dieser Gedichte,
und die für gut erkannten erhielten öffentliche Sanktion.

außer diesen drei Grundbüchern, die besonders verehrt und studiert werden,
gibt es noch zwei andere, weniger wichtige,
nämlich den Li-ki (auch Li-king), welcher
die Gebräuche und das Zeremonial gegen den Kaiser und die Beamten enthält,
mit einem Anhang Yo-king, welcher von der Musik handelt,
und den Tschun-tsiu, die Chronik des Reiches Lu, wo Konfuzius auftrat.

Diese Bücher sind die Grundlage der Geschichte,
der Sitten und der Gesetze Chinas.

Dieses Reich hat schon früh die Aufmerksamkeit der Europäer auf sich gezogen,
wenngleich nur unbestimmte Sagen davon vorhanden waren.

Man bewundert es immer als ein Land, das, aus sich selbst entstanden,
gar keinen Zusammenhang mit dem Auslande zu haben schien.

Im dreizehnten Jahrhundert
ergründete es ein Venetianer (Marco Polo) zum ersten Male,
allein man hielt seine Aussagen für fabelhaft.

Späterhin fand sich alles, was er
über seine Ausdehnung und größe ausgesagt hatte, vollkommen bestätigt.

Nach der geringsten Annahme nämlich würde China
150 Millionen Menschen enthalten, nach einer anderen 200
und nach der höchsten sogar 300 Millionen.

Vom hohen Norden erstreckt es sich gegen Süden bis nach Indien,
im Osten wird es durch das große Weltmeer begrenzt,
und gegen Westen verbreitet es sich bis nach Persien
nach dem Kaspischen Meere zu.

Das eigentliche China ist übervölkert.

An den beiden Strömen Hoangho und Yangtsekiang
halten sich mehrere Millionen Menschen auf,
die auf Flößen ganz nach ihrer Bequemlichkeit eingerichtet leben.

Die Bevölkerung, die durchaus organisierte
und bis in die kleinsten Details ((149)) hineingearbeitete Staatsverwaltung
hat die Europäer in Erstaunen gesetzt,
und hauptsächlich verwunderte die Genauigkeit,
mit der die Geschichtswerke ausgeführt waren.

In China gehören nämlich die Geschichtsschreiber zu den höchsten Beamten.

Zwei sich beständig in der Umgebung des Kaisers befindende Minister
haben den Auftrag, alles, was der Kaiser tut, befiehlt und spricht,
auf Zettel zu schreiben,
die dann von den Geschichtsschreibern verarbeitet und benutzt werden.

Wir können uns freilich in die Einzelheiten dieser Geschichte
weiter nicht einlassen, die, da sie selbst nichts entwickelt,
uns in unserer Entwicklung hemmen würde.

Sie geht in die ganz alten Zeiten hinauf,
wo als Kulturspender Fohi genannt wird,
der zuerst eine Zivilisation über China verbreitete.

Er soll im 29. Jahrhundert vor Christus gelebt haben,
also vor der Zeit, in welcher der Schu-king anfängt;
aber das Mythische und Vorgeschichtliche wird von den chinesischen Geschichtsschreibern
ganz wie etwas Geschichtliches behandelt.

Der erste Boden der chinesischen Geschichte
ist der nordwestliche Winkel, das eigentliche China,
gegen den Punkt hin, wo der Hoangho von dem Gebirge herunterkommt;
denn erst späterhin erweiterte sich das chinesische Reich gegen Süden,
nach dem Yangtsekiang zu.

Die Erzählung beginnt mit dem Zustande,
wo die Menschen in der Wildheit, das heißt in den Wäldern gelebt,
sich von den Früchten der Erde genährt
und mit den Fellen wilder Tiere bekleidet haben.

Keine Kenntnis von bestimmten Gesetzen war unter ihnen.

Dem Fohi (wohl zu unterscheiden von Fo, dem Stifter einer neuen Religion)
wird es zugeschrieben, daß er die Menschen gelehrt habe,
sich Hütten zu bauen und Wohnungen zu machen;
er habe ihre Aufmerksamkeit
auf den Wechsel und die Wiederkehr der Jahreszeiten gelenkt,
Tausch und Handel eingeführt, das Ehegesetz begründet;
er habe gelehrt, daß die Vernunft vom Himmel komme,
und Unterricht in der Seidenzucht, im Brückenbau
und in dem Gebrauch von Lasttieren erteilt.

Über alle diese Anfänge lassen ((150)) sich die chinesischen Geschichtsschreiber
sehr weitläufig aus.

Die weitere Geschichte ist dann
die Ausbreitung der entstandenen Gesittung nach Süden zu
und das Beginnen eines Staates und einer Regierung.

Das große Reich, das sich so nach und nach gebildet hatte,
zerfiel bald in mehrere Provinzen, die lange Kriege miteinander führten
und sich dann wieder zu einem Ganzen vereinigten.

Die Dynastien haben in China oft gewechselt,
und die jetzt herrschende wird in der Regel als die 22. bezeichnet.

Im Zusammenhang mit dem Auf- und Abgehen dieser Herrschergeschlechter
wechselten auch die verschiedenen Hauptstädte,
die sich in diesem Reiche finden.

Lange Zeit war Nanking die Hauptstadt, jetzt ist es Peking,
früher waren es noch andere Städte.

Viele Kriege hat China mit den Tataren führen müssen,
die weit ins Land eindrangen.

Den Einfällen der nördlichen Nomaden wurde die von Schi-hoang-ti erbaute
lange Mauer entgegengesetzt,
welche immer als Wunderwerk betrachtet worden ist.

Dieser Fürst hat das ganze Reich in 36 Provinzen geteilt
und ist auch dadurch besonders merkwürdig, daß er die alte Literatur
und namentlich die Geschichtsbücher
und die geschichtlichen Bestrebungen überhaupt verfolgte.

Es geschah dieses in der Absicht, die eigene Dynastie zu befestigen
durch die Vernichtung des Andenkens der früheren.

Nachdem die Geschichtsbücher zusammengehäuft und verbrannt waren,
flüchteten sich mehrere hundert Gelehrte auf die Berge,
um das, was ihnen an Werken noch übrigblieb, zu erhalten.

Jeder von ihnen, der aufgegriffen wurde,
hatte ein gleiches Schicksal wie die Bücher.

Dieses Bücherverbrennen ist ein sehr wichtiger Umstand, denn trotz demselben
haben sich die eigentlichen kanonischen Bücher dennoch erhalten,
wie dies überall der Fall ist.

Die Verbindung Chinas mit dem Abendlande
fällt ungefähr in das Jahr 64 nach Christi Geburt.

Damals sandte, so heißt es, ein chinesischer Kaiser Gesandte ab,
die Weisen des Abendlandes zu besuchen.

Zwanzig Jahre später soll ein chinesischer General
bis Judäa vorgedrungen sein;
im Anfange des achten Jahrhunderts ((151)) nach Christi Geburt
seien die ersten Christen nach China gekommen,
wovon spätere Ankömmlinge
noch Spuren und Denkmale gefunden haben wollen.

Ein im Norden Chinas bestehendes tatarisches Königreich Lyau-tong
sei mit Hilfe der westlichen Tataren, um 1100 von den Chinesen zerstört
und überwunden worden,
was jedoch eben diesen Tataren die Gelegenheit gab,
festen Fuß in China zu fassen.

Auf gleiche Weise habe man den Mandschus Wohnsitze eingeräumt,
mit denen man im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Krieg geriet,
infolge welcher sich die jetzige Dynastie des Thrones bemächtigte.

Eine weitere Veränderung hat jedoch diese neue Herrscherfamilie,
sowenig als die frühere Eroberung der Mongolen im Jahre 1281,
im Land nicht hervorgebracht.

Die Mandschus, die in China leben,
müssen sich genau in die chinesischen Gesetze und Wissenschaften einstudieren.

Wir gehen nunmehr von diesen wenigen Daten der chinesischen Geschichte
zur Betrachtung des Geistes der immer gleichgebliebenen Verfassung über.

Er ergibt sich aus dem allgemeinen Prinzipe.

Dieses ist nämlich die unmittelbare Einheit
des substantiellen Geistes und des Individuellen;
das aber ist der Familiengeist,
welcher hier auf das volkreichste Land ausgedehnt ist.

Das Moment der Subjektivität, das will sagen,
das sich in sich Reflektieren des einzelnen Willens
gegen die Substanz als die ihn verzehrende Macht,
oder das Gesetztsein dieser Macht als seiner eigenen Wesenheit,
in der er sich frei weiß, ist hier noch nicht vorhanden.

Der allgemeine Wille betätigt sich unmittelbar durch den einzelnen:
dieser hat gar kein Wissen seiner gegen die Substanz,
die er sich noch nicht als Macht gegen sich setzt,
wie z. B. im Judentum der eifrige Gott
als die Negation des Einzelnen gewußt wird.

Der allgemeine Wille sagt hier in China unmittelbar,
was der Einzelne tun solle,
und dieser folgt und gehorcht ebenso reflexions- und selbstlos.

Gehorcht er nicht, tritt er somit aus der Substanz heraus, so wird er,
da dieses Heraustreten nicht durch ein Insichgehen vermittelt ist,
auch ((152)) nicht in der Strafe an der Innerlichkeit erfaßt,
sondern an der äußerlichen Existenz.

Das Moment der Subjektivität fehlt daher diesem Staatsganzen ebensosehr,
als dieses auch andererseits gar nicht auf Gesinnung basiert ist.

Denn die Substanz ist unmittelbar ein Subjekt, der Kaiser,
dessen Gesetz die Gesinnung ausmacht.

Trotzdem ist dieser Mangel an Gesinnung nicht Willkür,
welche selber schon wieder gesinnungsvoll,
das heißt subjektiv und beweglich wäre,
sondern es ist hier das Allgemeine geltend,
die Substanz, die noch undurchweicht sich selber allein gleich ist.

Dieses Verhältnis nun näher und der Vorstellung gemäßer ausgedrückt ist die Familie.

Auf dieser sittlichen Verbindung allein beruht der chinesische Staat,
und die objektive Familienpietät ist es, welche ihn bezeichnet.

Die Chinesen wissen sich als zu ihrer Familie gehörig
und zugleich als Söhne des Staates.

In der Familie selbst sind sie keine Personen,
denn die substantielle Einheit, in welcher sie sich darin befinden,
ist die Einheit des Bluts und der Natürlichkeit.

Im Staate sind sie es ebensowenig,
denn es ist darin das patriarchalische Verhältnis vorherrschend,
und die Regierung beruht
auf der Ausübung der väterlichen Vorsorge des Kaisers,
der alles in Ordnung hält.

Als hochgeehrte und unwandelbare Grundverhältnisse
werden im Schu-king fünf Pflichten angegeben:
1. die des Kaisers und des Volkes gegeneinander,
2. des Vaters und der Kinder,
3. des älteren und des jüngeren Bruders,
4. des Mannes und der Frau,
5. des Freundes gegen den Freund.

Es mag hier gelegentlich bemerkt werden,
daß die Zahl fünf überhaupt bei den Chinesen etwas Festes ist
und ebensooft wie bei uns die Zahl drei vorkommt;
sie haben fünf Naturelemente: Luft, Wasser, Erde, Metall und Holz;
sie nehmen vier Himmelsgegenden und die Mitte an;
heilige Orte, wo Altäre errichtet sind,
bestehen aus vier Hügeln und einem in der Mitte.

Die Pflichten der Familie gelten schlechthin,
und es wird gesetzlich auf dieselben gehalten.

Der Sohn darf den Vater nicht anreden, wenn er in den Saal tritt;
er muss sich an der ((153)) Seite der Türe gleichsam eindrücken
und kann die Stube nicht ohne Erlaubnis des Vaters verlassen.

Wenn der Vater stirbt, so muss der Sohn drei Jahre lang trauern,
ohne Fleischspeisen und Wein zu sich zu nehmen;
die Geschäfte, denen er sich widmete, selbst die Staatsgeschäfte stocken,
denn er muss sich von denselben entfernen;
der eben zur Regierung kommende Kaiser selbst
widmet sich während dieser Zeit seinen Regierungsarbeiten nicht.

Keine Heirat darf während der Trauerzeit in der Familie geschlossen werden.

Erst das fünfzigste Lebensjahr befreit
von der überaus großen Strenge der Trauer,
damit der Leidtragende nicht mager werde;
das sechzigste mildert sie noch mehr,
und das siebzigste beschränkt sie gänzlich auf die Farbe der Kleider.

Die Mutter wird ebensosehr wie der Vater verehrt.

Als Lord Macarmey den Kaiser sah, war dieser achtundsechzig Jahre alt
(sechzig Jahre ist bei den Chinesen eine feste runde Zahl wie bei uns hundert),
dessenungeachtet besuchte er seine Mutter alle Morgen zu Fuß,
um ihr seine Ehrfurcht zu beweisen.

Die Neujahrsgratulationen finden sogar bei der Mutter des Kaisers statt,
und der Kaiser kann die Huldigungen der großen des Hofes erst empfangen,
nachdem er die seinigen seiner Mutter gebracht.

Die Mutter bleibt stets die erste und beständige Ratgeberin des Kaisers,
und alles, was die Familie betrifft, wird in ihrem Namen bekanntgemacht.

Die Verdienste des Sohnes werden nicht diesem, sondern dem Vater zugerechnet.

Als ein Premierminister einst den Kaiser bat,
seinem verstorbenen Vater Ehrentitel zu geben,
so ließ der Kaiser eine Urkunde ausstellen, worin es hieß:
»Eine Hungersnot verwüstete das Reich: Dein Vater gab Reis den Bedürftigen.

Welche Wohltätigkeit!

Das Reich war am Rande des Verderbens:
Dein Vater verteidigte es mit der Gefahr seines Lebens.

Welche Treue!

Die Verwaltung des Reiches war deinem Vater anvertraut:
Er machte vortreffliche Gesetze,
erhielt Friede und Eintracht mit den benachbarten Fürsten
und behauptete die Rechte meiner Krone.

Welche Weisheit!

Also der Ehrentitel, den ich ihm verleihe, ((154))
ist Wohltätig, treu und weise.«

Der Sohn hatte alles das getan, was hier dem Vater zugeschrieben wird.

Auf diese Weise gelangen die Voreltern
(umgekehrt wie bei uns) durch ihre Nachkommen zu Ehrentiteln.

Dafür ist aber auch jeder Familienvater
für die Vergehen seiner Deszendenten verantwortlich.

Es gibt Pflichten von unten nach oben,
aber keine eigentlich von oben nach unten.

Ein Hauptbestreben der Chinesen ist es, Kinder zu haben,
die ihnen die Ehre des Begräbnisses erweisen können,
das Gedächtnis nach dem Tode ehren und das Grab schmücken.

Wenn auch ein Chinese mehrere Frauen haben darf,
so ist doch nur eine die Hausfrau,
und die Kinder der Nebenfrauen haben diese durchaus als Mutter zu ehren.

In dem Falle, daß ein Chinese von allen seinen Frauen keine Kinder erzielte,
würde er zur Adoption schreiten können,
eben wegen der Ehre nach dem Tode.

Denn es ist eine unerläßliche Bedingung,
daß das Grab der Eltern jährlich besucht werde.

Hier werden alljährlich die Wehklagen erneut,
und manche, um ihrem Schmerz vollen Lauf zu lassen,
verweilen bisweilen ein bis zwei Monate daselbst.

Der Leichnam des eben verstorbenen Vaters
wird oft drei bis vier Monate im Hause behalten, und während dieser Zeit
darf keiner sich auf einen Stuhl setzen und im Bette schlafen.

Jede Familie in China hat einen Saal der Vorfahren,
wo sich alle Mitglieder derselben alle Jahre versammeln;
daselbst sind die Bildnisse derer aufgestellt, die hohe Würden bekleidet haben,
und die Namen der Männer und Frauen,
welche weniger wichtig für die Familie waren, sind auf Täfelchen geschrieben;
die ganze Familie speist dann zusammen,
und die Ärmeren werden von den Reicheren bewirtet.

Man erzählt, daß, als ein Mandarin, der Christ geworden war,
seine Voreltern auf diese Weise zu ehren aufgehört hatte,
er sich großen Verfolgungen von seiten seiner Familie aussetzte.

Ebenso genau wie die Verhältnisse zwischen dem Vater und den Kindern
sind auch die zwischen dem älteren Bruder und den jüngeren Brüdern bestimmt.

Die ersteren((155)) haben, obgleich im minderen Grade,
doch Ansprüche auf Verehrung.

Diese Familiengrundlage ist auch die Grundlage der Verfassung,
wenn man von einer solchen sprechen will.

Denn obschon der Kaiser das Recht eines Monarchen hat,
der an der Spitze eines Staatsganzen steht,
so übt er es doch in der Weise eines Vaters über seine Kinder aus.

Er ist Patriarch, und auf ihn gehäuft ist alles,
was im Staate auf Ehrfurcht Anspruch machen kann.

Denn der Kaiser ist ebenso Chef der Religion und der Wissenschaft,
wovon später noch ausführlich die Rede sein wird.

    1. verständig ohne freie Vernunft und Phantasie.

Die höchste Ehrfurcht muss dem Kaiser erwiesen werden.

Durch sein Verhältnis ist er persönlich zu regieren genötigt
und muss selbst die Gesetze und Angelegenheiten des Reiches
kennen und leiten, wenn auch die Tribunale die Geschäfte erleichtern.

Trotzdem hat seine bloße Willkür wenig Spielraum,
denn alles geschieht aufgrund alter Reichsmaximen,
und seine fortwährend zügelnde Aufsicht ist nicht minder notwendig.

Die kaiserlichen Prinzen werden daher aufs strengste erzogen,
ihr Körper wird abgehärtet,
und die Wissenschaften sind von früh auf ihre Beschäftigung.

Unter der Aufsicht des Kaisers wird ihre Erziehung geleitet,
und früh wird ihnen gezeigt, daß der Kaiser das Haupt des Reiches sei
und in allem auch als der Erste und Beste erscheinen müsse.

Jährlich werden die Prinzen geprüft
und darüber eine weitläufige Deklaration an das ganze Reich erlassen,
welches den ungemeinsten Anteil an diesen Angelegenheiten nimmt.

So ist China dazu gekommen, die größten und besten Regenten zu erhalten,
auf welche der Ausdruck salomonische Weisheit anwendbar wäre;
und besonders die ((156)) jetzige Mandschudynastie
hat sich durch Geist und körperliche Geschicklichkeit ausgezeichnet.

Alle Ideale von Fürsten und von Fürstenerziehung,
dergleichen seit dem Telemaque von Fenelon so vielfach aufgestellt worden,
haben hier ihre Stelle.

In Europa kann’s keine Salomos geben.

Hier aber ist der Boden und die Notwendigkeit von solchen Regierungen,
insofern als die Gerechtigkeit, der Wohlstand, die Sicherheit des Ganzen
auf dem einen Impuls des obersten Gliedes der ganzen Kette der Hierarchie beruht.

Das Benehmen des Kaisers wird uns als höchst einfach,
natürlich, edel und verständig geschildert;
ohne stummen Stolz, Widrigkeit der Äußerungen und Vornehmtun
lebt er im Bewußtsein seiner Würde und in der Ausübung seiner Pflichten,
wozu er von Jugend auf ist angehalten worden.

außer dem Kaiser gibt es eigentlich keinen ausgezeichneten Stand,
keinen Adel bei den Chinesen.

Nur die Prinzen vom Hause und die Söhne der Minister haben einigen Vorrang,
mehr durch ihre Stellung als durch ihre Geburt.

Sonst gelten alle gleich, und nur diejenigen haben Anteil an der Verwaltung,
die die Geschicklichkeit dazu besitzen.

Die Würden werden so von den wissenschaftlich Gebildetsten bekleidet.

Daher ist oft der chinesische Staat als ein Ideal aufgestellt worden,
das uns sogar zum Muster dienen sollte.

Das Weitere ist die Reichsverwaltung.

Von einer Verfassung kann hier nicht gesprochen werden,
denn darunter wäre zu verstehen,
daß Individuen und Korporationen selbständige Rechte hätten,
teils in Beziehung auf ihre besonderen Interessen,
teils in Beziehung auf den ganzen Staat.

Dieses Moment muss hier fehlen,
und es kann nur von einer Reichsverwaltung die Rede sein.

China ist das Reich der absoluten Gleichheit,
und alle Unterschiede, die bestehen,
sind nur vermittels der Reichsverwaltung möglich
und durch die Würdigkeit, die sich jeder gibt,
in dieser Verwaltung eine hohe Stufe zu erreichen.

Weil in China Gleichheit, aber keine Freiheit herrscht,
ist der Despotismus die notwendig gegebene Regierungsweise.

Bei uns sind die Menschen nur vor ((157)) dem Gesetz
und in der Beziehung gleich, daß sie Eigentum haben;
außerdem haben sie noch viele Interessen und viele Besonderheiten,
die garantiert sein müssen, wenn Freiheit für uns vorhanden sein soll.

Im chinesischen Reiche sind aber diese besonderen Interessen
nicht für sich berechtigt,
und die Regierung geht lediglich vom Kaiser aus,
der sie als eine Hierarchie von Beamten oder Mandarinen betätigt.

Von diesen gibt es zweierlei Arten, gelehrte und Kriegsmandarine,
welche letzteren unsere Offiziere sind.

Die gelehrten Mandarine sind die höheren,
denn der Zivilstand überragt in China den Militärstand.

Die Beamten werden auf den Schulen gebildet.

Es sind Elementarschulen für die Erlangung von Elementarkenntnissen eingerichtet.

Anstalten für die höhere Bildung, wie bei uns die Universitäten,
sind wohl nicht vorhanden.

Die, welche zu hohen Staatsämtern gelangen wollen,
müssen mehrere Prüfungen bestehen, in der Regel drei.

Zum dritten und letzten Examen, bei dem der Kaiser selbst gegenwärtig ist,
kann nur zugelassen werden, wer das erste und zweite gut bestanden hat,
und die Belohnung, wenn man dasselbe glücklich absolviert hat,
ist die sofortige Zulassung in das höchste Reichskollegium.

Die Wissenschaften, deren Kenntnis besonders verlangt wird,
sind die Reichsgeschichte, die Rechtswissenschaft
und die Kenntnis der Sitten und Gebräuche sowie der Organisation und Administration.

außerdem sollen die Mandarine
das Talent der Dichtkunst in äußerster Feinheit besitzen.

Man kann dies besonders aus dem von Abel Remusat übersetzten Romane
Ju-kiao-li, die beiden Cousinen, ersehen;
es wird hier ein junger Mensch vorgeführt, der seine Studien absolviert hat
und sich nun anstrengt, um zu hohen Würden zu gelangen.

Auch die Offiziere in der Armee müssen Kenntnisse besitzen,
auch sie werden geprüft;
aber die Zivilbeamten stehen, wie schon gesagt worden ist,
in weit höherem Ansehen.

Bei den großen Festen erscheint der Kaiser
mit einer Begleitung von zweitausend Doktoren, das heißt Zivilmandarinen,
und ebensoviel Kriegsmandarinen.

(Im ganzen ((158)) chinesischen Staate sind nämlich gegen 15000 Zivil-
und 20000 Kriegsmandarine.)

Die Mandarine, die noch keine Anstellung erhalten haben,
gehören dennoch zum Hofe,
und bei den großen Festen, im Frühjahr und im Herbst,
wo der Kaiser selbst die Furche zieht, müssen sie erscheinen.

Diese Beamten sind in acht Klassen geteilt.

Die ersten sind die um den Kaiser stehenden,
dann folgen die Vizekönige, und so weiter.

Der Kaiser regiert durch die Behörden,
welche meist aus Mandarinen zusammengesetzt sind.

Das Reichskollegium ist die oberste Behörde,
es besteht aus den gelehrtesten und geistreichsten Männern.

Daraus werden die Präsidenten und anderen Collegia gewählt.

In den Regierungsangelegenheiten herrscht die größte Öffentlichkeit:
die Beamten berichten an das Reichskollegium,
und dieses legt dem Kaiser die Sache vor,
dessen Entscheidung alsdann in der Hofzeitung bekanntgemacht wird.

Oft klagt sich auch der Kaiser selbst wegen der Fehler an, die er begangen hat;
und wenn seine Prinzen schlecht im Examen bestanden haben,
so tadelt er sie laut.

In jedem Ministerium und in den verschiedenen Teilen des Reiches
ist ein Zensor, Ko-tao, der an den Kaiser über alles Bericht erstatten muss;
diese Zensoren werden nicht abgesetzt und sind sehr gefürchtet:
sie führen über alles, was die Regierung betrifft,
über die Geschäftsführung und das Privatbenehmen der Mandarine
eine strenge Aufsicht und berichten darüber unmittelbar an den Kaiser;
auch haben sie das Recht, dem Kaiser Vorstellungen zu machen
und ihn zu tadeln.

Die chinesische Geschichte liefert viele Beispiele
von dem Adel der Gesinnung und dem Mute dieser Ko-tao.

So hatte ein Zensor einem tyrannischen Kaiser Vorstellungen gemacht,
war aber hart zurückgewiesen worden.

Er ließ sich indessen nicht irremachen,
sondern verfügte sich abermals zum Kaiser, um seine Vorstellungen zu erneuern.

Seinen Tod voraussehend, ließ er sich zugleich den Sarg mit hintragen,
in dem er begraben sein wollte.

Von anderen Zensoren wird erzählt, daß sie,
von den Henkersknechten ganz zerfleischt, unvermögend einen Laut hervorzubringen,
((159)) noch mit Blut ihre Bemerkungen in den Sand schrieben.

Diese Zensoren bilden selbst wieder ein Tribunal,
das die Aufsicht über das ganze Reich hat.

Die Mandarine sind verantwortlich auch für alles, was sie im Notfall unterlassen haben.

Wenn eine Hungersnot, Krankheit, Verschwörung, religiöse Unruhe ausbricht,
so haben sie zu berichten,
aber nicht auf weitere Befehle der Regierung zu warten,
sondern sogleich tätig einzugreifen.

Das Ganze dieser Verwaltung ist also mit einem Netz von Beamten überspannt.

Für die Aufsicht der Landstraßen, der Flüsse, der Meeresufer sind Beamte angestellt.

Alles ist aufs genaueste angeordnet;
besonders wird auf die Flüsse große Sorgfalt verwendet;
im Schu-king finden sich viele Verordnungen der Kaiser in dieser Hinsicht,
um das Land vor Überschwemmungen zu sichern.

Die Tore jeder Stadt sind mit Wachen besetzt,
und die Straßen werden alle Nacht gesperrt.

Die Beamten sind immer dem höheren Kollegium Rechenschaft schuldig.

Jeder Mandarin hat ohnehin die Pflicht,
alle fünf Jahre seine begangenen Fehler anzuzeigen,
und die Treue seiner Darstellung
wird durch das kontrollierende Institut der Zensoren verbürgt.

Bei jedem groben unangegebenen Vergehen
werden die Mandarine mit ihrer Familie auf das härteste bestraft.

Aus allem diesem erhellt, daß der Kaiser der Mittelpunkt ist,
um den sich alles dreht und zu dem alles zurückkehrt,
und von dem Kaiser hängt somit das Wohl des Landes und des Volkes ab.

Die ganze Hierarchie der Verwaltung
ist mehr oder weniger nach einer Routine tätig,
die im ruhigen Zustande eine bequeme Gewohnheit wird.

Einförmig und gleichmäßig, wie der Gang der Natur,
geht sie ihren Weg ein wie allemal;
nur der Kaiser soll die rege, immer wache und selbsttätige Seele sein.

Wenn nun die Persönlichkeit des Kaisers
nicht von der geschilderten Beschaffenheit ist, nämlich durchaus moralisch,
arbeitsam und bei gehaltener Würde voller Energie, so läßt alles nach,
und der Zustand der Regierung ist von oben bis unten gelähmt
und der Nachlässigkeit ((160)) und Willkür preisgegeben.

Denn es ist keine andere rechtliche Macht oder Ordnung vorhanden
als diese von oben spannende und beaufsichtigende Macht des Kaisers.

Es ist nicht das eigene Gewissen, die eigene Ehre,
die die Beamten zur Rechenschaft anhielte,
sondern das äußerliche Gebot und die strenge Aufrechthaltung desselben.

Bei der Revolution in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
war der letzte Kaiser der damals herrschenden Dynastie
sehr sanftmütig und edel,
aber bei seinem milden Charakter erschlafften die Zügel der Regierung,
und es entstanden notwendigerweise Empörungen.

Die Aufrührer riefen die Mandschu ins Land.

Der Kaiser selbst entleibte sich, um den Feinden nicht in die Hände zu fallen,
und mit seinem Blute schrieb er noch auf den Saum des Kleides seiner Tochter
einige Worte, in welchen er sich über das Unrecht seiner Untertanen tief beklagte.

Ein Mandarin, der bei ihm war, begrub ihn
und brachte sich dann auf seinem Grabe um.

Dasselbe taten die Kaiserin und ihr Gefolge;
der letzte Prinz des kaiserlichen Hauses,
welcher in einer entfernten Provinz belagert wurde,
fiel in die Hände der Feinde und wurde hingerichtet.

Alle noch um ihn seienden Mandarine starben einen freiwilligen Tod.

Gehen wir nun von der Reichsverwaltung zum Rechtszustande über,
so sind durch das Prinzip der patriarchalischen Regierung
die Untertanen für unmündig erklärt.

Keine selbständigen Klassen oder Stände, wie in Indien,
haben für sich Interessen zu beschützen,
denn alles wird von obenher geleitet und beaufsichtigt.

Alle Verhältnisse sind durch rechtliche Normen fest befohlen:
die freie Empfindung, der moralische Standpunkt überhaupt
ist dadurch gründlich getilgt. *

Der Leser lasse sich daher nicht irremachen,
wenn doch fortwährend von der Moral,
der moralischen Regierung usf. der Chinesen gesprochen wird,
wo dann das Moralische nur, im weiten und gewöhnlichen Sinne des Wortes,
die Vorschrift oder das Gebot für das gute Benehmen und Handeln bezeichnet,
ohne das Moment der inneren Überzeugung hervorzuheben.}

Wie die Familienglieder
in ihren Empfindungen ((161)) zueinander zu stehen haben,
ist förmlich durch Gesetze bestimmt,
und die Übertretung zieht zum Teil schwere Strafen nach sich.

Das zweite hier zu berücksichtigende Moment
ist die Äußerlichkeit des Familienverhältnisses, welches fast Sklaverei wird.

Jeder kann sich und seine Kinder verkaufen, jeder Chinese kauft seine Frau.

Nur die erste Frau ist eine Freie, die Konkubinen dagegen sind Sklavinnen
und können wie die Kinder, wie jede andere Sache
bei der Konfiskation in Beschlag genommen werden.

Ein drittes Moment ist, daß die Strafen meist körperliche Züchtigungen sind.

Bei uns wäre dies entehrend, aber nicht so in China,
wo das Gefühl der Ehre noch nicht ist.

Eine Tracht Schläge ist am leichtesten verschmerzt
und doch das Härteste für den Mann von Ehre,
der nicht für einen sinnlich Berührbaren gehalten werden will,
sondern andere Seiten feinerer Empfindlichkeit hat.

Die Chinesen aber kennen die Subjektivität der Ehre nicht;
sie unterliegen mehr der Zucht als der Strafe, wie bei uns die Kinder;
denn Zucht geht auf Besserung, Strafe involviert eine eigentliche Imputabilität.

Bei der Züchtigung ist der Abhaltungsgrund nur Furcht vor der Strafe,
nicht die Innerlichkeit des Unrechts, denn es ist hier noch nicht
die Reflexion über die Natur der Handlung selbst vorauszusetzen.

Bei den Chinesen nun werden alle Vergehen,
sowohl die in der Familie als die im Staate, auf äußerliche Weise bestraft.

Die Söhne, die es gegen den Vater oder die Mutter,
die jüngeren Brüder, die es gegen die älteren an Ehrerbietung fehlen lassen,
bekommen Stockprügel,
und wenn sich ein Sohn beschweren wollte, daß ihm von seinem Vater,
oder ein jüngerer Bruder, daß ihm von seinem älteren
Unrecht widerfahren sei,
so erhält er hundert Bambushiebe und wird auf drei Jahre verbannt,
wenn das Recht auf seiner Seite ist;
hat er aber Unrecht, so wird er stranguliert.

Würde ein Sohn die Hand gegen seinen ((162)) Vater aufheben,
so ist er dazu verurteilt,
daß ihm das Fleisch mit glühenden Zangen vom Leibe gerissen wird.

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist,
wie alle anderen Familienverhältnisse, sehr hoch geachtet,
und die Untreue, die jedoch wegen der Abgeschlossenheit der Weiber
nur sehr selten vorkommen kann, wird hart gerügt.

Eine ähnliche Rüge findet statt, wenn der Chinese zu einer seiner Nebenfrauen
mehr Zuneigung als zu seiner eigenen Hausfrau zeigt
und diese ihn darob verklagt.

Hinterher ist der Kaiser ebensosehr wie früher ihr Freund,
und sie selbst scheinen davon gar nicht ergriffen zu sein.

Als einst die letzte englische Gesandtschaft in China von den Prinzen
und ihrem Gefolge vom Palaste aus nach Hause geführt wurde,
so hieb der Zeremonienmeister, um sich Platz zu machen,
ohne weiteres auf alle Prinzen und Vornehme mit Peitschenhieben ein.

Was die Imputation betrifft, so findet der Unterschied
von Vorsatz bei der Tat und kulposem oder zufälligem Geschehen nicht statt,
denn der Zufall ist ebenso imputabel als der Vorsatz,
und der Tod wird verhängt,
wenn man die zufällige Ursache des Todes eines Menschen ist.

Dieses Nichtunterscheiden des Zufälligen und Vorsätzlichen
veranlaßt die meisten Zwistigkeiten zwischen Engländern und Chinesen,
denn wenn die Engländer von Chinesen angegriffen werden,
wenn ein Kriegsschiff, das sich angegriffen glaubt, sich verteidigt
und ein Chinese umkommt, so verlangen die Chinesen in der Regel,
daß der Engländer, der geschossen hat, das Leben verlieren solle.

Jeder, der mit dem Verbrechen auf irgendeine Weise zusammenhängt,
wird, zumal bei Verbrechen gegen den Kaiser, mit ins Verderben gerissen,
die ganze nähere Familie wird zu Tode gemartert.

Die Drucker einer verwerflichen Schrift wie die, welche sie lesen,
unterliegen auf gleiche Weise der Rache des Gesetzes.

Es ist ((163)) eigentümlich,
welche Wendung aus solchem Verhältnis die Privatrachsucht nimmt.

Von den Chinesen kann gesagt werden,
daß sie gegen Beleidigungen höchst empfindlich und rachsüchtig seien.

Um seine Rache zu befriedigen,
kann nun der Beleidigte seinen Gegner nicht ermorden,
weil sonst die ganze Familie des Verbrechers hingerichtet würde,
er tut sich also selbst ein Leid an,
um dadurch den anderen ins Verderben zu stürzen.

Man hat in vielen Städten die Brunnenöffnungen verengen müssen,
damit die Menschen sich nicht mehr darin ersäufen.

Denn wenn jemand sich umgebracht hat, so befehlen die Gesetze, daß
die strengste Untersuchung darüber angestellt werde, was die Ursache sei.

Alle Feinde des Selbstmörders werden eingezogen und torquiert,
und wird endlich der Beleidiger ausgemittelt,
so wird er und seine ganze Familie hingerichtet.

Der Chinese tötet in solchem Falle lieber sich als seinen Gegner,
da er doch sterben muss,
in dem ersten Falle aber noch die Ehre des Begräbnisses hat
und die Hoffnung hegen darf,
daß seine Familie das Vermögen des Gegners erhalten wird.

Dies ist das fürchterliche Verhältnis bei der Imputation oder Nichtimputation,
daß alle subjektive Freiheit und moralische Gegenwart bei einer Handlung
negiert wird.

In den Mosaischen Gesetzen,
wo auch dolus, culpa und casus noch nicht genau unterschieden werden,
ist doch für den kulposen Totschläger eine Freistatt eröffnet,
in welche er sich begeben könne.

Dabei gilt in China kein Ansehen des hohen oder niedrigen Ranges.

Ein Feldherr des Reiches, der sich sehr ausgezeichnet hatte,
wurde beim Kaiser verleumdet,
und er bekam zur Strafe des Vergehens, dessen man ihn beschuldigte,
das Amt, aufzupassen, wer den Schnee in den Gassen nicht wegkehre.

Bei den Rechtsverhältnissen sind auch noch die Veränderungen im Eigentumsrecht
und die Einführung der Sklaverei, welche damit verbunden ist, zu erwähnen.

Der Grund und Boden, worin das Hauptvermögen der Chinesen besteht,
wurde erst spät als Staatseigentum betrachtet.

Seit dieser ((164)) Zeit wurde es festgesetzt,
daß der neunte Teil alles Güterertrags dem Kaiser zukomme.

Später entstand auch die Leibeigenschaft,
deren Einsetzung man dem Kaiser Schi-hoang-ti zugeschrieben hat,
demselben, der im Jahre 213 v. Chr. Geburt die Mauer erbaute,
der alle Schriften verbrennen ließ, welche die alten Rechte der Chinesen enthielten,
und der viele unabhängige Fürstentümer von China
unter seine Botmäßigkeit brachte.

Seine Kriege eben machten, daß die eroberten Länder Privateigentum wurden
und deren Einwohner leibeigen.

Doch ist notwendig in China
der Unterschied zwischen der Sklaverei und Freiheit nicht groß,
da vor dem Kaiser alle gleich, d. h. alle gleich degradiert sind.

Indem keine Ehre vorhanden ist
und keiner ein besonderes Recht vor dem anderen hat,
so wird das Bewußtsein der Erniedrigung vorherrschend,
das selbst leicht in ein Bewußtsein der Verworfenheit übergeht.

Mit dieser Verworfenheit hängt die große Immoralität der Chinesen zusammen.

Sie sind dafür bekannt, zu betrügen, wo sie nur irgend können:
der Freund betrügt den Freund, und keiner nimmt es dem andern übel,
wenn etwa der Betrug nicht gelang oder zu seiner Kenntnis kommt.

Sie verfahren dabei auf eine listige und abgefeimte Weise,
so daß sich die Europäer im Verkehr mit ihnen gewaltig in acht zu nehmen haben.

Das Bewußtsein der moralischen Verworfenheit zeigt sich auch darin,
daß die Religion des Fo so sehr verbreitet ist,
welche als das Höchste und Absolute, als Gott, das Nichts ansieht
und die Verachtung des Individuums als die höchste Vollendung aufstellt.

Wir kommen nun zur Betrachtung der religiösen Seite des chinesischen Staates.

Im patriarchalischen Zustand ist
die religiöse Erhebung des Menschen für sich, einfache Moralität und Rechttun.

Das Absolute ist selbst
teils die abstrakte einfache Regel dieses Rechttuns, die ewige Gerechtigkeit,
teils die Macht derselben.

außer diesen einfachen Bestimmungen
fallen nun alle weiteren Beziehungen der natürlichen Welt zum Menschen,
alle Forderungen des subjektiven Gemütes ((165)) weg.

Die Chinesen in ihrem patriarchalischen Despotismus
bedürfen keiner solchen Vermittlung mit dem höchsten Wesen;
denn die Erziehung, die Gesetze der Moralität und Höflichkeit
und dann die Befehle und Regierung des Kaisers enthalten dieselbe.

Der Kaiser ist wie das Staatsoberhaupt so auch Chef der Religion.

Dadurch ist hier die Religion wesentlich Staatsreligion.

Von ihr muss man den Lamaismus unterscheiden,
indem dieser nicht zum Staate ausgebildet ist,
sondern die Religion als freies, geistiges, uninteressiertes Bewußtsein enthält.

Jene chinesische Religion kann daher das nicht sein, was wir Religion nennen.

Denn uns ist dieselbe die Innerlichkeit des Geistes in sich,
indem er sich in sich, was sein innerstes Wesen ist, vorstellt.

In diesen Sphären ist also der Mensch auch dem Staatsverhältnis entzogen
und vermag in die Innerlichkeit hineinflüchtend
sich der Gewalt weltlichen Regiments zu entwinden.

Auf dieser Stufe aber steht die Religion in China nicht,
denn der wahre Glaube wird erst da möglich, wo die Individuen in sich selbst,
für sich unabhängig von einer äußeren treibenden Gewalt sind.

In China hat das Individuum keine Seite dieser Unabhängigkeit;
es ist daher auch in der Religion abhängig, und zwar von Naturwesen,
von welchen das Höchste der Himmel ist.

Von diesen hängt Ernte, Jahreszeit, Gedeihen, Mißwuchs ab.

Der Kaiser, als die Spitze, als die Macht, nähert sich allein dem Himmel,
nicht die Individuen als solche.

Er ist es, der an den vier Festen die Opfer darbringt,
an der Spitze des Hofes für die Ernte dankt und Segen für die Saaten herabfleht.

Dieser Himmel nun könnte im Sinne unseres Gottes
in der Bedeutung des Herrn der Natur genommen werden
(wir sagen z. B., der Himmel behüte uns),
aber so ist das Verhältnis in China noch nicht,
denn hier ist das einzelne Selbstbewußtsein als substantielles,
der Kaiser, selbst die Macht.

Der Himmel hat daher nur die Bedeutung der Natur.

Die Jesuiten gaben zwar in China nach,
den christlichen Gott Himmel, Tien, zu nennen,
sie wurden aber deshalb beim Papst von anderen christlichen Orden verklagt,
((166)) und der Papst sandte einen Kardinal hin, der dort starb;
ein Bischof, der nachgeschickt wurde, verordnete,
statt Himmel solle Herr des Himmels gesagt werden.

Das Verhältnis zum Tien wird nun auch so vorgestellt,
als bringe das Wohlverhalten der Individuen und des Kaisers den Segen,
ihre Vergehungen aber Not und alles Übel herbei.

Es liegt in der chinesischen Religion insofern noch das Moment der Zauberei,
als das Benehmen des Menschen das absolut Determinierende ist.

Verhält sich der Kaiser gut, so kann es nicht anders als gut gehen,
der Himmel muss Gutes geschehen lassen.

Eine zweite Seite dieser Religion ist, daß,
wie im Kaiser die allgemeine Seite des Verhältnisses zum Himmel liegt,
derselbe auch die besondere Beziehung ganz in seinen Händen hat.

Dies ist die partikuläre Wohlfahrt der Individuen und Provinzen.

Diese haben Genien (Schen), welche dem Kaiser unterworfen sind,
der nur die allgemeine Macht des Himmels verehrt,
während die einzelnen Geister des Naturreichs seinen Gesetzen folgen.

So wird er also auch zugleich der eigentliche Gesetzgeber für den Himmel.

Für die Genien, von denen jeder auf seine Weise verehrt wird,
sind Skulpturbilder festgesetzt.

Es sind scheußliche Götzenbilder, die noch nicht Gegenstand der Kunst sind,
weil nichts Geistiges darin sich darstellt.

Sie sind daher nur erschreckend, furchtbar, negativ
und wachen, wie bei den Griechen die Flußgötter, die Nymphen und Dryaden,
über die einzelnen Elemente und Naturgegenstände.

Jedes der fünf Elemente hat seinen Genius,
und dieser ist durch eine besondere Farbe unterschieden.

Auch die Herrschaft der den Thron von China behauptenden Dynastie
hängt von einem Genius ab, und zwar hat dieser die gelbe Farbe.

Aber nicht minder besitzt jede Provinz und Stadt,
jeder Berg und Fluss einen bestimmten Genius.

Alle diese Geister stehen unter dem Kaiser,
und in dem jährlich erscheinenden Reichsadreßbuche
sind die Beamten wie die Genien verzeichnet, denen dieser Bach,
dieser Fluss usw. anvertraut worden ist.

Geschieht ein Unglück, so wird der Genius wie ein Mandarin abgesetzt. ((167))

Die Genien haben unzählige Tempel (in Peking sind deren gegen 10000)
mit einer Menge von Priestern und Klöstern.

Diese Bonzen leben unverheiratet
und werden in allen Nöten von den Chinesen um Rat gefragt.

außerdem aber werden weder sie noch die Tempel sehr geehrt.

Die englische Gesandtschaft des Lord Macartney
wurde sogar in die Tempel einquartiert,
da man dieselben wie Wirtshäuser braucht.

Ein Kaiser hat viele Tausende solcher Klöster säkularisiert,
die Bonzen ins bürgerliche Leben zurückzukehren genötigt
und die Güter mit Abgaben belegt.

Die Bonzen sagen wahr und beschwören;
denn die Chinesen sind einem unendlichen Aberglauben ergeben;
dieser beruht eben auf der Unselbständigkeit des Innern
und setzt das Gegenteil von der Freiheit des Geistes voraus.

Bei jedem Unternehmen
- ist z. B. die Stelle eines Hauses
oder eines Begräbnisplatzes und dergleichen zu bestimmen -
werden die Wahrsager um Rat gefragt.

Im Yi-king sind gewisse Linien angegeben,
die die Grundformen und Grundkategorien bezeichnen,
weshalb dieses Buch auch das Buch der Schicksale genannt wird.

Der Kombination von solchen Linien wird eine gewisse Bedeutung zugeschrieben
und die Prophezeiung dieser Grundlage entnommen.

Oder eine Anzahl von Stäbchen wird in die Luft geworfen
und aus der Art, wie sie fallen, das Schicksal vorherbestimmt.

Was uns als zufällig gilt, als natürlicher Zusammenhang,
das suchen die Chinesen durch Zauberei abzuleiten oder zu erreichen,
und so spricht sich auch hier ihre Geistlosigkeit aus.

Mit diesem Mangel eigentümlicher Innerlichkeit
hängt auch die Bildung der chinesischen Wissenschaft zusammen.

Wenn wir von den chinesischen Wissenschaften sprechen,
so tritt uns ein großer Ruf
hinsichtlich der Ausbildung und des Altertums derselben entgegen.

Treten wir näher, so sehen wir, daß die Wissenschaften in sehr großer Verehrung,
und zwar öffentlicher,
von der Regierung ausgehender Hochschätzung und Beförderung stehen.

Der Kaiser selbst steht an der Spitze der Literatur.

Ein eigenes Kollegium redigiert die ((168)) Dekrete des Kaisers,
damit sie im besten Stile verfaßt seien,
und so ist dieses denn auch eine wichtige Staatssache.

Dieselbe Vollkommenheit des Stils müssen die Mandarine
bei Bekanntmachungen beobachten,
denn der Vortrefflichkeit des Inhalts soll auch die Form entsprechen.

Eine der höchsten Staatsbehörden ist die Akademie der Wissenschaften.

Die Mitglieder prüft der Kaiser selbst;
sie wohnen im Palaste, sind teils Sekretäre,
teils Reichsgeschichtsschreiber, Physiker, Geographen.

Wird irgendein Vorschlag zu einem neuen Gesetz gemacht,
so muss die Akademie ihre Berichte einreichen.

Sie muss die Geschichte der alten Einrichtungen einleitend geben,
oder wenn die Sache mit dem Auslande in Verbindung steht,
so wird eine Beschreibung dieser Länder erfordert.

Zu den Werken, die hier verfaßt werden, macht der Kaiser selbst die Vorreden.

Unter den letzten Kaisern hat sich besonders Kien-long
durch wissenschaftliche Kenntnisse ausgezeichnet:
er selbst hat viel geschrieben, sich aber bei weitem mehr noch
durch die Herausgabe der Hauptwerke Chinas hervorgetan.

An der Spitze der Kommission, welche die Druckfehler verbessern musste,
stand ein kaiserlicher Prinz,
und wenn das Werk durch alle Hände gegangen war,
so kam es nochmals an den Kaiser zurück,
der jeden Fehler, der begangen wurde, hart bestrafte.

Wenn so einerseits die Wissenschaften aufs höchste geehrt und gepflegt scheinen,
so fehlt ihnen auf der andern Seite gerade jener freie Boden der Innerlichkeit
und das eigentliche wissenschaftliche Interesse,
das sie zu einer theoretischen Beschäftigung macht.

Ein freies, ideelles Reich des Geistes hat hier nicht Platz,
und das, was hier wissenschaftlich heißen kann, ist empirischer Natur
und steht wesentlich im Dienste des Nützlichen für den Staat
und für seine und der Individuen Bedürfnisse.

Schon die Art der Schriftsprache
ist ein großes Hindernis für die Ausbildung der Wissenschaften,
oder vielmehr umgekehrt:
weil das wahre wissenschaftliche Interesse nicht vorhanden ist,
so haben die Chinesen kein besseres Instrument für die Darstellung
und Mitteilung des ((169)) Gedankens.

Bekanntlich haben sie neben der Tonsprache eine solche Schriftsprache,
welche nicht wie bei uns die einzelnen Töne bezeichnet,
nicht die gesprochenen Worte vor das Auge hinstellt,
sondern die Vorstellungen selbst durch Zeichen.

Dies scheint nun zunächst ein großer Vorzug zu sein
und hat vielen großen Männern, unter anderen auch Leibniz, imponiert;
es ist aber gerade das Gegenteil von einem Vorzug.

Denn betrachtet man zuerst die Wirkung solcher Schriftweise auf die Tonsprache,
so ist diese bei den Chinesen, eben um jener Trennung willen, sehr unvollkommen.

Denn unsere Tonsprache
bildet sich vornehmlich dadurch zur Bestimmtheit aus,
daß die Schrift für die einzelnen Laute Zeichen finden muss,
die wir durchs Lesen bestimmt aussprechen lernen.

Die Chinesen, welchen ein solches Bildungsmittel der Tonsprache fehlt,
bilden deshalb die Modifikationen der Laute nicht zu bestimmten,
durch Buchstaben und Silben darstellbaren Tönen aus.

Ihre Tonsprache besteht
aus einer nicht beträchtlichen Menge von einsilbigen Worten,
welche für mehr als eine Bedeutung gebraucht werden.

Der Unterschied nun der Bedeutung wird allein
teils durch den Zusammenhang,
teils durch den Akzent, schnelles oder langsames,
leiseres oder lauteres Aussprechen bewirkt.

Die Ohren der Chinesen sind hierfür sehr fein gebildet.

So finde ich, daß Po je nach dem Ton elf verschiedene Bedeutungen hat:
Glas; sieden; Getreide worfeln; zerspalten; wässern; zubereiten;
ein alt Weib; Sklave; freigebiger Mensch; kluge Person; ein wenig.

Unsere Schriftsprache ist sehr einfach zu lernen,
indem wir die Tonsprache in etwa 25 Töne analysieren
(und durch diese Analyse wird die Tonsprache bestimmt,
die Menge möglicher Töne beschränkt, die unklaren Zwischentöne entfernt);
wir haben nur diese Zeichen und ihre Zusammensetzung zu erlernen.

Statt solcher 25 Zeichen haben die Chinesen viele Tausende zu lernen;
man gibt die für den Gebrauch nötige Anzahl auf ((170)) 9353 an,
ja bis auf 10516, wenn man die neueingeführten hinzurechnet;
und die Anzahl der Charaktere überhaupt,
für die Vorstellungen und deren Verbindungen,
soweit sie in den Büchern vorkommen, beläuft sich auf 80 bis 90000.

Was nun die Wissenschaft selbst angeht, so begreift die Geschichte der Chinesen
nur die ganz bestimmten Fakta in sich, ohne alles Urteil und Räsonnement.

Die Rechtswissenschaft gibt ebenso nur die bestimmten Gesetze
und die Moral die bestimmten Pflichten an,
ohne daß es um eine innere Begründung derselben zu tun wäre.

Die Chinesen haben jedoch auch eine Philosophie,
deren Grundbestimmungen sehr alt sind,
wie denn schon der Yi-king, das Buch der Schicksale,
von dem Entstehen und Vergehen handelt.

In diesem Buche finden sich die ganz abstrakten Ideen der Einheit und Zweiheit,
und somit scheint die Philosophie der Chinesen
von denselben Grundgedanken wie die pythagoreische Lehre auszugehen.

Das Prinzip ist die Vernunft, Tao,
diese allem zugrunde liegende Wesenheit, die alles bewirkt.

Ihre Formen kennenzulernen, gilt auch bei den Chinesen als die höchste Wissenschaft;
doch hat diese keinen Zusammenhang mit den Disziplinen,
die den Staat näher betreffen.

Die Werke des Lao-tse und namentlich sein Werk Tao-te-king sind berühmt.

Konfuzius besuchte im sechsten Jahrhundert vor Christus diesen Philosophen,
um ihm seine Ehrerbietung zu bezeigen.

Wenn es nun auch jedem Chinesen freisteht,
diese philosophischen Werke zu studieren,
so gibt es doch dazu eine besondere Sekte, die sich Tao-tse nennt
oder Verehrer der Vernunft.

Diese sondern sich von dem bürgerlichen Leben aus,
und es mischt sich viel Schwärmerisches und Mystisches in ihre Vorstellungsweise.

Sie glauben nämlich, wer die Vernunft kenne,
der besitze ein allgemeines Mittel,
das schlechthin für mächtig angesehen werden könne
und eine übernatürliche Macht erteile,
so daß man dadurch fähig wäre, sich zum Himmel zu erheben
und niemals dem ((171)) Tode unterliege
(ungefähr wie man bei uns einmal von einer Universallebenstinktur sprach).

Mit den Werken des Konfuzius sind wir nun auch näher bekannt geworden;
ihm verdankt China die Redaktion der Kings;
außerdem aber viele eigene Werke über Moral,
die die Grundlage für die Lebensweise und das Betragen der Chinesen bilden.

In dem Hauptwerke des Konfuzius, welches ins Englische übersetzt wurde,
finden sich zwar richtige moralische Aussprüche,
aber es ist ein Herumreden, eine Reflexion und ein sich Herumwenden darin,
welches sich nicht über das Gewöhnliche erhebt.

Die Chinesen sind weit in der Mathematik, Physik und Astronomie zurück,
so groß auch ihr Ruhm früher darin war.

Sie haben vieles gekannt, als die Europäer es noch nicht entdeckt hatten,
aber sie haben keine Anwendung davon zu machen verstanden,
so z. B. den Magnet, so die Buchdruckerkunst.

Allein namentlich in Beziehung auf die letztere bleiben sie dabei stehen,
die Buchstaben in hölzerne Tafeln zu gravieren und dann abzudrucken;
von den beweglichen Lettern wissen sie nichts.

Auch das Pulver wollen sie früher als die Europäer erfunden haben,
aber die Jesuiten mussten ihnen die ersten Kanonen gießen.

Was die Mathematik anbetrifft, so verstehen sie sehr wohl zu rechnen,
aber die höhere Seite der Wissenschaft ist ihnen unbekannt.

Auch als große Astronomen haben die Chinesen lange gegolten.

Laplace hat ihre Kenntnisse darin untersucht und gefunden,
daß sie einige alte Nachrichten und Notizen von Mond-
und Sonnenfinsternissen besitzen,
was freilich die Wissenschaft noch nicht konstituiert.

Auch sind die Notizen so unbestimmt,
daß sie eigentlich gar nicht als Kenntnisse gelten können;
im Schu-king sind nämlich in einem Zeitraum von 1500 Jahren
zwei Sonnenfinsternisse erwähnt.

Der beste Beweis,
wie es mit der Wissenschaft der Astronomie bei den Chinesen steht, ist,
daß schon seit mehreren hundert Jahren die Kalender dort
von den Europäern gemacht werden.

In früheren Zeiten, als noch chinesische Astronomen den Kalender verfaßten,
kam es oft genug vor,
daß falsche Angaben von Mond- und Sonnenfinsternissen gemacht wurden
und die Hinrichtung der Verfertiger nach sich zogen.

Die Fernrohre, welche die Chinesen von den Europäern zum Geschenk erhielten,
sind zwar zum Schmucke aufgestellt,
aber sie wissen weiter keinen Gebrauch davon zu machen.

Auch die Medizin wird von den Chinesen getrieben,
aber als etwas bloß Empirisches, woran sich der größte Aberglaube knüpft.

Überhaupt hat dieses Volk eine ungemeine Geschicklichkeit in der Nachahmung,
welche nicht bloß im täglichen Leben, sondern auch in der Kunst ausgeübt wird.

Das Schöne als Schönes darzustellen ist ihm noch nicht gelungen,
denn in der Malerei fehlt ihm die Perspektive und der Schatten,
und wenn auch der chinesische Maler
europäische Bilder wie alles überhaupt gut kopiert,
wenn er auch genau weiß, wieviel Schuppen ein Karpfen hat,
wieviel Einschnitte in den Blättern sind,
wie die Gestalt der verschiedenen Bäume
und die Biegung ihrer Zweige beschaffen ist,
so ist doch das Erhabene,
Ideale und Schöne nicht der Boden seiner Kunst und Geschicklichkeit.

Die Chinesen sind andererseits zu stolz,
um etwas von den Europäern zu lernen,
obgleich sie oft deren Vorzüge anerkennen müssen.

So ließ ein Kaufmann in Kanton ein europäisches Schiff bauen,
aber auf Befehl des Statthalters wurde es sofort zerstört.

Die Europäer werden als Bettler behandelt,
da sie genötigt seien, ihre Heimat zu verlassen
und sich ihren Unterhalt anderswo als im eigenen Lande zu suchen.

Dagegen haben wohl auch die Europäer, eben weil sie Geist haben,
noch nicht vermocht,
die äußerliche und vollkommen natürliche Geschicklichkeit der Chinesen
nachzuahmen.

Denn ihre Firnisse, die Bearbeitung ihrer Metalle
und namentlich die Kunst, dieselben beim Gießen äußerst dünn zu halten,
die Bereitung der Porzellane nebst vielem anderen sind noch unerreicht geblieben.

Dies ist der Charakter des chinesischen Volkes nach allen ((173)) Seiten hin.

Das Ausgezeichnete desselben ist, daß alles, was zum Geist gehört,
freie Sittlichkeit, Moralität, Gemüt, innere Religion, Wissenschaft
und eigentliche Kunst, entfernt ist.

Der Kaiser spricht immer mit Majestät
und väterlicher Güte und Zartheit zum Volke,
das jedoch nur das schlechteste Selbstgefühl über sich selber hat
und nur geboren zu sein glaubt,
den Wagen der Macht der kaiserlichen Majestät zu ziehen.

Die Last, die es zu Boden drückt,
scheint ihm sein notwendiges Schicksal zu sein,
und es ist ihm nicht schrecklich, sich als Sklaven zu verkaufen
und das saure Brot der Knechtschaft zu essen.

Der Selbstmord als Werk der Rache,
die Aussetzung der Kinder als gewöhnliche und tägliche Begebenheit
zeugt von geringer Achtung, die man vor sich selbst
wie vor dem Menschen hat,
und wenn kein Unterschied der Geburt vorhanden ist
und jeder zur höchsten Würde gelangen kann, so ist eben diese Gleichheit
nicht die durchgekämpfte Bedeutung des inneren Menschen,
sondern das niedrige, noch nicht zu Unterschieden gelangte Selbstgefühl.


Zweiter Abschnitt Indien

Indien, wie China, ist ebenso eine frühe wie eine noch gegenwärtige Gestalt,
die statarisch und fest geblieben ist
und in der vollständigsten Ausbildung nach innen sich vollendet hat.

Es ist immer das Land der Sehnsucht gewesen
und erscheint uns noch als ein Wunderreich, als eine verzauberte Welt.

Im Gegensatz zum chinesischen Staate,
der voll des prosaischsten Verstandes in allen seinen Einrichtungen ist,
ist Indien das Land der Phantasie und Empfindung.

Das Moment des Fortgangs im Prinzip ist im allgemeinen folgendes:

In China beherrscht das patriarchalische Prinzip die Unmündigen,
für deren moralischen Entschluß das regelnde Gesetz ((174))
und die moralische Aufsicht des Kaisers eintritt.

Das Interesse des Geistes ist nun,
daß die als äußerlich gesetzte Bestimmung als eine innerliche sei,
daß natürliche und geistige Welt als innere, der Intelligenz angehörige,
bestimmt werden,
wodurch überhaupt die Einheit der Subjektivität und des Seins
oder der Idealismus des Daseins gesetzt wird.

Dieser Idealismus ist nun in Indien vorhanden,
aber nur als ein begriffloser Idealismus der Einbildung,
welche zwar Anfang und Material vom Dasein entnimmt,
aber alles nur in Eingebildetes verwandelt;
denn wenn das Eingebildete zwar auch vom Begriff durchzogen erscheint
und der Gedanke als hineinspielend vorkommt,
so geschieht dies nur in einer zufälligen Vereinigung.

Indem nun aber doch in diese Träume
der abstrakte und absolute Gedanke selbst als Inhalt eintritt,
so kann man sagen:
es ist Gott im Taumel seines Träumens, was wir hier vorgestellt sehen.

Denn es ist nicht das Träumen eines empirischen Subjektes,
das seine bestimmte Persönlichkeit hat und eigentlich nur diese aufschließt,
sondern es ist das Träumen des unbeschränkten Geistes selbst.

Es gibt eine eigentümliche Schönheit der Frauen,
wobei ihr Gesicht mit reiner Haut, mit leichter lieblicher Röte,
die nicht bloß wie die Röte der Gesundheit und Lebendigkeit,
sondern eine feinere Röte ist,
gleichsam ein geistiger Anhauch von innen heraus, überzogen ist
und wobei die Züge, mit dem Blick des Auges und der Haltung des Mundes,
sanft, weich und ungespannt erscheinen,
- diese fast nicht irdische Schönheit
sieht man an den Frauen in den Tagen nach der Niederkunft,
wenn sie, befreit von der beschwerlichen Last des Kindes
und von der Arbeit des Gebärens,
zugleich in der Seelenfreude sind über das Geschenk eines lieben Kindes;
man sieht solchen Ton der Schönheit auch an Frauen,
die im magischen, somnambulen Schlafe liegen
und dadurch mit einer schöneren Welt in Beziehung stehen;
ein großer Künstler (Scorel) hat ihn auch der sterbenden Maria gegeben,
deren Geist sich schon zu den seligen Räumen emporhebt ((175))
und noch einmal ihr sterbendes Antlitz gleichsam zum Abschiedskusse belebt.

Solche Schönheit finden wir auch
in der lieblichsten Gestalt bei der indischen Welt
- eine Schönheit der Nervenschwäche,
in welcher alles Unebene, Starre und Widerstrebende aufgelöst ist
und nur die empfindende Seele erscheint,
aber eine Seele, in welcher der Tod des freien und in sich begründeten Geistes
erkennbar ist.

Der Charakter des träumenden Geistes
als das allgemeine Prinzip der indischen Natur ist noch näher zu bestimmen.

In dem Traume hört das Individuum auf, sich als dieses,
ausschließend gegen die Gegenstände, zu wissen.

Wachend bin ich für mich,
und das Andere ist ein Äußerliches und fest gegen mich, wie Ich gegen dasselbe.

Als Äußerliches breitet sich das Andere zu einem verständigen Zusammenhang
und einem System von Verhältnissen aus,
worin meine Einzelheit selbst ein Glied,
eine damit zusammenhängende Einzelheit ist,
- dies ist die Sphäre des Verstandes.

Im Traume dagegen ist diese Trennung nicht.

Der Geist hat aufgehört, für sich gegen Anderes zu sein,
und so hört überhaupt die Trennung des Äußerlichen und Einzelnen
gegen seine Allgemeinheit und sein Wesen auf.

Der träumende Inder ist daher alles, was wir Endliches und Einzelnes nennen,
und zugleich als ein unendlich Allgemeines und Unbeschränktes
an ihm selbst ein Göttliches.

Die indische Anschauung ist ganz allgemeiner Pantheismus,
und zwar ein Pantheismus der Einbildungskraft, nicht des Gedankens.

Es ist eine Substanz, und alle Individualisierungen sind unmittelbar belebt
und beseelt zu eigentümlichen Mächten.

Der sinnliche Stoff und Inhalt ist in ((176)) das Allgemeine und Unermeßliche
nur aufgenommen und roh hineingetragen
und nicht durch die freie Kraft des Geistes zur schönen Gestalt befreit
und im Geiste idealisiert,
so daß das Sinnliche nur dienend
und sich anschmiegender Ausdruck des Geistigen wäre;
sondern es ist zum Unermeßlichen und Maßlosen erweitert
und das Göttliche dadurch bizarr, verworren und läppisch gemacht.

Diese Träume sind nicht leere Märchen, ein Spiel der Einbildungskraft,
so daß der Geist darin nur umhergaukelte,
sondern er ist darin verloren
und von diesen Träumereien als von seiner Realität und seinem Ernste
hin und her geworfen,
er ist diesen Endlichkeiten preisgegeben als seinen Herren und Göttern.

So ist also alles, Sonne, Mond, Sterne, der Ganges, Indus, Tiere, Blumen,
alles ist ihm ein Gott,
und indem eben in dieser Göttlichkeit
das Endliche seinen Bestand und seine Festigkeit verliert,
so verschwindet aller Verstand desselben;
und umgekehrt das Göttliche, weil es für sich veränderlich und unstet ist,
so ist es durch diese niedrige Gestalt völlig verunreinigt und absurd.

Der Papagei, die Kuh, der Affe usf. sind ebenfalls Inkarnationen Gottes
und nicht erhoben über ihr Wesen.

Das Göttliche ist nicht zum Subjekte, zum konkreten Geist individualisiert,
sondern zur Gemeinheit und Sinnlosigkeit herabgewürdigt.

Die Dinge entbehren ebenso des Verstandes,
des endlichen zusammenhängenden Bestehens von Ursache und Wirkung,
als der Mensch der Festigkeit des freien Fürsichseins,
der Persönlichkeit und der Freiheit.

Indien hat äußerlich welthistorische Beziehungen nach manchen Seiten hin.

Man hat in neueren Zeiten die Entdeckung gemacht,
daß die Sanskritsprache
allen weiteren Entwicklungen europäischer Sprachen zugrunde liege,
zum Beispiel dem Griechischen, Lateinischen, Deutschen.

Indien ist ferner ((177)) der Ausgangspunkt für die ganze westliche Welt,
aber diese äußere welthistorische Beziehung
ist mehr nur ein natürliches Ausbreiten der Völker von hier aus.

Wenn auch in Indien die Elemente weiterer Entwicklungen zu finden wären,
und wenn wir auch Spuren hätten,
daß sie nach Westen herübergekommen sind,
so ist diese Übersiedlung doch so abstrakt,
daß das, was für uns bei späteren Völkern Interesse haben kann,
nicht mehr das ist, was sie von Indien erhielten,
sondern vielmehr ein Konkretes, das sie sich selbst gebildet haben
und wobei sie am besten taten, die indischen Elemente zu vergessen.

Das Sichverbreiten des Indischen ist vorgeschichtlich,
denn Geschichte ist nur das,
was in der Entwicklung des Geistes eine wesentliche Epoche ausmacht.

Das Hinausgehen Indiens überhaupt
ist nur eine stumme, tatlose Verbreitung, d.h. ohne politische Handlung.

Die Inder haben keine Eroberungen nach außen gemacht,
sondern sind selbst immer erobert worden.

Und so wie stummerweise Nordindien
ein Ausgangspunkt natürlicher Verbreitung ist,
so ist Indien überhaupt
als gesuchtes Land ein wesentliches Moment der ganzen Geschichte.

Seit den ältesten Zeiten
haben alle Völker ihre Wünsche und Gelüste dahin gerichtet,
einen Zugang zu den Schätzen dieses Wunderlandes zu finden,
die das Köstlichste sind, was es auf Erden gibt
- Schätze der Natur, Perlen, Diamanten, Wohlgerüche, Rosenöle, Elefanten, Löwen usw.,
wie Schätze der Weisheit.

Der Weg, welchen diese Schätze zu dem Abendlande genommen,
ist zu allen Zeiten ein welthistorischer Umstand gewesen,
der mit dem Schicksale von Nationen verflochten war.

Auch ist es den Nationen gelungen, zu diesem Lande ihrer Wünsche zu dringen;
es ist fast keine große Nation des Ostens
noch des neueuropäischen Westens gewesen,
die sich nicht dort einen kleineren oder größeren Fleck erworben hätte.

In der alten Welt gelang es erst Alexander dem großen,
zu Lande nach Indien vorzudringen, aber auch er hat es nur berührt.

Die Europäer der neuen Welt haben nur dadurch vermocht,
in den direkten Zusammenhang mit diesem Wunderland ((178)) zu treten,
daß sie hinten herum gekommen sind,
und zwar auf dem Meer, das, wie gesagt, überhaupt das Verbindende ist.

Die Engländer, oder vielmehr die Ostindische Kompanie,
sind die Herren des Landes,
denn es ist das notwendige Schicksal der asiatischen Reiche,
den Europäern unterworfen zu sein,
und China wird auch einmal diesem Schicksale sich fügen müssen.

Die Anzahl der Einwohner ist gegen 200 Millionen,
wovon 100 - 112 Millionen den Engländern direkt unterworfen sind.

Die nicht direkt untergebenen Fürsten haben an ihren Höfen englische Agenten,
und englische Truppen befinden sich in ihrem Sold.

Seitdem das Land der Marathen von den Engländern bezwungen worden ist,
wird sich nichts mehr selbständig gegen ihre Macht erhalten,
die schon im birmanischen Reiche Fuß gefaßt
und den Brahmaputra, der Indien im Osten begrenzt, überschritten hat.

Das eigentliche Indien ist das Land,
welches die Engländer in zwei große Teile zerlegen:
in Dekhan, die große Halbinsel, die östlich den Meerbusen von Bengalen
und westlich das indische Meer hat,
und in Hindostan, das vom Gangestal gebildet wird
und sich gegen Persien hinzieht.

Gegen Nordosten wird Hindostan vom Himalaja begrenzt,
welches von den Europäern als das höchste Gebirge der Erde anerkannt worden ist,
denn seine Gipfel liegen gegen 26000 Fuß über der Meeresfläche.

Jenseits dieser Berge fällt das Land wieder ab;
die Herrschaft der Chinesen erstreckt sich bis dahin,
und als die Engländer zu dem Dalai-Lama in Lhasa wollten,
wurden sie von den Chinesen aufgehalten.

Gegen Westen in Indien fließt der Indus,
in dem sich die fünf Flüsse vereinigen, die das Pandschab genannt werden,
bis zu welchen Alexander der große vorgedrungen ist.

Die Herrschaft der Engländer dehnt sich nicht bis an den Indus aus;
es hält sich dort die Sekte der Sikhs auf,
deren Verfassung durchaus demokratisch ist
und die sich sowohl von der indischen
als von der mohammedanischen Religion losgerissen haben
und die Mitte zwischen beiden halten,
indem sie nur ein höchstes ((12;179)) Wesen anerkennen.

Sie sind ein mächtiges Volk und haben sich Kabul und Kaschmir unterworfen.

außer diesen wohnen dem Indus entlang
echt indische Stämme aus der Kaste der Krieger.

Zwischen den, Indus und seinem Zwillingsbruder, dem Ganges,
sind große Ebenen,
und der Ganges bildet wieder große Reiche um sich her,
in welchen die Wissenschaften sich
bis auf einen so hohen Grad ausgebildet haben,
daß die Länder um den Ganges noch in höherem Rufe stehen
als die um den Indus.

Besonders blühend ist das Reich Bengalen.

Der Nerbuda macht die Grenzscheide zwischen Dekhan und Hindostan.

Die Halbinsel Dekhan
bietet eine weit größere Mannigfaltigkeit als Hindostan dar,
und ihre Flüsse haben fast eine ebenso große Heiligkeit als der Indus
und der Ganges,
der ein ganz allgemeiner Name für alle Flüsse in Indien geworden ist,
als der Fluss “kat exochën.”

Wir nennen die Bewohner des großen Landes,
das wir jetzt zu betrachten haben, vom Flusse Indus her Inder
(die Engländer heißen sie Hindu).

Sie selbst haben dem Ganzen nie einen Namen gegeben,
denn es ist nie ein Reich gewesen,
und doch betrachten wir es als solches.

Was nun das politische Leben der Inder betrifft,
so ist zunächst der Fortschritt in dieser Beziehung gegen China zu betrachten.

In China war die Gleichheit aller Individuen vorherrschend
und deshalb das Regiment im Mittelpunkte, dem Kaiser,
so daß das Besondere zu keiner Selbständigkeit
und subjektiven Freiheit gelangte.

Der nächste Fortgang dieser Einheit ist, daß der Unterschied sich hervortut
und in seiner Besonderheit selbständig gegen die alles beherrschende Einheit wird.

Zu einem organischen Leben gehört einerseits die eine Seele,
andererseits das Ausgebreitetsein in die Unterschiede,
welche sich gliedern
und in ihrer Partikularität zu einem ganzen System sich ausbilden,
so aber, daß ihre Tätigkeit die eine Seele rekonstruiert.

Diese Freiheit der Besonderung fehlt in China,
denn der Mangel ist eben,
daß die Unterschiede nicht zur Selbständigkeit gelangen können.

In dieser Rücksicht macht sich in Indien der wesentliche ((180)) Fortschritt,
daß sich aus der Einheit des Despoten selbständige Glieder bilden.

Doch diese Unterschiede fallen in die Natur zurück;
statt wie im organischen Leben die Seele als das Eine zu betätigen
und frei dieselbe hervorzubringen,
versteinern und erstarren sie
und verdammen durch ihre Festigkeit das indische Volk
zur entwürdigendsten Knechtschaft des Geistes.

[Kastenwesen]

Diese Unterschiede sind die Kasten.

In jedem vernünftigen Staate sind Unterschiede, die hervortreten müssen;
die Individuen müssen zur subjektiven Freiheit kommen
und diese Unterschiede aus sich setzen.

In Indien ist aber von Freiheit und innerer Sittlichkeit noch nicht die Rede,
sondern die Unterschiede, die sich hervortun,
sind nur die der Beschäftigungen, der Stände.

Auch im freien Staate bilden sie besondere Kreise,
welche in ihrer Betätigung sich so versammeln,
daß die Individuen darin ihre besondere Freiheit erhalten,
doch in Indien kommt es nur zum Unterschied der Massen,
welcher aber das ganze politische Leben und das religiöse Bewußtsein ergreift.

Die Standesunterschiede bleiben dadurch, wie in China die Einheit,
auf der gleichen ursprünglichen Stufe der Substantialität,
d.h. sie sind nicht aus der freien Subjektivität der Individuen hervorgegangen.

Wenn wir nach dem Begriffe des Staates
und dessen verschiedenen Geschäften fragen,
so ist das erste wesentliche Geschäft dasjenige,
dessen Zweck das ganz Allgemeine ist,
dessen sich der Mensch zunächst in der Religion,
dann in der Wissenschaft bewußt wird.

Gott, das Göttliche ist das schlechthin Allgemeine.

Der erste Stand wird daher der sein,
wodurch das Göttliche hervorgebracht und betätigt wird,
der Stand der Brahmanen.

Das zweite Moment, oder der zweite Stand,
wird die subjektive Kraft und Tapferkeit darstellen.

Die Kraft muss sich nämlich geltend machen, damit das Ganze bestehen könne
und gegen andere Ganze oder Staaten zusammengehalten werde.

Dieser Stand ist der der Krieger und Regenten, Kschatrija,
obgleich auch oft Brahmanen zur Regierung gelangen.

Das dritte Geschäft hat ((181)) zum Zweck die Besonderheit des Lebens,
die Befriedigung der Bedürfnisse,
und begreift in sich Ackerbau, Gewerbe und Handel, die Klasse der Waischjas.

Das vierte Moment endlich ist der Stand des Dienens, der des Mittels,
dessen Geschäft ist, für andere
um einen Lohn zu kurzer Subsistenz zu arbeiten, der Stand der Schudras
(diese dienende Klasse kann eigentlich keinen besonderen organischen Stand
im Staate ausmachen, weil sie nur den Einzelnen dient,
ihre Geschäfte also zerstreute Geschäfte der Einzelheit sind,
die sich an die vorigen anschließen).

Gegen solche Stände regt sich namentlich in neuerer Zeit der Gedanke,
daß man den Staat lediglich von der abstrakt rechtlichen Seite betrachtet
und daraus folgert, es müsse kein Unterschied der Stände stattfinden.

Aber Gleichheit im Staatsleben ist etwas völlig Unmögliches;
denn es tritt zu jeder Zeit
der individuelle Unterschied des Geschlechts und Alters ein,
und selbst wenn man sagt:
alle Bürger sollen gleichen Anteil an der Regierung haben,
so übergeht man sofort die Weiber und Kinder, welche ausgeschlossen bleiben.

Der Unterschied von Armut und Reichtum,
der Einfluß von Geschicklichkeit und Talent ist ebensowenig abzuweisen
und widerlegt von Hause aus jene abstrakten Behauptungen.

Wenn wir aber aus diesem Prinzip heraus die Verschiedenheit der Beschäftigungen
und der damit beauftragten Stände uns gefallen lassen,
so stoßen wir hier in Indien auf die Eigentümlichkeit,
daß das Individuum wesentlich durch Geburt einem Stande angehört
und daran gebunden bleibt.

Dadurch fällt eben hier die konkrete Lebendigkeit, die wir entstehen sehen,
in den Tod zurück,
und die Fessel hemmt das Leben, das eben hervorbrechen möchte;
der Anschein von der Realisation der Freiheit in diesen Unterschieden
wird damit vollkommen vernichtet.

Was die Geburt geschieden hat,
soll die Willkür nicht wieder aneinander bringen:
deswegen sollen sich die Kasten ursprünglich
nicht miteinander vermischen und verheiraten.

Doch zählt Arrian (Indica, 1 1) schon sieben Kasten,
und in neueren Zeiten hat ((182)) man über dreißig herausgebracht,
die dennoch also durch die Verbindung der verschiedenen Stände entstanden sind.

Die Vielweiberei muss notwendig dazu führen.

Einem Brahmanen werden z.B.
drei Weiber aus den drei anderen Kasten gestattet,
wenn er nur eine Frau zuvörderst aus seiner eigenen nahm.

Die Kinder, die aus solcher Vermischung der Kasten hervorgingen,
gehörten ursprünglich keiner an,
aber ein König suchte ein Mittel, um diese Kastenlosen einzurangieren,
und fand ein solches,
welches zugleich der Anfang der Künste und Manufakturen ward.

Die Kinder wurden nämlich zu bestimmten Gewerben zugelassen:
eine Abteilung ward Weber, eine andere arbeitete in Eisen,
und so traten aus den verschiedenen Beschäftigungen
verschiedene Stände hervor.

Die vornehmste dieser Mischlingskasten ist die, welche aus der Verbindung
eines Brahmanen mit einer Frau aus der Kriegerklasse entsteht;
die niedrigste ist die der Tschandalas, welche Leichname wegschleppen,
Verbrecher hinrichten, überhaupt alles Unreine besorgen müssen.

Diese Kaste ist ausgeschlossen und verhaßt,
muss abgeschieden wohnen und fern von der Gemeinschaft mit anderen.

Einem Höheren müssen die Tschandalas aus dem Wege gehen,
und jedem Brahmanen ist es erlaubt, den nicht sich Entfernenden niederzustoßen.

Trinkt ein Tschandala aus einem Teich, so ist dieser verunreinigt
und muss von neuem eine Weihe empfangen.

Das Verhältnis dieser Kasten ist es, was wir zunächst zu betrachten haben.

Fragen wir nach ihrer Entstehung,
so ist zu erwähnen, wie sie der Mythos erzählt.

Dieser nämlich sagt, die Brahmanenkaste sei aus dem Munde des Brahma,
die Kriegerkaste aus seinen Armen,
die Gewerbetreibenden aus seiner Hüfte,
die Dienenden aus seinem Fuße entsprungen.

Manche Historiker haben die Hypothese aufgestellt,
die Brahmanen hätten ein eigenes Priestervolk ausgemacht,
und diese Erdichtung kommt vornehmlich von den Brahmanen selbst her.

Ein Volk von reinen Priestern ist sicherlich die größte Absurdität,
denn a priori erkennen wir, daß ein ((183)) Unterschied von Ständen
nur innerhalb eines Volkes statthaben kann;
in jedem Volk müssen sich die verschiedenen Beschäftigungen finden,
denn sie gehören der Objektivität des Geistes an,
und es ist wesentlich, daß ein Stand den anderen voraussetzt
und daß die Entstehung der Kasten überhaupt
erst Resultat des Zusammenlebens ist.

Ein Priestervolk kann nicht ohne Landbauer und Krieger bestehen.

Stände können sich nicht äußerlich zusammenfinden,
sondern nur aus dem Innern heraus gliedern;
sie kommen von innen heraus, aber nicht von außen herein.

Daß aber diese Unterschiede hier der Natur anheimfallen,
dies geht aus dem Begriff des Orients überhaupt hervor.

Denn wenn eigentlich die Subjektivität
dazu berechtigt sein sollte, sich ihre Beschäftigung zu wählen,
so ist im Orient die innere Subjektivität
überhaupt noch nicht als selbständig anerkannt,
und treten die Unterschiede hervor,
so ist damit verbunden, daß nicht das Individuum sie aus sich wählt,
sondern durch die Natur erhält.

In China hängt das Volk ohne Unterschied der Stände von den Gesetzen
und dem moralischen Willen des Kaisers ab,
also doch von einem menschlichen Willen.

Platon in seinem Staate läßt die Unterschiede für die Beschäftigungen
durch die Wahl der Vorsteher machen;
also auch hier ist ein Sittliches, ein Geistiges das Bestimmende.

In Indien ist die Natur dieser Vorsteher.

Aber die Naturbestimmung brauchte noch nicht
zu dem Grade der Entwürdigung zu führen, den wir hier erblicken,
wenn die Unterschiede lediglich auf die Beschäftigung mit Irdischem,
auf Gestaltungen des objektiven Geistes beschränkt wären.

Im Feudalwesen des Mittelalters
waren die Individuen auch an einen bestimmten Stand geknüpft,
aber es stand für alle ein Höheres darüber,
und allen kam die Freiheit zu, in den geistlichen Stand überzugehen.

Dies ist der hohe Unterschied, daß die Religion für alle ein Gleiches ist
und daß, wenn auch der Sohn des Handwerkers Handwerker,
der Sohn des Landmanns Landmann wird
und die freie Wahl oft von manchen zwingenden Umständen abhängt,
das religiöse ((184)) Moment zu allen in demselben Verhältnis steht
und alle durch die Religion absoluten Wert haben.

Hiervon ist aber in Indien das bare Gegenteil der Fall.

Ein anderer Unterschied
zwischen den Ständen der christlichen Welt und denen der indischen
wäre nun freilich die sittliche Würdigkeit,
welche bei uns in jedem Stande ist
und das ausmacht, was der Mensch in und durch sich selbst haben soll.

Die Oberen sind darin den Unteren gleich,
und indem die Religion die höhere Sphäre ist, in der sich alle sonnen,
ist die Gleichheit vor dem Gesetz, Recht der Person und des Eigentums
jedem Stande erworben.

Dadurch daß in Indien aber, wie schon gesagt worden ist,
die Unterschiede sich nicht nur auf die Objektivität des Geistes,
sondern auch auf seine absolute Innerlichkeit erstrecken
und so alle Verhältnisse desselben erschöpfen,
ist weder Sittlichkeit noch Gerechtigkeit noch Religiosität vorhanden.

Jede Kaste hat ihre besonderen Pflichten und Rechte;
die Pflichten und Rechte sind daher nicht die des Menschen überhaupt,
sondern die einer bestimmten Kaste.

Wenn wir sagen würden, Tapferkeit ist eine Tugend,
so sagen die Inder dagegen: Tapferkeit ist die Tugend der Kschatrijas.

Menschlichkeit überhaupt, menschliche Pflicht und menschliches Gefühl
ist nicht vorhanden, sondern es gibt nur Pflichten der besonderen Kasten.

Alles ist in die Unterschiede versteinert,
und über dieser Versteinerung herrscht die Willkür.

Sittlichkeit und menschliche Würde ist nicht vorhanden,
die bösen Leidenschaften gehen darüber;
der Geist wandert in die Welt des Traumes,
und das Höchste ist die Vernichtung.

Um näher zu verstehen, was Brahmanen sind und was sie gelten,
so müssen wir uns auf die Religion und ihre Vorstellungen einlassen,
auf die wir noch später zurückkommen,
denn der Zustand der Rechte der Kasten gegeneinander
hat seinen Grund im religiösen Verhältnisse.

Brahman (neutr.) ist das höchste in der Religion,
außerdem sind aber noch Hauptgottheiten Brahma (masc.),
Wischnu oder Krischna, in unendlich vielen Gestalten, und Schiwa;
diese Dreiheit ((185)) gehört zusammen.

Brahma ist das Oberste, aber Wischnu oder Krischna, Schiwa,
sowie Sonne, Luft usw. sind auch Brahman, d.i. substantielle Einheit.

Dem Brahman selbst werden keine Opfer gebracht, es wird nicht verehrt;
aber zu allen anderen Idolen wird gebetet.

Brahman selbst ist die substantielle Einheit von allem.

Das höchste religiöse Verhältnis des Menschen nun ist,
daß er sich zum Brahman erhebe.

Fragt man einen Brahmanen, was ist Brahman, so antwortet er:

Wenn ich mich in mich zurückziehe und alle äußeren Sinne verschließe
und in mir Om spreche, so ist dies Brahman.

Die abstrakte Einheit mit Gott
wird in dieser Abstraktion des Menschen zur Existenz gebracht.

Eine Abstraktion kann alles unverändert lassen,
wie die Andacht, die momentan in jemandem hervorgerufen wird;
bei den Indern aber ist dieselbe negativ gegen alles Konkrete gerichtet
und das Höchste diese Erhebung,
durch welche der Inder sich selbst zur Gottheit macht.

Die Brahmanen sind schon durch die Geburt im Besitz des Göttlichen.

Somit enthält der Kastenunterschied auch den Unterschied
von gegenwärtigen Göttern und von endlichen Menschen.

Die anderen Kasten können zwar ebenfalls der Wiedergeburt teilhaftig werden;
aber sie müssen sich unendlichen Entsagungen, Qualen und Büßungen unterwerfen.

Die Verachtung des Lebens und des lebendigen Menschen ist darin der Grundzug.

Ein großer Teil der Nichtbrahmanen trachtet nach der Wiedergeburt.

Man nennt sie Yogi.

Ein Engländer, der auf der Reise nach Tibet zum Dalai-Lama
einem solchen Yogi begegnete, erzählt folgendes:

Der Yogi befand sich schon auf der zweiten Stufe,
um zu der Macht eines Brahmanen zu gelangen.

Die erste Stufe hatte er durchgemacht,
indem er sich zwölf Jahre fortwährend auf den Beinen gehalten,
ohne sich je niederzusetzen oder zu liegen.

Anfangs hatte er sich mit einem Strick an einen Baum festgebunden,
bis er sich daran gewöhnt hatte, stehend zu schlafen.

Die zweite Stufe machte er so durch,
daß er zwölf Jahre beständig die Hände über dem Kopf zusammenfaltete,
und schon waren ihm die Nägel ((186)) fast in die Hände hineingewachsen.

Die dritte Stufe wird nicht immer auf gleiche Weise vollbracht;
gewöhnlich muss der Yogi einen Tag zwischen fünf Feuern zubringen,
das heißt, zwischen vier Feuern nach allen Himmelsgegenden und der Sonne;
dazu kommt dann das Schwenken über dem Feuer,
welches drei und dreiviertel Stunden dauert.

Engländer, welche diesem Akt einmal beiwohnten, erzählen,
daß dem Individuum nach einer halben Stunde
das Blut aus allen Teilen des Körpers herausströmte;
es wurde abgenommen und starb gleich darauf.

Hat aber einer auch diese Prüfung überstanden,
so wird er zuletzt noch lebendig begraben,
das heißt, stehend in die Erde gesenkt und ganz zugeschüttet;
nach drei und dreiviertel Stunden wird er herausgezogen,
und nun endlich hat er, wenn er noch lebt,
die innere Macht des Brahmanen erlangt.

Also nur durch solche Negation seiner Existenz
kommt man zur Macht eines Brahmanen:
diese Negation besteht aber auf ihrer höchsten Stufe
in dem dumpfen Bewußtsein, es zu einer vollkommenen Regungslosigkeit,
zur Vernichtung aller Empfindung und alles Wollens gebracht zu haben,
ein Zustand, der auch bei den Buddhisten als das Höchste gilt.

So feige und schwächlich die Inder sonst sind,
so wenig kostet es sie, sich dem Höchsten, der Vernichtung aufzuopfern,
und die Sitte zum Beispiel,
daß die Weiber sich nach dem Tode ihres Mannes verbrennen,
hängt mit dieser Ansicht zusammen.

Würde ein Weib sich dieser hergebrachten Ordnung widersetzen,
so schiede man sie aus aller Gesellschaft aus
und ließe sie in der Einsamkeit verkommen.

Ein Engländer erzählt, daß er auch eine Frau sich verbrennen sah,
weil sie ihr Kind verloren hatte;
er tat alles mögliche, um sie von ihrem Vorsatze abzubringen;
er wendete sich endlich an den dabeistehenden Mann,
aber dieser zeigte sich vollkommen gleichgültig
und meinte, er habe noch mehr Frauen zu Hause.

So sieht man denn bisweilen
zwanzig Weiber sich auf einmal in den Ganges stürzen,
und auf dem Himalajagebirge fand ein Engländer drei Frauen,
die die Quelle des Ganges aufsuchten, ((187))
um ihrem Leben in diesem heiligen Flusse ein Ende zu machen.

Beim Gottesdienst in dem berühmten Tempel des Jagernaut
am Bengalischen Meerbusen in Orissa, wo Millionen von Indern zusammenkommen,
wird das Bild des Gottes Wischnu auf einem Wagen herumgefahren;
gegen fünfhundert Menschen setzen denselben in Bewegung,
und viele werfen sich vor die Räder desselben hin und lassen sich zerquetschen.

Der ganze Strand des Meeres ist schon mit Gebeinen von so Geopferten bedeckt.

Auch der Kindermord ist in Indien sehr häufig.

Die Mütter werfen ihre Kinder in den Ganges
oder lassen sie an den Strahlen der Sonne verschmachten.

Das Moralische, das in der Achtung eines Menschenlebens liegt,
ist bei den Indern nicht vorhanden.

Solcher Lebensweisen, die auf die Vernichtung hingehen,
gibt es nun noch unendliche Modifikationen.

Dahin gehören z.B. die Gymnosophisten, wie sie die Griechen nannten.

Nackte Fakirs laufen ohne irgendeine Beschäftigung
gleich den katholischen Bettelmönchen herum,
leben von den Gaben anderer
und haben den Zweck, die Hoheit der Abstraktion zu erreichen,
die vollkommene Verdumpfung des Bewußtseins,
von wo aus der Übergang zum physischen Tode nicht mehr sehr groß ist.

Diese von anderen erst mühsam zu erwerbende Hoheit
besitzen nun die Brahmanen, wie schon gesagt worden ist, durch die Geburt.

Der Inder einer anderen Kaste
hat daher den Brahmanen als einen Gott zu verehren,
vor ihm niederzufallen und zu sprechen: du bist Gott.

Und zwar kann die Würdigkeit nicht in sittlichen Handlungen bestehen,
sondern vielmehr, da alle Innerlichkeit fehlt, in einem Wust von Gebräuchen,
welche auch für das äußerlichste unbedeutendste Tun Vorschriften erteilen.

Das Leben des Menschen, sagt man, soll ein beständiger Gottesdienst sein.

Man sieht, wie hohl dergleichen allgemeine Sätze sind,
wenn man die konkreten Gestaltungen betrachtet, die sie annehmen können.

Sie bedürfen noch einer ganz anderen, weiteren Bestimmung,
wenn sie Sinn haben sollen.

Die Brahmanen sind der ((188)) gegenwärtige Gott,
aber ihre Geistigkeit ist noch nicht in sich gegen die Natürlichkeit reflektiert,
und so hat das Gleichgültige absolute Wichtigkeit.

Die Geschäfte des Brahmanen bestehen hauptsächlich im Lesen der Wedas,
nur sie dürfen sie eigentlich lesen.

Wenn ein Schudra die Wedas läse oder sie lesen hörte,
so würde er hart bestraft werden
und glühendes Öl müßte ihm in die Ohren gegossen werden.

Dessen, was die Brahmanen äußerlich zu beobachten haben,
ist ungeheuer viel,
und die Gesetze des Manu handeln davon
wie von dem wesentlichsten Teile des Rechts.

Der Brahmane muss mit einem bestimmten Fuße aufstehen,
sich dann in einem Fluss waschen,
Haar und Nägel müssen rund geschnitten, der ganze Leib gereinigt,
das Gewand muss weiß, in der Hand ein bestimmter Stab,
in den Ohren ein goldenes Ohrgehänge sein.

Begegnet der Brahmane einem Mann aus einer niederen Kaste,
so muss er wieder umkehren, sich zu reinigen.

Dann muss er in den Wedas lesen, und zwar auf verschiedene Weise:
jedes Wort einfach, oder eins ums andere doppelt, oder rückwärts.

Weder in den Aufgang der Sonne darf er blicken, noch in den Niedergang,
auch nicht wenn die Sonne von Wolken überzogen ist
oder ihr Widerschein im Wasser leuchtet.

Ihm ist verwehrt,
über einen Strick zu steigen, woran ein Kalb gebunden ist,
oder auszugehen, wenn es regnet.

Seiner Frau zuzusehen, wenn sie ißt, niest, gähnt oder behaglich dasitzt,
ist ihm verboten.

Beim Mittagsmahl darf er nur ein Gewand anhaben,
beim Baden nie ganz nackt sein.

Wie weit diese Vorschriften gehen,
läßt sich insbesondere aus den Anordnungen beurteilen,
welche die Brahmanen bei der Verrichtung ihrer Notdurft zu beobachten haben.

Sie dürfen sich ihrer nicht entledigen auf einer großen Straße,
auf Asche, auf gepflügtem Grunde, noch auf einem Berge,
auf einem Nest von weißen Ameisen,
auf Holz, das zum Verbrennen bestimmt ist,
auf einem Graben, im Gehen oder Stehen, am Ufer eines Flusses usw.

Bei der Verrichtung dürfen sie nicht nach der Sonne,
nach dem Wasser und nach Tieren sehen.

Sie müssen überhaupt das ((189)) Gesicht bei Tage gegen Norden kehren,
bei Nacht aber gegen Süden;
nur im Schatten steht es in ihrem Belieben, wohin sie sich wenden wollen.

Einem jeden, der sich ein langes Leben wünscht, ist es verboten,
auf Scherben, Samen von Baumwolle, Asche, Korngarben
oder auf seinen Urin zu treten.

In der Episode Nala aus dem Gedichte Mahabharata wird erzählt,
wie eine Jungfrau in ihrem 21. Jahre,
in dem Alter,
in welchem die Mädchen selbst das Recht haben, einen Mann zu wählen,
unter ihren Freiern sich einen aussucht.

Es sind ihrer fünf;
die Jungfrau bemerkt aber, daß vier nicht fest auf ihren Füßen stehen,
und schließt ganz richtig daraus, daß es Götter seien.

Sie wählt also den fünften, der ein wirklicher Mensch ist.

außer den vier verschmähten Göttern sind aber noch zwei boshafte,
welche die Wahl versäumt hatten und sich deshalb rächen wollen;
sie passen daher dem Gemahl ihrer Geliebten
bei allen seinen Schritten und Handlungen auf,
in der Absicht, ihm Schaden zuzufügen, wenn er in irgend etwas fehlen sollte.

Der verfolgte Gemahl begeht nichts, was ihm zur Last fallen könnte,
bis er endlich aus Unvorsichtigkeit auf seinen Urin tritt.

Nun hat der Genius das Recht, in ihn hineinzufahren;
er plagt ihn mit der Spielsucht und stürzt ihn somit in den Abgrund.

Wenn nun die Brahmanen
dergleichen Bestimmungen und Vorschriften unterworfen sind,
so ist ihr Leben dagegen geheiligt;
für Verbrechen haftet es nicht,
ebensowenig kann ihr Gut in Beschlag genommen werden.

Alles, was der Fürst gegen sie verhängen kann, läuft auf die Landesverweisung hinaus.

Die Engländer wollten ein Geschwornengericht in Indien einsetzen,
das zur Hälfte aus Europäern,
zur Hälfte aus Indern zusammengesetzt sein sollte,
und legten den Indern, die darüber ein Gutachten abgeben sollten,
die den Geschwornen zu erteilenden Vollmachten vor.

Die Inder machten nun eine Menge von Ausnahmen und Bedingungen
und sagten unter anderem, sie könnten nicht ihre Zustimmung dazu erteilen,
daß ein Brahmane zum Tode verurteilt werden dürfe,
anderer Einwendungen, zum Beispiel,
daß ((190)) sie einen toten Körper nicht sehen und untersuchen dürften,
nicht zu gedenken.

Wenn der Zinsfuß bei einem Krieger drei Prozent,
bei einem Waischja vier Prozent,
bei einem Schudra fünf Prozent hoch sein darf,
so übersteigt er bei einem Brahmanen nie die Höhe von zwei Prozenten.

Der Brahmane besitzt eine solche Macht,
daß den König der Blitz des Himmels treffen würde,
der Hand an denselben oder an seine Güter zu legen wagte,
denn der geringste Brahmane steht so hoch über dem König,
daß er sich verunreinigen würde, wenn er mit ihm spräche,
und daß er entehrt wäre, wenn seine Tochter sich einen Fürsten erwählte.

In Manus Gesetzbuch heißt es:

Will jemand den Brahmanen in Ansehung seiner Pflicht belehren,
so soll der König befehlen, daß dem Belehrenden
heißes Öl in die Ohren und in den Mund gegossen werde;
wenn ein nur einmal Geborener einen zweimal Geborenen
mit Schmähungen überhäuft,
so soll jenem ein glühender Eisenstab von zehn Zoll Länge
in den Mund gestoßen werden.

Dagegen wird einem Schudra glühendes Eisen in den Hintern angebracht,
wenn er sich auf den Stuhl eines Brahmanen setzt,
und der Fuß oder die Hand abgehauen,
wenn er einen Brahmanen mit den Händen oder mit den Füßen stößt.

Es ist sogar falsches Zeugnis abzulegen und vor Gericht zu lügen gestattet,
falls nur dadurch ein Brahmane von der Verurteilung gerettet wird.

Sowie die Brahmanen Vorzüge vor den anderen Kasten haben,
so haben auch die folgenden einen Schritt über die voraus,
welche ihnen untergeordnet sind.

Wenn ein Schudra von einem Paria durch Berührung verunreinigt würde,
so hat er das Recht, ihn auf der Stelle niederzustoßen.

Die Menschenliebe einer höheren Kaste gegen eine niedere ist durchaus verboten,
und einem Brahmanen wird es nimmermehr einfallen,
dem Mitgliede einer anderen Kaste, selbst wenn es in Gefahr wäre, beizustehen.

Die anderen Kasten halten es für eine große Ehre,
wenn ein Brahmane ihre Töchter zu Weibern nimmt,
was ihm aber, wie schon gesagt worden, nur dann gestattet ist,
wenn er schon ein Weib aus ((191)) der eigenen Kaste besitzt.

Daher die Freiheit der Brahmanen, sich Frauen zu nehmen.

Bei den großen religiösen Festen gehen sie unter das Volk
und wählen sich die Weiber, die ihnen am besten gefallen;
sie schicken sie aber auch wieder weg, wie es ihnen beliebt.

Wenn ein Brahmane oder ein Mitglied irgendeiner anderen Kaste
die oben angedeuteten Gesetze und Vorschriften übertritt,
so ist er auch von selbst aus seiner Kaste ausgeschlossen,
und um wieder aufgenommen zu werden,
muss er sich einen Haken durch die Hüfte bohren
und sich daran mehrere Male in der Luft herumschwenken lassen.

Auch andere Formen der Wiederzulassung finden statt.

Ein Radscha, der sich von einem englischen Statthalter beeinträchtigt glaubte,
schickte zwei Brahmanen nach England, um seine Beschwerden auseinanderzusetzen.

Den Indern ist aber verboten, über das Meer zu gehen;
und daher wurden diese Gesandten, als sie zurückkamen,
als aus ihrer Kaste gestoßen erklärt und sollten, um wieder eintreten zu können,
noch einmal aus einer goldenen Kuh geboren werden.

Die Totalität der Aufgabe wurde ihnen insoweit erlassen,
daß nur die Teile der Kuh golden zu sein brauchten,
aus welchen sie herauskriechen mussten;
das übrige durfte aus Holz bestehen.

Diese vielfachen Gebräuche und religiösen Angewöhnungen,
denen jede Kaste unterworfen ist,
haben den Engländern, namentlich bei der Anwerbung ihrer Soldaten,
große Not verursacht.

Anfänglich nahm man sie aus der Schudrakaste,
die nicht so vielen Verrichtungen unterworfen ist;
mit diesen war aber nichts zu machen,
daher ging man zu der Klasse der Kschatrija über;
aber diese hat unendlich viel zu besorgen:
sie darf kein Fleisch essen, keinen toten Körper berühren,
aus einem Teiche nicht trinken, aus dem Vieh oder Europäer getrunken haben,
das nicht essen, was andere kochten usw.

Jeder Inder tut nur ein Bestimmtes,
so daß man unendlich viele Bediente haben muß
und ein Leutnant dreißig, ein Major sechzig besitzt.

Jede Kaste hat also ihre eigenen Pflichten;
je niedriger die Kaste, desto weniger ist ((192)) für sie zu beobachten,
und wenn jedem Individuum durch die Geburt sein Standpunkt angewiesen ist,
so ist außer diesem fest Bestimmten alles andere nur Willkür und Gewalttat.

Im Gesetzbuch des Manu steigen die Strafen mit der Niedrigkeit der Kasten,
und der Unterschied kommt auch in anderen Rücksichten vor.

Verklagt ein Mann aus einer höheren Kaste einen Niedrigen ohne Beweis,
so wird der Höhere nicht bestraft;
im umgekehrten Falle ist die Strafe sehr hart.

Nur beim Diebstahl findet die Ausnahme statt,
daß die höhere Kaste schwerer büßen muß.

In Ansehung des Eigentums sind die Brahmanen sehr im Vorteil,
denn sie zahlen keine Abgaben.

Vom übrigen Lande erhält der Fürst die Hälfte des Ertrages,
die andere Hälfte muss für die Kosten der Bebauung
und für den Unterhalt der Bauern hinreichen.

Der Punkt ist äußerst wichtig,
ob in Indien überhaupt das bebaute Land Eigentum des Bebauers
oder eines sogenannten Lehnsherrn ist,
und die Engländer haben darüber selbst schwer ins reine kommen können.

Als sie Bengalen eroberten, hatten sie nämlich ein großes Interesse,
die Art der Abgaben vom Eigentum zu bestimmen,
und mussten erfahren,
ob sie diese den Bauern oder den Oberherren aufzulegen hätten.

Sie taten das letztere;
aber nun erlaubten sich die Herren die größten Willkürlichkeiten;
sie jagten die Bauern weg
und erlangten unter der Angabe, daß soundsoviel Land unbebaut sei,
eine Verminderung des Tributs.

Die fortgejagten Bauern
nahmen sie dann wieder für ein Geringes als Tagelöhner an
und ließen das Land für sich selbst kultivieren.

Der ganze Ertrag eines jeden Dorfes wird wie gesagt in zwei Teile geteilt,
wovon der eine dem Radscha, der andere den Bauern zukommt;
dann aber erhalten noch außerdem verhältnismäßige Portionen der Ortsvorsteher,
der Richter, der Aufseher über das Wasser, der Brahmane für den Gottesdienst,
der Astrolog (der auch ein Brahmane ist
und die glücklichen und unglücklichen Tage angibt),
der Schmied, der Zimmermann, der Töpfer, der Wäscher, der Barbier,
der Arzt, die Tänzerinnen, der Musikus, ((193)) der Poet.

Dies ist fest und unveränderlich und unterliegt keiner Willkür.

Alle politischen Revolutionen
gehen daher gleichgültig an dem gemeinen Inder vorüber,
denn sein Los verändert sich nicht.

Die Darstellung des Kastenverhältnisses
führt nun unmittelbar zur Betrachtung der Religion.

Denn die Fesseln der Kasten sind, wie schon bemerkt worden,
nicht bloß weltlich, sondern wesentlich religiös,
und die Brahmanen in ihrer Hoheit sind selbst die Götter in leiblicher Gegenwart.

In den Gesetzen des Manu heißt es:

Laßt den König auch in höchster Not nicht die Brahmanen gegen sich aufregen;
denn diese können ihn mit ihrer Macht zerstören,
sie, welche das Feuer, die Sonne, den Mond erzeugen usf.

Sie sind weder Diener Gottes noch seiner Gemeine,
sondern den übrigen Kasten selber der Gott,
welches Verhältnis eben die Verkehrtheit des indischen Geistes ausmacht.

Die träumende Einheit des Geistes und der Natur,
welche einen ungeheuren Taumel
in allen Gestaltungen und Verhältnissen mit sich bringt,
haben wir schon früher als das Prinzip des indischen Geistes erkannt.

Die indische Mythologie ist daher nur eine wilde Ausschweifung der Phantasie,
in der sich nichts fest gestaltet,
in der vom Gemeinsten zum Höchsten,
vom Erhabensten bis zum Scheußlichsten und Trivialsten übergegangen wird.

So ist es auch schwer aufzufinden, was die Inder unter Brahman verstehen.

Wir bringen die Vorstellung des höchsten Gottes,
des Einen, des Schöpfers des Himmels und der Erden, mit
und lassen diese Gedanken dem indischen Brahman zufließen.

Von Brahman unterschieden ist nun Brahma,
der eine Person gegen Wischnu und Schiwa bildet.

Deswegen nennen viele das höchste Wesen über jenen Parabrahma.

Die Engländer haben sich viele Mühe gegeben herauszubringen,
was eigentlich Brahman sei.

Es ist von Wilford behauptet worden,
es gebe zwei Himmel in der indischen Vorstellung:
der erste sei das irdische Paradies, der zweite der Himmel in geistiger Bedeutung.

Um diese zu erreichen, gebe es zwei Weisen des Kultus.

Die eine enthalte äußerliche Gebräuche, ((194)) Götzendienst;
die andere erfordere, daß man das höchste Wesen im Geiste verehre.

Opfer, Abwaschungen, Wallfahrten seien hier nicht mehr nötig.

Man finde wenig Inder, welche den zweiten Weg zu gehen bereit seien,
weil sie nicht fassen können,
worin das Vergnügen des zweiten Himmels bestehe.

Frage man einen Hindu, ob er Idole verehre, so sage jeder: ja;
auf die Frage aber: betet ihr zum höchsten Wesen? antwortet jeder: nein.

Wenn man nun weiterfragt:
was tut ihr denn, was bedeutet das schweigende Meditieren,
dessen einige Gelehrte Erwähnung tun?
so ist die Erwiderung:
wenn ich zur Ehre eines der Götter bete, so setze ich mich nieder,
die Füße wechselweise über die Schenkel geschlagen, schaue gen Himmel,
ruhig die Gedanken erhebend und sprachlos die Hände gefaltet;
dann sage ich, ich bin Brahman, das höchste Wesen.

Brahman zu sein
werden wir durch die Maya (die weltliche Täuschung) uns nicht bewußt;
es ist verboten, zu ihm zu beten und ihm selbst Opfer zu bringen,
denn dies hieße uns selbst anbeten.

Also können es immer nur Emanationen Brahmans sein, welche wir anflehen.

Nach der Übersetzung in unseren Gedankengang
ist also Brahman die reine Einheit des Gedankens in sich selbst,
der in sich einfache Gott.

Ihm sind keine Tempel geweiht, und er hat keinen Kultus.

Gleichartig sind auch in der katholischen Religion
die Kirchen nicht Gott zugeschrieben, sondern den Heiligen.

Andere Engländer,
welche sich der Erforschung des Gedankens Brahmans hingaben,
meinten, Brahman sei ein nichtssagendes Epitheton,
das auf alle Götter angewendet werde;
Wischnu sage: ich bin Brahman;
auch die Sonne, die Luft, die Meere werden Brahman genannt.

Brahman sei so die einfache Substanz,
welche sich wesentlich in das Wilde der Verschiedenheit auseinanderschlägt.

Denn diese Abstraktion, diese reine Einheit
ist das allem zugrunde Liegende, die Wurzel aller Bestimmtheit.

Beim Wissen dieser Einheit fällt alle Gegenständlichkeit weg,
denn das rein Abstrakte ist eben das Wissen selbst in seiner äußersten Leerheit.

Diesen Tod des Lebens schon im Leben ((195)) zu erreichen,
diese Abstraktion zu setzen,
dazu ist das Verschwinden alles sittlichen Tuns und Wollens
wie auch des Wissens nötig,
wie in der Religion des Fo;
und dazu werden die Büßungen unternommen, von welchen früher gesprochen worden.

Das Weitere zu der Abstraktion Brahmans wäre nun der konkrete Inhalt,
denn das Prinzip der indischen Religion ist das Hervortreten der Unterschiede.

Diese nun fallen außer jener abstrakten Gedankenreinheit
und sind als das von ihr Abweichende sinnliche Unterschiede
oder die Gedankenunterschiede in unmittelbarer sinnlicher Gestalt.

Auf diese Weise ist der konkrete Inhalt geistlos und wild zerstreut,
ohne in die reine Idealität Brahms zurückgenommen zu sein.

So sind die übrigen Götter die sinnlichen Dinge:
Berge, Ströme, Tiere, die Sonne, der Mond, der Ganges.

Diese wilde Mannigfaltigkeit
ist dann auch zu substantiellen Unterschieden zusammengefaßt
und als göttliche Subjekte aufgefaßt.

Wischnu, Schiwa, Mahadewa unterscheiden sich auf diese Weise von Brahma.

In der Gestalt des Wischnu treten die Inkarnationen auf,
worin Gott als Mensch erschien,
und diese Menschwerdungen sind immer geschichtliche Personen,
die Veränderungen und neue Epochen bewirkten.

Die Zeugungskraft ist ebenso eine substantielle Gestalt,
und in den Exkavationen, den Grotten, den Pagoden der Inder
findet man immer das Lingam als die männliche
und den Lotos als weibliche Zeugungskraft.

Diesem Gedoppelten, der abstrakten Einheit und abstrakten sinnlichen Besonderheit,
entspricht eben der gedoppelte Kultus in dem Verhalten des Selbst zum Gott.

Die eine Seite dieses Kultus besteht in der Abstraktion des reinen sich Aufhebens,
in dem Vernichten des realen Selbstbewußtseins,
welche Negativität also in der stumpfen Bewußtlosigkeit einerseits,
in dem Selbstmorde
und dem Vernichten der Lebendigkeit durch selbstauferlegte Qualen andererseits
zur Erscheinung kommt.

Die andere Seite des Kultus besteht in dem wilden Taumel der Ausschweifung,
in der Selbstlosigkeit ((196)) des Bewußtseins durch Versenkung in die Natürlichkeit,
mit der das Selbst sich auf diese Weise identisch setzt,
indem es das Bewußtsein des sich Unterscheidens von der Natürlichkeit aufhebt.

Bei allen Pagoden werden daher Buhlerinnen und Tänzerinnen gehalten,
welche die Brahmanen aufs sorgfältigste im Tanzen,
in den schönen Stellungen und Gebärden unterrichten,
und die um einen bestimmten Preis sich jedem Wollenden ergeben müssen.

Von einer Lehre, von Beziehung der Religion auf Sittlichkeit
kann hier im entferntesten nicht mehr die Rede sein.

Liebe, Himmel, genug, alles Geistige
wird von der Phantasie des Inders einerseits vorgestellt,
aber andererseits ist ihm das Gedachte ebenso sinnlich da,
und er versenkt sich durch Betäubung in dieses Natürliche.

Die religiösen Gegenstände sind so
entweder von der Kunst hervorgebrachte scheußliche Gestalten
oder natürliche Dinge.

Jeder Vogel, jeder Affe ist der gegenwärtige Gott, ein ganz allgemeines Wesen.

Die Inder sind nämlich unfähig,
einen Gegenstand in verständigen Bestimmungen festzuhalten,
denn dazu gehört schon Reflexion.

Indem das Allgemeine zu sinnlicher Gegenständlichkeit verkehrt wird,
wird diese auch aus ihrer Bestimmtheit zur Allgemeinheit herausgetrieben,
wodurch sie sich haltungslos zur Maßlosigkeit erweitert.

Fragen wir nun weiter, inwieweit die Religion
die Sittlichkeit der Inder erscheinen lasse, so ist zu antworten,
die erstere sei ebenso weit von der letzteren abgeschnitten
wie Brahman von seinem konkreten Inhalt.

Die Religion ist uns das Wissen des Wesens,
das eigentlich unser Wesen ist,
und daher die Substanz unseres Wissens und Wollens,
das die Bestimmung erhält, ein Spiegel dieser Grundsubstanz zu sein.

Aber dazu gehört, daß dieses Wesen selbst Subjekt
mit göttlichen Zwecken sei,
welche der Inhalt des menschlichen Handelns werden können.

Solcher Begriff aber einer Beziehung des Wesens Gottes
als allgemeiner Substanz menschlichen Handelns,
solche Sittlichkeit kann sich bei den Indern nicht finden,
denn sie haben nicht das Geistige zum Inhalt ((197)) ihres Bewußtseins.

Einerseits [be]steht ihre Tugend in dem Abstrahieren von allem Tun im Brahmansein
andererseits ist jedes Tun bei ihnen vorgeschriebener äußerlicher Gebrauch,
nicht freies Tun durch die Vermittlung innerlicher Selbstischkeit,
und so zeigt sich denn der sittliche Zustand der Inder, wie schon gesagt worden ist,
als der verworfenste.

Darin stimmen alle Engländer überein.

Man kann sich in seinem Urteile über die Moralität der Inder
leicht durch die Beschreibung der Milde, der Zartheit,
der schönen und empfindungsvollen Phantasie bestechen lassen,
doch müssen wir bedenken, daß es in ganz verdorbenen Nationen
Seiten gibt, die man zart und edel nennen dürfte.

Wir haben chinesische Gedichte,
worin die zartesten Verhältnisse der Liebe geschildert werden,
worin sich Zeichnungen von tiefer Empfindung,
Demut, Scham, Bescheidenheit befinden
und die man mit dem,
was vom Besten in der europäischen Literatur vorkommt, vergleichen kann.

Dasselbe begegnet uns in vielen indischen Poesien;
aber Sittlichkeit, Moralität, Freiheit des Geistes,
Bewußtsein des eigenen Rechts sind ganz davon getrennt.

Die Vernichtung der geistigen und physischen Existenz
hat nichts Konkretes in sich,
und das Versenken in die abstrakte Allgemeinheit
hat keinen Zusammenhang mit dem Wirklichen,
List und Verschlagenheit ist der Grundcharakter des Inders;
Betrügen, Stehlen, Rauben, Morden liegt in seinen Sitten;
demütig kriechend und niederträchtig zeigt er sich dem Sieger und Herrn,
vollkommen rücksichtslos und grausam dem Überwundenen und Untergebenen.

Die Menschlichkeit des Inders charakterisierend ist es, daß er kein Tier tötet,
reiche Hospitäler für Tiere,
besonders für alte Kühe und Affen, stiftet und unterhält,
daß aber im ganzen Lande keine einzige Anstalt
für kranke und altersschwache Menschen zu finden ist.

Auf Ameisen treten die Inder nicht,
aber arme Wanderer lassen sie gleichgültig verschmachten.

Besonders unsittlich sind die Brahmanen.

Sie essen und schlafen nur, erzählen die Engländer.

Wenn ihnen etwas nicht durch ihre Gebräuche verboten ist,
so lassen sie ((198)) sich ganz durch ihre Triebe leiten;
wo sie ins öffentliche Leben eingreifen,
zeigen sie sich habsüchtig, betrügerisch, wollüstig;
sie behandeln die mit Demut, welche sie zu fürchten haben,
und lassen es ihre Untergebenen entgelten.

Ein rechtschaffener Mann, sagt ein Engländer,
ist mir unter ihnen nicht bekannt.

Die Kinder haben vor den Eltern keine Achtung,
der Sohn mißhandelt die Mutter.

Die Kunst und Wissenschaft der Inder hier ausführlich zu erwähnen,
würde zu weit führen.

Es ist aber im allgemeinen zu sagen,
daß bei genauerer Kenntnis des Wertes derselben
das viele Gerede von indischer Weisheit
um ein Bedeutendes ist verringert worden.

Nach dem indischen Prinzipe der reinen selbstlosen Idealität
und des Unterschiedes, der ebenso sinnlich ist, zeigt es sich,
wie nur abstraktes Denken und Phantasie können ausgebildet sein.

So ist z.B. die Grammatik zu großer Festigkeit gediehen;
aber sobald es in den Wissenschaften und Kunstwerken
auf substantiellen Stoff ankommt, ist derselbe hier nicht zu suchen.

Nachdem die Engländer Herren des Landes wurden,
hat man die Entdeckung indischer Bildung wieder zu machen angefangen,
und William Jones hat zuerst die Gedichte des goldenen Zeitalters aufgesucht.

Die Engländer führten in Kalkutta Schauspiele auf,
da zeigten die Brahmanen auch Dramen vor, z.B. die Sakuntala von Kalidasa usw.

In dieser Freude der Entdeckung
schlug man nun die Bildung der Inder sehr hoch an,
und wie man gewöhnlich bei neu aufgefundenen Schätzen
auf die, welche man besitzt, verachtend herabsieht,
so sollte indische Dichtkunst und Philosophie die griechische überragen.

Am wichtigsten sind für uns die Ur- und Grundbücher der Inder,
besonders die Wedas;
sie enthalten mehrere Abteilungen,
wovon die vierte späteren Ursprungs ist.

Der Inhalt derselben besteht teils aus religiösen Gebeten,
teils aus Vorschriften, was die Menschen zu beobachten haben.

Einige Handschriften dieser Wedas sind nach Europa gekommen,
doch vollständig sind sie außerordentlich selten.

Die Schrift ist auf Palmblätter mit einer Nadel eingekratzt.

Die Wedas ((199)) sind sehr schwer zu verstehen,
da sie sich aus dem höchsten Altertum herschreiben
und die Sprache ein viel älteres Sanskrit ist.

Nur Colebrooke hat einen Teil übersetzt,
aber dieser selbst ist vielleicht aus einem Kommentar genommen,
deren es sehr viele gibt. *

Auch zwei große epische Gedichte, Ramajana und Mahabharata,
sind nach Europa gekommen.

Drei Quartbände von ersterem sind gedruckt worden,
der zweite Band ist äußerst selten. *

außer diesen Werken sind noch besonders die Puranas zu bemerken.

Die Puranas enthalten die Geschichte eines Gottes oder eines Tempels.

Diese sind vollkommen phantastisch.

Ein Grundbuch der Inder ist ferner das Gesetzbuch des Manu.

Man hat diesen indischen Gesetzgeber mit dem kretischen Minos,
welcher Name auch bei den Ägyptern vorkommt, verglichen,
und gewiß ist es merkwürdig
und nicht zufällig, daß dieser Name so durchgeht.

Manus Sittenbuch
(herausgegeben zu Kalkutta mit englischer Übersetzung des Sir W. Jones)
macht die Grundlage der indischen Gesetzgebung aus.

Es fängt mit einer Theogonie an,
die nicht nur, wie natürlich, von den mythologischen Vorstellungen
anderer Völker ganz verschieden ist,
sondern auch wesentlich von den indischen Traditionen selbst abweicht.

Denn auch in diesen sind nur einige Grundzüge durchgreifend,
sonst ist alles der Willkür und dem Belieben eines jeden überlassen,
daher man immer wieder die verschiedenartigsten Traditionen,
Gestaltungen und Namen vorfindet.

Auch die Zeit, in welcher Manus Gesetzbuch entstanden ((200)) ist,
ist völlig unbekannt und unbestimmt.

Die Traditionen gehen bis über dreiundzwanzig Jahrhunderte vor Christi Geburt:
es wird von einer Dynastie der Sonnenkinder,
auf die eine solche der Mondkinder folgte, gesprochen.

So viel ist aber gewiß, daß das Gesetzbuch aus hohem Altertum ist;
und seine Kenntnis ist für die Engländer von der größten Wichtigkeit,
da ihre Einsicht in das Recht davon abhängt.


[Fürstentümer]

Nachdem nun das indische Prinzip in den Kastenunterschieden,
in der Religion und Literatur ist nachgewiesen worden,
so ist nun auch die Art und Weise des politischen Daseins,
d.i. der Grundsatz des indischen Staats anzugeben.

Dies setzt schlechthin das Bewußtsein des freien Willens überhaupt voraus.

Im chinesischen Staate ist der moralische Wille des Kaisers das Gesetz
aber so, daß die subjektive, innerliche Freiheit dabei zurückgedrängt ist
und das Gesetz der Freiheit nur als außerhalb der Individuen sie regiert.

In Indien ist diese erste Innerlichkeit der Einbildung,
eine Einheit des Natürlichen und Geistigen,
worin weder die Natur als eine verständige Welt
noch das Geistige
als das der Natur sich gegenüberstellende Selbstbewußtsein ist.

Hier fehlt der Gegensatz im Prinzip;
es fehlt die Freiheit sowohl als an sich seiender Wille
wie auch als subjektive Freiheit.

Es ist hiermit der eigentümliche Boden des Staats,
das Prinzip der Freiheit gar nicht vorhanden:
es kann also kein eigentlicher Staat vorhanden sein.

Dies ist das erste;
wenn China ganz Staat ist,
so ist das indische politische Wesen nur ein Volk, kein Staat.

Ferner, wenn in China ein moralischer Despotismus war,
so ist das, was in Indien noch politisches Leben genannt werden kann,
ein Despotismus ohne irgendeinen Grundsatz,
ohne Regel der Sittlichkeit und der Religiosität;
denn Sittlichkeit, Religion,
insofern die letztere sich auf das Handeln der Menschen bezieht,
haben schlechthin zu ihrer Bedingung und Basis die Freiheit des Willens.

In Indien ((201)) ist daher der willkürlichste, schlechteste,
entehrendste Despotismus zu Hause.

China, Persien, die Türkei, Asien überhaupt ist der Boden des Despotismus
und, im bösen Charakter, der Tyrannei;
aber die letztere gilt als etwas, das nicht in der Ordnung ist
und das an der Religion, an dem moralischen Bewußtsein der Individuen
seine Mißbilligung findet.

Die Tyrannei empört hier die Individuen,
sie verabscheuen und empfinden sie als Druck,
sie ist darum zufällig und außer der Ordnung, sie soll nicht sein.

Aber in Indien ist sie in der Ordnung,
denn hier ist kein Selbstgefühl vorhanden,
mit dem die Tyrannei vergleichbar wäre
und wodurch das Gemüt sich in Empörung setzte;
es bleibt nur der körperliche Schmerz,
die Entbehrung der nötigsten Bedürfnisse und der Lust,
welche eine negative Empfindung dagegen enthalten.

Bei einem solchen Volke ist denn das,
was wir im doppelten Sinne Geschichte heißen, nicht zu suchen,
und hier tritt der Unterschied zwischen China und Indien
am deutlichsten und am auffallendsten hervor.

Die Chinesen haben die genaueste Geschichte ihres Landes,
und es ist schon bemerkt worden,
welche Anstalten in China getroffen werden,
daß alles genau in die Geschichtsbücher verzeichnet werde.

Das Gegenteil ist in Indien der Fall.

Wenn wir in der neueren Zeit,
als wir mit den Schätzen der indischen Literatur bekannt wurden,
gefunden haben, daß die Inder großen Ruhm in der Geometrie,
Astronomie und Algebra erlangten, daß sie es in der Philosophie weit brachten
und daß das grammatische Studium so ausgebaut worden ist,
daß keine Sprache als ausgebildeter zu betrachten ist als das Sanskrit,
so finden wir die Seite der Geschichte ganz vernachlässigt
oder vielmehr gar nicht vorhanden.

Denn die Geschichte erfordert Verstand,
die Kraft, den Gegenstand für sich freizulassen
und ihn in seinem verständigen Zusammenhange aufzufassen.

Der Geschichte, wie der Prosa überhaupt, sind daher nur Völker fähig,
die dazu gekommen sind und davon ausgehen,
daß die Individuen sich als für sich seiend, mit Selbstbewußtsein, erfassen. ((202))

Die Chinesen gelten nach dem,
wozu sie sich im großen Ganzen des Staats gemacht haben.

Indem sie auf diese Weise zu einem Insichsein gelangen,
lassen sie auch die Gegenstände frei und fassen dieselben auf, wie sie vorliegen,
in ihrer Bestimmtheit und in ihrem Zusammenhange.

Die Inder dagegen sind durch Geburt einer substantiellen Bestimmtheit zugeteilt,
und zugleich ist ihr Geist zur Idealität erhoben,
so daß sie der Widerspruch sind,
die feste verständige Bestimmtheit in ihrer Idealität aufzulösen
und andererseits diese zur sinnlichen Unterschiedenheit herabzusetzen.

Dies macht sie zur Geschichtsschreibung unfähig.

Alles Geschehene verflüchtigt sich bei ihnen zu verworrenen Träumen.

Was wir geschichtliche Wahrheit und Wahrhaftigkeit,
verständiges, sinnvolles Auffassen der Begebenheiten
und Treue in der Darstellung nennen
- nach allem diesen ist bei den Indern gar nicht zu fragen.

Es ist teils eine Gereiztheit und Schwäche der Nerven,
die ihnen nicht gestattet, ein Dasein zu ertragen und fest aufzufassen
- wie sie es auffassen,
hat es ihre Empfindlichkeit und Phantasie zum Fiebertraum verkehrt -;
teils ist Wahrhaftigkeit das Gegenteil ihrer Natur,
sie lügen sogar wissentlich und vorsätzlich, wo sie es besser wissen.

Wie der indische Geist ein Träumen und Verschweben,
ein selbstloses Aufgelöstsein ist,
so verschweben ihm auch die Gegenstände zu wirklichkeitslosen Bildern
und zu einem Maßlosen.

Dieser Zug ist absolut charakteristisch,
und durch ihn allein ließe sich der indische Geist in seiner Bestimmtheit auffassen
und aus ihm alles Bisherige entwickeln.

Die Geschichte ist aber immer für ein Volk von großer Wichtigkeit,
denn dadurch kommt es zum Bewußtsein des Ganges seines Geistes,
der sich in Gesetzen, Sitten und Taten ausspricht.

Gesetze als Sitten und Einrichtungen sind das Bleibende überhaupt.

Aber die Geschichte gibt dem Volke sein Bild in einem Zustande,
der ihm dadurch objektiv wird.

Ohne Geschichte ist sein zeitliches Dasein nur in sich blind
und ein sich wiederholendes Spiel der Willkür
in mannigfaltigen ((203)) Formen.

Die Geschichte fixiert diese Zufälligkeit, sie macht sie stehend,
gibt ihr die Form der Allgemeinheit
und stellt eben damit die Regel für und gegen sie auf.

Sie ist ein wesentliches Mittelglied
in der Entwicklung und Bestimmung der Verfassung,
d.h. eines vernünftigen, politischen Zustandes;
denn sie ist die empirische Weise, das Allgemeine hervorzubringen,
da sie ein Dauerndes für die Vorstellung aufstellt.

Es werden in den indischen Schriften Zeitalter angegeben und große Zahlen,
die oft von astronomischer Bedeutung
und noch öfter ganz willkürlich gemacht sind.

So heißt es von Königen, sie hätten siebzigtausend Jahre oder mehr regiert.

Brahma, die erste Figur in der Kosmogonie, die sich selbst erzeugt hat,
hat zwanzigtausend Millionen Jahre gelebt usw.

Es werden unzählige Namen von Königen angeführt,
darunter die Inkarnationen des Wischnu.

Es würde lächerlich sein, dergleichen für etwas Geschichtliches zu nehmen.

In den Gedichten ist häufig die Rede von Königen;
es sind dies wohl historische Figuren gewesen,
aber sie verschwinden gänzlich in Fabel,
sie ziehen sich z.B. ganz von der Welt zurück
und erscheinen dann wieder,
nachdem sie zehntausend Jahre in der Einsamkeit zugebracht haben.

Die Zahlen haben also nicht den Wert und verständigen Sinn,
den sie bei uns besitzen.

Die ältesten und sichersten Quellen der indischen Geschichte
sind daher die Notizen der griechischen Schriftsteller,
nachdem Alexander der große den Weg nach Indien eröffnet hatte.

Daraus wissen wir, daß schon damals alle Einrichtungen, wie sie heute sind,
vorhanden waren.

Santarakottus (Tschandragupta) wird als ein ausgezeichneter Herrscher
im nördlichen Teile von Indien hervorgehoben,
bis wohin sich das baktrische Reich erstreckte.

Eine andere Quelle bieten die mohammedanischen Geschichtsschreiber dar,
denn schon ((204)) im zehnten Jahrhundert
begannen die Mohammedaner ihre Einfälle.

Ein türkischer Sklave ist der Stammvater der Ghasnewiden;
sein Sohn Mahmud brach in Hindostan ein und eroberte fast das ganze Land.

Die Residenz schlug er westlich von Kabul auf,
und an seinem Hofe lebte der Dichter Firdusi.

Die ghasnewidische Dynastie wurde bald durch die Afghanen
und später durch die Mongolen völlig ausgerottet.

In neueren Zeiten ist fast ganz Indien den Europäern unterworfen worden.

Was man also von der indischen Geschichte weiß,
ist meist durch Fremde bekannt geworden,
und die einheimische Literatur gibt nur unbestimmte Data an.

Die Europäer versichern die Unmöglichkeit,
den Morast Indischer Nachrichten zu durchwaten.

Das Bestimmtere wäre aus Inschriften und Dokumenten zu nehmen,
besonders aus den schriftlichen Schenkungen von einem Stück Land
an Pagoden und an Gottheiten,
aber diese Auskunft gewährt auch nur bloße Namen.

Eine andere Quelle wären die astronomischen Schriften,
die von hohem Altertum sind.

Colebrooke hat diese Schriften genau studiert,
doch es ist sehr schwierig, Manuskripte zu bekommen,
da die Brahmanen sehr geheim damit tun,
und überdies sind die Handschriften durch die größten Interpolationen entstellt.

Es ergibt sich, daß die Angaben von Konstellationen sich oft widersprechen
und daß die Brahmanen Umstände ihrer Zeit in diese alten Werke einschieben.

Die Inder besitzen zwar Listen und Aufzählungen ihrer Könige,
aber hier ist auch die größte Willkür sichtbar,
weil man oft in einer Liste zwanzig Könige mehr als in der anderen findet;
und selbst in dem Falle, wo diese Listen richtig wären,
könnten sie noch keine Geschichte konstituieren.

Die Brahmanen sind ganz gewissenlos in Ansehung der Wahrheit.

Kapitän Wilford hatte mit großer Mühe und vielem Aufwand
sich von allen Seiten her Manuskripte verschafft,
er versammelte mehrere Brahmanen um sich und gab ihnen auf,
Auszüge aus diesen Werken zu machen
und Nachforschungen über gewisse berühmte Begebenheiten,
über Adam und Eva, die Sintflut usw. anzustellen. ((205))

Die Brahmanen, um ihrem Herrn zu gefallen,
brauten ihm dergleichen zusammen,
was aber gar nicht in den Handschriften stand.

Wilford schrieb nun mehrere Abhandlungen darüber,
bis er endlich den Betrug merkte und seine Mühe als vergeblich erkannte.

Die Inder haben allerdings eine bestimmte Ära:
sie zählen von Wikramaditja an, an dessen glänzendem Hofe Kalidasa,
der Verfasser der Sakuntala, lebte.

Um dieselbe Zeit lebten überhaupt die vorzüglichsten Dichter.

Es seien neun Perlen am Hofe des Wikramaditja gewesen, sagen die Brahmanen;
es ist aber nicht zu erforschen, wann dieser Glanz existiert hat.

Aus verschiedenen Angaben hat man das Jahr 1491 vor Chr. Geburt erhalten,
andre nehmen das Jahr 50 vor Chr. an, und dies ist das gewöhnliche.

Bentley endlich hat durch seine Untersuchungen
den Wikramaditja in das zwölfte Jahrhundert vor Chr. gesetzt.

Zuletzt ist noch entdeckt worden, daß es fünf,
ja acht bis neun Könige dieses Namens in Indien gegeben hat,
daher ist man auch hier wieder in vollkommener Ungewißheit.

Als die Europäer mit Indien bekannt wurden,
fanden sie eine Menge von kleinen Reichen,
an deren Spitze mohammedanische und indische Fürsten standen.

Der Zustand war beinahe lehnsmäßig organisiert,
und die Reiche zerfielen in Distrikte,
die zu Vorstehern Mohammedaner oder Leute aus der Kriegerkaste hatten.

Das Geschäft dieser Vorsteher bestand darin, Abgaben einzuziehen
und Kriege zu führen,
und sie bildeten so gleichsam eine Aristokratie, einen Rat des Fürsten.

Aber nur insofern die Fürsten gefürchtet werden und Furcht erregen,
haben sie Macht, und nichts wird ihnen ohne Gewalt geleistet.

Solange es dem Fürsten nicht an Geld fehlt, solange hat er Truppen,
und die benachbarten Fürsten, wenn sie ihm an Gewalt nachstehen,
müssen oft Abgaben leisten,
die sie jedoch nur, insofern sie eingetrieben werden können, bezahlen.

So ist der ganze Zustand nicht der der Ruhe, sondern eines steten Kampfes,
ohne daß jedoch durch diesen etwas entwickelt oder gefördert wird.

Es ist der ((206)) Kampf eines energischen Fürstenwillens
gegen einen ohnmächtigeren,
die Geschichte der Herrscherdynastien, aber nicht der Völker,
eine Reihe immer wechselnder Intrigen und Empörungen,
und zwar nicht der Untertanen gegen ihre Beherrscher,
sondern des fürstlichen Sohnes gegen den Vater,
der Brüder, der Onkel und Neffen untereinander
und der Beamten gegen ihren Herrn.

Man könnte nun glauben, daß,
wenn die Europäer einen solchen Zustand vorfanden, dies ein Resultat
der Auflösung früherer besserer Organisationen gewesen sei,
man könnte namentlich annehmen, daß die Zeiten der mongolischen Oberherrschaft
eine Periode des Glücks und des Glanzes
und eines politischen Zustandes gewesen seien,
wo Indien nicht durch fremde Eroberer
in seinem religiösen und politischen Sein zerrissen,
unterdrückt und aufgelöst war.

Was aber davon an geschichtlichen Spuren und Zügen
beiläufig in dichterischen Beschreibungen und Sagen vorkommt,
deutet immer auf denselben Zustand der Geteiltheit durch Krieg
und der Unstetheit der politischen Verhältnisse;
und das Gegenteil ist leicht als Traum und leere Einbildung zu erkennen.

Dieser Zustand geht aus dem angegebenen Begriffe des indischen Lebens
und seiner Notwendigkeit hervor.

Die Kriege der Sekten, der Brahmanen und Buddhisten,
der Anhänger des Wischnu und Schiwa
trugen zu dieser Verwirrung noch bei.

Vergleichen wir nun zum Schluß noch einmal übersichtlich Indien mit China,
so fanden wir also in China einen durchaus phantasielosen Verstand,
ein prosaisches Leben in festbestimmter Wirklichkeit;
in der indischen Welt gibt es sozusagen keinen Gegenstand,
der ein wirklicher, fest begrenzter wäre,
der nicht von der Einbildungskraft sogleich
zum Gegenteil dessen verkehrt würde,
was er für ein verständiges ((207)) Bewußtsein ist.

In China ist es das Moralische, was den Inhalt der Gesetze ausmacht
und zu äußeren festbestimmten Verhältnissen gemacht ist,
und über allem schwebt die patriarchalische Vorsorge des Kaisers,
der als Vater für seine Untertanen auf gleiche Weise sorgt.

Bei den Indern dagegen ist nicht diese Einheit,
sondern die Unterschiedenheit derselben das Substantielle:
Religion, Krieg, Gewerbe, Handel, ja die geringsten Beschäftigungen
werden zu einer festen Unterscheidung,
welche die Substanz des unter sie subsumierten einzelnen Willens ausmachen
und das Erschöpfende für ihn sind.

Damit ist verbunden eine ungeheure, vernunftlose Einbildung,
welche den Wert und das Verhalten der Menschen
in eine unendliche Menge von ebenso geist-
als gemütlosen Handlungen legt,
alle Rücksicht auf das Wohl der Menschen beiseite setzt
und sogar die grausamste und härteste Verletzung desselben zur Pflicht macht.

Bei der Festigkeit jener Unterschiede
bleibt für den allgemeinen einen Staatswillen nichts übrig als die reine Willkür,
gegen deren Allgewalt nur die Substantialität des Kastenunterschiedes
in [ihn] etwas zu schützen vermag.

Die Chinesen bei ihrer prosaischen Verständigkeit verehren als das Höchste
nur den abstrakten obersten Herrn,
und für das Bestimmte haben sie einen schmählichen Aberglauben.

Bei den Indern gibt es insofern keinen solchen Aberglauben,
als dieser der Gegensatz gegen den Verstand ist;
sondern vielmehr ihr ganzes Leben und Vorstellen ist nur ein Aberglauben,
weil alles bei ihnen Träumerei und Sklaverei derselben ist.

Die Vernichtung, Wegwerfung aller Vernunft, Moralität und Subjektivität
kann nur zu einem positiven Gefühle und Bewußtsein ihrer selbst kommen,
indem sie maßlos in wilder Einbildungskraft ausschweift,
darin als ein wüster Geist keine Ruhe findet und sich nicht fassen kann,
aber nur auf diese Weise Genüsse findet,
- wie ein an Körper und Geist ganz heruntergekommener Mensch
seine Existenz verdumpft und unleidlich findet und nur durch Opium
sich eine träumende Welt und ein Glück des Wahnsinns verschafft. ((208))


Der Buddhismus *

Es ist Zeit, die Traumgestalt des indischen Geistes zu verlassen,
welche in der ausschweifendsten Irre
sich in allen Natur- und Geistesgestalten herumwirft,
die roheste Sinnlichkeit und die Ahnung der tiefsten Gedanken in sich schließt
und welche eben deswegen, was freie und vernünftige Wirklichkeit betrifft,
in der entäußertesten, ratlosesten Knechtschaft liegt
- einer Knechtschaft, in welcher die abstrakten Weisen,
in die sich das konkrete menschliche Leben unterscheidet, festgeworden
und Rechte und Bildung nur von diesen Unterschieden abhängig gemacht sind.

Diesem taumelnden, in der Wirklichkeit in Fesseln geschlagenen Traumleben
steht nun das unbefangene Traumleben gegenüber, welches
einerseits roher und nicht zu jener Unterscheidung der Lebensweisen fortgegangen,
aber eben darum auch nicht der damit herbeigeführten Knechtschaft verfallen ist;
es hält sich freier, selbständiger in sich fixiert;
und seine Vorstellungswelt ist daher auch in einfachere Punkte zusammengezogen.

Der Geist der eben angedeuteten Gestalt
ruht in demselben Grundprinzip der indischen Anschauung;
aber er ist konzentrierter in sich, seine Religion ist einfacher
und der politische Zustand ruhiger und gehaltener.

Höchst verschiedenartige Völker und Länder sind hierunter zusammengefaßt:
Ceylon, Hinterindien mit dem Birmanenreich, Siam, Annam,
nördlich davon Tibet, dann das chinesische Hochland
mit seinen verschiedenen Völkerschaften von Mongolen und Tataren.

Es sind hier nicht die besonderen Individualitäten dieser Völker zu betrachten,
sondern es soll nur kurz ihre Religion,
welche die interessanteste Seite an ihnen ausmacht, charakterisiert ((209)) werden.

Die Religion dieser Völker ist der Buddhismus,
welcher die am weitesten verbreitete Religion auf unserer Erde ist.

In China wird Buddha als Fo verehrt, in Ceylon als Gautama;
in Tibet und bei den Mongolen
hat diese Religion die Schattierung des Lamaismus erhalten.

In China, wo die Religion des Fo schon früh eine große Ausbreitung gefunden
und das Klosterleben herbeigeführt hat,
erhält dieselbe die Stellung eines integrierenden Moments zum chinesischen Prinzip.

Wie der substantielle Geist in China
sich nur zu einer Einheit des weltlichen Staatslebens ausbildet,
welches die Individuen nur im Verhältnis steter Abhängigkeit läßt,
so bleibt auch die Religion bei der Abhängigkeit stehen.

Ihr fehlt das Moment der Befreiung,
denn ihr Gegenstand ist das Naturprinzip überhaupt, der Himmel,
die allgemeine Materie.

Die Wahrheit dieses Außersichseins des Geistes aber ist die ideelle Einheit,
die Erhebung über die Endlichkeit der Natur und des Daseins überhaupt,
die Rückkehr des Bewußtseins in das Innere.

Dieses Moment, welches im Buddhismus enthalten ist,
hat in China insoweit Eingang gefunden,
als die Chinesen dazu gelangten, die Geistlosigkeit ihres Zustands
und die Unfreiheit ihres Bewußtseins zu empfinden.

Was die negative Erhebung anbetrifft,
so ist diese die Sammlung des Geistes zum Unendlichen
und muss zuerst in religiösen Bestimmungen vorkommen.

Sie liegt in dem Grunddogma, daß das Nichts das Prinzip aller Dinge sei,
daß alles aus dem Nichts hervorgegangen und auch dahin zurückgehe.

Die Unterschiede der Welt sind nur Modifikationen des Hervorgehens.

Versuchte jemand die verschiedenen Gestalten zu zerlegen,
so würden sie ihre Qualität verlieren,
denn an ((210)) sich sind alle Dinge ein und dasselbe, untrennbar,
und diese Substanz ist das Nichts.

Der Zusammenhang mit der Metempsychose ist hieraus zu erklären:

Alles ist nur eine Änderung der Form.

Die Unendlichkeit des Geistes in sich,
die unendliche konkrete Selbständigkeit ist hiervon ganz entfernt.

Das abstrakte Nichts ist eben das Jenseits der Endlichkeit,
was wir wohl auch das höchste Wesen nennen.

Dieses wahre Prinzip, heißt es, sei in ewiger Ruhe und in sich unveränderlich:
sein Wesen bestehe eben darin, ohne Tätigkeit und Willen zu sein.

Denn das Nichts ist das abstrakt mit sich Eine.

Um glücklich zu sein, muss der Mensch durch beständige Siege über sich
diesem Prinzipe sich gleichzumachen suchen
und deswegen nichts tun, nichts wollen, nichts verlangen;
es kann daher in diesem glückseligen Zustande weder von Laster
noch von Tugend die Rede sein,
denn die eigentliche Seligkeit ist die Einheit mit dem Nichts.

Je mehr der Mensch zur Bestimmungslosigkeit kommt,
desto mehr vervollkommnet er sich,
und in der Vernichtung der Tätigkeit, in der reinen Passivität
ist er eben dem Fo gleich.

Die leere Einheit ist nicht bloß das Zukünftige, das Jenseits des Geistes,
sondern auch das Heutige, die Wahrheit, die für den Menschen ist
und in ihm zur Existenz kommen soll.

In Ceylon und im birmanischen Reiche, wo dieser buddhistische Glaube wurzelt,
herrscht die Anschauung,
daß der Mensch durch Meditation dazu gelangen könne,
der Krankheit, dem Alter, dem Tode nicht mehr unterworfen zu sein.

Wenn dieses aber die negative Weise der Erhebung
des Geistes aus seiner Äußerlichkeit zu sich selbst ist,
so geht diese Religion auch zum Bewußtsein eines Affirmativen fort.

Das Absolute ist der Geist.

Doch bei der Auffassung des Geistes kommt es wesentlich
auf die bestimmte Form an, in welcher der Geist vorgestellt wird.

Sprechen wir vom Geiste als allgemeinem,
so wissen wir, daß er für uns nur in der innerlichen Vorstellung ist;
daß es aber dahin komme,
ihn nur in der Innerlichkeit des Denkens und Vorstellens zu haben,
ist selbst erst infolge eines weiteren Weges der Bildung ((211)) geschehen.

Wo wir jetzt in der Geschichte stehen,
ist die Form des Geistes noch die Unmittelbarkeit.

Gott ist in unmittelbarer Form, nicht in der Form des Gedankens gegenständlich.

Diese unmittelbare Form ist aber die menschliche Gestalt.

Die Sonne, die Sterne sind noch nicht der Geist, wohl aber der Mensch,
welcher hier als Buddha, Gautama, Fo,
in der Weise eines verstorbenen Lehrers,
und in der lebendigen Gestalt des Ober-Lama
göttlicher Verehrung teilhaftig wird.

Der abstrakte Verstand wendet sich gewöhnlich
gegen solche Vorstellung eines Gottmenschen,
deren Mangelhaftes das sein soll, daß die Form des Geistes ein Unmittelbares,
und zwar der Mensch, als dieser, sei.

Mit dieser religiösen Richtung
ist hier der Charakter eines ganzen Volkes verbunden.

Die Mongolen, welche sich durch ganz Mittelasien bis nach Sibirien hin erstrecken,
wo sie den Russen unterworfen sind, verehren den Lama,
und mit dieser Anbetung ist ein einfacher politischer Zustand,
ein patriarchalisches Leben verbunden;
denn sie sind eigentlich Nomaden, und nur zuweilen gären sie auf,
kommen wie außer sich und verursachen Völkerausbrüche und Überschwemmungen.

Der Lamas gibt es überhaupt drei:
der bekannteste ist der Dalai-Lama,
welcher seinen Sitz in Lhasa im Reiche Tibet hat,
der andere ist der Taschi-Lama,
der unter dem Titel Pantschen-Rinpotsche zu Taschi-Lumpo residiert;
ein dritter ist noch im südlichen Sibirien.

Die beiden ersten Lamas stehen an der Spitze zweier verschiedener Sekten,
von denen die Priester der einen gelbe Kappen tragen,
die der andern aber rote.

Die gelben Kappenträger, an deren Spitze der Dalai-Lama steht
und zu denen sich der Kaiser von China hält,
haben bei den Geistlichen das Zölibat eingeführt,
während die rotfarbigen die Ehe der Priester erlauben.

Besonders mit dem Taschi-Lama
haben die Engländer eine Bekanntschaft angeknüpft
und uns Schilderungen von ihm entworfen.

Die Form überhaupt,
in welcher das Geistige der lamaischen Entwicklung des Buddhismus steht,
ist die eines gegenwärtigen ((212)) Menschen,
während es im ursprünglichen Buddhismus ein verstorbener ist.

Gemeinschaftlich haben beide das Verhältnis zu einem Menschen überhaupt.

Daß nun ein Mensch als Gott verehrt wird, namentlich ein lebendiger,
hat in sich etwas Widerstreitendes und Empörendes,
man muss aber dabei näher folgendes vor Augen haben.

Es liegt im Begriffe des Geistes, ein Allgemeines in sich selbst zu sein.

Diese Bestimmung muss hervorgehoben werden,
und in der Anschauung der Völker muss sich zeigen,
daß diese Allgemeinheit ihnen vorschwebt.

Nicht eben die Einzelheit des Subjekts ist das Verehrte,
sondern das Allgemeine in ihm,
welches bei den Tibetanern, Indern und den Asiaten überhaupt
als das alles Durchwandernde betrachtet wird.

Diese substantielle Einheit des Geistes kommt im Lama zur Anschauung,
welcher nichts als die Gestalt ist, in der sich der Geist manifestiert,
und diese Geistigkeit nicht als sein besonderes Eigentum hat,
sondern nur als teilnehmend an derselben gedacht wird,
um sie für die anderen zur Darstellung zu bringen,
auf daß diese die Anschauung der Geistigkeit erhalten
und zur Frömmigkeit und Seligkeit geführt werden.

Die Individualität als solche, die ausschließende Einzelheit
ist hier also überhaupt gegen jene Substantialität untergeordnet.

Das zweite, was in dieser Vorstellung wesentlich hervortritt,
ist die Unterscheidung von der Natur.

Der chinesische Kaiser war die Macht über die Naturkräfte, die er beherrscht,
während hier gerade die geistige Macht unterschieden von der Naturmacht ist.

Den Lamadienern fällt nicht ein, vom Lama zu verlangen,
daß er sich als Herr der Natur beweise, zaubere und Wunder tue,
denn von dem, was sie Gott nennen,
wollen sie nur geistiges Tun und Spenden geistiger Wohltaten.

Auch Buddha heißt der Heiland von Seelen,
das Meer der Tugend, der große Lehrer.

Die den Taschi-Lama kannten, schildern ihn als den vortrefflichsten,
ruhigsten und der Meditation ergebensten Mann.

So sehen ihn auch die Lamadiener an.

Sie finden in ihm einen Mann,
der beständig mit der Religion beschäftigt ((213)) ist
und der, wenn er seine Aufmerksamkeit auf das Menschliche wendet,
nur dazu da ist, Trost und Erhebung durch seinen Segen,
durch Ausübung der Barmherzigkeit und Verzeihung auszuteilen.

Diese Lamas führen ein durchaus isoliertes Leben
und haben fast mehr weibliche als männliche Bildung.

Früh aus den Armen der Eltern gerissen,
ist der Lama in der Regel ein wohlgebildetes und schönes Kind.

In vollkommener Stille und Einsamkeit, in einer Art von Gefängnis
wird er erzogen, er wird wohlgenährt, bleibt ohne Bewegung und Kinderspiel,
und so ist es kein Wunder,
daß die stille empfangende weibliche Richtung in ihm vorherrschend ist.

Die großen Lamas haben unter sich,
als Vorsteher der großen Genossenschaften, die niederen Lamas.

Jeder Vater, der in Tibet vier Söhne hat, muss einen dem Klosterleben widmen.

Die Mongolen, die hauptsächlich vom Lamaismus,
dieser Modifikation des Buddhismus, ergriffen sind,
haben großen Respekt vor allem Lebendigen.

Sie leben vornehmlich von Vegetabilien
und scheuen sich vor der Tötung des Tierischen, sogar einer Laus.

Dieser Dienst der Lamas hat das Schamanentum verdrängt,
d.h. die Religion der Zauberei.

Die Schamanen, Priester dieser Religion,
betäuben sich durch Getränke und Tanz, zaubern infolge dieser Betäubung,
fallen erschöpft nieder und sprechen Worte aus, die für Orakel gelten.

Seitdem der Buddhismus und Lamaismus
an die Stelle der schamanischen Religion getreten ist,
ist das Leben der Mongolen einfach, substantiell und patriarchalisch gewesen,
und wo sie in die Geschichte eingreifen,
da haben sie nur historisch elementarische Anstöße verursacht.

Daher ist auch von der politischen Staatsführung der Lamas wenig zu sagen.

Ein Wesir führt die weltliche Herrschaft und berichtet alles an den Lama;
die Regierung ist einfach und milde,
und die Verehrung, welche die Mongolen dem Lama darbringen,
äußert sich hauptsächlich darin,
daß sie ihn in politischen Angelegenheiten um Rat fragen. ((214))


Dritter Abschnitt Persien

Asien zerfällt in zwei Teile: in Vorder- und Hinterasien,
die wesentlich voneinander verschieden sind.

Während die Chinesen und Inder,
die beiden großen Nationen von Hinterasien, welche wir betrachtet haben,
zur eigentlich asiatischen, nämlich zur mongolischen Rasse gehören
und somit einen ganz eigentümlichen, von uns abweichenden Charakter haben,
gehören die Nationen Vorderasiens zum kaukasischen, d.h. zum europäischen Stamme.

Sie stehen in Beziehung zum Westen,
während die hinterasiatischen Völker ganz allein für sich sind.

Der Europäer, der von Persien nach Indien kommt, bemerkt daher einen ungeheuren Kontrast,
und während er sich im ersteren Lande noch einheimisch findet,
daselbst auf europäische Gesinnungen, menschliche Tugenden und menschliche Leidenschaften stößt,
begegnet er, sowie er den Indus überschreitet,
im letzteren Reiche dem höchsten Widerspruch, der durch alle einzelnen Züge hindurchgeht.

Mit dem persischen Reiche treten wir erst in den Zusammenhang der Geschichte.

Die Perser sind das erste geschichtliche Volk, Persien ist das erste Reich, das vergangen ist.

Während China und Indien statarisch bleiben
und ein natürliches vegetatives Dasein bis in die Gegenwart fristen,
ist dieses Land den Entwicklungen und Umwälzungen unterworfen,
welche allein einen geschichtlichen Zustand verraten.

Das chinesische und indische Reich
können nur an sich und für uns in den Zusammenhang der Geschichte kommen.

Hier aber in Persien geht zuerst das Licht auf, welches scheint und Anderes beleuchtet,
denn erst Zoroasters Licht gehört der Welt des Bewußtseins an,
dem Geist als Beziehung auf Anderes.

Wir sehen im persischen Reich eine reine erhabene Einheit,
als die Substanz, welche das Besondere in ihr frei läßt,
als das Licht, das nur manifestiert, was die Körper für sich sind,
eine Einheit, welche die Individuen nur beherrscht, ((215))
um sie zu erregen, kräftig für sich zu werden,
ihre Partikularität zu entwickeln und geltend zu machen.

Das Licht macht keinen Unterschied:
die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte, über Hohe und Niedere
und erteilt allen die gleiche Wohltat und Gedeihlichkeit.

Das Licht ist nur belebend, insofern es sich auf das andere seiner selbst bezieht,
darauf einwirkt und es entwickelt.

Es ist mit dem Gegensatz gegen die Finsternis begabt.

Damit ist das Prinzip der Tätigkeit und des Lebens aufgetan.

Das Prinzip der Entwicklung beginnt mit der Geschichte Persiens,
und darum macht diese den eigentlichen Anfang der Weltgeschichte;
denn das allgemeine Interesse des Geistes in der Geschichte ist,
zum unendlichen Insichsein der Subjektivität zu gelangen,
durch den absoluten Gegensatz zur Versöhnung zu kommen.

Der Übergang, den wir zu machen haben, ist also nur im Begriffe,
nicht im äußerlichen geschichtlichen Zusammenhang.

Das Prinzip desselben ist dieses, daß das Allgemeine,
welches wir in Brahman gesehen haben, nun zum Bewußtsein kommt,
ein Gegenstand wird und eine affirmative Bedeutung für den Menschen gewinnt.

Brahman wird von den Indern nicht verehrt,
sondern er ist nur ein Zustand des Individuums,
ein religiöses Gefühl, eine ungegenständliche Existenz,
ein Verhältnis, das für die konkrete Lebendigkeit nur Vernichtung ist.

Indem nun aber dieses Allgemeine etwas Gegenständliches wird,
bekommt es eine affirmative Natur:
der Mensch wird frei und tritt so dem Höchsten, das ihm ein Objektives ist, gegenüber.

Diese Allgemeinheit sehen wir in Persien hervortreten
und damit ein Sich-Unterscheiden von dem Allgemeinen
und zugleich ein Sich-identisch-Machen des Individuums mit demselben.

Im chinesischen und indischen Prinzip ist dieses Unterscheiden nicht vorhanden,
sondern nur Einheit des Geistigen und Natürlichen.

Der Geist aber, der noch im Natürlichen ist,
hat die Aufgabe, sich von demselben zu befreien.

Rechte und Pflichten sind in Indien an Stände gebunden
und damit nur etwas Partikuläres, ((216)) dem der Mensch durch die Natur angehört;
in China ist diese Einheit in der Form der Väterlichkeit vorhanden:
der Mensch ist da nicht frei, er ist ohne moralisches Moment,
indem er identisch mit dem äußerlichen Befehle ist.

In dem persischen Prinzipe hebt sich zuerst die Einheit
zum Unterschiede von dem bloß Natürlichen hervor;
es ist die Negierung dieses nur unmittelbaren, den Willen nicht vermittelnden Verhältnisses.

Die Einheit kommt im persischen Prinzipe als das Licht zur Anschauung,
das hier nicht bloß Licht als solches, dies allgemeinste Physikalische,
sondern zugleich auch das Reine des Geistes, das Gute ist.

Damit ist aber das Besondere, das Gebundensein an die beschränkte Natur abgetan.

Das Licht im physischen und geistigen Sinne
gilt also als die Erhebung, die Freiheit von dem Natürlichen,
der Mensch verhält sich zu dem Licht, dem Guten, als zu einem Objektiven,
das aus seinem Willen anerkannt, verehrt und betätigt wird.

Blicken wir nun noch einmal, und es kann nicht zu oft wiederholt werden,
auf die Gestalten zurück, die wir bis zu dieser, welche wir vor uns haben, durchliefen,
so sahen wir in China die Totalität eines sittlichen Ganzen, aber ohne Subjektivität,
dieses Ganze gegliedert, aber ohne Selbständigkeit der Seiten.

Nur eine äußerliche Ordnung dieses Einen fanden wir vor.

Im Indischen dagegen trat die Trennung hervor,
aber selbst als geistlos, als das beginnende Insichsein,
mit der Bestimmung, daß der Unterschied selbst unüberwindlich
und der Geist in der Beschränktheit der Natürlichkeit gebunden bleibe,
daher als das Verkehrte seiner selbst.

Über dieser Trennung der Kasten steht nun in Persien die Reinheit des Lichts,
das Gute, dem sich alle auf gleiche Weise zu nähern,
in dem sich alle gleich zu heiligen vermögen.

Die Einheit ist daher zum erstenmal ein Prinzip,
nicht ein äußeres Band geistloser Ordnung.

Dadurch, daß jeder teil an dem Prinzipe hat, erwirbt dieses ihm einen Wert für sich selbst.

Was zuerst das Geographische betrifft,
so sehen wir China und Indien, als dumpfe Ausbrütung des Geistes, in fruchtbaren ((217)) Ebenen,
davon getrennt aber die hohen Gebirgsgurte und die schweifenden Horden derselben.

Die Völker der Höhen veränderten bei ihrer Eroberung den Geist der Ebenen nicht,
sondern bekehrten sich zu demselben.

Aber in Persien sind diese Prinzipien in ihrer Unterschiedenheit vereinigt,
und die Gebirgsvölker wurden mit dem ihrigen das Überwiegende.

Die beiden Hauptteile, die hier zu erwähnen, sind das persische Hochland selbst
und die Talebenen, die sich den Völkern der Höhen unterwerfen.

Jenes Hochland ist im Osten begrenzt durch das Solimanische Gebirge,
welches nach Norden zu durch den Hindukusch und den Belurtag fortgesetzt wird.

Letztere Gebirge schneiden das Vorland, Baktrien, Sogdiana in den Ebenen des Oxus,
vom chinesischen Hochland ab, welches sich bis Kaschgar erstreckt.

Diese Ebene des Oxus liegt selbst nördlich vom persischen Hochland,
welches dann im Süden gegen den persischen Meerbusen hin sich verläuft.

Dies ist die geographische Lage Irans.

Am westlichen Abhang desselben liegt Persien (Farsistan),
höher nördlich Kurdistan, dann Armenien.

Von da südwestlich erstrecken sich die Flußgebiete des Tigris und des Euphrat.

Die Elemente des persischen Reiches sind das Zendvolk, die alten Parsen,
und dann das assyrische, medische und babylonische Reich auf dem angegebenen Boden;
dann nimmt aber das persische Reich auch noch Kleinasien, Ägypten,
Syrien mit seinem Küstenstrich in sich auf
und vereinigt so das Hochland, die Stromebenen und das Küstenland in sich.


Erstes Kapitel DAS ZENDVOLK

Das Zendvolk wird von seiner Sprache so genannt,
in welcher die Zendbücher geschrieben sind,
die Grundbücher nämlich, auf welchen die Religion der alten Parsen beruht.

Von dieser Religion der Parsen oder Feueranbeter
sind noch ((218)) Spuren vorhanden.

In Bombay existiert eine Kolonie derselben,
und am Kaspischen Meere befinden sich einige zerstreute Familien,
die diesen Kultus beibehalten haben.

Im ganzen sind sie durch die Mohammedaner vernichtet worden.

Der große Zerdust, von den Griechen Zoroaster genannt,
schrieb seine Religionsbücher in der Zendsprache.

Bis gegen das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts
war diese Sprache und mithin auch alle Bücher, die darin verfaßt sind,
den Europäern völlig unbekannt,
bis endlich der berühmte Franzose Anquetil-Duperron uns diese reichen Schätze eröffnete.

Erfüllt von Enthusiasmus für die orientalische Natur ließ er sich,
da er arm an Vermögen war,
unter ein französisches Korps anwerben, das nach Indien verschifft werden sollte.

So gelangte er nach Bombay, wo er auf die Parsen stieß
und sich auf ihre Religionsideen einließ.

Mit unsäglicher Mühe gelang es ihm, sich ihre Religionsbücher zu verschaffen;
er drang in diese Literatur ein und eröffnete ein ganz neues und weites Feld,
das aber bei seiner eigenen mangelhaften Kenntnis der Sprache
noch einer gründlichen Bearbeitung bedarf.

Wo das Zendvolk, von dem in den Religionsbüchern des Zoroaster
die Rede ist, gewohnt habe, ist schwer zu bestimmen.

In Medien und in Persien war die Religion des Zoroaster herrschend,
und Xenophon erzählt, Kyros habe sie angenommen;
aber keines dieser Länder war der eigentliche Wohnsitz des Zendvolks.

Zoroaster selbst nennt ihn das reine Ariene;
einen ähnlichen Namen finden wir bei Herodot,
denn er sagt, die Meder hätten früher Arier geheißen,
ein Name, womit auch die Bezeichnung von Iran zusammenhängt.

Südlich vom Oxus zieht sich im alten Baktrien ein Gebirgszug hin,
mit welchem die Hochebenen anfangen,
welche von Medern, Parthern, Hyrkaniern bewohnt waren.

In der Gegend des oberen Oxus soll Baktra,
wahrscheinlich ((219)) das heutige Balch, gelegen haben,
von welchem südlich Kabul und Kaschmir nur etwa acht Tagereisen entfernt sind.

Hier in Baktrien scheint der Wohnsitz des Zendvolks gewesen zu sein.

In der Zeit des Kyros finden wir den reinen und ursprünglichen Glauben und die alten,
in den Zendbüchern uns beschriebenen Zustände nicht mehr vollkommen vor.

Soviel scheint gewiß zu sein, daß die Zendsprache,
die mit dem Sanskrit in Verbindung steht,
die Sprache der Perser, Meder und Baktrer gewesen ist.

Aus den Gesetzen und Einrichtungen des Volkes selbst,
wie sie in den Zendbüchern angegeben sind,
geht hervor, daß dieselben höchst einfach waren.

Vier Stände werden genannt:
Priester, Krieger, Ackerbauer und Gewerbetreibende.

Vom Handel allein wird nicht gesprochen,
woraus hervorzugehen scheint, daß das Volk noch isoliert für sich war.

Vorsteher von Bezirken, Städten, Straßen kommen vor,
so daß alles sich noch auf bürgerliche Gesetze, nicht auf politische bezieht
und daß nichts auf einen Zusammenhang mit anderen Staaten deutet.

Wesentlich ist gleich, daß wir hier keine Kasten, sondern nur Stände finden,
daß keine Verbote der Verheiratung unter diesen verschiedenen Ständen vorkommen,
obgleich die Zendschriften bürgerliche Gesetze und Strafen
neben den religiösen Vorschriften mitteilen.

Die Hauptsache, die uns hier besonders angeht, ist die Lehre des Zoroaster.

Gegen die unglückselige Verdumpfung des Geistes der Inder
kommt uns in der persischen Vorstellung ein reiner Atem entgegen, ein Hauch des Geistes.

Der Geist erhebt sich in ihr aus der substantiellen Einheit der Natur,
aus dieser substantiellen Inhaltslosigkeit,
wo noch nicht der Bruch geschehen ist,
der Geist noch nicht für sich, dem Objekt gegenüber, besteht.

Diesem Volke nämlich kam zum Bewußtsein,
daß die absolute Wahrheit die Form der Allgemeinheit, der Einheit haben müsse.

Dies Allgemeine, Ewige, Unendliche enthält zunächst keine Bestimmung
als die schrankenlose Identität.

Eigentlich ist dieses, und wir haben es schon mehrere Male wiederholt,
auch die Bestimmung ((220)) Brahmans.

Aber den Persern wurde dieses Allgemeine zum Gegenstande,
und ihr Geist wurde das Bewußtsein dieses seines Wesens,
wogegen bei den Indern diese Gegenständlichkeit nur die natürliche der Brahmanen ist
und als reine Allgemeinheit nur durch Vernichtung des Bewußtseins für dasselbe wird.

Dieses negative Verhalten ist bei den Persern zum positiven geworden,
und der Mensch hat eine Beziehung zum Allgemeinen auf diese Weise,
daß er sich darin positiv bleibt.

Dieses Eine, Allgemeine ist freilich noch nicht das freie Eine des Gedankens,
noch nicht im Geist und in der Wahrheit angebetet,
sondern ist noch mit der Gestalt des Lichts angetan.

Aber das Licht ist nicht Lama, nicht Brahman, nicht Berg, nicht Tier,
nicht diese oder jene besondere Existenz,
sondern es ist die sinnliche Allgemeinheit selbst, die einfache Manifestation.

Die persische Religion ist somit kein Götzendienst, verehrt nicht einzelne Naturdinge,
sondern das Allgemeine selbst.

Das Licht hat die Bedeutung zugleich des Geistigen;
es ist die Gestalt des Guten und Wahren,
die Substantialität des Wissens und Wollens sowohl wie auch aller natürlichen Dinge.

Das Licht setzt den Menschen in den Stand, daß er wählen könne,
und wählen kann er nur, wenn er aus der Versenktheit heraus ist.

Das Licht hat aber in sich sogleich einen Gegensatz, nämlich die Finsternis,
gleichwie dem Guten das Böse gegenübersteht.

Wie das Gute für den Menschen nicht vorhanden ist, wenn das Böse nicht da wäre,
und wie er nur wahrhaft gut sein kann, wenn er das Böse kennt,
so ist auch das Licht nicht ohne die Finsternis.

Ormuzd und Ahriman bilden bei den Persern diesen Gegensatz.

Ormuzd ist der Herr des Lichtreiches, des Guten, Ahriman der der Finsternis, des Bösen.

Dann gibt es aber noch ein Höheres, woraus beide hervorgegangen sind,
ein gegensatzloses Allgemeines, genannt Zerwana Akarana, das unbegrenzte All.

Das All ist nämlich etwas ganz Abstraktes, es existiert nicht für sich,
und Ormuzd und Ahriman sind daraus entstanden.

Dieser Dualismus wird gewöhnlich dem Orient als Mangel angerechnet,
und insofern ((221)) bei den Gegensätzen, als absoluten, verharrt wird,
ist es allerdings der irreligiöse Verstand, der sie festhält.

Aber der Geist muss den Gegensatz haben;
das Prinzip des Dualismus gehört daher zum Begriff des Geistes,
der, als konkret, den Unterschied zu seinem Wesen hat.

Bei den Persern ist das Reine zum Bewußtsein gekommen wie das Unreine,
und der Geist, damit er sich selber erfasse,
muss wesentlich dem allgemeinen Positiven das besondere Negative gegenüberstellen;
erst durch die Überwindung dieses Gegensatzes ist der Geist der zweimal geborene.

Der Mangel des persischen Prinzips ist nur,
daß die Einheit des Gegensatzes nicht in vollendeter Gestalt gewußt wird;
denn in jener unbestimmten Vorstellung von dem unerschaffenen All,
woraus Ormuzd und Ahriman hervorgegangen sind,
ist die Einheit nur das schlechthin Erste,
und sie bringt den Unterschied nicht zu sich zurück.

Ormuzd schafft selbstbestimmend,
aber auch nach dem Ratschluß des Zerwana-Akarana (die Darstellung ist schwankend),
und die Versöhnung des Gegensatzes besteht nur darin,
daß Ormuzd mit Ahriman kämpfen und ihn letztlich überwinden solle.

Ormuzd ist Herr des Lichts und schafft alles Schöne und Herrliche der Welt,
die ein Reich der Sonne ist.

Er ist das Vortreffliche, das Gute, das Positive in allem natürlichen und geistigen Dasein.

Das Licht ist der Körper des Ormuzd;
daher entsteht der Feuerdienst, weil Ormuzd in allem Licht gegenwärtig ist;
aber er ist nicht die Sonne, der Mond selber,
sondern in diesen verehren die Perser nur das Licht, welches Ormuzd ist.

Zoroaster fragt den Ormuzd, wer er sei;
er antwortet:
Mein Name ist Grund und Mittelpunkt aller Wesen,
höchste Weisheit und Wissenschaft,
Zerstörer der Weltübel und Erhalter des Alls,
Fülle der Seligkeit, reiner Wille usw.

Was von Ormuzd kommt, ist lebendig, selbständig und dauernd,
das Wort ist ein Zeugnis desselben;
die Gebete sind seine Produktionen.

Finsternis ist dagegen der Körper des Ahriman,
aber ein ewiges Feuer vertreibt ihn aus den Tempeln.

Der Zweck eines jeden ist, sich rein zu halten
und diese ((222)) Reinheit um sich zu verbreiten.

Die Vorschriften hierzu sind sehr weitläufig, die moralischen Bestimmungen jedoch mild;
es heißt:

Wenn ein Mensch dich mit Schmähungen überhäuft,
dich beschimpft und sich dann demütigt,
so nenne ihn Freund.

Wir lesen im Wendidad,
daß die Opfer vorzüglich in Fleisch von reinen Tieren bestehen,
in Blumen und Früchten, Milch und Wohlgerüchen.

Es heißt darin:

Wie der Mensch rein und des Himmels würdig erschaffen worden,
so wird er wieder rein durch das Gesetz der Ormuzddiener,
das die Reinigkeit selbst ist;
wenn er sich reinigt durch Heiligkeit des Gedankens, des Wortes und der Tat.

Was ist reiner Gedanke?

Der, welcher auf der Dinge Anfang geht.

Was ist reines Wort?

Das Wort Ormuzd
(das Wort ist so personifiziert und bedeutet den lebendigen Geist
der ganzen Offenbarung des Ormuzd).

Was ist reine Tat?

Das ehrfürchtige Anrufen der himmlischen Heerscharen,
welche im Anbeginn geschaffen sind.

Es wird somit hier erfordert, daß der Mensch gut sei:
der eigene Wille, die subjektive Freiheit wird vorausgesetzt.

Ormuzd ist nicht auf die Einzelheit eingeschränkt.

Sonne, Mond und noch fünf andere Gestirne, die uns an die Planeten erinnern,
diese Leuchtenden und Erleuchteten
sind die zunächst verehrten Bilder der Ormuzd,
die Amschaspands, seine ersten Söhne.

Unter diesen ist auch Mithra genannt;
man kann aber ebensowenig wie bei den anderen Namen angeben,
welcher Stern damit bezeichnet sei.

Der Mithra steht in den Zendbüchern unter den anderen Sternen und hat keinen Vorzug;
doch werden schon in der Strafordnung
die moralischen Sünden als Mithrasünden aufgeführt,
wie der Wortbruch, der mit 300 Riemenstreichen bestraft werden soll,
wozu beim Diebstahl noch 300 Jahre Höllenstrafe hinzukommen.

Mithra erscheint hier als der Vorsteher des Inneren, Höheren im Menschen.

Später hat der Mithra eine große Bedeutung
als Mittler zwischen Ormuzd und den Menschen bekommen.

Schon Herodot erwähnt den Mithradienst;
in Rom wurde er später als ein geheimer sehr allgemein,
und selbst bis weit ins Mittelalter ((223)) finden sich Spuren davon.

außer den angeführten gibt es ferner noch andere Schutzgeister,
die unter den Amschaspands als ihren Oberhäuptern stehen
und die Regierer und Erhalter der Welt sind.

Der Rat der sieben großen, welche der persische Monarch um sich hatte,
ist ebenso in Nachahmung der Umgebung des Ormuzd veranstaltet.

Von den Geschöpfen der irdischen Welt
werden unterschieden Ferwers, eine Art von Geisterwelt.

Ferwers sind nicht Geister nach unserem Begriffe,
denn sie sind in jedem Körper, es sei Feuer, Wasser, Erde;
sie sind von Urbeginn da, sind an allen Orten, in den Straßen, Städten usf.
sie sind gerüstet, jedem Hilfe zu bringen, der sie anruft.

Ihr Aufenthalt ist in Gorotman, dem Sitze der Seligen,
über dem festen Gewölbe des Himmels.

Noch in den späteren Zeiten scheinen die Perser von den Römern
mit dem Namen der Achämeneer bezeichnet worden zu sein.
(Horaz, Carmina 111, 1, 44)

Jener Dschemschid, heißt es, habe mit dem goldenen Dolche die Erde durchstochen,
was weiter nichts bedeutet, als daß er den Ackerbau eingeführt habe;
er sei dann die Länder durchzogen, habe Quellen und Flüssen den Ursprung gegeben,
dadurch Länderstriche fruchtbar gemacht,
die Täler mit den Tieren bevölkert usw.

In dem Zend-Awesta wird auch oft der Name Gustasp erwähnt,
den manche Neuere mit Darius Hystaspes haben zusammenstellen wollen,
was sich aber von Hause aus als verwerflich zeigt,
denn ohne Zweifel gehört dieser Gustasp dem alten Zendvolke, den Zeiten vor Kyros an.

Auch der Turanier, das heißt, der Nomaden im Norden, und der Inder
geschieht in den Zendbüchern Erwähnung,
ohne daß sich etwas Historisches daraus abnehmen ließe.

Die Religion des Ormuzd als Kultus ist,
daß die Menschen sich dem Lichtreich gemäß verhalten sollen;
die allgemeine Vorschrift ist daher, wie schon gesagt,
geistige und körperliche ((224)) Reinheit, welche in vielen Gebeten zum Ormuzd besteht.

Den Persern ist besonders zur Pflicht gemacht, das Lebendige zu erhalten,
Bäume zu pflanzen, Quellen zu graben, Wüsten zu befruchten,
damit überall Leben, Positives, Reines sich ergehe
und des Ormuzd Reich nach allen Seiten hin verbreitet werde.

Der äußeren Reinheit ist es zuwider, ein totes Tier zu berühren,
und es gibt viele Vorschriften, wie man sich davon zu reinigen habe.

Vom Kyros erzählt Herodot, daß, als er gegen Babylon zog
und der Fluss Gyndes ein Roß des Sonnenwagens verschlang,
er diesen ein Jahr lang zu bestrafen beschäftigt war,
indem er ihn, um ihn seiner Gewalt zu berauben, in kleine Kanäle ableiten ließ.

Xerxes ließ so, als ihm das Meer seine Brücken zertrümmerte,
diesem als dem Bösen und Verderblichen, dem Ahriman, Ketten anlegen.


Zweites Kapitel DIE ASSYRER, BABYLONIER, MEDER UND PERSER

So wie das Zendvolk das höhere geistige Element des persischen Reiches war,
so ist in Assyrien und BabyIonien das Element des äußeren Reichtums,
der Üppigkeit und des Handels.

Die Sagen gehen bis in die ältesten Zeiten der Geschichte hinauf;
sie sind aber an und für sich dunkel und zum Teil widersprechend,
und dieser Widerspruch ist um so weniger aufzuhellen,
als dem Volke Grundbücher und einheimische Werke abgehen.

Der griechische Historiker Ktesias
soll aus den Archiven der persischen Könige selbst geschöpft haben;
indessen sind nur noch wenige Bruchstücke vorhanden.

Herodot gibt viele Nachrichten;
außerdem sind auch die Erzählungen in der Bibel höchst wichtig und merkwürdig,
denn die Hebräer standen in unmittelbarer Beziehung mit den Babyloniern.

Es kann hier noch namentlich in Beziehung auf die Perser überhaupt
die Epopöe Schah-nameh von Firdusi erwähnt werden,
ein Heldenbuch in 60 000 Strophen, ((225)) wovon Görres einen weitläufigen Auszug gegeben hat.

Firdusi lebte im Anfange des elften Jahrhunderts n. Chr. Geburt
am Hofe Mahmud des großen zu Ghasna, östlich von Kabul und Kandahar.

Die berühmte eben genannte Epopöe hat die alten Heldensagen Irans
(d.i. des eigentlichen Westpersiens) zu ihrem Gegenstande,
kann aber nicht für eine historische Quelle gelten,
da ihr Inhalt poetisch und ihr Verfasser ein Mohammedaner ist.

Der Kampf von Iran und Turan wird in dem Heldengedicht beschrieben.

Iran ist das eigentliche Persien, das Gebirgsland im Süden vom Oxus,
Turan bezeichnet die Ebenen des Oxus und die zwischen demselben und dem alten Jaxartes liegenden.

Ein Held, Rustan, macht die Hauptfigur im Gedichte,
aber die Erzählungen sind ganz fabelhaft oder vollkommen entstellt.

Alexanders geschieht Erwähnung, und er wird Ischkander oder Skander von Rum genannt.

Rum ist das türkische Reich (noch jetzt heißt eine Provinz desselben Rumelien),
aber ebenso das römische, und im Gedichte wird nicht minder Alexanders Reich Rum geheißen.

Dergleichen Vermischungen gehören ganz der mohammedanischen Anschauung an.

Es wird in dem Gedichte erzählt, der König von Iran habe Krieg geführt mit Philipp,
und dieser letztere sei geschlagen worden.

Der König habe ihm, dem Philipp, dann seine Tochter zur Frau abgefordert;
nachdem er aber eine Zeitlang mit ihr gelebt, habe er sie fortgeschickt,
weil sie übel aus dem Munde gerochen habe.

Als sie nun zu ihrem Vater zurückgekommen sei,
habe sie dort einen Sohn Skander geboren, der nach Iran geeilt wäre,
um nach dem Tode seines Vaters den Thron in Besitz zu nehmen.

Nimmt man dazu, daß im ganzen Gedichte keine Gestalt oder Geschichte vorkommt,
die sich auf Kyros bezieht, so läßt sich aus diesem wenigen schon abnehmen,
was von dem Geschichtlichen des Gedichts zu halten sei.

Wichtig bleibt es aber insofern, als uns Firdusi darin den Geist seiner Zeit
und den Charakter und das Interesse der neupersischen Weltanschauung darstellt. ((226))

Was nun Assyrien anbetrifft, so ist das mehr ein unbestimmter Name.

Das eigentliche Assyrien ist ein Teil von Mesopotamien, im Norden von Babylon.

Als Hauptstädte dieses Reiches werden angegeben Atur oder Assur am Tigris,
später Ninive, das vom Ninus, dem Stifter des assyrischen Reiches,
begründet und erbaut worden sein soll.

In jenen Zeiten machte eine Stadt das ganze Reich aus:
so Ninive, so auch Ekbatana in Medien, das sieben Mauern gehabt haben soll,
zwischen deren Umschließungen Ackerbau getrieben wurde;
innerhalb der mittelsten Mauer befand sich der Palast des Herrschers.

So soll nun auch Ninive, nach Diodor,
480 Stadien (ungefähr zwölf deutsche Meilen) im Umfange gehabt haben;
auf den Mauern von 100 Fuß Höhe waren 1 500 Türme,
innerhalb welcher sich eine ungeheure Volksmasse aufhielt.

Eine nicht minder unermeßliche Population schloß Babylon in sich.

Diese Städte entstanden aus dem doppelten Bedürfnis,
einmal das Nomadenleben aufzugeben
und in festen Sitzen Ackerbau, Gewerbe und Handel zu betreiben,
dann sich gegen die herumschweifenden Bergvölker und die räuberischen Araber zu schützen.

Ältere Sagen deuten darauf, daß dies ganze Talland von Nomaden durchzogen worden ist
und daß das städtische Leben diese dann verdrängt hat.

So wanderte Abraham mit seiner Familie aus Mesopotamien gegen Westen in das gebirgige Palästina.

Noch heute wird auf diese Weise Bagdad von streifenden Nomaden umschwärmt.

Ninive soll 2050 Jahre v. Chr. Geburt erbaut worden sein,
und so weit hinauf also wird die Begründung des assyrischen Reiches gestellt.

Ninus unterwarf sich alsdann Babylonien, Medien und Baktrien,
und insbesondere wird die Erwerbung des letzteren Landes
als eine Äußerung der größten Anstrengung angegeben,
denn Ktesias schätzt die Truppenzahl, die Ninus mit sich geführt haben soll,
auf 1 700 000 Fußgänger und eine verhältnismäßige Anzahl von Reitern.

Baktra wurde sehr lange belagert,
und die Eroberung desselben wird der Semiramis zugeschrieben,
die mit einer mutigen Schar den steilen Abhang ((227)) eines Berges erstiegen haben soll.

Die Person der Semiramis schwankt überhaupt zwischen mythologischen und historischen Vorstellungen;
ihr wird auch der Turmbau Babels zugeschrieben,
von dem wir in der Bibel eine der ältesten Sagen haben.

Babylon lag südlich am Euphrat in einer höchst fruchtbaren und für Ackerbau sehr geeigneten Ebene.

Auf dem Euphrat und Tigris wurde große Schiffahrt getrieben;
teils kamen die Schiffe von Armenien, teils vom Süden nach BabyIon
und führten in dieser Stadt einen unermeßlichen Reichtum zusammen.

Das Land um BabyIon herum war von unzähligen Kanälen durchschnitten,
mehr im Interesse des Ackerbaus, um das Land zu bewässern
und die Überschwemmungen zu hindern, als im Interesse der Schiffahrt.

Die Prachtgebäude der Semiramis in BabyIon selbst sind berühmt;
doch wieviel davon in die alte Zeit gehört, ist unbestimmt und ungewiß.

Es wird angegeben, daß BabyIon ein Viereck gewesen sei, mittendurch von dem Euphrat geteilt;
auf der einen Seite des Stromes sei der Tempel des BeI gestanden,
auf der anderen die großen Paläste der Monarchen;
die Stadt habe 100 eherne (d.i. kupferne) Tore gehabt,
ihre Mauern seien 100 Fuß hoch und verhältnismäßig breit gewesen, mit 250 Türmen versehen.

Die Straßen in der Stadt, die auf den Strom zugingen, wurden jede Nacht mit ehernen Toren geschlossen.

Ker Porter, ein Engländer, bereiste vor ungefähr zwölf Jahren
(seine ganze Reise dauerte von 1817-1820)
die Gegenden, wo das alte BabyIon gelegen war;
auf einer Erhöhung glaubte er noch Reste des alten Turms zu Babel zu entdecken;
er wollte Spuren von den vielen Gängen finden, die sich um den Turm herumwanden
und in deren höchstem Geschosse das Bild des BeI aufgestellt war;
außerdem finden sich noch viele Hügel mit Resten von alten Gebäulichkeiten.

Die Backsteine zeigen sich so, wie sie in der Bibel beim Turmbau beschrieben sind;
eine ungeheure Ebene ist von einer unzähligen Menge solcher Backsteine bedeckt,
obgleich schon seit mehreren tausend Jahren beständig ((228)) von dort welche geholt werden
und die ganze Stadt Hila, die in der Nähe des alten Babylon liegt, von denselben gebaut wurde.

Herodot gibt einige merkwürdige Sittenzüge der Babylonier an,
woraus hervorzugehen scheint, daß sie ein friedliches, gut nachbarliches Volk gewesen sind.

Wenn einer in Babylon krank wurde, so brachte man ihn auf einen freien Platz,
damit jeder Vorübergehende ihm seinen Rat erteilen könne.

Die Töchter wurden in den Jahren der Mannbarkeit versteigert,
und der hohe Preis, der für die Schöne geboten ward, wurde zum Heiratsgut der Häßlichen bestimmt.

Dies hinderte nicht, daß jede Frau einmal in ihrem Leben
im Tempel der Mylitta sich preisgegeben haben mußte.

Wie dies mit den Religionsbegriffen zusammengehangen habe, ist schwer zu ermitteln;
sonst sagt Herodot, daß Sittenlosigkeit erst spät eingerissen sei, als Babylon ärmer geworden.

Auch deutet der Umstand, daß die Schönen die Häßlichen dotierten, auf die Vorsorge für alle hin,
so wie das öffentliche Ausstellen der Kranken auf eine gewisse Gemeinsamkeit.

Es ist hier noch der Meder Erwähnung zu tun.

Sie waren wie die Perser ein Bergvolk, dessen Wohnsitze sich südlich
und südwestlich vom Kaspischen Meere befanden und sich bis nach Armenien herüberzogen.

Unter diesen Medern werden dann auch die Magier aufgeführt,
als einer der sechs Stämme, die das medische Volk bildeten,
dessen Haupteigenschaften Wildheit, Roheit und kriegerischer Mut waren.

Die Hauptstadt Ekbatana wurde erst vom Dejokes erbaut;
er soll die Stämme, nachdem sie sich zum zweiten Mal von der assyrischen Herrschaft freigemacht hatten,
als König vereinigt und sie bewogen haben, ihm eine anständige Residenz zu bauen und zu befestigen.

So viel geht aber aus allem hervor,
daß bei den Magiern ein näherer Zusammenhang mit der Zendreligion zu suchen ist,
aber daß, wenn auch die Magier Bewahrer und Verbreiter derselben waren,
diese doch große Modifikationen ((229)) durch den Übergang auf die verschiedenen Völker erlitt.

Xenophon sagt, daß Kyros zuerst in der Weise der Magier Gott opferte;
die Meder waren somit ein Mittelvolk zur Fortpflanzung der Zendreligion.

Das assyrisch-babylonische Reich nun, das so viele Völker unter sich hatte,
soll tausend oder anderthalbtausend Jahre bestanden haben.

Der letzte Herrscher war Sardanapal, ein großer Wollüstling, wie er beschrieben wird.

Arbakes, der Satrap von Medien, regte die übrigen Satrapen gegen ihn auf
und führte mit denselben die Truppen,
welche sich alle Jahre zu Ninive zur Zählung versammelten, gegen Sardanapal.

Dieser, wenn er auch mehrere Siege erfocht,
wurde doch endlich genötigt, der Übermacht zu weichen, sich in Ninive einzuschließen
und, als er zuletzt keinen Widerstand mehr leisten konnte,
sich mit allen seinen Schätzen daselbst zu verbrennen.

Nach einigen soll dies 888 Jahre v. Chr. Geburt,
nach anderen am Ausgang des siebenten Jahrhunderts geschehen sein.

Nach dieser Katastrophe löste sich das ganze Reich auf,
es zerfiel in ein assyrisches, ein medisches und in ein babylonisches Reich,
wozu auch die Chaldäer,
ein Bergvolk aus dem Norden, das sich mit den Babyloniern vermischt hatte, gehörten.

Diese einzelnen Reiche hatten wieder verschiedene Schicksale,
doch herrscht hier eine noch nicht aufgelöste Verwirrung in den Nachrichten.

In diesen Zeiten beginnen die Berührungen mit den Juden und Ägyptern.

Das jüdische Reich unterlag der überwiegenden Macht;
die Juden wurden nach BabyIon geführt,
und von ihnen haben wir nun genaue Nachrichten über den Zustand dieses Reiches.

Nach den Angaben des Daniel war in BabyIon eine sorgfältige Geschäftsorganisation vorhanden.

Er spricht von Magiern, von denen die Erklärer der Schriften, die Wahrsager, Astrologen,
Gelehrten und die Chaldäer, die die Träume auslegten, unterschieden werden.

Die Propheten überhaupt erzählen viel von dem großen Handel in Babylon,
entwerfen aber auch ein schreckliches Bild von der dort herrschenden Sittenlosigkeit. ((230))

Die wahre Spitze des persischen Reiches ist nun das eigentliche Perservolk,
das ganz Vorderasien in sich vereinend mit den Griechen in Berührung trat.

Die Perser sind im nächsten und frühesten Zusammenhang mit den Medern,
und der Übergang der Herrschaft an die Perser macht keinen wesentlichen Unterschied,
denn Kyros war selbst ein Verwandter des medischen Königs,
und der Name Persien und Medien verschmilzt.

An der Spitze der Perser und Meder bekriegte Kyros Lydien und dessen König Krösus.

Herodot erzählt, daß schon vordem Kriege zwischen Lydien und Medien gewesen seien,
die aber durch die Vermittlung des babylonischen Königs beigelegt worden wären.

Wir erkennen darin ein Staatensystem von Lydien, Medien und Babylonien;
letzteres war überwiegend geworden,
und seine Herrschaft erstreckte sich schon bis an das Mittelländische Meer.

Lydien erstreckte sich östlich bis an den Halys;
auch der Saum der Westküste von Kleinasien,
die schönen griechischen Kolonien, waren ihm unterworfen;
es war also schon ein hoher Grad von Bildung im lydischen Reiche vorhanden.

Kunst und Poesie blühten daselbst durch die Griechen.

Auch diese Kolonien wurden den Persern unterworfen.

Weise Männer wie Bias, und früher schon Thales,
rieten ihnen, sich zu einem festen Bunde zu vereinigen
oder ihre Städte mit ihren Habseligkeiten zu verlassen
und sich andere Wohnsitze (Bias meinte Sardinien) zu suchen.

Aber zu dieser Verbindung konnte es unter Städten,
die von der höchsten Eifersucht beseelt waren und in beständigem Zwiste lebten, nicht kommen,
und zu jenem heroischen Entschlusse, für die Freiheit ihren Herd zu verlassen,
waren sie im Taumel des Überflusses nicht fähig.

Erst als sie auf dem Punkte standen, von den Persern unterworfen zu werden,
gaben einige Städte für das höchste Gut, die Freiheit,
das Gewisse für das Ungewisse preis.

Von dem Kriege gegen die Lydier sagt Herodot,
daß er die Perser, welche vorher nur arm und roh waren,
die Bequemlichkeit des Lebens und der Bildung kennen lehrte.

Darauf unterjochte Kyros Babylon,
und mit ((231)) demselben kam er in Besitz von Syrien und Palästina,
entließ die Juden aus der Gefangenschaft
und gestattete ihnen, ihren Tempel wiederaufzubauen.

Zuletzt zog er gegen die Massageten,
bekriegte diese Völker in den Steppen zwischen dem Oxus und Jaxartes,
unterlag ihnen aber, indem er den Tod des Kriegers und Eroberers fand.

Der Tod der Heroen, die Epoche in der Weltgeschichte gemacht haben,
charakterisiert sich nach ihrem Berufe.

Kyros starb so in seinem Beruf,
welcher die Vereinigung Vorderasiens in eine Herrschaft ohne weiteren Zweck war.


Drittes Kapitel DAS PERSISCHE REICH UND SEINE BESTANDTEILE

Das persische Reich ist ein Reich im modernen Sinne,
wie das ehemalige deutsche Reich und das große Kaiserreich unter Napoleon,
denn es besteht aus einer Menge Staaten,
die zwar in Abhängigkeit sind,
die aber ihre eigene Individualität, ihre Sitten und Rechte beibehalten haben.

Die allgemeinen Gesetze, denen sie alle unterworfen sind,
haben ihren besonderen Zuständen keinen Eintrag getan,
sondern sie sogar beschützt und erhalten,
und so hat jedes dieser Völker, die das Ganze ausmachen,
seine eigene Form der Verfassung.

Wie das Licht alles erleuchtet, jedem eine eigentümliche Lebendigkeit erteilt,
so dehnt sich die persische Herrschaft über eine Menge von Nationen aus
und läßt jeder ihr Besonderes.

Einige haben sogar eigene Könige,
jede eine verschiedene Sprache, Bewaffnung, Lebensweise, Sitte.

Dies alles besteht ruhig unter dem allgemeinen Lichte.

Das persische Reich hat alle drei geographischen Momente in sich,
die wir früher voneinander geschieden haben.

Zuerst die Hochlande von Persien und Medien,
dann die Talebenen des Euphrat und Tigris,
deren Bewohner sich zu einem gebildeten Kulturleben vereinigt haben,
sowie Ägypten, die Talebene des Nils,
wo Ackerbau, Gewerbe und Wissenschaften ((232)) blühten,
endlich das dritte Element, nämlich die Nationen,
welche sich in die Gefahr des Meeres begeben,
die Syrer, Phönizier, die Einwohner der griechischen Kolonien
und griechischen Uferstaaten in Kleinasien.

Persien vereinigte also die drei natürlichen Prinzipien in sich,
während China und Indien der See fremd geblieben sind.

Wir finden hier weder das substantielle Ganze von China
noch das indische Wesen, wo eine und dieselbe Anarchie der Willkür herrscht,
sondern die Regierung in Persien
ist nur in ihrer allgemeinen Einheit ein Völkerverein,
der die zusammengefaßten Völker frei bestehen läßt.

Dadurch ist der Grausamkeit, der Wildheit Einhalt getan,
mit welcher sonst die Völker sich zerstörten
und wovon das Buch der Könige
und das Buch Samuel hinreichendes Zeugnis geben.

Das Wehklagen und die Verwünschungen der Propheten
über den Zustand vor der Eroberung geben das Elend,
die Bosheit und das Wüste desselben zu erkennen,
zugleich mit dem Glück, welches Kyros über die vorderasiatische Welt brachte.

Es ist den Asiaten nicht gegeben, Selbständigkeit, Freiheit,
gediegene Kraft des Geistes mit Bildung,
dem Interesse für mannigfaltige Beschäftigung
und der Bekanntschaft mit den Bequemlichkeiten zu vereinigen;
kriegerischer Mut besteht nur in Wildheit der Sitten,
er ist nicht der ruhige Mut der Ordnung,
und wenn der Geist sich mannigfaltigen Interessen eröffnet,
so geht er sogleich zur Verweichlichung über,
läßt sich sinken und macht die Menschen
zu Knechten einer schwachen Sinnlichkeit.


Persien

Die Perser, ein freies Berg- und Nomadenvolk,
über reichere, gebildetere und üppigere Länder herrschend,
behielten doch im ganzen die Grundzüge ihrer alten Lebensweise bei;
sie standen mit einem Fuße in ihrem Stammlande, mit dem anderen im Auslande.

In dem Stammlande war der König Freund unter Freunden und wie unter seinesgleichen;
außer ((233)) demselben, der Herr, dem alle unterworfen sind
und sich durch Tribut ihm angehörend beweisen.

Der Zendreligion treu, üben sich die Perser in der Reinheit
und in dem reinen Dienst des Ormuzd.

Die Gräber der Könige waren im eigentlichen Persien,
und dort besuchte bisweilen der König seine Landsleute,
mit denen er in einem ganz einfachen Verhältnis lebte.

Er brachte ihnen Geschenke mit,
während bei allen andern Nationen diese dem König Geschenke geben mußten.

Am Hofe des Monarchen befand sich eine Abteilung persischer Reiterei,
welche den Kern der ganzen Armee ausmachte,
miteinander speiste und überhaupt sehr gut diszipliniert war.

Sie zeichnete sich durch Tapferkeit rühmlich aus,
und auch die Griechen erkannten in den medischen Kriegen ihren Mut mit Achtung an.

Wenn das ganze persische Heer, zu dem diese Abteilung gehörte, ausziehen sollte,
so wurde zuvörderst ein Aufgebot an alle asiatischen Völkerschaften erlassen.

Fanden sich die Krieger zusammen, so wurde der Zug alsdann
mit jenem Charakter der Unruhe und schweifenden Lebensweise unternommen,
der das Eigentümliche der Perser ausmachte.

So ging man nach Ägypten, nach Skythien, nach Thrakien,
so endlich nach Griechenland, wo diese ungeheure Macht gebrochen werden sollte.

Ein solcher Aufbruch erschien fast wie eine Völkerwanderung, die Familien zogen mit;
die Völker erschienen in ihrer Besonderheit mit ihrer Bewaffnung und wälzten sich haufenweise fort,
jedes hatte eine andere Ordnung und eine andere Art zu kämpfen.

Herodot entwirft uns bei dem großen Völkermarsch des Xerxes
(es sollen zwei Millionen Menschen mit ihm gezogen sein)
ein glänzendes Bild von dieser Mannigfaltigkeit;
doch da diese Völkerschaften so ungleich diszipliniert waren, so verschieden an Kraft und Tapferkeit,
so wird es leicht begreiflich, daß die kleinen, disziplinierten,
von einem Mut beseelten Heere der Griechen, unter trefflicher Anführung,
jenen unermeßlichen, aber ungeordneten Streitkräften Widerstand leisten konnten.

Die Provinzen hatten für den Unterhalt der persischen Reiterei,
die sich im ((234)) Mittelpunkte des Reiches aufhielt, zu sorgen.

Babylon hatte von diesen, Unterhalt den dritten Teil zu geben
und erscheint somit als die bei weitem reichste Provinz.

Sonst musste jedes Volk nach der Eigentümlichkeit seiner Produkte davon das Vorzüglichste liefern.

So gab Arabien den Weihrauch, Syrien den Purpur usw.

Die Erziehung der Prinzen, besonders aber des Thronerben, war äußerst sorgfältig.

Bis zu ihrem siebenten Jahre bleiben die Söhne des Königs unter den Frauen
und kommen nicht vor das Angesicht des Herrschers.

Von dem siebenten Jahre an werden sie in der Jagd, im Reiten, im Bogenschießen usw. unterrichtet,
sowie im Sprechen der Wahrheit.

Einmal wird auch angegeben, daß der Prinz in der Magie des Zoroaster Unterricht empfangen habe.

Vier der edelsten Perser erziehen den Prinzen.

Die großen überhaupt bilden eine Art von Reichstag.

Unter ihnen befanden sich auch Magier.

Sie sind freie Männer, voll edler Treue und Patriotismus.

So erscheinen die sieben großen, das Abbild der Amschaspands, die um den Ormuzd stehen,
nachdem der falsche Smerdis,
der sich nach dem Tode des Königs Kambyses als dessen Bruder ausgab, entlarvt worden war,
um zu beratschlagen, welche Regierungsform eigentlich die beste sei.

Ganz leidenschaftslos und ohne einen Ehrgeiz zu beweisen, kommen sie dahin überein,
daß die Monarchie für das persische Reich allein passend sei.

Die Sonne und das Pferd, das sie durch Wiehern zuerst begrüßt,
bestimmen dann den Nachfolger Darius.

Bei der größe des persischen Reiches mussten die Provinzen durch Statthalter, Satrapen, beherrscht werden,
und diese zeigten oft sehr viele Willkür gegen die ihnen untergebenen Provinzen
und Haß und Neid gegeneinander, woraus freilich viel Unheil entsprang.

Diese Satrapen waren nur Oberaufseher
und ließen gewöhnlich die unterworfenen Könige der Länder in ihrer Eigentümlichkeit.

Dem großen Könige der Perser gehörte alles Land und alles Wasser;
Land und Wasser forderten Darius Hystaspes und Xerxes von den Griechen.

Aber der König war nur der abstrakte Herr:
der ((235)) Genuß verblieb den Völkern,
deren Leistungen darin bestanden, den Hof und die Satrapen zu unterhalten
und von dem Köstlichsten, was sie besaßen, zu liefern.

Gleichförmige Abgaben kommen erst unter der Regierung des Darius Hystaspes vor.

Wenn der König im Reiche herumreiste, so mussten ebenfalls Geschenke geliefert werden,
und aus der größe dieser Gaben sieht man den Reichtum der nicht ausgesogenen Provinzen.

So ist die Herrschaft der Perser auf keine Weise unterdrückend,
weder in Ansehung des Weltlichen noch des Religiösen.

Die Perser, sagt Herodot, hätten zwar keine Götzenbilder,
indem sie die anthropomorphistischen Darstellungen der Götter verlachten,
aber sie duldeten jede Religion,
obgleich einzelne Ausbrüche des Zornes gegen die Abgöttereien sich finden.

Griechische Tempel wurden zerstört und die Bilder der Götter zertrümmert.


Syrien und das semitische Vorderasien

Ein Element, das Küstenland, das dem persischen Reiche auch angehörte,
stellt sich besonders in Syrien dar.

Es war besonders wichtig für das persische Reich,
denn wenn der Kontinent von Persien zu einer großen Unternehmung aufbrach,
so wurde er von phönizischen wie auch von griechischen Kriegsflotten begleitet.

Die phönizische Küste ist nur
ein sehr schmaler Saum, oft nur zwei Stunden breit, der im
Osten das hohe Gebirge des Libanon hat.

An der Meeresküste lag eine Knotenreihe von herrlichen und reichen
Städten, wie Tyrus, Sidon, Byblos, Berytos,
die großen Handel und große Schiffahrt trieben,
welche jedoch mehr isoliert und im Interesse des eigenen Landes war,
als daß sie in den ganzen persischen Staat eingegriffen hätte.

Die Hauptrichtung des Handels ging in das Mittelländische Meer,
und von hier reichte er weit in den Westen hinüber.

Durch den Verkehr mit so vielen Nationen
erreichte Syrien bald eine hohe Bildung,
die schönsten Arbeiten in Metallen und Edelsteinen wurden daselbst verfertigt,
die wichtigsten Erfindungen, wie ((236)) die des Glases und Purpurs, dort gemacht.

Die Schriftsprache empfing hier ihre erste Ausbildung,
denn bei dem Verkehr mit verschiedenen Völkern
tritt sehr bald das Bedürfnis derselben ein.

(So hat z.B. Lord Macartney bemerkt, daß in Kanton
selbst die Chinesen das Bedürfnis einer leichteren Schriftsprache gefühlt hätten.)

Die Phönizier entdeckten und beschifften zuerst den Atlantischen Ozean;
auf Zypern und Kreta siedelten sie sich an;
auf Thasos, einer weit von ihnen gelegenen Insel, bebauten sie Goldbergwerke;
im südlichen und südwestlichen Spanien legten sie Silberbergwerke an;
in Afrika gründeten sie die Kolonien Utica und Karthago;
von Gades aus schifften sie weit an der afrikanischen Küste herunter
und sollen nach einigen sogar ganz Afrika umsegelt haben;
aus Britannien holten sie sich Zinn und aus der Ostsee den preußischen Bernstein.

Auf diese Weise ergibt sich ein ganz neues Prinzip.

Die Untätigkeit hört auf sowie die bloß rohe Tapferkeit;
an ihre Stellen treten die Tätigkeit der Industrie und der besonnene Mut,
der bei der Kühnheit, die See zu befahren, auch auf die Mittel verständig bedacht ist.

Hier ist alles auf die Tätigkeit des Menschen gesetzt,
auf seine Kühnheit, seinen Verstand,
so wie auch die Zwecke für ihn sind.

Menschlicher Wille und Tätigkeit sind hier das erste,
nicht die Natur und ihre Gütigkeit.

Babylonien hatte seinen bestimmten Boden,
und die Subsistenz war durch den Lauf der Sonne und durch den Naturgang überhaupt bedingt.

Aber der Seemann vertraut auf sich selbst im Wechsel der Wellen,
und Auge und Herz müssen immer offen sein.

Ebenso enthält das Prinzip der Industrie das Entgegengesetzte dessen,
was man von der Natur erhält;
denn die Naturgegenstände werden zum Gebrauche und zum Schmucke verarbeitet.

In der Industrie ist der Mensch sich selber Zweck
und behandelt die Natur als ein ihm Unterworfenes,
dem er das Siegel seiner Tätigkeit aufdrückt.

Der Verstand ist hier die Tapferkeit,
und die Geschicklichkeit ist besser als der nur natürliche Mut.

Wir sehen die Völker hier befreit von der Furcht der Natur und ihrem sklavischen Dienste. ((237))

Vergleichen wir hiermit die religiösen Vorstellungen,
so sehen wir in Babylon, in den syrischen Völkerschaften, in Phrygien
zunächst einen rohen, gemeinen, sinnlichen Götzendienst,
dessen Beschreibung uns hauptsächlich in den Propheten gegeben wird.

Es wird freilich hier nur von Götzendienst gesprochen,
und dies ist etwas Unbestimmtes.

Die Chinesen, die Inder, die Griechen haben Götzendienst,
auch die Katholiken verehren die Bilder der Heiligen.

Aber in dem Kreise, in welchem wir uns jetzt befinden,
sind die Mächte der Natur und der Erzeugung überhaupt das Verehrte,
und der Kultus ist Üppigkeit und Wohlleben.

Die Propheten geben davon die greulichsten Schilderungen,
deren Schrecklichkeit jedoch zum Teil
auf den Haß der Juden gegen die Nachbarvölker muss geschoben werden.

Besonders im Buche der Weisheit sind die Darstellungen ausführlich.

Nicht nur die Verehrung der natürlichen Dinge fand statt,
sondern auch die der allgemeinen Naturmacht, der Astarte, Kybele, der Diana von Ephesus.

Der Kultus war sinnlicher Taumel, Ausschweifung und Üppigkeit;
Sinnlichkeit und Grausamkeit sind die beiden charakteristischen Züge.

“Halten sie Feiertage, so tun sie wie wütend,”
sagt das Buch der Weisheit (14, 28).

Mit dem sinnlichen Leben, als einem Bewußtsein, das zum Allgemeinen nicht kommt,
ist die Grausamkeit verknüpft,
weil die Natur als solche das Höchste ist,
so daß der Mensch keinen oder nur den geringsten Wert hat.

In solchem Götterdienst liegt ferner, daß der Geist,
insofern er sich mit der Natur zu identifizieren strebt,
sein Bewußtsein und überhaupt das Geistige aufhebt.

So sehen wir Kinder opfern, die Priester der Kybele sich selber verstümmeln,
die Männer sich zu Eunuchen machen, die Weiber sich im Tempel preisgeben.

Als ein Zug des babylonischen Hofes verdient bemerkt zu werden,
daß, als Daniel am Hofe erzogen ward,
nicht von ihm gefordert wurde, an den Religionsübungen teilzunehmen,
und ferner, daß ihm reine Speisen gereicht wurden;
er wurde besonders dazu gebraucht, die Träume des Königs zu deuten,
weil er den Geist der heiligen Götter ((238)) habe.

Über das sinnliche Leben will der König
durch Träume, als Deutungen des Höheren, sich erheben.

Es zeigt sich also überhaupt,
daß das Band der Religion locker war und daß hier keine Einheit zu finden ist.

Wir sehen nämlich auch Anbetungen von Bildern der Könige;
die Naturmacht und der König als geistige Macht sind das Höchste,
und so zeigt sich in diesem Götzendienst
der vollkommene Gegensatz gegen die persische Reinheit.

Dagegen finden wir bei den Phöniziern, jenem kühnen Seevolke, etwas anderes.

Herodot erzählt uns, daß zu Tyrus der Herkules verehrt worden sei.

Ist dieses auch nicht die griechische Gottheit,
so muss doch darunter eine verstanden werden,
die mit den Begriffen jener ungefähr übereinstimmt.

Diese Verehrung ist außerordentlich bezeichnend für den Charakter des Volkes,
denn Herkules ist es ja, von dem die Griechen sagen,
daß er sich durch menschliche Tapferkeit und Kühnheit in den Olymp geschwungen habe.

Dem Herkules liegt wohl in seinen zwölf Arbeiten die Vorstellung der Sonne zugrunde,
doch bezeichnet diese Grundlage nicht die Hauptbestimmung,
welche vielmehr bleibt, daß Herkules der Göttersohn ist,
der durch seine Tugend und Arbeit
sich zum Gott durch menschlichen Mut und Tapferkeit emporschwingt
und, statt in Untätigkeit, in Mühseligkeit und Arbeit sein Leben verbringt.

Ein zweites religiöses Moment ist der Dienst des Adonis,
der sich in den Küstenstädten findet
(auch in Ägypten wurde er von den Ptolemäern mit Pracht gefeiert),
worüber eine Hauptstelle in dem Buche der Weisheit (14, 13 f.), in welcher es heißt:

"Die Götzen waren nicht von Anfang an..,
sondern sind durch eitlen Wahn der Menschen in die Welt gekommen,
und darum ist ihnen auch ein schnelles Ende zugedacht.

Denn ein Vater, so er über seinen Sohn, der ihm allzufrüh dahingenommen ward (Adonis),
Leid und Schmerzen trug, ließ er ein Bild machen
und fing an, den, so ein toter Mensch war, nun für Gott zu halten,
und stiftete für die Seinen einen Gottesdienst und Opfer."

Das Fest des Adonis war, ungefähr wie der Dienst ((239)) des Osiris,
die Feier seines Todes, ein Leichenfest,
bei dem die Frauen in die ausschweifendsten Klagen über den verlorenen Gott ausbrachen.

In Indien verstummt die Klage im Heroismus der Stumpfheit;
klaglos stürzen sich dort die Weiber in den Strom,
und die Männer, sinnreich in Peinigungen,
legen sich die schrecklichsten Qualen auf,
denn sie ergeben sich nur der Leblosigkeit,
um das Bewußtsein in leerer, abstrakter Anschauung zu vertilgen;
hier aber wird der menschliche Schmerz
ein Moment des Kultus, ein Moment der Verehrung;
im Schmerz empfindet der Mensch seine Subjektivität:
er soll, er darf hier als er selbst sich wissen und sich gegenwärtig sein.

Das Leben erhält hier wieder Wert.

Es wird ein allgemeiner Schmerz veranstaltet;
denn der Tod wird dem Göttlichen immanent, und der Gott stirbt.

Bei den Persern sahen wir Licht und Finsternis miteinander im Kampf;
hier aber sind beide Prinzipien in einem, dem Absoluten, geeint.

Das Negative ist hier auch nur das Natürliche,
aber als Tod des Gottes nicht nur das Beschränkte eines Bestimmten,
sondern die reine Negativität selbst.

Dieser Punkt ist nämlich wichtig,
weil das Göttliche überhaupt als Geist gefaßt werden soll,
worin liegt, daß es konkret sein und das Moment der Negativität in sich haben muß.

Die Bestimmungen der Weisheit, der Macht sind auch konkrete Bestimmungen,
aber nur als Prädikate, so daß Gott die abstrakte substantielle Einheit bleibt,
worin die Unterschiede selber verschwinden
und nicht Momente dieser Einheit werden.

Hier aber ist das Negative selbst Moment des Gottes, das Natürliche, der Tod,
dessen Kultus der Schmerz ist.

In der Feier also des Todes des Adonis und seines Auferstehens ist es,
daß das Konkrete zum Bewußtsein kommt.

Adonis ist ein Jüngling, der den Eltern entrissen wird und zu früh stirbt.

In China, im Dienste der Voreltern, genießen diese letzteren göttliche Ehre;
aber Eltern bezahlen im Tode nur die Schuld der Natur.

Den Jüngling rafft der Tod dagegen als ein Nichtseinsollen hin,
und während der Schmerz über den Tod der Eltern kein ((240)) gerechter Schmerz ist,
ist im Jüngling der Tod ein Widerspruch.

Und dies eben ist das Tiefe, daß im Gott das Negative, der Widerspruch
zur Anschauung kommt und daß der Kultus beide Momente,
den Schmerz über den dahingerafften
und die Freude über den wiedergefundenen Gott, enthält.

Judäa

Das andere zum persischen Reiche im weiteren Verbande gehörende
Volk dieser Küste ist das jüdische.

Wir finden bei demselben wieder ein Grundbuch, das Alte Testament,
in welchem die Anschauungen dieses Volkes,
dessen Prinzip dem eben dargestellten geradezu gegenübersteht, hervortreten.

Wenn das Geistige im phönizischen Volke
noch durch die Naturseite beschränkt war,
so zeigt es sich dagegen bei den Juden vollkommen gereinigt;
das reine Produkt des Denkens, das Sichdenken kommt zum Bewußtsein,
und das Geistige entwickelt sich in seiner extremen Bestimmtheit
gegen die Natur und gegen die Einheit mit derselben.

Wir sahen früher wohl das reine Brahman, aber nur als das allgemeine Natursein,
und zwar so, daß Brahman nicht selbst Gegenstand des Bewußtseins wird;
wir sahen es bei den Persern zum Gegenstand desselben werden,
jedoch in sinnlicher Anschauung, als das Licht.

Das Licht aber ist nunmehr Jehova, das reine Eine.

Dadurch geschieht der Bruch zwischen dem Osten und dem Westen;
der Geist geht in sich nieder
und erfaßt das abstrakte Grundprinzip für das Geistige.

Die Natur, die im Orient das Erste und die Grundlage ist,
wird jetzt herabgedrückt zum Geschöpf;
und der Geist ist nun das Erste.

Von Gott wird gewußt, er sei der Schöpfer aller Menschen
wie der ganzen Natur, sowie die absolute Wirksamkeit überhaupt.

Dieses große Prinzip ist aber in seiner weiteren Bestimmtheit
das ausschließende Eine.

Diese Religion muss notwendig das Moment der Ausschließung gewinnen,
welches wesentlich darin besteht, daß nur das eine Volk den Einen erkennt
und von ihm anerkannt ((241)) wird.

Der Gott des jüdischen Volkes ist nur der Gott Abrahams und seines Samens;
die nationelle Individualität und ein besonderer Lokaldienst
sind in die Vorstellung desselben verflochten.

Gegen diesen Gott sind alle anderen Götter falsche;
und zwar ist der Unterschied von wahr und falsch ganz abstrakt,
denn bei den falschen Göttern ist nicht anerkannt,
daß ein Schein des Göttlichen in sie hineinblicke.

Nun ist aber jede geistige Wirksamkeit, und um so mehr jede Religion,
so beschaffen, daß, wie sie auch sei,
ein affirmatives Moment in ihr enthalten ist.

So sehr eine Religion irrt, hat sie doch die Wahrheit,
wenn auch auf verkümmerte Weise.

In jeder Religion ist göttliche Gegenwart, ein göttliches Verhältnis,
und eine Philosophie der Geschichte
hat in den verkümmertsten Gestalten das Moment des Geistigen aufzusuchen.

Darum aber, weil sie Religion ist, ist sie als solche noch nicht gut;
man muss nicht in die Schlaffheit verfallen zu sagen,
daß es auf den Inhalt nicht ankomme, sondern lediglich auf die Form.

Diese schlaffe Gutmütigkeit hat die jüdische Religion nicht,
indem sie absolut ausschließt.

Das Geistige sagt sich hier vom Sinnlichen unmittelbar los,
und die Natur wird zu einem Äußerlichen und Ungöttlichen herabgesetzt.

Dies ist eigentlich die Wahrheit der Natur, denn erst später
kann die Idee in dieser ihrer Äußerlichkeit zur Versöhnung gelangen;
ihr erster Ausspruch wird gegen die Natur sein,
denn der Geist, welcher bisher entwürdigt war, erhält erst hier seine Würde
sowie die Natur ihre rechte Stellung wieder.

Die Natur ist sich selbst äußerlich, sie ist das Gesetzte, sie ist erschaffen,
und diese Vorstellung, daß Gott Herr und Schöpfer der Natur sei,
bringt die Stellung Gottes als des Erhabenen herbei,
indem die ganze Natur Gottes Schmuck
und gleichsam zu seinem Dienste verwendet ist.

Gegen diese Erhabenheit gehalten ist die indische nur die des Maßlosen.

Durch die Geistigkeit überhaupt wird nun das Sinnliche und Unsittliche
nicht mehr privilegiert, sondern als das Ungöttliche herabgesetzt.

Nur das Eine, der Geist, das Unsinnliche ist die Wahrheit;
der Gedanke ist frei für sich, ((242))
und wahrhafte Moralität und Rechtlichkeit kann nunmehr auftreten;
denn es wird Gott durch Rechtlichkeit verehrt,
und Rechttun ist Wandeln im Wege des Herrn.

Damit ist verbunden das Glück, Leben und zeitliches Wohlergehen als Belohnung;
denn es heißt: “auf daß du lange lebest auf Erden”

Menschen werden als Individuen, nicht als Inkarnationen Gottes,
Sonne als Sonne, Berge als Berge,
nicht als in ihnen selbst Geist und Willen habend, genommen.

Wir sehen bei diesem Volke den harten Dienst,
als Verhältnis zum reinen Gedanken.

Das Subjekt als konkretes wird nicht frei,
weil das Absolute selbst nicht als der konkrete Geist aufgefaßt ist,
weil der Geist noch als geistlos gesetzt erscheint.

Die Innerlichkeit haben wir wohl vor uns,
das reine Herz, die Büßung, die Andacht,
aber es ist nicht auch das besondere konkrete Subjekt
sich gegenständlich im Absoluten geworden,
und es bleibt daher streng an den Dienst der Zeremonie und des Rechtes gebunden,
dessen Grund eben die reine Freiheit als abstrakte ist.

Die Juden haben, was sie sind, durch den Einen;
dadurch hat das Subjekt keine Freiheit für sich selbst.

Spinoza sieht das Gesetzbuch Mosis so an,
als habe Gott es den Juden zur Strafe, zur Zuchtrute gegeben.

Das Subjekt kommt nie zum Bewußtsein seiner Selbständigkeit,
deswegen finden wir bei den Juden
keinen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele,
denn das Subjekt ist nicht an und für sich seiend.

Wenn das Subjekt aber im Judentume wertlos ist,
so ist dagegen die Familie selbständig,
denn an die Familie ist der Dienst Jehovas gebunden
und sie somit das Substantielle.

Der Staat aber ist das dem jüdischen Prinzip Unangemessene
und der Gesetzgebung Mosis fremd.

In der Vorstellung der Juden ist Jehova der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs,
der sie aus Ägypten ausziehen hieß und ihnen das Land Kanaan gab.

Die Erzäh——lungen ((243)) von den Erzvätern ziehen uns an.

Wir sehen in dieser Geschichte den Übergang
aus dem patriarchalischen Nomadenzustand zum Ackerbau.

Überhaupt hat die jüdische Geschichte große Züge;
nur ist sie verunreinigt durch das geheiligte ausschließen der anderen Volksgeister
(die Vertilgung der Einwohner Kanaans wird sogar geboten),
durch Mangel an Bildung überhaupt und durch den Aberglauben,
der durch die Vorstellung von dem hohen Werte
der Eigentümlichkeit der Nation herbeigeführt wird.

Auch Wunder stören uns in dieser Geschichte als Geschichte,
denn insofern das konkrete Bewußtsein nicht frei ist,
ist auch das Konkrete der Einsicht nicht frei;
die Natur ist entgöttert, aber ihr Verständnis ist noch nicht da.

Die Familie ist durch die Eroberung Kanaans zu einem Volke herangewachsen,
hat ein Land in Besitz genommen
und in Jerusalem einen allgemeinen Tempel errichtet.

Ein eigentliches Staatsband war aber nicht vorhanden.

Bei einer Gefahr erhoben sich Helden,
die sich an die Spitze der Heereshaufen stellten,
doch war das Volk meist unterjocht.

Später wurden Könige erwählt, und erst diese machten die Juden selbständig.

David ging sogar zu Eroberungen über.

In ihrer Ursprünglichkeit geht die Gesetzgebung nur auf die Familie,
doch ist in den Mosaischen Büchern
schon der Wunsch nach einem Könige vorausgesehen.

Die Priester sollen ihn wählen;
er soll nicht Ausländer sein, nicht Reiterei in großen Haufen
und wenig Weiber haben.

Nach kurzem Glanze zerfiel das Reich in sich selbst und teilte sich.

Da es nur einen Stamm Leviten und nur einen Tempel in Jerusalem gab,
so musste bei Teilung des Reichs sogleich Abgötterei eintreten;
denn es konnte der eine Gott nicht in verschiedenen Tempeln verehrt werden
und nicht zwei Reiche von einer Religion geben.

So rein geistig der objektive Gott gedacht wird,
so gebunden und ungeistig ist noch die subjektive Seite der Verehrung desselben.

Die beiden Reiche, gleich unglücklich in äußeren und inneren Kriegen,
wurden zuletzt den Assyrern und Babyloniern unterworfen.

Durch ((244)) Kyros wurde den Israeliten erlaubt, heimzukehren
und nach eigenen Gesetzen zu leben.


Ägypten

Das persische Reich ist ein vorübergegangenes, und nur
traurige Reste sind von seiner Blüte geblieben.

Die schönsten und reichsten Städte desselben,
wie Babylon, Susa, Persepolis, sind gänzlich zerfallen,
und nur wenige Ruinen zeigen uns ihre alte Stelle.

Selbst in den neueren großen Städten Persiens, Isfahan, Schiras,
ist die Hälfte zur Ruine geworden,
und keine neue Lebendigkeit ist wie im alten Rom aus denselben hervorgetreten,
sondern sie sind fast ganz in dem Andenken der sie umgebenden Völker verschwunden.

außer den übrigen zum persischen Reiche bereits gezählten Ländern
tritt nun aber Ägypten auf,
das Land der Ruinen überhaupt,
das von alters her als ganz wunderbar gegolten
und auch in neueren Zeiten das größte Interesse auf sich gezogen hat.

Seine Ruinen, das endliche Resultat einer unermeßlichen Arbeit,
überbieten im Riesenhaften und Ungeheuren
alles, was uns aus dem Altertum geblieben ist.

In Ägypten sehen wir die Momente,
welche in der persischen Monarchie als einzelne auftraten, zusammengefaßt.

Wir fanden bei den Persern die Verehrung des Lichts,
als des allgemeinen Naturwesens.

Dieses Prinzip entfaltet sich dann zu Momenten,
die sich gegeneinander als gleichgültig verhalten:
das eine Moment ist das Versenktsein ins Sinnliche bei den Babyloniern, Syrern;
das andere ist das Geistige, in zwiefacher Form:
einmal als beginnendes Bewußtsein des konkreten Geistes im Adonisdienst,
und dann als der reine und abstrakte Gedanke bei den Juden;
dort fehlt die Einheit des Konkreten,
hier das Konkrete selbst.

Diese widerstrebenden Elemente zu vereinen, ist die Aufgabe
und als Aufgabe in Ägypten vorhanden.

Aus den Darstellungen, die wir im ägyptischen Altertume finden,
muss besonders eine Figur herausgehoben werden,
nämlich die Sphinx, an und für sich ((245)) ein Rätsel,
ein doppelsinniges Gebilde, halb Tier, halb Mensch.

Man kann die Sphinx als ein Symbol für den ägyptischen Geist ansehen:
der menschliche Kopf, der aus dem tierischen Leibe herausblickt,
stellt den Geist vor, wie er anfängt, sich aus dem Natürlichen zu erheben,
sich diesem zu entreißen und schon freier um sich zu blicken,
ohne sich jedoch ganz von den Fesseln zu befreien.

Die unendlichen Bauwerke der Ägypter sind halb unter der Erde,
halb steigen sie über ihr in die Lüfte.

Das ganze Land ist in ein Reich des Lebens und in ein Reich des Todes eingeteilt.

Die kolossale Bildsäule des Memnon
erklingt vom ersten Blick der jungen Morgensonne;
doch ist es noch nicht das freie Licht des Geistes, das in ihm ertönt.

Die Schriftsprache ist noch Hieroglyphe
und die Grundlage derselben nur das sinnliche Bild, nicht der Buchstabe selbst.

Ägypten ist von jeher das Land der Wunder gewesen
und es auch noch geblieben.

Besonders von den Griechen erhalten wir über dasselbige Nachricht
und vor allen anderen von Herodot.

Dieser sinnige Geschichtsschreiber besuchte selbst das Land,
von dem er Nachricht geben wollte,
und setzte sich an den Hauptorten in Bekanntschaft mit den ägyptischen Priestern.

Alles, was er gesehen und gehört hat, berichtet er genau;
aber das Tiefere über die Bedeutung der Götter hat er sich zu sagen gescheut:
es sei dies ein Heiliges und er könne nicht davon wie von einem Äußerlichen sprechen.

außer ihm ist noch Diodoros Siculus von großer Wichtigkeit,
und unter den jüdischen Geschichtsschreibern Josephus.

Durch die Bauwerke und die Hieroglyphen
hat sich das Denken und Vorstellen der Ägypter ausgedrückt.

Es fehlt ein Nationalwerk der Sprache;
es fehlt nicht nur uns, es fehlte auch den Ägyptern selbst;
sie konnten keines haben,
weil sie ((246)) es nicht zum Verständnis ihrer selbst gebracht haben.

Es war auch keine ägyptische Geschichte vorhanden,
bis endlich Ptolemaios Philadelphos,
derselbe, der die heiligen Bücher der Juden ins Griechische übersetzen ließ,
den Oberpriester Manetho veranlaßte, eine ägyptische Geschichte zu schreiben.

Von dieser haben wir nur Auszüge, Reihen von Königen,
die jedoch die allergrößten Schwierigkeiten und Widersprüche veranlaßt haben.

Um Ägypten kennenzulernen,
sind wir überhaupt nur auf die Nachrichten der Alten
und auf die ungeheuren Monumente, die uns übriggeblieben sind, angewiesen.

Man findet eine Menge Granitwände, in die Hieroglyphen eingegraben sind,
und die Alten haben uns Aufschlüsse über einige derselben gegeben,
welche aber vollkommen unzureichend sind.

In neuerer Zeit ist man besonders wieder darauf aufmerksam geworden
und auch nach vielen Bemühungen dahin gelangt,
von der hieroglyphischen Schrift wenigstens einiges entziffern zu können.

Der berühmte Engländer Thomas Young [1773-1829] hat zuerst den Gedanken dazu gefaßt
und darauf aufmerksam gemacht, daß sich nämlich kleine Flächen finden, [Kartuschen]
die abgeschnitten von den anderen Hieroglyphen sind
und wobei die griechische Übersetzung bemerkt ist.

Durch Vergleichung hat nun Young drei Namen,
Berenike, Kleopatra und Ptolemaios, herausbekommen
und so den ersten Anfang zur Entzifferung gemacht.

Man hat späterhin gefunden,
daß ein großer Teil der Hieroglyphen phonetisch ist, d.h. Laute angibt.

So bedeutet die Figur des Auges zuerst das Auge selbst,
dann aber auch den Anfangsbuchstaben des ägyptischen Wortes, das Auge heißt
(wie im Hebräischen die Figur eines Hauses, den Buchstaben b bezeichnet,
womit das Wort Haus, anfängt).

Der berühmte Champollion der Jüngere
[Jean François Champollion, 1791-1832, Begründer der Ägyptologie]
hat zunächst darauf aufmerksam gemacht, daß die phonetischen Hieroglyphen
mit solchen, die Vorstellungen bezeichnen, ((247)) untermischt sind,
sodann die verschiedenen Arten der Hieroglyphen geordnet
und bestimmte Prinzipien zu ihrer Entzifferung aufgestellt.

Die Geschichte von Ägypten, wie sie vor uns liegt,
ist voll von den größten Widersprüchen.

Mythisches und Historisches ist untereinander gemischt,
und die Angaben sind im höchsten Grade verschieden.

Die europäischen Gelehrten haben begierig die Verzeichnisse des Manetho aufgesucht
und sind diesen gefolgt;
auch sind durch die neueren Entdeckungen eine Menge Namen von Königen bestätigt worden.

Herodot sagt, nach der Erzählung der Priester hätten früher Götter über Ägypten geherrscht,
und vom ersten menschlichen Könige bis zum König Setho seien 341 Menschenalter
oder 11 340 Jahre verflossen gewesen;
der erste menschliche Herrscher aber wäre Menes gewesen
(die Ähnlichkeit des Namens mit dem griechischen Minos und dem indischen Manu ist hier auffallend).

Ägypten habe außer Thebais, dem südlichsten Teile desselben, einen See gebildet;
vom Delta scheint es gewiß zu sein,
daß es ein aus dem Schlamm des Nils hervorgebrachtes Gebilde ist.

Wie die Holländer ihren Boden von dem Meere erobert haben und sich darauf zu erhalten wußten,
so haben die Ägypter ebenfalls ihr Land erst gewonnen
und die Fruchtbarkeit desselben durch Kanäle und Seen unterstützt.

Ein wichtiges Moment für die Geschichte Ägyptens ist das Herabrücken derselben
vom oberen nach dem unteren Ägypten, vom Süden nach Norden.

Damit hängt nun zusammen, daß Ägypten von Äthiopien aus wohl seine Bildung erhalten hat,
hauptsächlich von der Insel Meroë,
auf welcher nach neueren Hypothesen ein Priestervolk gehaust haben soll.

Theben in Oberägypten war die älteste Residenz der ägyptischen Könige.

Schon zu Herodots Zeiten war sie in Verfall.

Die Ruinen dieser Stadt sind das Ungeheuerste der ägyptischen Architektur, was wir kennen;
sie sind für die Länge der Zeit noch vortrefflich erhalten,
wozu der immer wolkenlose Himmel des Landes beiträgt.

Der Mittelpunkt des Reiches ((248)) wurde dann nach Memphis verlegt,
nicht weit von dem heutigen Kairo,
und zuletzt nach Saïs, in dem eigentlichen Delta;
die Gebäulichkeiten, welche sich in der Gegend dieser Stadt befinden,
sind von sehr später Zeit und wenig erhalten.

Herodot sagt uns, daß schon Menes Memphis erbaut habe.

Unter den späteren Königen ist besonders Sesostris hervorzuheben,
der nach Champollion für Ramses den großen gehalten werden muß.

Von diesem schreiben sich besonders eine Menge Denkmäler und Gemälde her,
auf welchen seine Siegeszüge und Triumphe,
die Gefangenen, die er machte, und zwar von den verschiedensten Nationen, dargestellt sind.

Herodot erzählt von seinen Eroberungen in Syrien bis nach Kolchis hin und bringt damit zusammen
die große Ähnlichkeit zwischen den Sitten der Kolcher und denen der Ägypter:
diese beiden Völker und die Äthiopier hätten allein von jeher die Beschneidung eingeführt gehabt.

Herodot sagt ferner, Sesostris habe durch ganz Ägypten ungeheure Kanäle graben lassen,
die dazu dienten, das Wasser des Nils überallhin zu verbreiten.

Überhaupt je sorgfältiger die Regierung in Ägypten war,
desto mehr sah sie auf die Erhaltung der Kanäle,
während bei nachlässigen Regierungen die Wüste die Oberhand gewann;
denn Ägypten stand in dem beständigen Kampf mit der Glut der Hitze und dem Wasser des Nils.

Aus Herodot geht hervor, daß das Land durch die Kanäle für die Reiterei unbrauchbar geworden ist;
dagegen ersehen wir aus den Büchern Mosis,
wie berühmt Ägypten einst in dieser Beziehung gewesen ist.

Mose sagt, wenn die Juden einen König verlangten,
so sollte dieser nicht zu viele Frauen heiraten und keine Pferde aus Ägypten holen lassen.

Nach Sesostris sind noch die Könige Cheops und Chephren hervorzuheben.

Diese haben ungeheure Pyramiden erbaut und die Tempel der Priester geschlossen;
ein Sohn des Cheops, Mykerinos, soll sie wieder eröffnet haben;
nach diesem fielen die Äthiopier ins Land,
und ihr König Sabako machte sich zum König von Ägypten.

Anysis aber, der ((249)) Nachfolger des Mykerinos, floh in die Moräste, dem Ausflusse des Nils zu;
erst nach dem Abzug der Äthiopier erschien er wieder.

Auf ihn folgte Setho, der ein Priester des Ptha (den man als Hephaistos ansieht) gewesen war;
unter seiner Regierung fiel Sanherib, König der Assyrer, ins Land ein.

Setho hatte die Kriegerkaste immer mit großer Geringschätzung behandelt
und sie selbst ihrer Äcker beraubt;
als er sie nunmehr aufrief, stand sie ihm nicht bei.

Er musste daher einen allgemeinen Aufruf an die Ägypter erlassen
und brachte ein Heer aus Krämern, Handwerkern und Marktvolk zusammen.

In der Bibel heißt es, die Feinde seien geflohen, und die Engel hätten sie aufs Haupt geschlagen;
aber Herodot erzählt, die Feldmäuse wären in der Nacht gekommen
und hätten die Köcher und Bogen der Feinde zernagt,
so daß diese, keine Waffen mehr habend, zur Flucht genötigt wurden.

Nach dem Tode des Setho hielten sich die Ägypter, wie Herodot sagt, für frei
und erwählten sich zwölf Könige, die in Verbindung miteinander standen,
als Zeichen für welche sie das Labyrinth bauten,
das aus einer ungeheuren Anzahl von Zimmern und Hallen,
sowohl über als unter der Erde, bestand.

Einer dieser Könige, Psammetich, vertrieb dann im Jahre 650 vor Chr. Geburt
mit Hilfe der Ionier und Karer, denen er Land im unteren Ägypten versprach,
die elf übrigen Könige.

Ägypten war bis dahin nach außen abgeschlossen geblieben;
auch zur See hatte es keine Verbindung mit andern Völkern angeknüpft.

Psammetich eröffnete diese Verbindung und bereitete dadurch Ägypten den Untergang.

Die Geschichte wird von nun an bestimmter,
weil sie auf griechischen Berichten beruht.

Auf Psammetich folgte Necho, welcher einen Kanal zu graben begann,
der den Nil mit dem Roten Meere verbinden sollte
und der erst unter Darius Nothus seine Vollendung erhielt.

Das Unternehmen, das Mittelländische Meer mit dem Arabischen Meerbusen
und dem großen Ozean zu vereinigen,
ist nicht von solchem Nutzen, als man wohl glauben möchte,
weil in dem ohnehin sehr schwer zu beschiffenden ((250)) Roten Meere
ungefähr neun Monate lang ein beständiger Nordwind herrscht
und somit nur drei Monate von Süden nach Norden gereist werden kann.

Auf den Necho folgte Psammis und auf diesen Apries;
letzterer führte ein Heer gegen Sidon und hatte eine Seeschlacht mit den Tyriern;
auch gegen Kyrene sandte er ein Heer, welches von den Kyrenäern fast vernichtet wurde.

Die Ägypter empörten sich gegen ihn und gaben ihm Schuld, er wolle sie ins Verderben führen;
wahrscheinlich war aber der Aufstand durch die Begünstigung hervorgebracht,
die die Karer und Ionier erfuhren.

Amasis stellte sich an die Spitze der Empörer,
besiegte den König und setzte sich an dessen Stelle auf den Thron.

Von Herodot wird er als ein humoristischer Monarch geschildert,
der aber nicht immer die Würde des Thrones behauptet habe.

Von einem sehr geringen Stande, hatte er sich durch seine Geschicklichkeit,
seine Verschlagenheit und seinen Geist auf den Thron geschwungen,
und den scharfen Verstand, der ihm zu Gebote stand,
hat er nach Herodot auch bei allen ferneren Gelegenheiten bewiesen.

Des Morgens habe er zu Gericht gesessen und die Klagen des Volkes angehört;
des Nachmittags aber habe er geschmaust und sich einem lustigen Leben überlassen.

Den Freunden, die ihm darüber Vorwürfe machten und ihm bemerkten,
daß er sich den ganzen Tag den Geschäften widmen müsse, antwortete er:

Wenn der Bogen immerfort gespannt bleibt, so wird er untauglich werden oder zerbrechen.

Als ihn die Ägypter seiner niedrigen Abkunft wegen nicht sehr hoch hielten,
ließ er aus einem goldenen Fußbecken ein Götterbild formen,
welchem die Ägypter große Verehrung bewiesen;
daran zeigte er ihnen dann sein eigenes Beispiel.

Herodot erzählt ferner, er habe als Privatmann sehr lustig gelebt
und sein ganzes Vermögen durchgebracht, dann aber gestohlen.

Dieser Kontrast von gemeinem Sinn und treffendem Verstand
ist charakteristisch an einem ägyptischen Könige.

Amasis zog den Unwillen des Königs Kambyses auf sich.

Kyros hatte nämlich von den Ägyptern einen Augenarzt ((251)) verlangt,
denn damals schon waren die ägyptischen Augenärzte hochberühmt,
die wegen der vielen ägyptischen Augenkrankheiten notwendig waren.

Dieser Augenarzt, um sich dafür zu rächen, daß man ihn außer Landes geschickt hatte,
gab dem Kambyses den Rat, die Tochter des Amasis zu verlangen,
wohl wissend, daß Amasis entweder unglücklich sein würde, indem er sie gäbe,
oder den Zorn des Kambyses auf sich zöge, indem er sie verweigerte.

Amasis wollte dem Kambyses seine Tochter nicht geben,
weil dieser sie zur Nebenfrau verlangte
(denn die rechtmäßige Gemahlin musste eine Perserin sein),
schickte ihm aber unter dem Namen seiner Tochter die des Apries,
welche sich später dem Kambyses entdeckte.

Dieser war über den Betrug so entrüstet,
daß er, als nach dem Tode des Amasis Psammenit herrschte,
gegen Ägypten zog, das Land eroberte und mit dem persischen Reiche verband.

Was den ägyptischen Geist betrifft, so ist hier anzuführen,
daß die Eleer bei Herodot die Ägypter die weisesten der
Menschen nennen.

Auch uns überrascht dort, neben afrikanischer Stupidität einen reflektierenden Verstand,
eine durchaus verständige Anordnung aller Einrichtungen
und die erstaunlichsten Werke der Kunst zu sehen.

Deswegen hat sich auch das Handwerksmäßige
und das Technische in den Künsten hier so sehr ausgebildet,
und die Erblichkeit bewirkte bei der Art und Weise der Ägypter
nicht denselben Nachteil wie in Indien.

Herodot gibt folgende sieben Kasten an:
die Priester, die Krieger, die Rinderhirten, die Schweinehirten,
die Kaufleute oder Gewerbetreibenden überhaupt,
die Dolmetscher, welche erst später einen eigenen Stand ausgemacht zu haben scheinen,
endlich die Schiffsleute.

Ackerbauer sind hier nicht genannt, wahrscheinlich, weil der Ackerbau mehrere Kasten beschäftigte,
wie z.B. die Krieger, denen eine Portion Landes zugeteilt war.

Diodor und Strabo geben diese Kastenabteilungen verschieden ((252)) an.

Es werden nur Priester, Krieger, Hirten, Ackerbautreibende und Künstler genannt,
zu welchen letzteren denn wohl auch die Gewerbetreibenden gehören.

Herodot sagt von den Priestern, daß sie vorzüglich Ackerland erhielten und es auf Zins bebauen ließen,
denn das Land überhaupt war im Besitze der Priester, Krieger und Könige.

Joseph war nach der Heiligen Schrift Minister des Königs und führte sein Geschäft so,
daß der König Herr alles Grundeigentums ward.

Die Beschäftigungen überhaupt aber blieben nicht so fest wie bei den Indern,
da wir die Israeliten, die ursprünglich Hirten waren, auch als Handwerker gebraucht finden
und da ein König, wie schon gesagt wurde, ein Heer aus lauter Handwerkern bildete.

Die Kasten sind nicht starr, sondern im Kampf und in Berührung miteinander,
wir finden oft eine Auflösung und ein Widerstreben derselben.

Die Kriegerkaste, einmal unzufrieden, aus ihren Wohnsitzen gegen Nubien hin nicht abgelöst zu werden,
und in Verzweiflung darüber, ihre Äcker nicht benutzen zu können, flüchtet sich nach Meroë,
und fremde Mietsoldaten wurden ins Land gezogen.

Über die Lebensweise der Ägypter gibt uns Herodot sehr ausführliche Nachricht
und erzählt hauptsächlich alles, was ihm abweichend von den griechischen Sitten erscheint.

So z.B. daß die Ägypter besondere Ärzte für besondere Krankheiten hätten,
daß die Weiber die Geschäfte außer dem Hause besorgten,
die Männer aber zu Hause blieben und webten.

In einem Teile Ägyptens herrschte Vielweiberei, in einem anderen Monogamie;
die Weiber haben ein Kleid, die Männer zwei;
sie waschen und baden sich viel und purgieren monatlich.

Alles dieses deutet auf Versunkenheit in friedliche Zustände.

Was die Einrichtungen der Polizei anbetrifft, so war festgesetzt,
daß jeder Ägypter sich zu einer gewissen Zeit bei seinem Vorsteher melden sollte
und anzugeben hatte, woher er seinen Lebensunterhalt ziehe;
konnte er dieses nicht, so wurde er mit dem Tode bestraft;
jedoch ist dieses Gesetz erst spät in der Zeit des Amasis gegeben.

Es ((253)) wurde ferner die größte Sorgfalt bei Verteilung des Saatlandes beobachtet,
sowie bei Anlegung von Kanälen und Dämmen;
unter Sabako, dem äthiopischen Könige, sagt Herodot, seien viele Städte durch Dämme erhöht worden.

Die Gerichte wurden sehr sorgfältig gehalten
und bestanden aus dreißig von der Gemeinde ernannten Richtern,
die sich ihren Präsidenten selber erwählten.

Die Prozesse wurden schriftlich verhandelt und gingen bis zur Duplik.

Diodor hat dies gegen die Beredsamkeit der Advokaten und das Mitleid der Richter sehr gut gefunden.

Die Richter sprachen ihr Urteil auf eine stumme und hieroglyphische Weise aus.

Herodot sagt, sie hätten das Zeichen der Wahrheit auf der Brust gehabt
und dasselbe nach der Seite hin gekehrt, welcher der Sieg zugesprochen werden sollte,
oder auch, sie hätten es der siegenden Partei umgehängt.

Der König selbst musste sich täglich mit richterlichen Geschäften befassen.

Vom Diebstahle wird gemeldet, daß er zwar verboten gewesen sei,
doch lautete das Gesetz, die Diebe sollten sich selbst angeben.

Gab der Dieb den Diebstahl an, so wurde er nicht bestraft,
sondern behielt vielmehr ein Viertel des Gestohlenen;
vielleicht sollte dieses die List, wegen welcher die Ägypter so berühmt waren,
noch mehr in Anregung und Übung erhalten.

Die Verständigkeit der gesetzlichen Einrichtungen erscheint überwiegend bei den Ägyptern;
diese Verständigkeit, die sich im Praktischen zeigt,
erkennen wir denn auch in den Erzeugnissen der Kunst und Wissenschaft.

Die Ägypter haben das Jahr in zwölf Monate geteilt und jeden Monat in dreißig Tage.

Am Ende des Jahres schalteten sie noch fünf Tage ein,
und Herodot sagt, sie machten es darin besser als die Griechen.

Wir haben die Verständigkeit der Ägypter besonders in der Mechanik zu bewundern;
die mächtigen Bauten, wie sie kein anderes Volk aufzuweisen hat
und die alles an Festigkeit und an größe übertreffen, beweisen hinlänglich ihre Kunstfertigkeit,
der sie sich überhaupt hingeben konnten, weil die unteren Kasten sich um Politik nicht bekümmerten. ((254))

Diodor von Sizilien sagt, Ägypten sei das einzige Land, wo die Bürger sich nicht um den Staat,
sondern nur um ihre Geschäfte bekümmerten.

Griechen und Römer mussten besonders über solchen Zustand erstaunt sein.

Wegen seiner verständigen Einrichtungen ist nun Ägypten von den Alten
als Muster eines sittlich geregelten Zustandes betrachtet worden, in der Weise eines Ideals,
wie Pythagoras eines in eingeschränkter, auserlesener Gesellschaft ausgeführt
und Platon in mehr umfassender Vorstellung aufgestellt hat.

Aber bei solchen Idealen ist auf die Leidenschaft nicht gerechnet.

Ein Zustand, der als schlechthin fertig angenommen und genossen werden soll, in dem alles berechnet ist,
besonders die Erziehung und Angewöhnung an ihn, damit er zur andern Natur werde,
ist überhaupt der Natur des Geistes zuwider, der das vorhandene Leben zu seinem Objekte macht
und der unendliche Trieb der Tätigkeit ist, dasselbe zu verändern.

Dieser Trieb hat sich auch in Ägypten auf eine eigentümliche Weise geäußert.

Es scheint zwar zunächst dieser geordnete, in allen Partikularitäten bestimmte Zustand
nichts für sich schlechthin Eigentümliches zu enthalten;
die Religion scheint auf diese oder jene Weise hinzukommen zu können,
damit auch das höhere Bedürfnis des Menschen befriedigt werde,
und zwar auf eine gleichfalls ruhige und jener sittlichen Ordnung angemessene Weise.

Aber wenn wir nun die Religion der Ägypter betrachten,
so werden wir überrascht durch die sonderbarsten wie wundervollsten Erscheinungen
und erkennen, daß jene ruhige, polizeilich regulierte Ordnung nicht eine chinesische ist
und daß wir es hier mit einem ganz anders in sich bewegten trieb- und drangvollen Geiste zu tun haben.

Diese afrikanische Gedrungenheit mit dem unendlichen Drang der Objektivierung in sich
ist, was wir hier finden.

Noch aber ist wie ein eisernes Band um die Stirne des Geistes gewunden,
daß er nicht zum freien Selbstbewußtsein seines Wesens im Gedanken kommen kann,
sondern dies nur als die Aufgabe, als das Rätsel seiner selbst herausgebiert.

Die Grundanschauung dessen, was den Ägyptern als das Wesen gilt,
ruht auf der natürlich beschlossenen Welt, in der sie leben,
und näher auf dem geschlossenen physischen Naturkreis, welchen der Nil mit der Sonne bestimmt.

Beides ist ein Zusammenhang, der Stand der Sonne mit dem Stand des Nils;
dies ist dem Ägypter alles in allem.

Der Nil ist die Grundbestimmung des Landes überhaupt;
außerhalb des Niltals beginnt die Wüste;
gegen Norden wird es vom Meer und im Süden von Gluthitze eingeschlossen.

Der erste arabische Feldherr, welcher Ägypten eroberte, schreibt an den Kalifen Omar:
Ägypten ist zuerst ein ungeheures Staubmeer, dann ein süßes Wassermeer
und zuletzt ein großes Blumenmeer;
es regnet daselbst nie;
gegen Ende Juli fällt Tau, und dann fängt der Nil zu überschwemmen an,
und Ägypten gleicht einem Inselmeer.

(Herodot vergleicht Ägypten in diesem Zeitraum mit den Inseln im Ägäischen Meere.)

Der Nil läßt eine unendliche Menge von Getier zurück,
es ist dann ein unermeßliches Gerege und Gekrieche;
bald darauf fängt der Mensch zu säen an, und die Ernte ist alsdann sehr ergiebig.

Die Existenz des Ägypters hängt also nicht von der Sonnenhelle oder vom Regen ab,
sondern es sind für ihn nur diese ganz einfachen Bedingungen,
welche die Grundlage der Lebensweise und Lebenstätigkeit bilden.

Es ist ein geschlossener physischer Verlauf,
den der Nil annimmt und der mit dem Lauf der Sonne zusammenhängt:
diese geht auf, tritt auf ihre Höhe und weicht dann wieder zurück.

So auch der Nil.

Diese Grundlage des Lebens der Ägypter
macht auch den ((256)) bestimmten Inhalt ihrer Religion aus.

Es ist ein alter Streit über den Sinn und die Bedeutung der ägyptischen Religion.

Schon der Stoiker Chairemon, zu Tiberius’ Zeiten, der in Ägypten gewesen,
hat sie bloß materialistisch erklärt;
den Gegensatz davon bilden die Neu-Platoniker,
welche alles als Symbole einer geistigen Bedeutung nahmen
und so diese Religion zu einem reinen Idealismus machten.

Jede dieser Vorstellungen für sich ist einseitig.

Die natürlichen und geistigen Mächte sind aufs engste verbunden angeschaut,
aber noch nicht so, daß die freie, geistige Bedeutung hervorgetreten wäre,
sondern auf die Weise,
daß die Gegensätze im härtesten Widerspruche zusammengebunden waren.

Wir haben von dem Nil, von der Sonne und von der davon abhängenden Vegetation gesprochen.

Diese partikularisierte Naturanschauung gibt das Prinzip für die Religion,
und der Inhalt derselben ist zuvörderst eine Geschichte.

Der Nil und die Sonne sind die als menschlich vorgestellten Gottheiten,
und der natürliche Verlauf und die göttliche Geschichte ist dasselbige.

Im Wintersolstitium hat die Kraft der Sonne am meisten abgenommen
und muss aufs neue geboren werden.

So erscheint auch Osiris als geboren, wird aber vom Typhon,
vom Bruder und Feinde, dem Glutwind in der Wüste, getötet.

Isis, die Erde, der die Kraft der Sonne und des Nils entzogen ist, sehnt sich nach ihm;
sie sammelt die zerstückelten Gebeine des Osiris und klagt um ihn,
und ganz Ägypten beweint mit ihr den Tod des Osiris
durch einen Gesang, den Herodot Maneros heißt:
Maneros, sagt er, sei der einzige Sohn des ersten Königs der Ägypter gewesen
und frühzeitig gestorben;
der Gesang sei ganz wie der Linosgesang der Griechen
und das einzige Lied, welches die Ägypter haben.

Es wird hier wieder der Schmerz als etwas Göttliches angesehen,
und es widerfährt ihm hier dieselbige Ehre, welche ihm bei den Phöniziern angetan wird.

Hermes balsamiert dann den Osiris ein,
und an verschiedenen Orten wird das Grab desselben aufgezeigt.

Osiris ist jetzt Totenrichter und Herr des Reiches der Unsichtbaren.

Dies sind die Grundvorstellungen. ((257))

Osiris, die Sonne, der Nil, dieses Dreifache ist in einem Knoten vereinigt.

Die Sonne ist das Symbol, in dem Osiris und die Geschichte des Gottes gewußt wird,
und ebenso ist der Nil dieses Symbol.

Die konkrete ägyptische Einbildungskraft schreibt ferner dem Osiris und der Isis
die Einführung des Ackerbaues, die Erfindung des Pfluges, des Karstes usf. zu;
denn Osiris gibt nicht nur das Nützliche, die Befruchtung der Erde,
sondern auch die Mittel zur Benutzung.

Aber er gibt den Menschen auch Gesetze,
eine bürgerliche Ordnung und den Gottesdienst;
er legt also die Mittel zur Arbeit den Menschen in die Hand und sichert dieselbe.

Osiris ist auch das Bild der Saat, die in die Erde gelegt wird und dann aufgeht,
wie das Bild des Verlaufes des Lebens.

So ist dieses Heterogene, die Naturerscheinung und das Geistige, in einen Knoten verwebt.

Die Zusammenstellung des menschlichen Lebenslaufes mit dem Nil, der Sonne, dem Osiris
ist nicht etwa als Gleichnis aufzufassen,
als ob das Geborenwerden, das Zunehmen der Kraft, die höchste Kräftigkeit und Fruchtbarkeit,
die Abnahme und Schwäche sich in diesem Verschiedenen auf gleiche oder ähnliche Weise darstelle,
sondern die Phantasie hat in diesem Verschiedenen ein Subjekt, eine Lebendigkeit gesehen;
diese Einheit ist jedoch ganz abstrakt,
das Heterogene zeigt sich darin als drängend und treibend
und in einer Unklarheit, die von der griechischen Klarheit sehr absticht.

Osiris stellt den Nil vor und die Sonne,
Sonne und Nil wieder sind Symbole des menschlichen Lebens;
jedes ist Bedeutung, jedes Symbol;
das Symbol verkehrt sich zur Bedeutung,
und diese ist Symbol des Symbols, das Bedeutung wird.

Keine Bestimmung ist Bild, ohne nicht zugleich Bedeutung zu sein,
jede ist jedes, aus einer erklärt sich die andere.

Es entsteht so eine reiche Vorstellung, die aus vielen Vorstellungen zusammengeknüpft ist,
worin die Individualität der Grundknoten bleibt und nicht in das Allgemeine aufgelöst wird.

Die allgemeine Vorstellung oder der Gedanke selbst, der das Band der Analogie ausmacht,
tritt ((258)) nicht als Gedanke für das Bewußtsein frei heraus,
sondern bleibt versteckt als innerer Zusammenhang.

Es ist eine festgebundene Individualität,
welche unterschiedene Weisen der Erscheinung zusammenhält,
und zwar einerseits phantastisch ist, wegen des Zusammenhalts disparat erscheinenden Inhalts,
aber andrerseits innerlich der Sache nach zusammenhängend,
weil diese verschiedenen Erscheinungen ein partikulärer prosaischer Inhalt der Wirklichkeit sind.

außer dieser Grundvorstellung nun finden wir mehrere besondere Götter,
von denen Herodot drei Klassen zählt.

In der ersten nennt er acht Götter, in der zweiten zwölf, in der dritten unbestimmt viele,
welche sich zu der Einheit des Osiris als Besonderheiten verhalten.

In der ersten Klasse kommt das Feuer und dessen Benutzung vor als Ptha,
sowie Kneph, welcher auch als der gute Dämon vorgestellt wird;
aber der Nil selbst gilt als dieser Dämon,
und so verkehren sich die Abstraktionen zu den konkreten Vorstellungen.

Eine große Gottheit ist der Amon, worin die Bestimmung der Tag- und Nachtgleiche liegt;
er ist dann auch der Orakelgebende.

Aber Osiris wird ebenso wieder als der Gründer des Orakels angeführt.

So ist die Zeugungskraft, von Osiris vertrieben, als besonderer Gott dargestellt.

Osiris ist aber ebenso selbst diese Zeugungskraft.

Die Isis ist die Erde, der Mond das Befruchtetwerden der Natur.

Als ein wichtiges Moment des Osiris ist der Anubis (Thot), der ägyptische Hermes, herauszuheben.

In der menschlichen Tätigkeit und Erfindung und in der gesetzlichen Ordnung
erhält das Geistige als solches eine Existenz
und wird in dieser selbst bestimmten und beschränkten Weise Gegenstand des Bewußtseins.

Es ist dies das Geistige nicht als eine unendliche, freie Herrschaft der Natur,
sondern als ein Besonderes neben den Naturgewalten
und ein Besonderes auch nach seinem Inhalte.

So haben denn die Ägypter auch Götter gehabt als geistige Tätigkeiten und Wirksamkeiten,
aber diese teils selbst beschränkt ihrem Inhalte nach,
teils angeschaut in natürlichen Symbolen.

Nach Jamblich haben die ägyptischen Priester
allen ihren Erfindungen von alters her den Namen Hermes vorgesetzt;
daher hat Eratosthenes sein Buch,
welches von der gesamten ägyptischen Wissenschaft handelte, Hermes betitelt.

Anubis wird Freund und Begleiter des Osiris genannt.

Ihm wird die Erfindung der Schrift, dann der Wissenschaft überhaupt,
der Grammatik, Astronomie, Meßkunst, Musik, Medizin zugeschrieben;
er hat zuerst den Tag in zwölf Stunden eingeteilt;
er ist ferner der erste Gesetzgeber,
der erste Lehrer der Religionsgbräuche und Heiligtümer, der Gymnastik und Orchestik;
er hat den Ölbaum entdeckt.

Aber ungeachtet aller dieser geistigen Attribute
ist diese Gottheit etwas ganz anderes als der Gott des Gedankens:
es sind nur die besonderen menschlichen Künste und Erfindungen in ihr zusammengefaßt;
ferner ist dieser Gott wieder ganz mit Naturexistenz verbunden
und in Natursymbole herabgezogen:
er ist mit dem Hundskopf vorgestellt, als ein vertierter Gott,
und außer dieser Maske ist ebenso eine Naturexistenz in ihn hineingedacht,
denn er ist zugleich der Sirius, der Hundsstern.

Er ist also ebenso beschränkt nach seinem Inhalte als sinnlich nach seinem Dasein.

So ist die Medizin, das Beraten über körperliche Krankheit,
wie überhaupt der Kreis des Beratens und Beschließens über Unternehmungen im Leben
dem mannigfaltigsten Aberglauben von Orakeln und magischen Künsten unterworfen gewesen.

Die Astronomie war zugleich wesentlich Astrologie
und die Medizin magisch und vornehmlich astrologisch.

Aller astrologischer und sympathetischer Aberglaube schreibt sich aus Ägypten her.

Der Kultus ist vornehmlich Tierdienst.

Wir haben die Verbindung des Geistigen und Natürlichen gesehen,
das Weitere ((260)) und Höhere ist, daß die Ägypter, so wie sie im Nil,
in der Sonne, in der Saat die geistige Anschauung gehabt haben,
sie so auch in dem Tierleben besitzen.

Für uns ist der Tierdienst widrig;
wir können uns an die Anbetung des Himmels gewöhnen,
aber die Verehrung der Tiere ist uns fremd,
denn die Abstraktion des Naturelements erscheint uns allgemeiner und daher verehrlicher.

Dennoch ist es gewiß, daß die Völker, welche die Sonne und die Gestirne verehrt haben,
auf keine Weise höher zu achten sind als die, welche das Tier anbeten,
sondern umgekehrt, denn die Ägypter haben in der Tierwelt das Innere und Unbegreifliche angeschaut.

Auch uns, wenn wir das Leben und Tun der Tiere betrachten, setzt ihr Instinkt,
ihre zweckmäßige Tätigkeit, Unruhe, Beweglichkeit und Lebhaftigkeit in Verwunderung;
denn sie sind höchst regsam und sehr gescheit für ihre Lebenszwecke
und zugleich stumm und verschlossen.

Man weiß nicht, was in diesen Bestien steckt, und kann ihnen nicht trauen.

Ein schwarzer Kater mit seinen glühenden Augen und bald schleichender Bewegung,
bald raschen Sprüngen galt sonst als die Gegenwart eines bösen Wesens,
als ein unverstandenes, sich verschließendes Gespenst;
dagegen der Hund, der Kanarienvogel als ein freundlich sympathisierendes Leben erscheint.

Die Tiere sind in der Tat das Unbegreifliche;
es kann sich ein Mensch nicht in eine Hundsnatur,
soviel er sonst Ähnlichkeit mit ihr haben möchte, hineinphantasieren oder vorstellen,
sie bleibt ihm ein schlechthin Fremdartiges.

Aber nur in der Natur ist es in Wahrheit, daß der Mensch das Unbegreifliche anzutreffen hat;
denn der Geist ist eben dies, sich selbst offenbar zu sein,
der Geist versteht und begreift den Geist.

Die Verehrung der bloßen Lebendigkeit finden ((261)) wir auch bei anderen Nationen,
teils ausdrücklich, wie bei den Indern und bei allen Mongolen,
teils in Spuren, wie bei den Juden:

“Du sollst das Blut der Tiere nicht essen, denn in ihm ist das Leben des Tieres.” °

Auch die Griechen und Römer haben in den Vögeln die Wissenden gesehen,
in dem Glauben, daß, was dem Menschen im Geiste nicht aufgeschlossen,
das Unbegreifliche und Höhere, in ihnen vorhanden sei.

Aber bei den Ägyptern ist diese Verehrung der Tiere
allerdings bis zum stumpfesten und unmenschlichsten Aberglauben fortgegangen.

Die Verehrung der Tiere war bei ihnen durchaus etwas Partikularisiertes:
jeder Bezirk hatte sein eigenes Tier, die Katze, den Ibis, das Krokodil usw.;
große Stiftungen waren für dieselben eingerichtet, man gab ihnen schöne Weibchen,
und sie wurden, wie die Menschen, nach dem Tode einbalsamiert.

Die Stiere wurden begraben, aber so, daß die Hörner aus den Gräbern herausschauten.

Der Apis hatte prächtige Grabmäler, und einige Pyramiden sind als solche zu betrachten;
in einer der geöffneten Pyramiden fand man im mittelsten Gemach einen schönen alabasternen Sarg;
bei näherer Untersuchung fand es sich, daß die eingeschlossenen Gebeine Ochsenknochen waren.

Diese Anbetung der Tiere ist oft zur stumpfsinnigsten Härte übergegangen.

Wenn ein Mensch ein Tier absichtlich tötete, so wurde er mit dem Tode bestraft,
aber selbst eine unabsichtliche Tötung gewisser Tiere konnte den Tod nach sich ziehen.

Es wird erzählt, daß, als einst ein Römer in Alexandrien eine Katze totschlug,
darauf ein Aufstand erfolgte, in dem die Ägypter jenen Römer ermordeten.

So ließ man Menschen bei einer Hungersnot lieber umkommen,
als daß man die heiligen Tiere getötet oder ihre Vorräte angegriffen hätte.

Noch mehr als die bloße Lebendigkeit
wurde dann die allgemeine Lebenskraft der erzeugenden Natur verehrt, in einem Phallusdienst,
den die Griechen auch in ihren Dienst ((262)) des Dionysos mit aufgenommen haben.

Mit diesem Dienst waren die größten Ausschweifungen verbunden.

Ferner wird nun auch die Tiergestalt wieder zum Symbol verkehrt,
zum Teil auch zum bloßen Zeichen hieroglyphisch herabgesetzt.

Ich erinnere hier an die unzählige Menge von Figuren auf den ägyptischen Denkmälern,
von Sperbern oder Falken, Roßkäfern, Skarabäen usf.

Man weiß nicht, von welchen Vorstellungen solche Figuren die Symbole gewesen sind,
und darf auch nicht glauben,
daß man es in dieser von Hause aus trüben Sache zur Klarheit bringen könne.

So z.B. soll der Mistkäfer das Symbol der Zeugung, der Sonne und des Sonnenlaufes sein,
der Ibis das Symbol der Nilflut,
der Geier das der Weissagung, des Jahres, der Erbarmung.

Das Seltsame dieser Verknüpfung kommt daher, daß nicht, wie wir uns das Dichten vorstellen,
eine allgemeine Vorstellung in ein Bild übertragen wird,
sondern umgekehrt wird von der sinnlichen Anschauung angefangen
und sich in dieselbe hinein imaginiert.

Weiter aber sehen wir auch die Vorstellung aus der unmittelbaren Tiergestalt
und dem Verweilen bei ihrer Anschauung sich herauswinden
und das in ihr nur Geahnte und Gesuchte sich zur Begreiflichkeit und Faßlichkeit hervorwagen.

Das Verschlossene, das Geistige bricht als menschliches Gesicht aus dem Tierwesen heraus.

Die vielfach gestalteten Sphinxe,
Löwenleiber mit Jungfrauenköpfen oder auch als Mannsphinxe (#androdphigges#) mit Bärten,
sind es eben, die uns dies darstellen, daß die Bedeutung des Geistigen die zu lösende Aufgabe ist;
wie das Rätsel überhaupt nicht das Sprechen von einem Unbekannten,
sondern die Forderung ist, es herauszubringen,
das Wollen, daß es sich offenbaren solle.

Die schöne Kunst der Griechen weiß den besonderen Ausdruck
durch den geistigen Charakter in der Form der Schönheit zu erreichen
und braucht nicht das menschliche Antlitz zum Behufe des Verstehens ((263)) zu verunstalten.

Die Ägypter haben selbst auch den menschlichen Gestaltungen der Götter
die Erklärung durch Tierköpfe und Tiermasken hinzugefügt;
der Anubis z.B. hat einen Hundskopf, die Isis den Löwenkopf mit Stierhörnern usf.

Auch die Priester sind bei ihren Funktionen in Falken, Schakale, Stiere usf. maskiert;
ebenso der Chirurg, der dem Toten die Eingeweide herausgenommen
(als fliehend vorgestellt, denn er hat sich am Lebendigen versündigt),
sowie die Einbalsamierer, die Schreiber.

Der Sperber mit Menschenkopf und ausgebreiteten Flügeln bedeutet die Seele,
welche die sinnlichen Räume durchfliegt, um einen neuen Körper zu beseelen.

Wir sehen so Ägypten in gedrungener, verschlossener Naturanschauung verdumpft,
diese auch durchbrechen, sie zum Widerspruch in sich treiben
und die Aufgabe desselben aufstellen.

Das Prinzip bleibt nicht im Unmittelbaren stehen,
sondern deutet auf den anderen Sinn und Geist, der im Innern verborgen liegt.

In dem Bisherigen haben wir den ägyptischen Geist sich aus
den Naturgebilden herausarbeiten sehen.

Dieser hartdrängende, gewaltige Geist
hat aber nicht bei dem subjektiven Vorstellen des Inhalts,
den wir bisher betrachtet haben, stehenbleiben können,
sondern er hat sich auch zum äußeren Bewußtsein
und zur äußeren Anschauung durch die Kunst bringen müssen.

Aber der Geist, der in der Anschauung der partikulären Natürlichkeit steht
und darin ein drängender und bildender Geist ist,
verkehrt sich die unmittelbare, natürliche Anschauung, z.B. des Nils, der Sonne usf.,
zu Gebilden, an denen der Geist teilhat;
er ist, wie wir gesehen haben, der symbolisierende Geist,
und in ((264)) dem er dies ist,
drängt er danach, sich dieser Symbolisierungen zu bemächtigen und sie vor sich zu bringen.

Je mehr er sich selbst rätselhaft und dunkel ist,
desto mehr hat er den Drang in sich, zu arbeiten,
aus der Beklommenheit heraus sich zur gegenständlichen Vorstellung zu befreien.

Es ist das Ausgezeichnete des ägyptischen Geistes,
daß er als dieser ungeheure Werkmeister vor uns steht.

Es ist nicht Pracht noch Spiel noch Vergnügen usf., was er sucht,
sondern es ist der Drang, sich zu verstehen, der ihn treibt,
und er hat kein anderes Material und Boden, sich über das zu belehren, was er ist,
und sich für sich zu verwirklichen, als dieses Hineinarbeiten in den Stein,
und was er in den Stein hineinschreibt, sind seine Rätsel, die Hieroglyphen.

Die Hieroglyphen sind zweierlei,
die eigentlichen, die mehr die Bestimmung für die Äußerung in der Sprache
und die Beziehung auf die subjektive Vorstellung haben;
die anderen Hieroglyphen sind diese ungeheuren Massen von Werken
der Architektur und Skulptur, womit Ägypten bedeckt ist.

Wenn bei anderen Völkern die Geschichte aus einer Reihe von Begebenheiten besteht,
wie z.B. die Römer in mehreren Jahrhunderten nur dem Zweck der Eroberung gelebt
und das Werk der Unterwerfung der Völker vor sich gebracht haben,
so sind es die Ägypter, die ein ebenso mächtiges Reich von Taten in Kunstwerken ausgeführt haben,
deren Trümmer ihre Unzerstörbarkeit beweisen
und größer und erstaunenswürdiger sind als alle Werke der sonstigen alten und der neuen Zeit.

Ich will von diesen Werken keine anderen erwähnen als die den Toten gewidmeten,
welche unsere Aufmerksamkeit vornehmlich auf sich ziehen.

Es sind dies die ungeheuren Aushöhlungen in den Hügeln längs dem Nil bei Theben,
welche in Gängen und Kammern ganz mit Mumien angefüllt sind,
unterirdische Behausungen, so groß als die größten Bergwerke neuerer Zeit;
dann das große Totenfeld in der Ebene bei Saïs mit Mauern und Gewölben;
ferner die Wunder der Welt, die Pyramiden,
deren Bestimmung erst in neueren ((265)) Zeiten,
obgleich von Herodot und Diodor schon angegeben, förmlich wieder bestätigt worden ist,
daß nämlich diese ungeheuren Kristalle, in geometrischer Regelmäßigkeit, Leichen einschließen;
endlich das Staunenswürdigste, die Königsgräber,
deren eines in neuerer Zeit Belzoni ° aufgeschlossen hat.

Es ist wesentlich zu sehen, welche Bedeutung dieses Totenreich für den Ägypter gehabt hat;
es ist daraus zu erkennen, welche Vorstellung sich derselbe vom Menschen gemacht hat.

Denn im Toten stellt sich der Mensch den Menschen vor,
als entkleidet von aller Zufälligkeit, nur nach seinem Wesen.

Wie ein Volk aber sich den wesentlichen Menschen vorstellt, so ist es selbst, so ist sein Charakter.

Fürs erste ist hier das Wunderbare, das uns Herodot erzählt, anzuführen,
daß nämlich die Ägypter die ersten gewesen seien, welche den Gedanken ausgesprochen,
daß die Seele des Menschen unsterblich sei.

Dies aber, daß die Seele unsterblich ist, soll heißen:
sie ist ein anderes als die Natur, der Geist ist selbständig für sich.

Das Höchste bei den Indern war das Übergehen in die abstrakte Einheit, in das Nichts;
hingegen ist das Subjekt, wenn es frei ist, unendlich in sich;
das Reich des freien Geistes ist dann das Reich des Unsichtbaren, wie bei den Griechen der Hades.

Dieses stellt sich den Menschen zunächst als das Reich der Verstorbenheit,
den Ägyptern als das Totenreich dar.

Die Vorstellung, daß der Geist unsterblich ist, enthält dies,
daß das menschliche Individuum einen unendlichen Wert in sich hat.

Das bloß Natürliche erscheint vereinzelt,
ist schlechthin abhängig von anderem und hat seine Existenz in anderem:
mit der Unsterblichkeit aber ist es ausgesprochen, daß der Geist in sich selbst unendlich ist.

Diese Vorstellung wird zuerst bei den Ägyptern gefunden.

Wir müssen aber hinzufügen, daß die Seele von den Ägyptern nur vorerst als ein Atom,
d.h. als ein konkret Partikularisiertes gewußt ((266)) wurde.

Denn es knüpft sich sofort die Vorstellung der Metempsychose daran an,
die Vorstellung, daß die menschliche Seele auch einem Tierkörper inwohnen könne.

Aristoteles spricht auch von jener Vorstellung und tut sie mit wenigen Worten ab.

Jedes Subjekt, sagt er, habe seine eigentümlichen Organe für seine Tätigkeit,
so der Schmied, der Zimmermann für sein Handwerk;
ebenso habe auch die menschliche Seele ihre eigentümlichen Organe,
und ein tierischer Leib könne nicht der ihrige sein.

Pythagoras hat die Seelenwanderung in seine Lehre mit aufgenommen;
sie hat aber wenig Beifall bei den Griechen, die sich an das Konkrete hielten, finden können.

Die Inder haben nicht minder eine trübe Vorstellung davon,
indem das letzte der Übergang in die allgemeine Substanz ist.

Bei den Ägyptern ist aber wenigstens die Seele, der Geist ein Affirmatives,
wenn auch abstrakt Affirmatives.

Die Periode der Wanderung war auf dreitausend Jahre bestimmt;
sie sagen jedoch, eine Seele, die dem Osiris treu geblieben,
sei einer solchen Degradation (denn dafür halten sie es) nicht unterworfen.

Es ist bekannt, daß die Ägypter ihre Toten einbalsamierten
und ihnen dadurch eine solche Dauer gaben, daß sie sich bis zum heutigen Tage erhalten haben
und noch mehrere Jahrtausende so bestehen können.

Dies nun scheint ihrer Vorstellung von der Unsterblichkeit nicht entsprechend zu sein,
denn wenn die Seele für sich besteht, so ist die Erhaltung des Körpers etwas Gleichgültiges.

Dagegen nun kann man wiederum sagen, daß, wenn die Seele als fortdauernd gewußt wird,
dem Körper, als ihrem alten Wohnsitze, Ehre erwiesen werden müsse.

Die Parsen setzen die Körper der Toten an freie Orte, damit sie von den Vögeln verzehrt werden;
bei ihnen wird aber die Seele als ins Allgemeine zerfließend vorgestellt.

Wo sie fortdauert, da muss gleichsam auch der Körper als dieser Fortdauer angehörig betrachtet werden.

Bei uns ist freilich die Unsterblichkeit der Seele das Höhere:
der Geist ist an und für sich ewig, seine Bestimmung ist die ewige Seligkeit.

Herodot erzählt von den Ägyptern,
daß bei dem Tode eines Menschen die Weiber heulend umherlaufen,
aber die Vorstellung einer Unsterblichkeit, wie bei uns, kommt nicht als Trost hervor.

Aus dem, was früher über die Werke für die Toten gesagt worden,
sieht man, daß die Ägypter, besonders aber ihre Könige,
sich’s zum Geschäft des Lebens gemacht haben, sich ihr Grab zu bauen
und ihrem Körper eine bleibende Stätte zu geben.

Merkwürdig ist es, daß dem Toten das,
was er für die Geschäfte seines Lebens nötig hatte, mitgegeben wurde,
so dem Handwerker z.B. seine Instrumente;
Gemälde auf dem Sarge stellen das Geschäft dar, dem sich der Tote gewidmet hatte,
so daß man diesen in der ganzen Partikularität seines Standes und seiner Beschäftigung kennenlernt.

Man hat ferner viele Mumien mit einer Papyrusrolle unter dem Arme gefunden,
und dieses wurde früher als ein besonderer Schatz angesehen.

Diese Rollen enthalten aber nur vielfache Darstellungen von Geschäften des Lebens,
auch mitunter Schriften, die in der demotischen Sprache verfaßt sind;
man hat sie entziffert und dann gefunden,
daß es sämtlich Kaufbriefe über Grundstücke und dergleichen sind,
worin alles auf das Genaueste angegeben ist,
selbst die Abgaben bei der Kanzlei, die dabei entrichtet werden mußten.

Was also ein Individuum in seinem Leben erkauft hat,
das wird ihm bei seinem Tode in einer Urkunde mitgegeben.

Auf diese monumentale Weise sind wir in den Stand gesetzt,
das Privatleben der Ägypter,
wie das der Römer durch die Ruinen von Pompeji und Herkulanum, kennenzulernen.

Nach dem Tode eines Ägypters wurde über ihn Gericht gehalten.

Aber das Totengericht wurde von den Lebenden selbst bestellt,
und nicht bloß bei Privatpersonen, sondern ((268)) sogar bei Königen.

Man hat ein Königsgrab entdeckt, sehr groß und sorgfältig eingerichtet:
in den Hieroglyphen ist der Name der Hauptperson ausgelöscht,
in den Basreliefs und den Gemälden die Hauptfigur ausgemerzt,
und man hat dies eben so erklärt, daß dem Könige im Totengerichte
die Ehre abgesprochen worden ist, auf diese Weise verewigt zu werden.

Wenn der Tod die Ägypter im Leben so sehr beschäftigte,
so könnte man glauben, daß ihre Stimmung traurig gewesen sei.

Aber der Gedanke an den Tod hat keineswegs Trauer unter sie verbreitet.

Bei Gastmahlen hatten sie Abbildungen von Toten, wie Herodot erzählt, mit der Ermahnung:
iß und trink, ein solcher wirst du werden, wenn du tot bist.

Der Tod war also für sie vielmehr eine Aufforderung, das Leben zu genießen.

Er wurde dann aber auch als Vorsteher des Reichs des Unsichtbaren
und als Totenrichter in demselben vorgestellt;
später trat Serapis in dieser Funktion an seine Stelle.

Von Anubis-Hermes sagt die Mythe, daß er den Leichnam des Osiris einbalsamiert habe;
dieser Anubis ist dann auch als Seelenführer der Toten beschäftigt,
und auf den bildlichen Darstellungen
steht er, mit der Schreibtafel in der Hand, dem Totenrichter Osiris zur Seite.

Die Aufnahme der Verstorbenen in das Reich des Osiris hat dann den tieferen Sinn gehabt,
daß das Individuum mit dem Osiris vereinigt werde;
daher sieht man auch auf den Sargdeckeln die Vorstellung, daß der Tote selbst Osiris geworden ist,
und nachdem man angefangen, die Hieroglyphen zu entziffern, hat man zu finden geglaubt,
daß die Könige Götter genannt werden.

Das Menschliche und Göttliche wird so als vereinigt dargestellt.

Nehmen wir nun schließlich zusammen,
was hier über die Eigentümlichkeiten des ägyptischen Geistes nach allen Seiten hin gesagt worden ist,
so ist die Grundanschauung, daß die beiden Elemente der Wirklichkeit,
der in die Natur ((269)) versunkene Geist und der Trieb zu seiner Befreiung,
hier im Widerstreite zusammengezwungen sind.

Wir sehen den Widerspruch der Natur und des Geistes, nicht die unmittelbare Einheit,
auch nicht die konkrete, wo die Natur nur als Boden für die Manifestation des Geistes gesetzt ist;
gegen die erste und die zweite dieser Einheiten steht die ägyptische als widersprechende in der Mitte.

Die Seiten dieser Einheit sind in abstrakter Selbständigkeit und ihre Einheit nur als Aufgabe vorgestellt.

Wir haben daher auf der einen Seite eine ungeheure Befangenheit und Gebundenheit an die Partikularität,
wilde Sinnlichkeit mit afrikanischer Härte, Tierdienst, Genuß des Lebens.

Es wird erzählt, eine Frau habe auf öffentlichem Markte mit einem Bocke Sodomiterei getrieben; Menschenfleisch und Blut, erzählt Juvenal, sei aus Rache gegessen und getrunken worden.

Die andere Seite ist das Ringen des Geistes nach seiner Befreiung, die Phantasterei der Gebilde
neben dem abstrakten Verstande der mechanischen Arbeiten zur Produktion dieser Gebilde.

Dieselbe Verständigkeit, Kraft der Verwandlung des Partikulären
und feste Besonnenheit, die über der unmittelbaren Erscheinung steht,
zeigt sich in der Staatspolizei und dem Staatsmechanismus, in der Benutzung des Landes usf.;
und der Gegensatz dazu ist die harte Gebundenheit an die Sitten
und der Aberglaube, dem der Mensch unerbittlich unterworfen ist.

Mit dem Verstande des gegenwärtigen Lebens hängt das Extrem des Dranges,
der Keckheit, der Gärung zusammen.

Die Züge zeigen sich zusammen in den Geschichten, welche Herodot von den Ägyptern erzählt.

Sie haben viele Ähnlichkeit mit den Märchen von Tausend und eine Nacht,
und wenngleich diese zum Ort der Erzählung Bagdad haben,
so ist ihr Ursprung doch ebensowenig allein an diesem üppigen Hof als nur bei den Arabern zu finden,
sondern vielmehr auch in Ägypten, wie auch Herr von Hammer° meint.

Die Welt der Araber ist eine ganz andere ((270)) als diese Phantasterei und Zauberei
sie hat viel einfachere Leidenschaften und Interessen:
Liebe, Kriegsmut, das Pferd, das Schwert sind die Gegenstände in ihren eigentümlichen Liedern.

Übergang zur griechischen Welt

Nach allen Seiten hin hat sich der ägyptische Geist
als beschlossen in seinen Partikularitäten,
als gleichsam tierisch fest darin gezeigt,
aber ebenso im unendlichen Drange
sich darin bewegend und herumwerfend von der einen in die andere.

Es geschieht nicht, daß dieser Geist
sich zum Allgemeinen und Höheren erhebe,
denn er ist gleichsam erblindet für dasselbe,
auch nicht, daß er in sein Inneres zurückgehe;
aber er symbolisiert frei und keck mit dem Partikulären
und ist desselben schon mächtig.

Es kommt nun bloß darauf an,
die Partikularität, die an sich schon ideell ist, auch als ideell zu setzen
und das Allgemeine, das an sich schon frei ist, selbst zu fassen.

Der freie heitere Geist Griechenlands ist es,
welcher dieses vollbringt und daraus hervorgeht.

Im orientalischen Geiste bleibt als Grundlage
die gediegene Substantialität des in die Natur versenkten Geistes;
dem ägyptischen Geiste ist, obzwar ebenso noch in unendlicher Befangenheit,
doch die Unmöglichkeit geworden, es in ihr auszuhalten.

Die derbe afrikanische Natur hat jene Einheit auseinandergetrieben
und hat die Aufgabe gefunden, deren Lösung der freie Geist ist.

Daß aber vor dem Bewußtsein der Ägypter
ihr Geist selbst in Form einer Aufgabe gewesen ist, darüber können wir uns
auf die berühmte Inschrift des Allerheiligsten der Göttin Neith zu Saïs berufen:
“Ich bin, was da ist, was war und sein wird: niemand hat meine Hülle gelüftet.”

Hierin ist ((271)) ausgesprochen, was der ägyptische Geist sei,
obgleich man oft die Meinung gehabt hat, es gelte dieser Satz für alle Zeiten.

Vom Proklos wird hier noch der Zusatz angegeben:

“Die Frucht, die ich gebar, ist Helios.”

Das sich selbst Klare also ist das Resultat jener Aufgabe und die Lösung.

Dieses Klare ist der Geist, der Sohn der Neith,
der verborgenen nächtlichen Gottheit.

In der ägyptischen Neith ist die Wahrheit noch verschlossen,
der griechische Apoll ist die Lösung;
sein Ausspruch ist: Mensch erkenne dich selbst.

In diesem Spruche ist nicht etwa
die Selbsterkenntnis der Partikularitäten seiner Schwächen und Fehler gemeint;
es ist nicht der partikuläre Mensch, der seine Besonderheit erkennen soll,
sondern der Mensch überhaupt soll sich selbst erkennen.

Dieses Gebot ist für die Griechen gegeben,
und im griechischen Geist stellt sich das Menschliche in seiner Klarheit
und in der Herausbildung desselben dar.

Wunderbar muss uns nun die griechische Erzählung überraschen, welche berichtet,
daß die Sphinx, das ägyptische Gebilde, in Theben erschienen sei,
und zwar mit den Worten:

“Was ist das, was morgens auf vier Beinen geht,
mittags auf zweien und abends auf dreien?”

Ödipus mit der Lösung, daß dies der Mensch sei,
stürzte die Sphinx vom Felsen.

Die Lösung und Befreiung des orientalischen Geistes,
der sich in Ägypten bis zur Aufgabe gesteigert hat, ist allerdings dies:
daß das Innere der Natur der Gedanke ist,
der nur im menschlichen Bewußtsein seine Existenz hat.

Aber diese alte Lösung durch Ödipus, der sich so als Wissender zeigt,
ist mit ungeheurer Unwissenheit verknüpft über das, was er selbst tut.

Der Aufgang geistiger Klarheit in dem alten Königshause
ist noch mit Greueln aus Unwissenheit gepaart,
und diese erste Herrschaft der Könige
muss sich erst, um zu wahrem Wissen und sittlicher Klarheit zu werden,
durch bürgerliche Gesetze und politische Freiheit gestalten
und zum schönen Geist versöhnen.

Der innere Übergang zu Griechenland oder der nach dem Begriffe
macht sich so vom ägyptischen Geiste aus;
Ägypten ((272)) aber ist eine Provinz des großen persischen Reichs geworden,
und der geschichtliche Übergang
tritt bei der Berührung der persischen und griechischen Welt ein.

Wir sind hier zum erstenmal bei einem geschichtlichen Übergang,
das heißt bei einem untergegangenen Reich.

China und Indien sind, wie wir schon gesagt haben, geblieben, Persien nicht;
der Übergang zu Griechenland ist zwar innerlich,
hier aber wird er auch äußerlich, als Übergang der Herrschaft,
eine Tatsache, die von nun an immer wieder eintritt.

Denn die Griechen übergeben den Römern den Herrscherstab und die Kultur,
und die Römer werden von den Germanen unterworfen.

Betrachten wir dieses Übergehen näher,
so fragt sich zum Beispiel sogleich bei Persien, warum es sank,
während China und Indien dauern.

Zuvörderst muss hier das Vorurteil entfernt werden,
als wenn die Dauer, gegen das Vergehen gehalten,
etwas Vortrefflicheres wäre:
die unvergänglichen Berge sind nicht vorzüglicher
als die schnell entblätterte Rose in ihrem verduftenden Leben.

In Persien beginnt das Prinzip des freien Geistes gegen die Natürlichkeit,
und diese natürliche Existenz also blüht ab, sinkt hin;
das Prinzip der Trennung von der Natur liegt im persischen Reiche,
und es steht daher höher als jene im Natürlichen versenkten Welten.

Die Notwendigkeit des Fortschreitens hat sich dadurch aufgetan,
der Geist hat sich erschlossen und muss sich vollbringen.

Der Chinese hat erst als Verstorbener Geltung;
der Inder tötet sich selbst, versenkt sich in Brahman,
ist lebendig tot im Zustande vollendeter Bewußtlosigkeit
oder ist gegenwärtiger Gott durch die Geburt;
da ist keine Veränderung, kein Fortschreiten gesetzt,
denn der Fortgang ist nur möglich
durch das Hinstellen der Selbständigkeit des Geistes.

Mit dem Lichte der Perser beginnt die geistige Anschauung,
und in derselben nimmt der Geist Abschied von der Natur.

Daher finden wir auch hier zuerst, was schon oben bemerkt werden musste,
daß die Gegenständlichkeit frei bleibt,
d.h. daß die Völker nicht unterjocht,
sondern in ihrem Reichtum, ihrer Verfassung, ihrer Religion belassen werden.

((273)) Und zwar ist dies die Seite,
in welcher eben Persien gegen Griechenland sich schwach erweist.

Denn wir sehen, daß die Perser
kein Reich mit vollendeter Organisation errichten konnten,
daß sie ihr Prinzip nicht in die eroberten Länder einbildeten
und daraus kein Ganzes,
sondern nur ein Aggregat der verschiedensten Individualitäten hervorbrachten.

Die Perser haben bei diesen Völkern keine innerliche Legitimität erhalten;
sie haben ihre Rechte und Gesetze nicht geltend gemacht,
und als sie sich selbst eine Ordnung gaben,
sahen sie nur auf sich und nicht auf die größe ihres Reiches.

Indem auf diese Weise Persien nicht politisch ein Geist war,
erschien es gegen Griechenland schwach.

Nicht die Weichlichkeit der Perser (obgleich sie Babylon wohl schwächte)
ließ sie sinken,
sondern das Massenhafte, Unorganisierte ihres Heeres
gegen griechische Organisation,
d.h. das höhere Prinzip überwand das untergeordnete.

Das abstrakte Prinzip der Perser erschien in seinem Mangel
als unorganisierte, nicht konkrete Einheit disparater Gegensätze,
worin die persische Lichtanschauung
neben syrischem Genuß- und Wohlleben,
neben der Betriebsamkeit und dem Mut der erwerbenden
und den Gefahren der See trotzenden Phönizier,
neben der Abstraktion des reinen Gedankens der jüdischen Religion
und dem inneren Drange Ägyptens bestand,
- ein Aggregat von Elementen, die ihre Idealität erwarteten
und diese nur in der freien Individualität erhalten konnten.

Die Griechen sind als das Volk anzusehen,
in welchem diese Elemente ihre Durchdringung erhielten,
indem der Geist sich in sich vertiefte, über die Partikularitäten siegte
und dadurch sich selbst befreite. ((274))