[Die Antike] ZWEITER TEIL. Die griechische Welt

Erster Abschnitt: Die Elemente des griechischen Geistes277
Zweiter Abschnitt: Die Gestaltungen der schönen Individualität295
Erstes Kapitel. Das subjektive Kunstwerk 295)Drittes Kapitel. Das politische Kunstwerk 306)
Athen 316)Der Peloponnesische Krieg 324)
Dritter Abschnitt: Der Untergang des griechischen Geistes335

Zweiter Teil Die griechische Welt

Bei den Griechen fühlen wir uns sogleich heimatlich,
denn wir sind auf dem Boden des Geistes,
und wenn der nationale Ursprung sowie der Unterschied der Sprachen
sich weiter hin nach Indien verfolgen läßt,
so ist doch das eigentliche Aufsteigen und die wahre Wiedergeburt des Geistes
erst in Griechenland zu suchen.

Ich habe früher bereits die griechische Welt mit dem Jugendalter verglichen,
und zwar nicht in dem Sinne,
wie die Jugend eine ernsthafte, künftige Bestimmung in sich trägt
und somit notwendig zur Bildung für einen weiteren Zweck hindrängt,
wie sie also eine für sich durchaus unvollendete und unreife Gestalt
und gerade dann am meisten verkehrt ist, wenn sie sich für fertig ansehen wollte;
sondern in dem Sinne, daß die Jugend noch nicht die Tätigkeit der Arbeit,
noch nicht das Bemühen um einen beschränkten Verstandeszweck,
sondern vielmehr die konkrete Lebensfrische des Geistes ist:
sie tritt in der sinnlichen Gegenwart auf,
als der verkörperte Geist und die vergeistigte Sinnlichkeit,
- in einer Einheit, die aus dem Geiste hervorgebracht ist.

Griechenland bietet uns den heiteren Anblick der Jugendfrische des geistigen Lebens.

Hier ist es zuerst, wo der Geist herangereift
sich selbst zum Inhalt seines Wollens und seines Wissens erhält,
aber auf die Weise,
daß Staat, Familie, Recht, Religion zugleich Zwecke der Individualität sind
und diese nur durch jene Zwecke Individualität ist.

Der Mann dagegen lebt in der Arbeit eines objektiven Zwecks,
den er konsequent verfolgt, auch gegen seine Individualität.

Die höchste Gestalt, die der griechischen Vorstellung vorgeschwebt hat,
ist Achill, der Sohn des Dichters,
der Homerische Jüngling aus dem Trojanischen Krieg.

Homer ist das Element, worin die griechische Welt lebt,
wie der Mensch in der Luft.

Achill, der poetische Jüngling, hat es eröffnet,
und Alexander der große, der wirkliche Jüngling, hat es zu Ende geführt.

Beide erscheinen Im Kampf gegen Asien.

Achill, als Hauptfigur Im Nationalunternehmen der Griechen gegen Troja,
steht nicht an der Spitze desselben,
sondern ist dem König der Könige untertan;
er kann nicht Führer sein, ohne phantastisch zu werden.

Dagegen der zweite Jüngling, Alexander,
die freieste und schönste Individualität, welche die Wirklichkeit je getragen,
tritt an die Spitze des in sich reifen Jugendlebens
und vollführt die Rache gegen Asien.

Wir haben nun in der griechischen Geschichte drei Abschnitte zu unterscheiden:
der erste ist der des Werdens der realen Individualität,
der zweite der Ihrer Selbständigkeit und ihres Glückes im Siege nach außen,
durch die Berührung mit dem früheren weltgeschichtlichen Volke,
der dritte endlich die Periode des Sinkens und des Verfalles,
bei dem Zusammentreffen mit dem späteren Organe der Weltgeschichte.

Die Periode des Anfangs bis zur inneren Vollendung,
wodurch es einem Volke möglich wird, es mit dem früheren aufzunehmen,
enthält die erste Bildung desselben.

Hat das Volk eine Voraussetzung, wie die griechische Welt an der orientalischen,
so tritt in seinen Anfang eine fremde Kultur hinein,
und es hat eine doppelte Bildung, einerseits aus sich, andererseits aus fremder Anregung.

Dies Doppelte zur Vereinigung zu bringen, ist seine Erziehung,
und die erste Periode endigt
mit dem Zusammenfassen zur realen, eigentümlichen Kräftigkeit,
welche sich dann selbst gegen ihre Voraussetzung wendet.

Die zweite Periode ist die des Sieges und des Glücks.

Indem aber das Volk nach außen gekehrt ist,
läßt es seine Bestimmungen im Innern los,
und es bildet sich Zwietracht im Innern,
wenn die Spannung nach außen aufgehört hat.

Auch in Kunst und Wissenschaft zeigt sich dies
an der Trennung des Idealen von dem Realen.

Hier ist der Punkt des Sinkens.

Die dritte Periode ist die des Untergangs
durch die Berührung mit dem Volke, aus welchem der höhere Geist hervorgeht.

Demselben Gang, wir können es ein für allemal ((276)) sagen,
werden wir überhaupt in dem Leben eines jeden weltgeschichtlichen Volkes begegnen.


Erster Abschnitt Die Elemente des griechischen Geistes [innere Bildung]

Griechenland ist die Substanz, welche zugleich individuell ist:
das Allgemeine als solches ist überwunden,
das Versenktsein in die Natur ist aufgehoben,
und so ist denn auch das Massenhafte der geographischen Verhältnisse verschwunden.

Das Land besteht aus einem Erdreich,
das auf vielfache Weise im Meere zerstreut ist,
aus einer Menge von Inseln und einem festen Lande, welches selbst inselartig ist.

Nur durch eine schmale Erdzunge ist der Peloponnes mit demselben verbunden;
ganz Griechenland wird durch Buchten vielfach zerklüftet.

Alles ist in kleine Partien zerteilt
und zugleich in leichter Beziehung und Verbindung durch das Meer.

Berge, schmale Ebenen, kleine Täler und Flüsse treffen wir in diesem Lande an;
es gibt dort keinen großen Strom und keine einfache Talebene,
sondern der Boden Ist durch Berge und Flüsse verschieden gestaltet,
ohne daß eine einzige großartige Masse hervortritt.

Wir finden nicht diese orientalische physische Macht,
nicht einen Strom, wie den Ganges, den Indus usw.,
in deren Ebenen ein einförmiges Geschlecht zu keiner Veränderung eingeladen wird,
weil sein Horizont immer nur dieselbe Gestalt zeigt,
sondern durchaus jene Verteiltheit und Vielfältigkeit,
die der mannigfachen Art griechischer Völkerschaften
und der Beweglichkeit des griechischen Geistes vollkommen entspricht.

Dies ist der elementarische Charakter des griechischen Geistes,
welcher es schon mit sich bringt,
daß die Bildung von selbständigen Individualitäten ausgeht,
von einem Zustand, in dem die Einzelnen auf sich stehen
und nicht schon durch das Naturband patriarchalisch von Hause aus vereint sind,
((277)) sondern sich erst in einem anderen Medium,
in Gesetz und geistiger Sitte, zusammentun.

Denn das griechische Volk ist vornehmlich erst zu dem, was es war, geworden.

Bei der Ursprünglichkeit der nationalen Einheit ist die Zerteilung überhaupt,
die Fremdartigkeit in sich selbst, das Hauptmoment, das zu betrachten ist.

Die erste Überwindung derselben
macht die erste Periode der griechischen Bildung aus:
und nur durch solche Fremdartigkeit und durch solche Überwindung
ist der schöne, freie griechische Geist geworden.

Über dieses Prinzip müssen wir ein Bewußtsein haben.

Es ist eine oberflächliche Torheit, sich vorzustellen,
daß ein schönes und wahrhaft freies Leben so aus der einfachen Entwicklung
eines in seiner Blutsverwandtschaft und Freundschaft bleibenden Geschlechts
hervorgehen könne.

Selbst die Pflanze,
die das nächste Bild solcher ruhigen, in sich nicht entfremdeten Entfaltung abgibt,
lebt und wird nur durch die gegensätzliche Tätigkeit von Licht, Luft und Wasser.

Der wahrhafte Gegensatz, den der Geist haben kann, ist geistig;
es ist seine Fremdartigkeit in sich selbst,
durch welche allein er die Kraft, als Geist zu sein, gewinnt.

Die Geschichte Griechenlands zeigt in ihrem Anfange diese Wanderung und Vermischung
von zum Teil einheimischen, zum Teil ganz fremdartigen Stämmen;
und gerade Attika,
dessen Volk den höchsten Gipfel griechischer Blüte erreichen sollte,
war der Zufluchtsort der verschiedensten Stämme und Familien.

Jedes welthistorische Volk,
außer den asiatischen Reichen,
die außer dem Zusammenhange der Weltgeschichte stehen,
hat sich auf diese Weise gebildet.

So haben sich die Griechen, wie die Römer,
aus einer colluvies, aus einem Zusammenfluß der verschiedensten Nationen entwickelt.

Von der Menge von Völkerschaften, welche wir in Griechenland antreffen,
ist nicht anzugeben, welche eigentlich die ursprünglich griechischen gewesen
und welche aus fremden Ländern und Weltteilen eingewandert seien,
denn die Zeit, von der wir hier sprechen,
ist überhaupt eine Zeit des Ungeschichtlichen und Trüben.

Ein Hauptvolk in Griechenland waren damals ((278)) die Pelasger;
die verwirrten und sich widersprechenden Nachrichten, welche wir von ihnen haben,
sind von den Gelehrten
auf die mannigfaltigste Weise in Einklang zu bringen versucht worden,
da eben eine trübe und dunkle Zeit
ein besonderer Gegenstand und Anspornung der Gelehrsamkeit ist.

Als früheste Punkte einer angehenden Kultur machen sich Thrakien,
das Vaterland des Orpheus, und dann Thessalien,
Landschaften, die später mehr oder weniger zurücktreten, bemerklich.

Von Phthiotis, dem Vaterlande Achills,
geht der gemeinschaftliche Name der Hellenen aus,
ein Name, der nach Thukydides’ Bemerkung
in diesem zusammenfassenden Sinn ebensowenig beim Homer vorkommt
als der Name Barbaren, von denen sich die Griechen noch nicht bestimmt unterschieden.

Es muss der Spezialgeschichte überlassen bleiben,
die einzelnen Stämme und ihre Umwandlungen zu verfolgen.

Im allgemeinen ist anzunehmen,
daß die Stämme und Individuen leicht ihr Land verließen,
wenn eine zu große Menge von Einwohnern dasselbe überfüllte,
und daß infolgedessen die Stämme sich im Zustande des Wanderns
und der gegenseitigen Beraubung befanden.

Noch bis jetzt, sagt der sinnige Thukydides,
haben die Ozolischen Lokrer, Ätoler und Akarnanen die alte Lebensart;
auch hat sich bei ihnen die Sitte, Waffen zu tragen, aus dem alten Raubwesen erhalten.

Von den Atheniensern sagt er,
daß sie die ersten waren, welche die Waffen im Frieden ablegten.

Bei solchem Zustande wurde kein Ackerbau getrieben;
die Einwohner hatten sich nicht nur gegen Räuber zu verteidigen,
sondern auch den Kampf mit wilden Tieren zu bestehen
(noch zu Herodots Zeit hausten viele Löwen am Nestos und am Acheloos);
später wurde besonders zahmes Vieh der Gegenstand der Plünderung,
und selbst nachdem der Ackerbau schon allgemeiner geworden war,
wurden noch Menschen geraubt und als Sklaven verkauft.

Dieser griechische Urzustand wird uns von Thukydides noch weiter ausgemalt.

Griechenland war also in diesem Zustand der Unruhe,
der ((279)) Unsicherheit, der Räuberei,
und seine Völkerschaften fortwährend auf der Wanderung.

Das andere Element, auf welchem das Volk der Hellenen lebte, war das Meer.

Die Natur ihres Landes brachte sie zu dieser Amphibienexistenz
und ließ sie frei auf den Wellen schweben,
wie sie sich frei auf dem Lande ausbreiteten,
weder gleich den nomadischen Völkerschaften umherschweifend
noch wie die Völker der Flußgebiete verdumpfend.

Die Seeräubereien, nicht der Handel, machten den Hauptinhalt der Schiffahrt aus,
und wie wir aus Homer sehen, galten diese überhaupt noch gar nicht für eine Schande.

Dem Minos wird die Unterdrückung der Seeräuberei zugeschrieben
und Kreta als das Land gerühmt, wo zuerst die Verhältnisse fest wurden;
es trat nämlich daselbst früh der Zustand ein,
welchen wir nachher in Sparta wiederfinden, daß eine herrschende Partei war
und eine andere, die ihr zu dienen und die Arbeiten zu verrichten gezwungen war.

Wir haben soeben von der Fremdartigkeit
als von einem Elemente des griechischen Geistes gesprochen,
und es ist bekannt, daß die Anfänge der Bildung
mit der Ankunft der Fremden in Griechenland zusammenhängen.

Diesen Ursprung des sittlichen Lebens
haben die Griechen mit dankbarem Andenken in einem Bewußtsein,
das wir mythologisch nennen können, bewahrt:
in der Mythologie hat sich die bestimmte Erinnerung
der Einführung des Ackerbaues durch Triptolemos,
der von der Ceres unterrichtet war, erhalten,
sowie die der Stiftung der Ehe usw.

Dem Prometheus, dessen Vaterland nach dem Kaukasus hin verlegt wird,
ist es zugeschrieben, daß er die Menschen zuerst gelehrt habe, das Feuer zu erzeugen
und von demselben Gebrauch zu machen.

Die Einführung des Eisens war den Griechen ebenfalls sehr wichtig,
und während Homer nur von Erz spricht, nennt Aischylos das Eisen skythisch.

Auch die Einführung des Ölbaumes, die Kunst des Spinnens und Webens,
die Erschaffung des Pferdes durch Poseidon gehören hierher. ((280))

Geschichtlicher als diese Anfänge ist dann die Ankunft der Fremden;
es wird angegeben, wie die verschiedenen Staaten von Fremden gestiftet worden sind.

So wird Athen vom Kekrops gegründet,
einem Ägypter, dessen Geschichte aber in Dunkel gehüllt ist.

Das Geschlecht des Deukalion, des Sohnes des Prometheus,
wird mit den unterschiedenen Stämmen in Zusammenhang gebracht.

Ferner wird Pelops aus Phrygien, Sohn des Tantalos, erwähnt;
dann Danaos aus Ägypten: von ihm stammen Akrisios, Danae und Perseus ab.

Pelops soll mit großem Reichtum nach dem Peloponnes gekommen sein
und sich dort großes Ansehen und Macht verschafft haben.

Danaos siedelte sich in Argos an.

Besonders wichtig ist die Ankunft des Kadmos, phönizischen Ursprungs,
mit dem die Buchstabenschrift nach Griechenland gekommen sein soll;
von ihr sagt Herodot, daß sie phönizisch gewesen sei,
und alte, damals noch vorhandene Inschriften werden angeführt,
um die Behauptung zu unterstützen.

Kadmos soll, der Sage nach, Theben gegründet haben.

Wir sehen also eine Kolonisation von gebildeten Völkern,
die den Griechen in der Bildung schon voraus waren;
doch kann man diese Kolonisation nicht mit der der Engländer in Nordamerika vergleichen,
denn diese haben sich nicht mit den Einwohnern vermischt, sondern dieselben verdrängt,
während sich durch die Kolonisten Griechenlands
Eingeführtes und Autochthonisches zusammenmischte.

Die Zeit, in welche die Ankunft dieser Kolonisten gesetzt wird,
steigt sehr weit hinauf und fällt in das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert vor Chr. Geburt.

Kadmos soll Theben gegen das Jahr 1490 gegründet haben,
eine Zeit, die mit dem Auszug Moses aus Ägypten (1 500 Jahre v. Chr. Geburt)
ungefähr zusammenfällt.

Auch Amphiktyon wird unter den Stiftern in Hellas genannt:
er soll in Thermopylä einen Bund zwischen mehreren kleinen Völkerschaften
des eigentlichen Hellas und Thessaliens gestiftet haben,
woraus später der große Amphiktyonenbund entstanden ist. ((281))

Diese Fremdlinge haben nun feste Mittelpunkte in Griechenland
durch die Errichtung von Burgen und die Stiftung von Königshäusern gebildet.

Die Mauerwerke, aus denen die alten Burgen bestanden,
wurden in Argolis zyklopische genannt;
man hat dergleichen auch noch in neueren Zeiten gefunden,
da sie wegen ihrer Festigkeit unzerstörbar sind.

Diese Mauern sind zum Teil aus unregelmäßigen Blöcken,
deren Zwischenräume mit kleinen Steinen ausgefüllt wurden,
zum Teil aus sorgfältig ineinandergefügten Steinmassen konstruiert.

Solche Mauern sind die von Tiryns und von Mykenä.

Noch gegenwärtig erkennt man das Tor mit dem Löwen von Mykenä
nach der Beschreibung des Pausanias.

Von Proitos, der in Argos herrschte, wird angegeben,
daß er die Zyklopen, welche diese Mauern gebaut, aus Lykien mitgebracht habe.

Man nimmt jedoch an, daß sie von den alten Pelasgern errichtet worden seien.

Auf den von solchen Mauern geschützten Burgen
legten die Fürsten der Heroenzeit meist ihre Wohnungen an.

Besonders merkwürdig sind die von ihnen gebauten Schatzhäuser,
dergleichen das Schatzhaus des Minyas zu Orchomenos, des Atreus zu Mykenä sind.

Diese Burgen wurden nun die Mittelpunkte für kleine Staaten:
sie gaben eine größere Sicherheit für den Ackerbau,
sie schützten den Verkehr gegen Räuberei.

Dennoch wurden sie, wie Thukydides berichtet,
wegen der allgemeinen Seeräuberei nicht unmittelbar am Meer angelegt,
an welchem erst späterhin Städte erscheinen.

Von jenen Königshäusern ging also die erste Festigkeit eines Zusammenlebens aus.

Das Verhältnis der Fürsten zu den Untertanen und zueinander selbst
erkennen wir am besten aus dem Homer:
es beruhte nicht auf einem gesetzlichen Zustand,
sondern auf der Übermacht des Reichtums, des Besitzes, der Bewaffnung,
der persönlichen Tapferkeit, auf dem Vorzug der Einsicht und Weisheit
und endlich der Abstammung und der Ahnen;
denn die Fürsten als Heroen wurden für höheren Geschlechts angesehen.

Die Völker waren ihnen untergeben,
nicht als durch ein Kastenverhältnis von ihnen unterschieden,
noch ((282)) als unterdrückt,
noch im patriarchalischen Verhältnisse,
wonach das Oberhaupt
nur Vorsteher des gemeinschaftlichen Stammes oder der Familie ist,
noch auch in dem ausdrücklichen Bedürfnisse einer gesetzlichen Regierung,
sondern nur in dem allgemeinen Bedürfnisse, zusammengehalten zu werden
und dem Herrscher, der die Gewohnheit zu befehlen hat, zu gehorchen,
ohne Neid und üblen Willen gegen denselben.

Der Fürst hat die persönliche Autorität, die er sich zu geben
und die er zu behaupten weiß;
da aber diese Überlegenheit nur die individuell heroische ist
durch das persönliche Verdienst, so hält sie nicht lange aus.

So sehen wir im Homer die Freier der Penelope
sich in Besitz der Habe des abwesenden Odysseus setzen,
ohne dessen Sohn im geringsten zu achten.

Achilles erkundigt sich nach seinem Vater, als Odysseus nach der Unterwelt kommt,
und meint, da er alt sei, würden sie ihn wohl nicht mehr ehren.

Die Sitten sind noch sehr einfach:
die Fürsten bereiten sich selbst das Essen zu,
und Odysseus zimmert sich selber sein Haus.

In Homers Ilias sehen wir einen König der Könige,
einen Chef der großen Nationalunternehmung,
aber die anderen Mächtigen umgeben ihn als freier Rat;
der Fürst wird geehrt, aber er muss alles so einrichten, daß es den anderen gefalle;
er erlaubt sich Gewalttätigkeiten gegen den Achilles,
aber dieser zieht sich dafür auch vom Kampfe zurück.

Ebenso lose ist das Verhältnis der einzelnen Fürsten zur Menge,
unter welcher sich immer einzelne finden,
welche Gehör und Achtung in Anspruch nehmen.

Die Völker fechten nicht als Söldner des Fürsten in seinen Schlachten,
noch als eine stumpfe leibeigene Herde, die nur hineingetrieben wird,
noch in ihrem eigenen Interesse,
sondern als Begleiter ihres geehrten Vorstandes,
als Zeugen seiner Taten und seines Ruhms
und als seine Verteidiger, wenn er in Not käme.

Eine vollkommene Ähnlichkeit mit diesen Verhältnissen
bietet auch die Götterwelt dar.

Zeus ist der Vater der Götter, aber jeder von ihnen hat seinen eigenen Willen,
Zeus respektiert sie und diese ihn;
er zankt sie wohl bisweilen aus und droht ihnen, ((283))
und sie lassen ihm dann seinen Willen oder ziehen sich schmollend zurück;
aber sie lassen es nicht aufs Äußerste ankommen,
und Zeus macht es im ganzen so, dem einen dies, dem andern jenes gewährend,
daß sie zufrieden sein können.

Es ist also auf der irdischen wie auf der olympischen Welt
nur ein lockeres Band der Einheit bestehend;
das Königtum ist noch keine Monarchie,
denn das Bedürfnis derselben findet sich erst in einer weiteren Gesellschaft.


[Trojanischer Krieg]

In diesem Zustande, bei diesen Verhältnissen
ist das Auffallende und große geschehen,
daß ganz Griechenland zu einer Nationalunternehmung,
nämlich zum Trojanischen Krieg, zusammenkam
und daß damit eine weitere Verbindung mit Asien begann,
die für die Griechen sehr folgenreich war.

(Der Zug des Jason nach Kolchis, dessen die Dichter ebenfalls Erwähnung tun
und der diesem Unternehmen voranging, ist dagegengehalten etwas sehr Vereinzeltes gewesen.)

Als Veranlassung dieser gemeinsamen Angelegenheit wird angegeben,
daß ein Fürstensohn aus Asien sich der Verletzung des Gastrechts
durch Raub der Frau des Gastfreundes schuldig gemacht habe.

Agamemnon versammelt die Fürsten Griechenlands
durch seine Macht und sein Ansehen;
Thukydides schreibt seine Autorität sowohl seiner angeerbten Herrschaft
als auch der Seemacht zu (Homer, Ilias 2, 108),
worin er den anderen weit überlegen war;
doch scheint es, daß die Vereinigung ohne äußere Gewalt zustande kam
und daß das Ganze sich auf einfache persönliche Weise zusammengefunden hatte.

Die Hellenen sind dazu gekommen, in einer Gesamtheit aufzutreten,
wie nachher nie wieder.

Der Erfolg ihrer Anstrengungen war die Eroberung und Zerstörung von Troja,
ohne daß sie die Absicht hatten, dasselbe zu einem bleibenden Besitze zu machen.

Ein äußerliches Resultat der Niederlassung in diesen Gegenden ist also nicht erfolgt;
ebensowenig als die Vereinigung der Nation zu dieser einzelnen Tat
eine dauernde politische Vereinigung geworden ist.

Aber der Dichter hat der Vorstellung des griechischen Volks
ein ewiges Bild ihrer Jugend ((284)) und ihres Geistes gegeben,
und das Bild dieses schönen menschlichen Heldentums
hat dann ihrer ganzen Entwicklung und Bildung vorgeschwebt.

So sehen wir auch im Mittelalter die ganze Christenheit sich zu einem Zwecke,
der Eroberung des Heiligen Grabes verbinden,
aber trotz allen Siegen am Ende ebenso erfolglos.

Die Kreuzzüge sind der Trojanische Krieg der eben erwachenden Christenheit
gegen die einfache, sich selbst gleiche Klarheit des Mohammedanismus.

Die Königshäuser gingen teils durch individuelle Greuel zugrunde,
teils erloschen sie nach und nach;
es war keine eigentliche sittliche Verbindung zwischen ihnen und den Völkern vorhanden.

Diese Stellung haben das Volk und die Königshäuser auch in der Tragödie:
das Volk ist der Chor, passiv, tatlos,
die Heroen verrichten die Taten und tragen die Schuld.

Es ist nichts Gemeinschaftliches zwischen ihnen;
das Volk hat keine richtende Gewalt,
sondern appelliert nur an die Götter.

Solche heroische Individualitäten wie die der Fürsten,
sind deshalb so ausgezeichnet fähig, Gegenstände der dramatischen Kunst zu sein,
da sie selbständig und individuell sich entschließen
und nicht durch allgemeine Gesetze, die für jeden Bürger gelten, geleitet werden;
ihre Tat und ihr Untergang ist individuell.

Das Volk erscheint getrennt von den Königshäusern,
und diese gelten als etwas Fremdartiges,
als etwas Höheres, das seine Schicksale in sich auskämpft und ausleidet.

Die Königswürde, nachdem sie das geleistet, was sie zu leisten hatte,
hat eben damit sich überflüssig gemacht.

Die Königsgeschlechter zerstören sich in sich oder verkommen,
ohne Haß, ohne Kampf von seiten der Völker;
man läßt die Familien der Herrscher vielmehr im ruhigen Genuß ihres Vermögens,
ein Zeichen, daß die darauf folgende Volksherrschaft
nicht als etwas absolut Verschiedenes betrachtet wird.

Wie sehr stechen dagegen die Geschichten anderer Zeiten ab!

Dieser Fall der Königshäuser tritt nach dem Trojanischen Kriege ein,
und manche Veränderungen kommen nunmehr ((285)) vor.

Der Peloponnes wurde durch die Herakliden erobert,
die einen beruhigteren Zustand herbeiführten, der nun nicht mehr
durch die unaufhörlichen Wanderungen der Völkerschaften unterbrochen wurde.

Die Geschichte tritt wieder mehr ins Dunkel zurück,
und wenn die einzelnen Begebenheiten des Trojanischen Krieges
uns sehr genau bekannt sind,
so sind wir über die wichtigen Angelegenheiten der nächstfolgenden Zeit
um mehrere Jahrhunderte ungewiß.

Kein gemeinschaftliches Unternehmen zeichnet dieselben aus,
wenn wir nicht als solches ansehen wollen, wovon Thukydides erzählt,
daß nämlich am Kriege der Chalkidier in Euböa mit den Eretriern
mehrere Völkerschaften teilgenommen haben.

Die Städte vegetieren für sich
und zeichnen sich höchstens durch den Krieg mit den Nachbarn aus.

Doch gedeihen dieselben in dieser Isoliertheit besonders durch den Handel,
ein Fortschritt, dem ihr Zerrissensein durch manche Parteikämpfe nicht entgegentritt.

Auf gleiche Weise sehen wir im Mittelalter die Städte Italiens,
die sowohl innerhalb als nach außen zu im beständigen Kampfe begriffen waren,
zu einem so hohen Flore gelangen.

Das große Gedeihen der griechischen Städte in damaliger Zeit
beweisen auch, nach Thukydides, die nach allen Seiten hin verschickten Kolonien:
so besetzte Athen mit seinen Kolonien Ionien und eine Menge Inseln;
vom Peloponnes aus ließen sich Kolonien in Italien und Sizilien nieder.

Kolonien wurden dann wieder relative Mutterstädte,
wie z.B. Milet, das viele Städte an der Propontis und am Schwarzen Meere gründete.

Diese Ausschickung von Kolonien,
besonders im Zeitraum nach dem Trojanischen Kriege bis auf Kyros,
ist hier eine eigentümliche Erscheinung.

Man kann sie also erklären.

In den einzelnen Städten hatte das Volk die Regierungsgewalt in Händen,
indem es die Staatsangelegenheiten in höchster Instanz entschied.

Durch die lange Ruhe nun nahm die Bevölkerung und Entwicklung sehr zu,
und ihre nächste Folge war die Anhäufung eines großen Reichtums,
mit welchem sich zugleich immer
die Erscheinung von großer Not ((286)) und Armut verbindet.

Industrie war in unserem Sinne nicht vorhanden,
und die Ländereien waren bald besetzt.

Trotzdem ließ sich ein Teil der ärmeren Klasse nicht zur Lebensweise der Not herabdrücken,
denn jeder fühlte sich als freier Bürger.

Das einzige Auskunftsmittel blieb also die Kolonisation;
in einem anderen Lande konnten sich die im Mutterlande Notleidenden
einen freien Boden suchen und als freie Bürger durch den Ackerbau bestehen.

Die Kolonisation war somit ein Mittel,
einigermaßen die Gleichheit unter den Bürgern zu erhalten;
aber dieses Mittel ist nur ein Palliativ,
indem die ursprüngliche Ungleichheit,
welche auf der Verschiedenheit des Vermögens begründet ist,
sofort wieder zum Vorschein kommt.

Die alten Leidenschaften erstanden mit erneuter Kraft,
und der Reichtum wurde bald zur Herrschaft benutzt:
so erhoben sich in den Städten Griechenlands Tyrannen.

Thukydides sagt:
“Als Griechenland an Reichtum zunahm, sind Tyrannen in den Städten entstanden,
und die Griechen haben sich eifriger auf das Seewesen gelegt.”

Zur Zeit des Kyros gewinnt die Geschichte Griechenlands ihr eigentliches Interesse;
wir sehen die Staaten nun in ihrer partikulären Bestimmtheit.

In diese Zeit fällt auch die Ausbildung des unterschiedenen griechischen Geistes;
Religion und Staatsverfassung entwickeln sich mit ihm,
und diese wichtigen Momente sind es, welche uns jetzt beschäftigen müssen.

Wenn wir den Anfängen griechischer Bildung nachgehen,
so bemerken wir zunächst wieder, daß die physische Beschaffenheit ihres Landes
nicht eine solche charakteristische Einheit hat,
nicht eine solche einförmige Masse bildet,
die eine gewaltige Macht über die Bewohner ausübt,
sondern sie ist verschiedenartig, und es fehlt ihr an entscheidendem Einfluß.

Damit ist auch die massenhafte Einheit
von einem Familienzusammenhalt und Nationalverbindung nicht vorhanden,
sondern gegen die zerstückelte Natur und ihre Mächte
sind die Menschen mehr auf sich selbst
und auf die Extension ihrer geringen Kräfte angewiesen.

Wir sehen so die Griechen ((287)) geteilt und abgeschnitten,
auf den inneren Geist und den persönlichen Mut zurückgedrängt,
dabei aufs mannigfaltigste angeregt und scheu nach allen Seiten,
völlig unstet und zerstreut gegen die Natur,
von den Zufällen derselben abhängig und besorgt nach außen hinhorchend;
aber ebenso andererseits dies Äußere geistig vernehmend und sich aneignend
und mutig und selbstkräftig gegen dasselbe.

Dies sind die einfachen Elemente ihrer Bildung und ihrer Religion.

Gehen wir ihren mythologischen Vorstellungen nach,
so liegen denselben Naturgegenstände zugrunde,
aber nicht in ihrer Masse, sondern in ihrer Vereinzelung.

Die Diana zu Ephesus (das ist die Natur, als die allgemeine Mutter),
die Kybele und Astarte in Syrien,
dergleichen allgemeine Vorstellungen sind asiatisch geblieben
und nicht nach Griechenland herübergekommen.

Denn die Griechen lauschen nur auf die Naturgegenstände
und ahnen sie mit der innerlichen Frage nach ihrer Bedeutung.

Wie Aristoteles sagt, daß die Philosophie von der Verwunderung ausgehe,
so geht auch die griechische Naturanschauung von dieser Verwunderung aus.

Damit ist nicht gemeint, daß der Geist einem Außerordentlichen begegne,
das er mit dem Gewöhnlichen vergleicht;
denn die Verstandesansicht von einem regelmäßigen Naturlauf
und die vergleichende Reflexion damit ist noch nicht vorhanden;
sondern der aufgeregte griechische Geist
verwundert sich vielmehr über das Natürliche der Natur;
er verhält sich nicht stumpf zu ihr als zu einem Gegebenen,
sondern als zu einem dem Geiste zunächst Fremden,
zu welchem er jedoch die ahnende Zuversicht und den Glauben hat,
als trage es etwas in sich, das ihm freundlich sei,
zu dem er sich positiv zu verhalten vermöge.

Diese Verwunderung und dieses Ahnen sind hier die Grundkategorien;
doch blieben die Hellenen bei diesen Weisen nicht stehen,
sondern stellten das Innere, nach welchem das Ahnen fragt,
zu bestimmter Vorstellung, als Gegenstand des Bewußtseins heraus.

Das Natürliche gilt als durch den Geist hindurchgehend, der es vermittelt, nicht unmittelbar;
der Mensch hat ((288)) das Natürliche nur als anregend,
und nur das, was er aus ihm Geistiges gemacht hat, kann ihm gelten.

Dieser geistige Anfang ist denn auch nicht bloß als eine Erklärung zu fassen,
die wir nur machen,
sondern er ist in einer Menge griechischer Vorstellungen selbst vorhanden.

Das ahnungsvolle, lauschende, auf die Bedeutung begierige Verhalten
wird uns im Gesamtbilde des Pan vorgestellt.

Pan ist in Griechenland nicht das objektive Ganze,
sondern das Unbestimmte,
das zugleich mit dem Momente des Subjektiven verbunden ist:
er ist der allgemeine Schauer in der Stille der Wälder;
daher ist er besonders in dem waldreichen Arkadien verehrt worden
(ein panischer Schreck ist der gewöhnliche Ausdruck für einen grundlosen Schreck).

Pan, dieser Schauererweckende, wird dann als Flötenspieler vorgeführt:
es bleibt nicht bloß bei der inneren Ahnung,
sondern Pan läßt sich auf der siebenrohrigen Pfeife vernehmen.

In diesem Angegebenen haben wir einerseits das Unbestimmte,
das sich aber vernehmen läßt,
und andererseits ist das, was vernommen wird,
eigenes subjektives Einbilden und Erklären des Vernehmenden.

Ebenso horchten die Griechen auf das Gemurmel der Quellen
und fragten, was das zu bedeuten habe;
die Bedeutung aber ist nicht die objektive Sinnigkeit der Quelle,
sondern die subjektive des Subjekts selbst,
welches dann weiter die Najade zur Muse erhebt.

Die Najaden oder Quellen sind der äußerliche Anfang der Musen.

Doch der Musen unsterbliche Gesänge
sind nicht das, was man hört, wenn man die Quellen murmeln hört,
sondern sie sind die Produktionen des sinnig horchenden Geistes,
der [sie] in seinem Hinauslauschen in sich selbst produziert.

Die Auslegung und Erklärung der Natur und der natürlichen Veränderungen,
das Nachweisen des Sinnes und der Bedeutung darin,
das ist das Tun des subjektiven Geistes,
was die Griechen mit dem Namen #manteia# belegten.

Wir können diese überhaupt
als die Art der Bezüglichkeit des Menschen auf die Natur fassen.

Zur #manteia# gehört der Stoff und der Erklärer, welcher das Sinnvolle herausbringt.

Platon spricht ((289)) davon in Beziehung auf die Träume und den Wahnsinn,
in den der Mensch in der Krankheit verfällt;
es bedürfe eines Auslegers, #mantis#, um diese Träume und diesen Wahnsinn zu erklären.

Die Natur hat dem Griechen auf seine Fragen geantwortet:
das ist in dem Sinne wahr,
daß der Mensch aus seinem Geiste die Fragen der Natur beantwortet hat.

Die Anschauung wird dadurch rein poetisch,
denn der Geist macht darin den Sinn, den das natürliche Gebilde ausdrückt.

Überall verlangen die Griechen nach einer Auslegung und Deutung des Natürlichen.

Homer erzählt im letzten Buche der Odyssee,
daß, als die Griechen um den Achill ganz in Trauer versenkt waren,
ein großes Tosen über das Meer her entstanden sei;
die Griechen seien schon im Begriff gewesen, auseinander zu fliehen,
da stand der erfahrene Nestor auf und erklärte ihnen diese Erscheinung.

Die Thetis, sagte er, komme mit ihren Nymphen, um den Tod ihres Sohnes zu beklagen.

Als eine Pest im Lager der Griechen ausbrach,
gab der Priester Kalchas ihnen die Auslegung:
Apoll sei erzürnt, daß man seinem Priester Chryses
die Tochter für das Lösegeld nicht zurückgegeben habe.

Das Orakel hatte ursprünglich auch ganz diese Form der Auslegung.

Das älteste Orakel war zu Dodona (in der Gegend des heutigen Janina).

Herodot sagt, die ersten Priesterinnen des Tempels daselbst seien aus Ägypten gewesen,
und doch wird dieser Tempel als ein altgriechischer angegeben.

Das Gesäusel der Blätter von den heiligen Eichen war dort die Weissagung.

Es waren daselbst auch metallene Becken aufgehängt.

Die Töne der zusammenschlagenden Becken waren aber ganz unbestimmt
und hatten keinen objektiven Sinn,
sondern der Sinn, die Bedeutung kam erst durch die auffassenden Menschen hinein.

So gaben auch die delphischen Priesterinnen, bewußtlos, besinnungslos,
im Taumel der Begeisterung (#mania#) unvernehmliche Töne von sich,
und erst der #mantis# legte eine bestimmte Bedeutung hinein.

In der Höhle des Trophonios hörte man das Geräusch von unterirdischen Gewässern,
es stellten sich Gesichte dar;
dies Unbestimmte gewann aber auch erst eine ((290)) Bedeutung
durch den auslegenden auffassenden Geist.

Es ist noch zu bemerken, daß die Anregungen des Geistes
zunächst äußerliche natürliche Regsamkeiten sind,
dann aber ebenso innere Veränderungen, die im Menschen selbst vorgehen,
wie die Träume oder der Wahnsinn der delphischen Priesterin,
welche durch den #mantis# erst sinnvoll ausgelegt werden.

Im Anfang der Ilias braust Achill gegen den Agamemnon auf
und ist im Begriff, sein Schwert zu ziehen,
aber schnell hemmt er die Bewegung seines Armes
und faßt sich im Zorn, indem er sein Verhältnis zu Agamemnon bedenkt.

Der Dichter legt dieses aus, indem er sagt:
das sei die Pallas Athene (die Weisheit, die Besinnung) gewesen, die ihn aufgehalten habe.

Als Odysseus bei den Phäaken seinen Diskus weiter als die anderen geworfen hatte
und einer der Phäaken sich ihm freundlich gesinnt gezeigt,
so erkennt der Dichter in ihm die Pallas Athene.

Diese Bedeutung ist so das Innere, der Sinn, das Wahrhafte, was gewußt wird,
und die Dichter sind auf diese Weise die Lehrer der Griechen gewesen,
vor allem aber war es Homer.

Die #manteia# überhaupt ist Poesie, nicht willkürliches Phantasieren,
sondern eine Phantasie, die das Geistige in das Natürliche hineinlegt
und sinnvolles Wissen ist.

Der griechische Geist ist daher im ganzen ohne Aberglauben,
indem er das Sinnliche in Sinniges verwandelt,
so daß die Bestimmungen aus dem Geiste herkommen;
obgleich der Aberglaube von einer andern Seite wieder hineinkommt,
wie bemerkt werden wird, wenn Bestimmungen für das Dafürhalten und Handeln
aus einer andern Quelle als aus dem Geistigen geschöpft werden.

Die Anregungen des griechischen Geistes
sind aber nicht bloß auf äußerliche und innerliche zu beschränken,
sondern das Traditionelle aus der Fremde,
die schon gegebene Bildung, Götter und Gottesdienste sind mit hierher zu rechnen.

Es ist schon lange eine große Streitfrage gewesen,
ob die Künste und die Religion der Griechen sich selbständig entwickelt haben
oder durch Anregung von außen.

Wenn der einseitige Verstand diesen Streit führt, so ist er unauflöslich;
denn es ((291)) ist ebenso geschichtlich,
daß die Griechen aus Indien, Syrien, Ägypten Vorstellungen herüberbekommen haben,
wie daß die griechischen Vorstellungen eigentümlich und jene anderen fremd sind.

Herodot sagt ebenso [11, 53]:
“Homer und Hesiod haben den Griechen ihr Göttergeschlecht gemacht
und den Göttern die Beinamen gegeben”
- ein großer Ausspruch, mit dem sich besonders Creuzer viel zu tun gemacht hat -,
als er andererseits wieder sagt,
Griechenland habe die Namen seiner Götter aus Ägypten bekommen
und die Griechen hätten in Dodona angefragt, ob sie diese Namen annehmen sollten.

Dieses scheint sich zu widersprechen, ist aber dennoch ganz im Einklange,
denn aus dem Empfangenen haben die Griechen das Geistige bereitet.

Das Natürliche, das von den Menschen erklärt wird,
das Innere, Wesentliche desselben ist der Anfang des Göttlichen überhaupt.

Ebenso wie in der Kunst die Griechen technische Geschicklichkeiten
besonders von den Ägyptern herbekommen haben mögen,
ebenso konnte ihnen auch der Anfang ihrer Religion von außen herkommen,
aber durch ihren selbständigen Geist haben sie das eine wie das andere umgebildet.

Spuren solcher fremden Anfänge der Religion kann man überall entdecken
(Creuzer in seiner Symbolik geht besonders darauf aus).

Die Liebschaften des Zeus erscheinen zwar als etwas Einzelnes, Äußerliches, Zufälliges,
aber es läßt sich nachweisen,
daß fremdartige theogonische Vorstellungen dabei zugrunde liegen.

Herkules ist bei den Hellenen dies geistig Menschliche,
das sich durch eigene Tatkraft, durch die zwölf Arbeiten den Olymp erringt;
die fremde zugrunde liegende Idee ist aber die Sonne,
welche die Wanderung durch die zwölf Zeichen des Tierkreises vollbringt.

Die Mysterien waren nur solche alten Anfänge
und enthielten sicherlich keine größere Weisheit,
als schon im Bewußtsein der Griechen lag.

Alle Athener waren in die Mysterien eingeweiht,
und nur Sokrates ließ sich nicht initiieren,
weil ((292)) er wohl wußte,
daß Wissenschaft und Kunst nicht aus den Mysterien hervorgehen
und niemals im Geheimnis die Weisheit liegt.

Die wahre Wissenschaft ist vielmehr auf dem offenen Felde des Bewußtseins.

Wollen wir nun das, was der griechische Geist ist, zusammenfassen,
so macht dies die Grundbestimmung aus,
daß die Freiheit des Geistes bedingt
und in wesentlicher Beziehung auf eine Naturerregung ist.

Die griechische Freiheit ist durch anderes erregt
und dadurch frei, daß sie die Anregung aus sich verändert und produziert.

Diese Bestimmung ist die Mitte zwischen der Selbstlosigkeit des Menschen
(wie wir sie im asiatischen Prinzip erblicken,
wo das Geistige und Göttliche nur auf natürliche Weise besteht)
und der unendlichen Subjektivität als reiner Gewißheit ihrer selbst,
dem Gedanken, daß das Ich der Boden für alles sei, was gelten soll.

Der griechische Geist als Mitte geht von der Natur aus
und verkehrt sie zum Gesetztsein seiner aus sich;
die Geistigkeit ist daher noch nicht absolut frei
und noch nicht vollkommen aus sich selbst, Anregung ihrer selbst.

Von Ahnung und Verwunderung geht der griechische Geist aus
und geht dann weiter zum Setzen der Bedeutung fort.

Auch am Subjekte selbst wird diese Einheit hervorgebracht.

Am Menschen ist die natürliche Seite das Herz,
die Neigung, die Leidenschaft, die Temperamente;
diese wird nun ausgebildet zur freien Individualität,
so daß der Charakter nicht im Verhältnis
zu den allgemeinen sittlichen Mächten, als Pflichten, steht,
sondern daß das Sittliche als eigentümliches Sein und Wollen des Sinnes
und der besonderen Subjektivität ist.

Dies macht eben den griechischen Charakter zur schönen Individualität,
welche durch den Geist hervorgebracht ist,
indem er das Natürliche zu seinem Ausdruck umbildet.

Die Tätigkeit des Geistes hat hier noch nicht an ihm selbst das Material
und das Organ der Äußerung,
sondern sie bedarf der natürlichen Anregung und des natürlichen Stoffes;
sie ist nicht freie, sich selbst bestimmende Geistigkeit,
sondern zur Geistigkeit gebildete Natürlichkeit - geistige Individualität.

Der griechische ((293)) Geist ist der plastische Künstler,
welcher den Stein zum Kunstwerke bildet.

Bei diesem Bilden bleibt der Stein nicht bloß Stein
und die Form nur äußerlich an ihn gebracht,
sondern er wird auch gegen seine Natur zum Ausdruck des Geistigen gemacht
und so umgebildet.

Umgekehrt bedarf der Künstler für seine geistigen Konzeptionen des Steines,
der Farben, der sinnlichen Formen zum Ausdruck seiner Idee;
ohne solches Element kann er selbst sowohl der Idee nicht bewußt werden
als auch sie anderen nicht gegenständlich machen,
denn sie kann ihm nicht im Denken Gegenstand werden.

In der griechischen Schönheit ist das Sinnliche nur Zeichen, Ausdruck,
Hülle, worin der Geist sich manifestiert.

Es muss noch hinzugefügt werden,
daß, indem der griechische Geist dieser umbildende Bildner ist,
er sich in seinen Bildungen frei weiß;
denn er ist ihr Schöpfer, und sie sind sogenanntes Menschenwerk.

Sie sind aber nicht nur dies,
sondern die ewige Wahrheit und die Mächte des Geistes an und für sich,
und ebenso vom Menschen geschaffen wie nicht geschaffen.

Er hat Achtung und Verehrung vor diesen Anschauungen und Bildern,
vor diesem Zeus zu Olympia und dieser Pallas auf der Burg,
ebenso vor diesen Gesetzen des Staates und der Sitte;
aber er, der Mensch, ist der Mutterleib, der sie konzipiert,
er die Brust, die sie gesäugt, er das Geistige, das sie groß und rein gezogen hat.

So ist er heiter in ihnen und nicht nur an sich frei,
sondern mit dem Bewußtsein seiner Freiheit;
so ist die Ehre des Menschlichen verschlungen in die Ehre des Göttlichen.

Die Menschen ehren das Göttliche an und für sich,
aber zugleich als ihre Tat, ihr Erzeugnis und ihr Dasein:
so erhält das Göttliche seine Ehre vermittels der Ehre des Menschlichen
und das Menschliche vermittels der Ehre des Göttlichen. ((294))

So bestimmt ist es die schöne Individualität,
welche den Mittelpunkt des griechischen Charakters ausmacht.

Es sind nun die besonderen Strahlen, in denen sich dieser Begriff realisiert,
näher zu betrachten.

Alle bilden Kunstwerke;
wir können sie als ein dreifaches Gebilde fassen:
als das subjektive Kunstwerk, d.h. als die Bildung des Menschen selbst;
als das objektive Kunstwerk, d.h. als die Gestaltung der Götterwelt;
endlich als das politische Kunstwerk,
die Weise der Verfassung und der Individuen in ihr.

Zweiter Abschnitt Die Gestaltungen der schönen Individualität

Erstes Kapitel
DAS SUBJEKTIVE KUNSTWERK

Der Mensch verhält sich mit seinen Bedürfnissen zur äußerlichen Natur
auf praktische Weise
und geht dabei, indem er sich durch dieselbe befriedigt und sie aufreibt,
vermittelnd zu Werke.

Die Naturgegenstände nämlich sind mächtig und leisten mannigfachen Widerstand.

Um sie zu bezwingen, schiebt der Mensch andere Naturdinge ein,
kehrt somit die Natur gegen die Natur selbst
und erfindet Werkzeuge zu diesem Zwecke.

Diese menschlichen Erfindungen gehören dem Geiste an,
und solches Werkzeug ist höher zu achten als der Naturgegenstand.

Auch sehen wir, daß die Griechen sie besonders zu schätzen wissen,
denn im Homer erscheint recht auffallend die Freude des Menschen über dieselben.

Beim Zepter des Agamemnon wird weitläufig seine Entstehung erzählt;
der Türen, die sich in Angeln drehen,
der Rüstungen und Gerätschaften wird mit Behaglichkeit Erwähnung getan.

Die Ehre der menschlichen Erfindung zur Bezwingung der Natur
wird den Göttern zugeschrieben.

Der Mensch gebraucht aber nun die Natur andererseits zum ((295)) Schmuck,
welcher den Sinn hat, nur ein Zeichen des Reichtums
und dessen zu sein, was der Mensch aus sich gemacht hat.

Solch Interesse des Schmuckes
sehen wir bei den Homerischen Griechen schon sehr ausgebildet.

Barbaren und gesittete Völker putzen sich;
aber die Barbaren bleiben dabei stehen, sich zu putzen,
d.h. ihr Körper soll durch ein Äußerliches gefallen.

Der Schmuck aber hat nur die Bestimmung, Schmuck eines Anderen zu sein,
welches der menschliche Leib ist, in welchem sich der Mensch unmittelbar findet
und welchen er, wie das Natürliche überhaupt, umzubilden hat.

Das nächste geistige Interesse ist daher,
den Körper zum vollkommenen Organ für den Willen auszubilden,
welche Geschicklichkeit einerseits wieder Mittel für andere Zwecke sein,
andererseits selbst als Zweck erscheinen kann.

Bei den Griechen nun finden wir diesen unendlichen Trieb der Individuen,
sich zu zeigen und so zu genießen.

Der sinnliche Genuß wird nicht die Basis ihres friedlichen Zustandes,
so wenig als die daran sich knüpfende Abhängigkeit und Stumpfheit des Aberglaubens.

Sie sind zu kräftig erregt, zu sehr auf ihre Individualität gestellt,
um die Natur, wie sie sich in ihrer Macht und Güte gibt, schlechthin zu verehren.

Der friedliche Zustand,
nachdem das Raubleben aufgehoben
und bei freigebiger Natur auch Sicherheit und Muße gewährt war,
verwies sie auf ihr Selbstgefühl, sich zu ehren.

So wie sie aber einerseits zu selbständige Individualitäten sind,
um durch Aberglauben unterjocht zu werden,
so sind sie auch nicht schon eitel.

Das Wesentliche muss vielmehr erst herausgebracht werden,
als daß es ihnen schon eitel geworden wäre.

Das frohe Selbstgefühl gegen die sinnliche Natürlichkeit
und das Bedürfnis, nicht nur sich zu vergnügen,
sondern sich zu zeigen,
dadurch vornehmlich zu gelten und sich zu genießen,
macht nun die Hauptbestimmung und das Hauptgeschäft der Griechen aus.

Frei wie der Vogel in der Luft singt, so äußert hier nur der Mensch,
was in seiner unverkümmerten menschlichen Natur liegt,
um sich durch solche Äußerung zu beweisen und Anerkennung zu erwerben. ((296))

Dies ist der subjektive Anfang der griechischen Kunst,
worin der Mensch seine Körperlichkeit, in freier schöner Bewegung
und in kräftiger Geschicklichkeit, zu einem Kunstwerke ausarbeitete.

Die Griechen machten sich selbst erst zu schönen Gestaltungen,
ehe sie solche objektiv im Marmor und in Gemälden ausdrückten.

Der harmlose Wettkampf in Spielen, worin ein jeder zeigt, was er ist, ist sehr alt.

Homer beschreibt auf eine herrliche Weise die Spiele Achills zu Ehren des Patroklos,
aber in allen seinen Dichtungen findet sich keine Angabe von Bildsäulen der Götter,
unerachtet er das Heiligtum zu Dodona und das Schatzhaus des Apollo zu Delphi erwähnt.

Die Spiele bestehen beim Homer im Ringen und Faustkampf,
im Lauf, im Lenken der Rosse und Wagen,
im Wurf des Diskus oder des Wurfspießes und im Bogenschießen.

Auf dem Schilde des Achill wird von Hephaistos unter anderem vorgestellt,
wie schöne Jünglinge und Mädchen sich mit gelehrigen Füßen so schnell bewegen,
als der Töpfer seine Scheibe herumtreibt.

Die Menge steht umher, sich daran ergötzend,
der göttliche Sänger begleitet den Gesang mit der Harfe,
und zwei Haupttänzer drehen sich in der Mitte des Reigens.

Diese Spiele und Künste mit ihrem Genuß und ihrer Ehre
waren anfangs nur Privatsache und bei besonderen Gelegenheiten veranstaltet;
in der Folge wurden sie aber eine Nationalangelegenheit
und auf bestimmte Zeiten an bestimmten Orten festgesetzt.

außer den olympischen Spielen in der heiligen Landschaft Elis
wurden noch die isthmischen, pythischen und nemeischen an anderen Orten gefeiert.

Betrachten wir nun die innere Natur dieser Spiele,
so ist zuvörderst das Spiel dem Ernste, der Abhängigkeit und Not entgegengesetzt.

Mit solchem Ringen, Laufen, Kämpfen war es kein Ernst;
es lag darin keine Not des Sichwehrens, kein Bedürfnis des Kampfes.

Ernst ist die Arbeit in Beziehung ((297)) auf das Bedürfnis:
ich oder die Natur muss zugrunde gehen;
wenn das eine bestehen soll, muss das andere fallen.

Gegen diesen Ernst nun gehalten ist aber das Spiel dennoch der höhere Ernst,
denn die Natur ist darin dem Geiste eingebildet,
und wenn auch in diesen Wettkämpfen
das Subjekt bis zum höchsten Ernste des Gedankens nicht fortgegangen ist,
so zeigt doch der Mensch in dieser Übung der Körperlichkeit seine Freiheit,
daß er den Körper nämlich zum Organ des Geistes umgebildet habe.

Der Mensch hat an einem seiner Organe, der Stimme,
selbst unmittelbar ein Element, welches einen weiteren Inhalt
als nur die bloße sinnliche Gegenwart zuläßt und fordert.

Wir haben gesehen, wie der Gesang mit dem Tanz verbunden ist und ihm dient.

Der Gesang macht sich dann aber auch selbständig
und braucht musikalische Instrumente zu seiner Begleitung;
er bleibt dann nicht inhaltsloser Gesang,
wie die Modulationen eines Vogels,
die zwar die Empfindung ansprechen können,
aber keinen objektiven Inhalt haben;
sondern er fordert einen Inhalt, der aus der Vorstellung und dem Geiste erzeugt ist
und der sich dann weiter zum objektiven Kunstwerk gestaltet.


Zweites Kapitel DAS OBJEKTIVE KUNSTWERK

Wenn nach dem Inhalte des Gesanges gefragt wird, so ist zu sagen,
daß der wesentliche und absolute der religiöse ist.

Wir haben den Begriff des griechischen Geistes gesehen;
die Religion ist nun nichts anderes,
als daß dieser Begriff als das Wesentliche zum Gegenstande gemacht wird.

Nach diesem Begriff wird auch das Göttliche
die Naturmacht nur als Element in sich enthalten,
welches zur geistigen Macht umgebildet wird.

Von diesem Naturelement, als dem Anfange,
wird nur noch ein analoger Anklang in der Vorstellung der geistigen Macht erhalten,
denn die Griechen haben Gott als ((298)) Geistiges verehrt.

Wir können den griechischen Gott daher nicht wie den indischen so fassen,
daß der Inhalt irgendeine Naturmacht sei,
woran die menschliche Gestalt nur die äußerliche Form darstelle,
sondern der Inhalt ist das Geistige selbst,
und das Natürliche ist nur der Ausgangspunkt.

Andererseits müssen wir aber sagen, daß der Gott der Griechen
noch nicht der absolute freie Geist ist,
sondern der Geist in besonderer Weise, in menschlicher Beschränkung,
noch als eine bestimmte Individualität von äußeren Bedingungen abhängend.

Die objektiv schönen Individualitäten sind die Götter der Griechen.

Der Geist Gottes ist hier so beschaffen,
daß er noch nicht selbst als Geist für sich ist,
sondern da ist, sich noch sinnlich manifestiert,
so aber, daß das Sinnliche nicht seine Substanz,
sondern nur Element seiner Manifestation ist.

Dieser Begriff muss für uns der leitende sein
bei der Betrachtung der griechischen Mythologie,
und wir müssen um so mehr daran festhalten,
als teils durch die Gelehrsamkeit, welche einen unendlichen Stoff aufgehäuft hat,
teils durch den auflösenden abstrakten Verstand diese Mythologie,
wie die ältere griechische Geschichte, zum Felde der größten Verwirrung geworden ist.

Wir haben im Begriff des griechischen Geistes die zwei Elemente, Natur und Geist,
in dem Verhältnis gefunden, daß die Natur nur den Ausgangspunkt bildet.

Diese Herabsetzung der Natur
ist in der griechischen Mythologie als Wendepunkt des Ganzen,
als der Götterkrieg ausgesprochen,
als Sturz der Titanen durch das Geschlecht des Zeus.

Der Übergang vom orientalischen zum okzidentalischen Geist ist darin vorgestellt,
denn die Titanen sind das Natürliche,
Naturwesen, denen die Herrschaft entrissen wird.

Sie werden zwar nachher noch verehrt, doch nicht als die Regierenden,
denn sie sind an den Saum der Erde gewiesen.

Die Titanen sind Naturmächte, Uranos, Gäa, Okeanos, Selene, Helios usf.

Kronos ist die Herrschaft der abstrakten Zeit, welche ihre Kinder verzehrt.

Die wilde Erzeugungskraft wird gehemmt,
und Zeus tritt auf als das Haupt der neuen Götter, ((299))
die geistige Bedeutung haben und selbst Geist sind.

Es ist nicht möglich, diesen Übergang bestimmter und naiver auszusprechen,
als hier geschieht;
das neue Reich der Götter verkündet,
daß die eigentümliche Natur derselben geistiger Art ist.

Das zweite ist, daß die neuen Götter die Naturmomente
und damit das bestimmte Verhältnis zu den Naturmächten,
wie schon oben angedeutet worden ist, in sich aufbewahren.

Zeus hat seine Blitze und Wolken,
und Hera ist die Erzeugerin des Natürlichen, die Gebärerin der werdenden Lebendigkeit;
Zeus ist aber dann der politische Gott,
der Beschützer des Sittlichen und der Gastfreundschaft.

Okeanos ist als solcher nur die Naturmacht;
Poseidon aber hat zwar noch die Wildheit des Elements an ihm,
ist jedoch auch eine sittliche Figur:
er hat Mauern gebaut und das Pferd geschaffen.

Helios ist die Sonne als Naturelement.

Dieses Licht ist, in der Analogie des Geistigen, zum Selbstbewußtsein umgewandelt,
und Apollo ist aus dem Helios hervorgegangen.

Der Name #Dykeilos# deutet auf den Zusammenhang mit dem Licht;
Apoll war Hirte bei Admet, die freien Rinder waren aber dem Helios heilig;
seine Strahlen, als Pfeile vorgestellt, töten den Python.

Die Idee des Lichts wird man als die zugrunde liegende Naturmacht
aus dieser Gottheit nicht fortbringen können,
zumal da sich die anderen Prädikate derselben leicht damit verbinden lassen
und die Erklärungen Müllers und anderer, welche jene Grundlage leugnen,
viel willkürlicher und entfernter sind.

Denn Apoll ist der Weissagende und Wissende, das alles hellmachende Licht;
ferner der Heilende und Bekräftigende,
wie auch der Verderbende, denn er tötet die Männer;
er ist der Sühnende und Reinigende,
z.B. gegen die Eumeniden, die alten unterirdischen Gottheiten,
welche das harte, strenge Recht verfolgen;
er selber ist rein, er hat keine Gattin, sondern nur eine Schwester
und ist nicht in viele häßliche Geschichten wie ((300)) Zeus verwickelt;
er ist ferner der Wissende und Aussprechende, der Sänger und Führer der Musen,
wie die Sonne den harmonischen Reigen der Gestirne anführt.

Die Göttermutter Kybele, noch zu Ephesos als Artemis verehrt,
ist bei den Griechen als Artemis, die keusche Jägerin und Wildtöterin, kaum wiederzuerkennen.

Würde nun gesagt, daß diese Verwandlung des Natürlichen in Geistiges
unserem oder späterem griechischen Allegorisieren angehöre,
so ist dagegen anzuführen, daß dies Herüberwenden des Natürlichen zum Geistigen
gerade der griechische Geist ist.

Die Epigramme der Griechen enthalten solche Fortgänge vom Sinnlichen zum Geistigen.

Nur der abstrakte Verstand
weiß diese Einheit des Natürlichen und Geistigen nicht zu fassen.

Das Weitere ist, daß die Götter als Individualitäten,
nicht als Abstraktionen zu fassen sind,
wie z.B. das Wissen, der Eine, die Zeit, der Himmel, die Notwendigkeit.

Solche Abstraktionen sind nicht der Inhalt dieser Götter;
sie sind keine Allegorien, keine abstrakten, mit vielfachen Attributen behängten Wesen
wie die Horazische necessitas clavis trabalibus.

Ebensowenig sind die Götter Symbole,
denn das Symbol ist nur ein Zeichen, eine Bedeutung von etwas anderem.

Die griechischen Götter drücken an ihnen selbst aus, was sie sind.

Die ewige Ruhe und sinnende Klarheit im Kopfe Apollos ist nicht ein Symbol,
sondern der Ausdruck, in welchem der Geist erscheint und sich gegenwärtig zeigt.

Die Götter sind Subjekte, konkrete Individualitäten;
ein allegorisches Wesen hat keine Eigenschaften,
sondern ist selbst nur eine Eigenschaft.

Die Götter sind ferner besondere Charaktere,
indem in jedem von ihnen eine Bestimmung als die charakteristische überwiegend ist;
es wäre aber vergebens, diesen Kreis von Charakteren in ein System bringen zu wollen.

Zeus herrscht wohl über die anderen Götter, aber nicht in wahrhafter Kraft,
so daß sie in ihrer Besonderheit ((301)) freigelassen bleiben.

Weil aller geistige und sittliche Inhalt den Göttern angehörte,
so musste die Einheit, welche über sie gestellt wurde, notwendig abstrakt bleiben;
sie war also das gestalt- und inhaltlose Fatum, die Notwendigkeit,
deren Trauer darin ihren Grund hat, daß sie das Geistlose ist,
während die Götter sich in freundlichem Verhältnis zu den Menschen befinden,
denn sie sind geistige Naturen.

Das Höhere, daß die Einheit als Gott, der eine Geist, gewußt wird,
war den Griechen noch nicht bekannt.

In Ansehung der Zufälligkeit und der Besonderheit,
welche an den griechischen Göttern hängt,
entsteht die Frage, wo der äußerliche Ursprung dieser Zufälligkeit zu suchen sei.

Einerseits kommt sie durch das Lokal herein,
durch das Zerstreute des Anfangs des griechischen Lebens,
das sich punktualisiert und somit sogleich Lokalvorstellungen herbeiführt.

Die Lokalgötter stehen allein und haben eine viel größere Breite als später,
da sie in den Kreis der Götter eintreten und zu einem Beschränkten herabgesetzt werden;
sie sind nach dem besonderen Bewußtsein und den partikulären Begebenheiten
der Gegenden bestimmt, in welchen sie erscheinen.

Es gibt eine Menge von Herkules und Zeus, die ihre Lokalgeschichte haben,
ähnlich den indischen Göttern,
die auch an verschiedenen Orten Tempel mit einer eigentümlichen Historie besitzen.

Ebenso ist es mit den katholischen Heiligen und ihren Legenden,
wo aber nicht von dem Lokalen,
sondern z.B. von der einen Muttergottes ausgegangen
und dann zu der vielfältigsten Lokalität fortgeschritten wird.

Die Griechen erzählen von ihren Göttern die heitersten und anmutigsten Geschichten,
deren Grenze gar nicht zu ziehen ist,
da die Einfälle im lebendigen Geiste der Griechen immer neu hervorsprudelten.

Eine zweite Quelle des Ursprungs der Besonderheiten ist die Naturreligion,
deren Darstellungen ebenso in den griechischen Mythen erhalten
als auch wiedergeboren und verkehrt sind.

Das Erhalten der anfänglichen Mythen führt auf das berühmte Kapitel der Mysterien,
deren wir schon oben ((302)) Erwähnung taten.

Diese Mysterien der Griechen sind etwas, was als Unbekanntes,
mit dem Vorurteil tiefer Weisheit, die Neugier aller Zeiten auf sich gezogen hat.

Zuvörderst ist zu bemerken, daß dieses Alte und Anfängliche
eben seines Anfangs wegen nicht das Vortreffliche,
sondern das Untergeordnete ist,
daß die reineren Wahrheiten in diesen Geheimnissen nicht ausgesprochen waren
und nicht etwa, wie viele meinten,
die Einheit Gottes gegen die Vielheit der Götter darin gelehrt wurde.

Die Mysterien waren vielmehr alte Gottesdienste,
und es ist ebenso ungeschichtlich als töricht, tiefe Philosopheme darin finden zu wollen,
da im Gegenteil nur Naturideen, rohere Vorstellungen
von der allgemeinen Umwandlung in der Natur und von der allgemeinen Lebendigkeit
der Inhalt derselben waren.

Wenn man alles Historische, was hier hereinfällt, zusammenstellt,
so wird das Resultat notwendig sein,
daß die Mysterien nicht ein System von Lehren ausmachten,
sondern sinnliche Gebräuche und Darstellungen waren,
die nur in Symbolen der allgemeinen Operationen der Natur bestanden,
als z.B. von dem Verhältnisse der Erde zu den himmlischen Erscheinungen.

Den Vorstellungen der Ceres und Proserpina, dem Bacchus und seinem Zuge
lag als Hauptsache das Allgemeine der Natur zugrunde,
und das Weitere waren obskure Geschichten und Darstellungen,
deren Hauptinteresse die Lebenskraft und ihre Veränderungen sind.

Einen analogen Prozeß wie die Natur hat auch der Geist zu bestehen;
denn er muss zweimal geboren sein, d.h. sich in sich selbst negieren;
und so erinnerten die Darstellungen in den Mysterien,
wenn auch nur schwach, an die Natur des Geistes.

Sie hatten für die Griechen etwas Schauererweckendes;
denn der Mensch hat eine angeborene Scheu,
wenn er sieht, es sei eine Bedeutung in einer Form,
die als sinnlich diese Bedeutung nicht ausspricht und daher abstößt und anzieht,
durch den durchklingenden Sinn Ahnungen erweckt,
aber Schauder zugleich durch die abschreckende Form.

Aischylos wurde angeklagt,
in seinen Tragödien die Mysterien entweiht zu ((303)) haben.

Die unbestimmten Vorstellungen und Symbole der Mysterien,
wo das Bedeutungsvolle nur geahnt ist,
sind das den klaren reinen Gestalten Heterogene
und drohen denselben den Untergang,
weshalb die Götter der Kunst von den Göttern der Mysterien getrennt bleiben
und beide Sphären streng auseinandergehalten werden müssen.

Die meisten Götter haben die Griechen aus der Fremde her erhalten,
wie es Herodot ausdrücklich von Ägypten erzählt;
aber diese fremden Mythen sind von den Griechen umgebildet und vergeistigt worden,
und was von den ausländischen Theogonien mit herüberkam,
das wurde in dem Munde der Hellenen zu einer Geschichte,
die oft eine üble Nachrede für die Götter war, verarbeitet.

So sind auch die Tiere, die noch bei den Ägyptern als Götter gelten,
bei den Griechen zu äußerlichen Zeichen herabgesetzt,
die neben den geistigen Gott treten.

Mit den Besonderheiten ihres Charakters zugleich
werden die griechischen Götter als menschlich vorgestellt,
und dieser Anthropomorphismus wird für ihren Mangel ausgegeben.

Hiergegen ist nun sogleich zu sagen, daß der Mensch, als das Geistige,
das Wahrhafte an den griechischen Göttern ausmacht,
wodurch sie über alle Naturgötter
und über alle Abstraktionen des einen und höchsten Wesens zu stehen kommen.

Andererseits wird es auch als ein Vorzug der griechischen Götter angegeben,
daß sie als Menschen vorgestellt werden,
während dem christlichen Gott dies fehlen solle.

Schiller sagt:
Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher.

Aber die griechischen Götter sind nicht als menschlicher als der christliche Gott anzusehen.

Christus ist viel mehr Mensch:
er lebt, stirbt, leidet den Tod am Kreuze,
was unendlich menschlicher ist als der Mensch der griechischen Schönheit.

Was nun aber die griechische und christliche Religion gemeinschaftlich betrifft,
so ist von beiden zu sagen, ((304)) daß, wenn Gott erscheinen soll,
seine Natürlichkeit die des Geistes sein müsse,
was für die sinnliche Vorstellung wesentlich der Mensch ist,
denn keine andere Gestalt vermag es, als Geistiges aufzutreten.

Gott erscheint zwar in der Sonne, in den Bergen, in den Bäumen, in allem Lebendigen,
aber dies natürliche Erscheinen ist nicht die Gestalt des Geistes,
Gott ist dann vielmehr nur im Innern des Subjekts wahrnehmbar.

Soll Gott selbst in einem entsprechenden Ausdruck auftreten,
so kann dieses nur die menschliche Gestalt sein,
denn aus dieser strahlt das Geistige hervor.

Wenn man aber fragen wollte: muss Gott erscheinen?,
so würde dieses notwendig bejaht werden müssen,
denn nichts ist wesentlich, was nicht erscheint.

Der wahrhafte Mangel der griechischen Religion, gegen die christliche gehalten, ist nun,
daß in ihr die Erscheinung die höchste Weise,
überhaupt das Ganze des Göttlichen ausmacht,
während in der christlichen Religion das Erscheinen
nur als ein Moment des Göttlichen angenommen wird.

Der erscheinende Gott ist hier gestorben, ist als sich aufhebend gesetzt;
erst als gestorben ist Christus sitzend an der Rechten Gottes dargestellt.

Der griechische Gott ist dagegen für die Hellenen in der Erscheinung perennierend,
nur im Marmor, im Metall oder Holz, oder in der Vorstellung als Bild der Phantasie.

Warum aber ist Gott ihnen nicht im Fleische erschienen?

Weil der Mensch nur galt, Ehre und Würde nur hatte
als zur Freiheit der schönen Erscheinung herausgearbeiteter und gemachter;
die Form und Gestaltung der Göttlichkeit
blieb somit eine vom besonderen Subjekte erzeugte.

Das ist das eine Element im Geiste, daß er sich hervorbringt,
daß er sich zu dem macht, was er ist;
das andere aber ist, daß er ursprünglich frei
und die Freiheit seine Natur und sein Begriff ist.

Die Griechen aber, weil sie sich noch nicht denkend erfaßten,
kannten noch nicht den Geist in seiner Allgemeinheit,
noch nicht den Begriff des Menschen
und die an sich seiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur
nach der christlichen Idee.

Erst der in sich gewisse, innere Geist kann es ertragen,
die Seite der ((305)) Erscheinung frei zu entlassen,
und hat diese Sicherheit, einem Diesen die göttliche Natur anzuvertrauen.

Er braucht nicht mehr die Natürlichkeit in das Geistige einzubilden,
um das Göttliche festzuhalten und die Einheit äußerlich anschaubar zu haben,
sondern indem der freie Gedanke das Äußerliche denkt,
kann er es lassen, wie es ist;
denn er denkt diese Vereinigung des Endlichen und Unendlichen
und weiß sie nicht als zufällige Vereinigung,
sondern als das Absolute, die ewige Idee selbst.

Weil die Subjektivität vom griechischen Geist noch nicht in ihrer Tiefe erfaßt ist,
so ist die wahrhafte Versöhnung in ihm noch nicht vorhanden
und der menschliche Geist noch nicht absolut berechtigt.

Dieser Mangel hat sich schon darin gezeigt,
daß über den Göttern als reine Subjektivität das Fatum steht;
er zeigt sich auch darin, daß die Menschen ihre Entschlüsse noch nicht aus sich selbst,
sondern von ihren Orakeln hernehmen.

Menschliche wie göttliche Subjektivität nimmt noch nicht, als unendliche,
die absolute Entscheidung aus sich selbst.


Drittes Kapitel DAS POLITISCHE KUNSTWERK

Der Staat vereinigt die beiden eben betrachteten Seiten
des subjektiven und objektiven Kunstwerks.

In dem Staat ist der Geist nicht nur Gegenstand als göttlicher,
nicht nur zur schönen Körperlichkeit subjektiv ausgebildet,
sondern es ist lebendiger allgemeiner Geist,
der zugleich der selbstbewußte Geist der einzelnen Individuen ist.

Nur die demokratische Verfassung war für diesen Geist und für diesen Staat geeignet.

Wir haben den Despotismus im Orient in glänzender Ausbildung
als eine dem Morgenland entsprechende Gestaltung gesehen;
nicht minder ist die demokratische Form in Griechenland die welthistorische Bestimmung.

In Griechenland ist nämlich die Freiheit des Individuums vorhanden,
aber sie ist noch nicht zu der ((306)) Abstraktion gekommen,
daß das Subjekt schlechthin vom Substantiellen, dem Staate als solchem, abhängt,
sondern in ihr ist der individuelle Wille in seiner ganzen Lebendigkeit frei
und nach seiner Besonderheit die Betätigung des Substantiellen.

In Rom werden wir dagegen die schroffe Herrschaft über die Individuen sehen,
sowie im germanischen Reiche die Monarchie,
in welcher das Individuum nicht nur am Monarchen,
sondern an der ganzen monarchischen Organisation teilnimmt und mit tätig ist.

Der demokratische Staat ist nicht patriarchalisch,
ruht nicht auf dem noch ungebildeten Vertrauen,
sondern es gehören Gesetze
sowie das Bewußtsein der rechtlichen und sittlichen Grundlage dazu,
sowie daß diese Gesetze als positiv bewußt werden.

Zur Zeit der Könige war in Hellas noch kein politisches Leben
und also auch nur geringe Spuren von Gesetzgebung.

In dem Zwischenraum aber, vom Trojanischen Kriege bis gegen die Zeit des Kyros,
trat das Bedürfnis derselben ein.

Die ersten Gesetzgeber sind unter dem Namen der sieben Weisen bekannt,
worunter noch keine Sophisten und Lehrer der Weisheit zu verstehen sind,
die mit Bewußtsein das Richtige und Wahre vorgetragen hätten,
sondern nur denkende Menschen,
deren Denken aber nicht bis zur eigentlichen Wissenschaft fortgeschritten war.

Es sind praktisch politische Männer,
und von den guten Ratschlägen, welche zwei derselben,
Thales von Milet und Bias von Priene, den ionischen Städten gaben,
ist schon früher gesagt worden.

Solon wurde so von den Athenern beauftragt, ihnen Gesetze zu geben,
da die vorhandenen nicht mehr genügten.

Solon gab den Athenern eine Staatsverfassung, wodurch alle gleiche Rechte bekamen,
ohne daß jedoch die Demokratie eine ganz abstrakte geworden wäre.

Das Hauptmoment der Demokratie ist sittliche Gesinnung.

“Die Tugend ist die Grundlage der Demokratie,” sagt Montesquieu;
dieser Ausspruch ist ebenso wichtig als wahr in bezug auf die Vorstellung,
welche man sich gewöhnlich von der Demokratie macht.

Dem Individuum ist hier das Substantielle ((307)) des Rechts,
die Staatsangelegenheit, das allgemeine Interesse das Wesentliche;
aber es ist dies als Sitte, in der Weise des objektiven Willens,
so daß die Moralität im eigentlichen Sinne,
die Innerlichkeit der Überzeugung und Absicht noch nicht vorhanden ist.

Das Gesetz ist da, seinem Inhalte nach als Gesetz der Freiheit und vernünftig,
und es gilt, weil es Gesetz ist, nach seiner Unmittelbarkeit.

Wie in der Schönheit
noch das Naturelement, im Sinnlichen derselben, vorhanden ist,
so auch sind in dieser Sittlichkeit
die Gesetze in der Weise der Naturnotwendigkeit.

Die Griechen bleiben in der Mitte der Schönheit
und erreichen noch nicht den höheren Punkt der Wahrheit.

Indem Sitte und Gewohnheit die Form ist,
in welcher das Rechte gewollt und getan wird,
so ist sie das Feste und hat den Feind der Unmittelbarkeit,
die Reflexion und Subjektivität des Willens, noch nicht in sich.

Es kann daher das Interesse des Gemeinwesens
in den Willen und Beschluß der Bürger gelegt bleiben
- und dies muss die Grundlage der griechischen Verfassung sein -,
denn es ist noch kein Prinzip vorhanden,
welches der wollenden Sittlichkeit entgegenstreben
und sie in ihrer Verwirklichung hindern könnte.

Die demokratische Verfassung ist hier die einzig mögliche:
die Bürger sind sich des Partikulären, hiermit aus des Bösen, noch nicht bewußt;
der objektive Wille ist ungebrochen in ihnen.

Athene, die Göttin, ist Athen selbst,
d.h. der wirkliche und konkrete Geist der Bürger.

Der Gott hört nur auf, in ihnen zu sein, wenn der Wille in sich,
in sein Adyton des Wissens und Gewissens zurückgegangen ist
und die unendliche Trennung des Subjektiven und Objektiven gesetzt hat.

Dies ist die wahrhafte Stellung der demokratischen Verfassung:
ihre Berechtigung und absolute Notwendigkeit
beruht auf dieser noch immanenten objektiven Sittlichkeit.

In den modernen Vorstellungen von der Demokratie liegt diese Berechtigung nicht:
die Interessen der Gemeine, die öffentlichen Angelegenheiten
sollen von dem Volke beratschlagt und beschlossen werden;
die Einzelnen sollen ratschlagen, ihre Meinung vortragen, ((308)) ihre Stimme abgeben,
und zwar darum,
weil das Staatsinteresse und die öffentlichen Angelegenheiten die ihrigen seien.

Alles dies ist ganz richtig,
aber der wesentliche Umstand und Unterschied liegt darin, wer diese Einzelnen sind.

Absolute Berechtigung haben sie nur, insofern ihr Wille noch der objektive Wille ist,
nicht dieses oder jenes will, nicht bloß guter Wille ist.

Denn der gute Wille ist etwas Partikuläres,
ruht auf der Moralität der Individuen, auf ihrer Überzeugung und Innerlichkeit.

Gerade die subjektive Freiheit,
welche das Prinzip und die eigentümliche Gestalt der Freiheit in unserer Welt,
welche die absolute Grundlage unseres Staats und unseres religiösen Lebens ausmacht,
konnte für Griechenland als das Verderben auftreten.

Die Innerlichkeit lag dem griechischen Geiste nahe, er musste bald dazu kommen;
aber sie stürzte seine Welt ins Verderben,
denn die Verfassung war nicht auf diese Seite berechnet
und kannte diese Bestimmung nicht, weil sie nicht in ihr vorhanden war.

Von den Griechen in der ersten und wahrhaften Gestalt ihrer Freiheit
können wir behaupten, daß sie kein Gewissen hatten;
bei ihnen herrschte die Gewohnheit, für das Vaterland zu leben, ohne weitere Reflexion.

Die Abstraktion eines Staates, der für unseren Verstand das Wesentliche ist,
kannten sie nicht,
sondern ihnen war der Zweck das lebendige Vaterland:
dieses Athen, dieses Sparta, diese Tempel, diese Altäre, diese Weise des Zusammenlebens,
dieser Kreis von Mitbürgern, diese Sitten und Gewohnheiten.

Dem Griechen war das Vaterland eine Notwendigkeit, ohne die er nicht leben konnte.

Die Sophisten, die Lehrer der Weisheit, waren es erst,
welche die subjektive Reflexion und die neue Lehre aufbrachten,
die Lehre, daß jeder nach seiner eigenen Überzeugung handeln müsse.

Sobald die Reflexion eintritt, so hat jeder seine eigene Meinung,
man untersucht, ob das Recht nicht verbessert werden könne,
man findet, anstatt sich ans Bestehende zu halten, die Überzeugung in sich,
und so beginnt eine subjektive unabhängige Freiheit,
wo das Individuum imstande ist, selbst gegen die bestehende Verfassung ((309))
alles an sein Gewissen zu setzen.

Jeder hat seine Prinzipien,
und wie er dafürhält, so ist er auch überzeugt, daß dies das Beste sei
und in die Wirklichkeit eingebildet werden müsse.

Von diesem Verfalle schon spricht Thukydides, wenn er sagt,
daß jeder meine, es gehe schlecht zu, wenn er nicht dabei sei.

Diesem Umstande, daß jeder sich ein Urteil zumutet,
ist das Vertrauen in große Individuen zuwider.

Wenn die Athener in früheren Zeiten dem Solon, ihnen Gesetze zu geben, auftragen,
wenn Lykurg in Sparta als Gesetzgeber und Ordner erscheint,
so liegt darin nicht, daß das Volk meint, das Rechte am besten zu wissen.

Auch später waren es große plastische Gestalten, in die das Volk sein Zutrauen setzte:
Kleisthenes, der die Verfassung noch demokratischer machte,
Miltiades, Themistokles, Aristides, Kimon,
die in den medischen Kriegen an der Spitze der Athener stehen,
und Perikles, der große Glanzpunkt von Athen;
aber sobald einer dieser großen Männer vollbracht hatte, was not tat,
trat der Neid,
d.h. das Gefühl der Gleichheit in Ansehung des besonderen Talents ein,
und er wurde entweder ins Gefängnis geworfen oder verbannt.

Endlich sind dann die Sykophanten im Volke aufgestanden,
die alles große von Individualität
und die Personen, die an der Spitze der Verwaltung standen, verunglimpften.

Es sind aber in den griechischen Republiken noch drei Umstände besonders hervorzuheben.

  1. Mit der Demokratie, wie sie nur in Griechenland gewesen ist,
    sind die Orakel verbunden.

Zu dem aus sich selbst Beschließen
gehört eine festgewordene Subjektivität des Willens, den überwiegende Gründe bestimmen;
die Griechen aber hatten diese Kraft und Stärke desselben noch nicht.

Bei Gelegenheit einer Kolonisation, bei der Aufnahme von fremden Göttern,
wenn ein Feldherr eine Schlacht liefern wollte, befragte man die Orakel.

Vor der Schlacht bei Platää ließ Pausanias die Opfertiere befragen
und erhielt vom Wahrsager Tisamenos den Bescheid,
daß die Opfer den ((310)) Griechen günstig seien,
wenn sie diesseits des Asopos blieben,
aber nicht, wenn sie über den Fluss gingen und die Schlacht anfingen.

Deshalb erwartete Pausanias den Angriff.

Die Griechen haben ebenso in ihren Privatangelegenheiten
nicht sowohl durch sich selbst entschieden
als die Entscheidung von etwas anderem hergenommen.

Mit dem Fortgange der Demokratie sehen wir freilich,
wie in den wichtigsten Angelegenheiten die Orakel nicht mehr befragt,
sondern die besonderen Ansichten der Volksredner
geltend gemacht werden und das Entscheidende sind.

Wie zu dieser Zeit Sokrates aus seinem Dämon geschöpft hat,
so haben die Volksführer und das Volk aus sich die Beschlüsse genommen.

Zugleich ist aber damit das Verderben,
die Zerrüttung und die fortwährende Abänderung der Verfassung eingetreten.

  1. Ein anderer Umstand, welcher hier hervorzuheben ist, ist die Sklaverei.

Diese war notwendige Bedingung einer schönen Demokratie,
wo jeder Bürger das Recht und die Pflicht hatte,
auf öffentlichem Platze Vorträge über die Staatsverwaltung zu halten und anzuhören,
in Gymnasien sich zu üben, Feste mitzumachen.

Die Bedingung dieser Beschäftigungen war notwendig,
daß der Bürger den Handwerksarbeiten entnommen sei
und daß also, was bei uns den freien Bürgern zufällt,
die Arbeit des täglichen Lebens, von den Sklaven verrichtet werde.

Die Gleichheit der Bürger brachte das Ausgeschlossensein der Sklaven mit sich.

Die Sklaverei hört erst auf, wenn der Wille unendlich in sich reflektiert ist,
wenn das Recht gedacht ist als dem Freien zukommend,
der Freie aber der Mensch ist nach seiner allgemeinen Natur als mit Vernunft begabt.

Hier aber stehen wir noch auf dem Standpunkt der Sittlichkeit,
welche nur Gewohnheit und Sitte ist und damit noch eine Partikularität im Dasein.

  1. Es muss noch drittens bemerkt werden,
    daß solche demokratische Verfassungen nur in kleinen Staaten möglich sind,
    in Staaten, die den Umfang von Städten nicht viel übersteigen.

Der ganze Staat der Athenienser ist in der einen Stadt vereinigt:
vom Theseus wird erzählt,
er habe die ((311)) zerstreuten Flecken zu einem Ganzen verbunden;
zur Zeit des Perikles im Anfang des Peloponnesischen Krieges
flüchtete sich beim Anrücken der Spartaner
die sämtliche Bevölkerung des athenischen Gebiets in die Stadt.

In solchen Städten nur kann das Interesse im ganzen gleich sein,
wogegen in großen Reichen
verschiedene Interessen, die sich widerstreiten, zu finden sind.

Das Zusammenleben in einer Stadt, der Umstand, daß man sich täglich sieht,
machen eine gemeinsame Bildung und eine lebendige Demokratie möglich.

In der Demokratie ist die Hauptsache,
daß der Charakter des Bürgers plastisch, aus einem Stück sei.

Er muss bei der Hauptverhandlung gegenwärtig sein;
er muss an der Entscheidung als solcher teilnehmen,
nicht durch die einzelne Stimme bloß,
sondern im Drang des Bewegens und Bewegtwerdens,
indem die Leidenschaft und das Interesse des ganzen Mannes dareingelegt
und auch im Vorgang die Wärme der ganzen Entscheidung gegenwärtig ist.

Die Einsicht, zu der sich alle bekehren sollen,
muss durch Erwärmung der Individuen vermittels der Rede hervorgebracht werden.

Geschähe diese durch die Schrift auf abstrakte, unlebendige Weise,
so würden die Individuen nicht zur Wärme der Allgemeinheit angefeuert,
und je größer die Menge wäre,
desto weniger würde die Einzelheit der Stimme Gewicht haben.

Man kann in einem großen Reiche wohl herumfragen,
Stimmen sammeln lassen in allen Gemeinden und die Resultate zählen,
wie das durch den französischen Konvent geschehen ist;
dies ist aber ein totes Wesen,
und die Welt ist da schon in eine Papierwelt auseinandergegangen und abgeschieden.

In der Französischen Revolution ist deshalb
niemals die republikanische Verfassung als eine Demokratie zustande gekommen,
und die Tyrannei, der Despotismus
erhob unter der Maske der Freiheit und Gleichheit seine Stimme.


[Blüte]

Wir kommen nun zur zweiten Periode der griechischen Geschichte.

Die erste Periode ließ den griechischen Geist zu seiner Kunst und Reife gelangen
- daß er so ist;
die zweite ((312)) enthält, wie er sich zeigt, in seinem Gange erscheint,
sich zu einem Werke für die Welt hervorbringt und sein Prinzip im Kampfe rechtfertigt
und gegen den Angriff siegreich behauptet.

Die Kriege mit den Persern

Die Periode der Berührung mit dem vorangegangenen welthistorischen Volke
ist überhaupt als die zweite in der Geschichte jeder Nation zu betrachten.

Die welthistorische Berührung der Griechen war die mit den Persern;
Griechenland hat sich darin aufs herrlichste dargestellt.

Die Veranlassung der medischen Kriege
war der Aufstand der ionischen Städte gegen die Perser,
indem die Athener und Eretrier denselben Hilfe leisteten.

Was die Athener namentlich dazu bestimmte, war der Umstand,
daß der Sohn des Peisistratos,
nachdem seine Versuche in Griechenland,
sich der Herrschaft über Athen wieder zu bemächtigen,
fehlgeschlagen waren,
sich an den König der Perser gewendet hatte.

Der Vater der Geschichte [Herodot] hat uns nun von diesen medischen Kriegen
eine glänzende Beschreibung gegeben,
und für den Zweck, den wir hier verfolgen,
brauchen wir darüber nicht weitläufig zu sein.

Lakedämon war zu Anfang der medischen Kriege im Besitz der Hegemonie
und hatte besonders im Peloponnes großes Ansehen erlangt,
teils dadurch, daß es das freie Volk der Messenier unterjocht
und zu Sklaven gemacht hatte,
teils weil es mehreren griechischen Staaten geholfen hatte,
seine Tyrannen zu vertreiben.

Dadurch gereizt, daß die Griechen den Ioniern gegen ihn beigestanden hatten,
sandte der Perserkönig Herolde an die griechischen Städte,
um sie aufzufordern, ihm Wasser und Erde zu geben,
d.h. seine Oberherrschaft anzuerkennen.

Die Gesandten wurden mit Verachtung zurückgewiesen,
und die Lakedämonier ließen sie sogar in einen Brunnen werfen,
was sie aber später so gereute,
daß sie zur Sühne zwei Lakedämonier nach Susa schickten.

Der Perserkönig sandte darauf ein Heer gegen ((313)) Griechenland.

Gegen diese große Übermacht fochten die Athener mit den Platäern
allein bei Marathon unter Führung des Miltiades und errangen den Sieg.

Später ist dann Xerxes mit seinen ungeheuren Völkermassen
gegen Griechenland herangezogen (Herodot beschreibt diesen Zug ausführlich);
zu der furchtbaren Landarmee
gesellte sich noch die nicht minder bedeutende Flotte.

Thrakien, Makedonien, Thessalien wurden bald unterworfen,
aber den Eingang ins eigentliche Griechenland, den Paß von Thermopylä,
verteidigten 300 Spartaner und 700 Thespier, deren Schicksal bekannt ist.

Das freiwillig verlassene Athen wurde verwüstet,
und die Götterbilder waren den Persern,
die das Gestaltlose und Ungeformte verehrten, ein Greuel.

Trotz der Uneinigkeit der Griechen
wurde die persische Flotte bei Salamis geschlagen;
an dem hohen Tage dieses Sieges
treffen die drei größten Tragiker Griechenlands merkwürdigerweise zusammen:
denn Aischylos kämpfte mit und half den Sieg erringen,
Sophokles tanzte beim Siegesfeste, und Euripides wurde geboren.

Nachher wurde das Heer,
welches unter dem Mardonios in Griechenland zurückblieb,
bei Platää von Pausanias geschlagen
und darauf die persische Macht an verschiedenen Punkten gebrochen.

So wurde Griechenland von der Last, welche es zu erdrücken drohte, befreit.

Es sind unstreitig größere Schlachten geschlagen worden,
diese aber leben unsterblich im Angedenken
der Geschichte der Völker nicht allein,
sondern auch der Wissenschaft und der Kunst, des Edlen und Sittlichen überhaupt.

Denn es sind welthistorische Siege: >
sie haben die Bildung und die geistige Macht gerettet
und dem asiatischen Prinzipe alle Kraft entzogen.

Wie oft haben nicht sonst Menschen für einen Zweck alles hingegeben,
wie oft sind nicht Krieger für Pflicht und Vaterland gestorben?

Hier ist aber nicht nur Tapferkeit, Genie und Mut zu bewundern,
sondern hier ist es der Inhalt, die Wirkung, der Erfolg,
die einzig in ihrer Art sind.

Alle anderen Schlachten haben ein mehr partikuläres Interesse;
der unsterbliche Ruhm der ((314)) Griechen aber
ist gerecht wegen der hohen Sache, welche gerettet worden ist.

In der Weltgeschichte hat nicht die formelle Tapferkeit,
nicht das sogenannte Verdienst,
sondern der Wert der Sache über den Ruhm zu entscheiden.

Das Interesse der Weltgeschichte hat hier auf der Waagschale gelegen.

Es standen gegeneinander der orientalische Despotismus,
also eine unter einem Herrn vereinigte Welt,
und auf der andern Seite geteilte und an Umfang und Mitteln geringe Staaten,
welche aber von freier Individualität belebt waren.

Niemals ist in der Geschichte die Überlegenheit der geistigen Kraft
über die Masse, und zwar über eine nicht verächtliche Masse,
in solchem Glanze erschienen.

Die Athener setzten ihre Eroberungskriege noch lange fort
und sind dadurch zu Wohlhabenheit gelangt,
während sich die Lakedämonier, die keine Seemacht hatten, ruhig verhielten.

Der Gegensatz von Athen und Sparta beginnt nunmehr,
ein beliebtes Thema der historischen Behandlung.

Man kann sagen, das Urteil, welchem dieser beiden Staaten der Vorzug gebühre,
sei müßig und man müsse zeigen,
wie jeder für sich eine notwendige würdige Gestalt wäre.

Man kann z.B. viele Kategorien für Sparta anführen,
man kann von Strenge der Sitten, von Gehorsam usw. sprechen,
aber die Hauptidee in diesem Staate ist die politische Tugend,
welche zwar Athen und Sparta gemein haben,
welche aber in dem einen Staate
sich zu dem Kunstwerke freier Individualität ausbildete,
in dem anderen in der Substantialität sich erhalten hat.

Ehe wir vom Peloponnesischen Kriege reden,
worin die Eifersucht Spartas und Athens zum Ausbruch kam,
haben wir den Grundcharakter beider Staaten näher zu zeigen,
wie sie sich, in politischer und sittlicher Hinsicht, unterschieden. ((315))

Athen

Wir haben Athen schon als eine Freistätte
für die Einwohner der anderen Gegenden Griechenlands kennengelernt,
in der sich ein sehr vermischtes Volk zusammenfand.

Die unterschiedenen Richtungen der menschlichen Betriebsamkeit,
Ackerbau, Gewerbe, Handel, vornehmlich zur See,
vereinigten sich in Athen, gaben aber zu vielem Zwiespalte Anlaß.

Ein Gegensatz von alten und reichen Geschlechtern und von ärmeren
hatte sich frühzeitig gebildet.

Drei Parteien, deren Unterschied auf die Lokalität
und damit zusammenhängende Lebensweise gegründet war,
stellten sich dann fest:

Die Pediäer, die Ebenenbewohner, die Reichen und Aristokraten;
die Diakrier, Bergbewohner, Wein- und Ölbauern und Hirten - die zahlreichsten;
zwischen beiden standen die Paraler, die Küstenbewohner, die Gemäßigten.

Der politische Zustand schwankte zwischen Aristokratie und Demokratie.

Solon bewirkte durch seine Einteilung in vier Vermögensklassen
ein Temperament zwischen diesen Gegensätzen;
sie alle zusammen machten die Volksversammlung
zur Beratung und zum Beschluß der öffentlichen Angelegenheiten aus;
den drei oberen Klassen aber waren die obrigkeitlichen Ämter vorbehalten.

Merkwürdig ist es, daß noch zu Solons Lebzeiten,
sogar bei seiner Anwesenheit und trotz seines Widerspruchs,
Peisistratos sich der Oberherrschaft bemächtigte;
die Verfassung war gleichsam noch nicht in Blut und Leben übergegangen,
sie war noch nicht die Gewohnheit der sittlichen und bürgerlichen Existenz geworden.

Noch merkwürdiger aber ist,
daß Peisistratos nichts an der Gesetzgebung änderte,
daß er, angeklagt, sich selber vor den Areopag stellte.

Die Herrschaft des Peisistratos und seiner Söhne
scheint notwendig gewesen zu sein,
um die Macht der Familien und Faktionen zu unterdrücken,
um sie an Ordnung und Frieden,
die Bürger aber an die Solonische Gesetzgebung zu gewöhnen.

Als dies erreicht war, musste die Herrschaft für überflüssig gelten
und die Gesetze der Freiheit ((316))
in Widerspruch mit der Macht der Peisistratiden treten.

Die Peisistratiden wurden vertrieben, Hipparch getötet und Hippias verbannt.

Nun standen aber wieder Parteien auf:
die Alkmäoniden, welche an der Spitze der Insurrektion standen,
begünstigten die Demokratie;
die Spartaner dagegen unterstützten die Gegenpartei des Isagoras,
welche eine aristokratische Richtung verfolgte.

Die Alkmäoniden, an ihrer Spitze Kleisthenes, behielten die Oberhand.

Dieser machte die Verfassung noch demokratischer, als sie war;
die “phylai,” deren bisher nur vier gewesen, wurden auf zehn vermehrt,
und dies hatte die Wirkung, daß der Einfluß der Geschlechter vermindert wurde.

Endlich hat Perikles die Staatsverfassung noch demokratischer gemacht,
indem er den Areopag in seiner wesentlichen Bedeutung schmälerte
und die Geschäfte, welche demselben bisher angehört hatten,
an das Volk und an die Gerichte brachte.

Perikles war ein Staatsmann von plastischem antiken Charakter.

Als er sich dem Staatsleben widmete, tat er auf das Privatleben Verzicht,
von allen Festen und Gelagen zog er sich zurück
und verfolgte unaufhörlich seinen Zweck, dem Staate nützlich zu sein,
wodurch er zu so großem Ansehen gelangte,
daß ihn Aristophanes den Zeus von Athen nennt.

Wir können nicht umhin, ihn aufs höchste zu bewundern:
er stand an der Spitze eines leichtsinnigen,
aber höchst feinen und durchaus gebildeten Volkes;
das einzige Mittel, Macht und Autorität über dasselbige zu erlangen,
war seine Persönlichkeit
und die Überzeugung, die er von sich gab,
daß er ein durchaus edler, allein auf das Wohl des Staates bedachter Mann sei,
sowie daß er den übrigen durch Geist und Kenntnisse überlegen wäre.

Nach der Seite der Macht der Individualität hin
können wir keinen Staatsmann ihm gleichstellen.

In der demokratischen Verfassung
ist überhaupt der Entwicklung großer politischer Charaktere
am meisten Raum gegeben;
denn sie vornehmlich läßt die Individuen nicht nur zu,
sondern fordert sie auf, ihr Talent geltend zu machen,
zugleich aber kann der Einzelne sich nur geltend machen, ((317))
wenn er den Geist und die Ansicht sowie die Leidenschaft und den Leichtsinn
eines gebildeten Volkes zu befriedigen weiß.

In Athen war eine lebendige Freiheit vorhanden
und eine lebendige Gleichheit der Sitte und der geistigen Bildung,
und wenn Ungleichheit des Vermögens nicht ausbleiben konnte,
so ging dieselbe nicht zum Extreme über.

Neben dieser Gleichheit und innerhalb dieser Freiheit
konnte sich alle Ungleichheit des Charakters und des Talents,
alle Verschiedenheit der Individualität aufs freieste geltend machen
und aus der Umgebung die reichste Anregung zur Entwicklung finden;
denn im ganzen waren die Momente des athenischen Wesens
Unabhängigkeit der Einzelnen und Bildung, beseelt vom Geiste der Schönheit.

Auf die Veranstaltung des Perikles hin
sind diese ewigen Denkmäler der Skulptur hervorgebracht worden,
deren geringe Überreste die Nachwelt in Erstaunen setzen;
vor diesem Volke sind die Dramen des Aischylos und Sophokles vorgestellt worden,
sowie später die des Euripides,
welche aber nicht mehr denselben plastischen sittlichen Charakter an sich tragen
und in denen sich schon mehr das Prinzip des Verderbens zu erkennen gibt.

An dieses Volk waren die Reden des Perikles gerichtet,
aus ihm erwuchs ein Kreis von Männern,
die klassische Naturen für alle Jahrhunderte geworden sind,
denn zu ihnen gehören außer den genannten Thukydides, Sokrates, Platon,
ferner Aristophanes,
der den ganzen politischen Ernst seines Volkes
zur Zeit des Verderbens in sich bewahrte
und durchaus in diesem Ernst
für das Wohl des Vaterlandes geschrieben und gedichtet hat.

Wir erkennen in den Athenern eine große Betriebsamkeit, Regsamkeit,
Ausbildung der Individualität innerhalb des Kreises eines sittlichen Geistes.

Der Tadel, der sich bei Xenophon und Platon über dieselben vorfindet,
geht mehr auf die späteren Zeiten,
wo das Unglück und Verderben der Demokratie schon gegenwärtig war.

Wenn wir aber ein Urteil der Alten
über das politische Leben Athens haben wollen,
so müssen wir uns nicht an Xenophon, selbst nicht ((318)) an Platon wenden,
sondern an die, welche sich ausdrücklich auf den bestehenden Staat verstehen,
welche dessen Angelegenheiten geführt
und als die größten Führer desselben gegolten haben - an die Staatsmänner.

Unter diesen ist Perikles aus dem Götterkreise der Individuen Athens
der Zeus derselben.

Thukydides legt ihm die gründlichste Schilderung von Athen in den Mund,
bei Gelegenheit der Totenfeier
der im zweiten Jahre des Peloponnesischen Krieges gefallenen Krieger.

Er sagt, er wolle zeigen, für welche Stadt sie gestorben seien
und für welches Interesse
(auf diese Weise wendet sich der Redner sogleich auf das Wesentliche).

Nun schildert er den Charakter Athens, und was er sagt,
ist sowohl vom Tiefsinnigsten als auch vom Richtigsten und Wahrsten.

Wir lieben das Schöne, sagt er,
aber ohne Prunk, ohne Verschwendung;
wir philosophieren,
ohne uns darum zur Weichlichkeit und Untätigkeit verleiten zu lassen
(denn wenn die Menschen ihren Gedanken nachhängen,
so entfernen sie sich vom Praktischen,
von der Tätigkeit fürs Öffentliche, fürs Allgemeine).

Wir sind kühn und keck, und bei diesem Mute
geben wir uns doch aber Rechenschaft von dem, was wir unternehmen
(wir haben ein Bewußtsein darüber);
bei anderen dagegen hat der Mut seinen Grund in dem Mangel an Bildung;
wir wissen am besten zu beurteilen,
was das Angenehme und was das Schwere sei,
dessenungeachtet entziehen wir uns den Gefahren nicht.

Sparta

Hier sehen wir dagegen die starre abstrakte Tugend, das Leben für den Staat,
aber so, daß die Regsamkeit, die Freiheit der Individualität zurückgesetzt ist.

Die Staatsbildung ((319)) Spartas beruht auf Anstalten,
welche vollkommen das Interesse des Staates sind,
die aber nur die geistlose Gleichheit
und nicht die freie Bewegung zum Ziel haben.

Schon die Anfänge Spartas sind sehr verschieden von denen Athens.

Die Spartaner waren Dorer, die Athenienser Ionier,
und dieser nationale Unterschied
macht sich auch rücksichtlich der Verfassung geltend.

Was die Entstehungsweise von Sparta betrifft,
so drangen die Dorer mit den Herakliden in den Peloponnes ein,
unterjochten die einheimischen Völkerschaften und verdammten sie zur Sklaverei,
denn die Heloten waren ohne Zweifel Eingeborene.

Was den Heloten widerfahren war, widerfuhr später den Messeniern,
denn eine so unmenschliche Härte lag in dem Charakter der Spartaner.

Während die Athener ein Familienleben hatten,
während die Sklaven bei ihnen Hausgenossen waren,
war das Verhältnis der Spartaner zu den Unterjochten
noch härter als das der Türken gegen die Griechen;
es war ein beständiger Kriegszustand in Lakedämon.

Beim Antritt ihres Amtes gaben die Ephoren
eine völlige Kriegserklärung gegen die Heloten,
und diese waren fortwährend
zu Kriegsübungen für die jüngeren Spartaner preisgegeben.

Die Heloten wurden einige Male freigelassen und kämpften gegen die Feinde;
es hielten sich auch dieselben in den Reihen der Spartaner außerordentlich tapfer;
als sie aber zurückkehrten,
wurden sie auf die feigste und hinterlistigste Weise niedergemetzelt.

Wie auf einem Sklavenschiff die Besatzung beständig bewaffnet ist
und die größte Vorsicht gebraucht wird, um eine Empörung zu verhindern,
so waren die Spartaner auf die Heloten immer aufmerksam,
stets in dem Zustande des Krieges, wie gegen Feinde.

Das Grundeigentum wurde schon von Lykurg, wie Plutarch erzählt,
in gleiche Teile geteilt,
wovon 9000 allein auf die Spartaner, das heißt die Einwohner der Stadt,
und 30000 auf die Lakedämonier oder Periöken kamen.

Zu gleicher Zeit wurde zum Behuf der Erhaltung der Gleichheit festgesetzt,
daß die Grundstücke nicht verkauft werden durften. ((320))

Aber wie geringe Erfolge eine solche Veranstaltung hat, beweist der Umstand,
daß Lakedämon in der Folge
besonders wegen der Ungleichheit des Besitzes herunterkam.

Da die Töchter erbten, so waren durch Heiraten
viele Güter in den Besitz weniger Familien gelangt,
und zuletzt befand sich alles Grundeigentum in den Händen einiger,
gleichsam um zu zeigen, wie töricht es sei,
eine Gleichheit auf gezwungene Weise veranstalten zu wollen,
welche, sowenig sie eine Wirksamkeit hat, noch dazu die wesentlichste Freiheit,
nämlich die Disposition über das Eigentum, vernichtet.

Ein anderes merkwürdiges Moment der Lykurgischen Gesetzgebung ist,
daß Lykurg alles andere Geld als das von Eisen verbot,
was notwendig eine Aufhebung alles Betriebes und Handels nach außen hin
nach sich zog.

Ebenso hatten die Spartaner keine Seemacht,
die allein den Handel unterstützen und begünstigen konnte,
und wenn sie einer solchen bedurften, so wandten sie sich an die Perser.

Zur Gleichheit der Sitten
und zur näheren Bekanntschaft der Bürger untereinander
sollte besonders beitragen,
daß die Spartaner gemeinschaftlich speisten,
durch welche Gemeinsamkeit aber das Familienleben hintangesetzt war;
denn Essen und Trinken ist eine Privatsache
und gehört damit dem Inneren des Hauses an.

So war es bei den Athenern:
bei ihnen war der Verkehr nicht materiell, sondern geistig,
und selbst die Gastmahle, wie wir aus Xenophon und Platon sehen,
waren geistiger Art.

Bei den Spartanern dagegen
wurden die Kosten des gemeinschaftlichen Essens
durch die Beiträge der Einzelnen gedeckt,
und wer zu arm war, einen Beitrag zu liefern, war dadurch ausgeschlossen.

Was nun die politische Verfassung Spartas betrifft,
so war die Grundlage wohl demokratisch, aber mit starken Modifikationen,
die sie fast zur Aristokratie und Oligarchie machten.

An der Spitze des Staates standen zwei Könige,
neben ihnen bestand ein Senat (“geroydia”),
der aus den Besten gewählt wurde
und auch die Funktionen eines Gerichtshofes versah,
wobei er mehr nach sittlichen und rechtlichen Gewohnheiten ((321))
als nach geschriebenen Gesetzen entschied.

außerdem war die “geroydia” auch noch die oberste Regierungsbehörde,
der Rat der Könige, dem die wichtigsten Angelegenheiten unterlagen.

Endlich war eine der höchsten Magistraturen die der Ephoren,
über deren Wahl wir keine bestimmten Nachrichten erhalten haben;
Aristoteles sagt, die Art der Wahl sei gar zu kindisch.

Durch Aristoteles sind wir davon unterrichtet,
daß auch Leute ohne Adel, ohne Vermögen
zu dieser Magistratur gelangen konnten.

Die Ephoren besaßen die Vollmacht, Volksversammlungen zusammenzuberufen,
abstimmen zu lassen, Gesetze vorzuschlagen,
ungefähr wie die tribuni plebis in Rom.

Ihre Gewalt wurde tyrannisch,
der ähnlich, welche Robespierre und seine Anhänger
eine Zeitlang in Frankreich ausgeübt haben.

Indem die Lakedämonier durchaus ihren Geist auf den Staat richteten,
war Geistesbildung, Kunst und Wissenschaft bei ihnen nicht einheimisch.

Die Spartaner erschienen den übrigen Griechen
als starre, plumpe und ungeschickte Menschen,
die schon ein wenig verwickelte Geschäfte nicht durchführen konnten
oder sich wenigstens dabei sehr unbehilflich nahmen.

Thukydides läßt die Athener zu den Spartanern sagen:

“Ihr habt Gesetze und Sitten, die mit anderen nichts gemein haben;
und dazu verfahrt ihr, wenn ihr ins Ausland kommt,
weder nach jenen noch nach dem, was sonst in Hellas herkömmlich ist.”

Im einheimischen Verkehr waren sie im ganzen rechtlich;
was aber das Verfahren gegen auswärtige Nationen anbetrifft,
so erklärten sie selbst unverhohlen,
daß sie das Beliebige für löblich und das Nützliche für recht hielten.

Es ist bekannt, daß in Sparta (ähnlich wie in Ägypten)
das Wegnehmen von Lebensbedürfnissen in gewissen Beziehungen erlaubt war,
nur durfte der Dieb sich ((322)) nicht entdecken lassen.

So stehen sich beide Staaten, Athen und Sparta, gegenüber.

Die Sittlichkeit des einen ist eine starre Richtung auf den Staat,
in dem anderen ist eben solche sittliche Beziehung zu finden,
aber mit ausgebildetem Bewußtsein
und mit unendlicher Tätigkeit im Hervorbringen des Schönen
und dann auch des Wahren.

Diese griechische Sittlichkeit,
so höchst schön, liebenswürdig und interessant sie ist in ihrer Erscheinung,
ist dennoch nicht der höchste Standpunkt des geistigen Selbstbewußtseins;
es fehlt ihr die unendliche Form, eben jene Reflexion des Denkens in sich,
die Befreiung von dem natürlichen Momente, dem Sinnlichen,
das in dem Charakter der Schönheit und der Göttlichkeit liegt,
sowie von der Unmittelbarkeit, in welcher die Sittlichkeit ist;
es fehlt das sich selbst Erfassen des Gedankens,
die Unendlichkeit des Selbstbewußtseins,
daß, was mir als Recht und Sittlichkeit gelten soll,
sich in mir, aus dem Zeugnisse meines Geistes bestätige,
daß das Schöne, die Idee nur in sinnlicher Anschauung oder Vorstellung,
auch zum Wahren werde, zu einer innerlichen, übersinnlichen Welt.

Auf dem Standpunkte der schönen geistigen Einheit,
wie wir sie soeben bezeichnet haben,
konnte der Geist nur kurze Zeit stehenbleiben,
und die Quelle des weiteren Fortschrittes und des Verderbens
war das Element der Subjektivität, der Moralität, der eigenen Reflexion
und der Innerlichkeit.

Die schönste Blüte des griechischen Lebens dauerte ungefähr nur 60 Jahre,
von den Medischen Kriegen 492 v. Chr. Geburt
bis zum Peloponnesischen 431 v. Chr. Geburt.

Das Prinzip der Moralität, das eintreten musste,
wurde der Anfang des Verderbens;
es zeigte sich aber in Athen und Sparta in einer verschiedenen Gestalt:
in Athen als offener Leichtsinn, in Sparta als Privatverderben.

Die Athener erwiesen sich bei ihrem Untergange nicht nur liebenswürdig,
sondern groß, edel, auf eine Weise, daß wir denselben bedauern müssen,
wogegen bei den Spartanern das Prinzip der Subjektivität
zu einer gemeinen Habsucht und zu einem gemeinen Verderben fortgeht. ((323))

Der Peloponnesische Krieg

Das Prinzip des Verderbens offenbarte sich zunächst
in der äußeren politischen Entwicklung,
sowohl in dem Kriege der griechischen Staaten gegeneinander
als im Kampfe der Faktionen innerhalb der Städte.

Die griechische Sittlichkeit hatte Griechenland unfähig gemacht,
einen gemeinsamen Staat zu bilden;
denn die Absonderung kleiner Staaten gegeneinander,
die Konzentration in Städten,
wo das Interesse, die geistige Ausbildung im ganzen dieselben sein konnten,
war notwendige Bedingung dieser Freiheit.

Nur eine momentane Vereinigung ist im Trojanischen Kriege vorhanden gewesen,
und sogar in den Medischen Kriegen konnte diese Einheit nicht zustande kommen.

Wenn auch eine Richtung nach derselben zu erkennen ist,
so war sie teils schwach, teils der Eifersucht ausgesetzt,
und der Kampf wegen der Hegemonie brachte die Staaten gegeneinander auf.

Der allgemeine Ausbruch der Feindseligkeiten
erfolgte endlich im Peloponnesischen Kriege.

Vor demselben und noch zu Anfang des Krieges
stand Perikles an der Spitze der Athenienser,
des auf seine Freiheit eifersüchtigsten Volks;
nur seine hohe Persönlichkeit und sein großes Genie
erhielt ihm seinen Standpunkt.

Athen hatte seit den Medischen Kriegen die Hegemonie;
eine Menge von Bundesgenossen, teils Inseln, teils Städte,
musste einen Beitrag zur Fortsetzung des Krieges gegen die Perser liefern,
und anstatt in Flotten oder in Truppen
wurde diese Beisteuer in Gelde ausgezahlt.

Dadurch konzentrierte sich eine ungeheure Macht in Athen;
ein Teil des Geldes wurde auf große Architekturwerke verwendet,
wovon die Bundesgenossen, als von Werken des Geistes,
ebenso einen Genuß hatten.

Daß aber Perikles das Geld nicht allein in Kunstwerken erschöpfte,
sondern auch sonst für das Volk sorgte,
konnte man nach seinem Tode aus der Menge von Vorräten bemerken,
welche in vielen Magazinen, besonders aber im Seearsenale aufgehäuft waren.

Xenophon sagt: wer bedarf nicht Athens?
bedürfen seiner ((324)) nicht alle Länder,
die reich sind an Korn und Herden, Öl und Wein,
nicht alle, die mit Gold oder mit ihrem Verstande wuchern wollen?

Handwerker, Sophisten, Philosophen, Dichter
und alle, welche nach Sehens- und Hörenswertem
im Heiligen und im Öffentlichen Verlangen haben?

Der Kampf des Peloponnesischen Krieges
war nur wesentlich zwischen Athen und Sparta.

Thukydides hat uns die Geschichte des größten Teils desselben hinterlassen,
und dieses unsterbliche Werk
ist der absolute Gewinn, welchen die Menschheit von jenem Kampfe hat.

Athen ließ sich
zu den schwindelhaften Unternehmungen des Alkibiades hinreißen,
und dadurch schon sehr geschwächt, unterlag es den Spartanern,
die die Verräterei begingen, sich an Persien zu wenden,
und von dem Könige Geld und eine Seemacht erlangten.

Diese haben sich dann ferner einer weiteren Verräterei schuldig gemacht,
indem sie in Athen und in den Städten Griechenlands
überhaupt die Demokratie aufhoben
und Faktionen das Übergewicht gaben, welche die Oligarchie verlangten,
aber nicht stark genug waren, sich durch sich selber zu halten.

Im Antalkidischen Frieden beging endlich Sparta den Hauptverrat,
daß es die griechischen Städte in Kleinasien der persischen Herrschaft überließ.

Lakedämon hatte nun,
sowohl durch die in den Ländern eingesetzten Oligarchien
als durch Besatzungen, welche es in einigen Städten, wie in Theben, unterhielt,
ein großes Übergewicht erlangt.

Aber die griechischen Staaten waren weit empörter
über die spartanische Unterdrückung,
als sie es vorher über die athenische Herrschaft gewesen waren,
sie warfen das Joch ab;
Theben stand an ihrer Spitze
und wurde auf einen Moment das ausgezeichnetste Volk in Griechenland.

Spartas Herrschaft wurde aufgelöst
und durch die Wiederherstellung des messenischen Staates
Lakedämon eine bleibende Macht gegenübergestellt.

Zwei Männer aber waren es namentlich,
denen Theben seine ganze Macht verdankte, Pelopidas und Epameinondas;
so wie denn überhaupt in jenem Staate das Subjektive das Überwiegende war.

Daher ((325)) blühte hier besonders die Lyrik, die Dichtkunst des Subjektiven;
eine Art von subjektiver Gemütlichkeit zeigt sich auch darin,
daß die sogenannte Heilige Schar,
welche den Kern des thebanischen Heeres bildete,
als aus Liebhabern und Lieblingen bestehend angesehen wurde,
wie denn auch die Kraft der Subjektivität sich hauptsächlich dadurch bewährte,
daß nach dem Tode des Epameinondas
Theben in seine alte Stellung zurückfiel.

Das geschwächte und zerrüttete Griechenland
konnte nun keine Rettung mehr in sich selbst finden und bedurfte einer Autorität.

In den Städten gab es unaufhörliche Kämpfe,
und die Bürger teilten sich in Faktionen,
wie in den italienischen Städten des Mittelalters.

Der Sieg der einen zog die Verbannung der anderen nach sich,
und diese wandte sich dann gemeiniglich an die Feinde ihrer Vaterstadt,
um dieselbe zu bekriegen.

Ein ruhiges Bestehen der Staaten nebeneinander war nicht mehr möglich,
sie bereiteten sich sowohl gegenseitig als in sich selbst den Untergang vor.

Wir haben nun das Verderben der griechischen Welt
in seiner tieferen Bedeutung aufzufassen
und das Prinzip derselben auszusprechen
als die für sich frei werdende Innerlichkeit.

Die Innerlichkeit sehen wir auf eine mehrfache Weise entstehen;
der griechischen schönen Religion droht der Gedanke, das innerlich Allgemeine;
den Staatsverfassungen und Gesetzen
drohen die Leidenschaften der Individuen und die Willkür
und dem ganzen unmittelbaren Bestehen
die in allem sich erfassende und sich zeigende Subjektivität.

Das Denken erscheint also hier als das Prinzip des Verderbens,
und zwar des Verderbens der substantiellen Sittlichkeit;
denn es stellt einen Gegensatz auf
und macht wesentlich Vernunftprinzipien geltend.

In den orientalischen Staaten, in welchen die Gegensatzlosigkeit vorhanden ist,
kann es nicht zu einer moralischen Freiheit kommen,
da das höchste Prinzip die Abstraktion ist.

Indem aber das Denken sich affirmativ weiß, wie in Griechenland,
so stellt es Prinzipien auf, und diese stehen
in einem wesentlichen Verhältnisse zur vorhandenen ((326)) Wirklichkeit.

Denn die konkrete Lebendigkeit bei den Griechen ist Sittlichkeit,
Leben für die Religion, den Staat, ohne weiteres Nachdenken,
ohne allgemeine Bestimmungen,
die sich sogleich von der konkreten Gestaltung entfernen
und sich ihr gegenüberstellen müssen.

Das Gesetz ist vorhanden und der Geist in ihm.

Sobald aber der Gedanke aufsteht, untersucht er die Verfassungen:
er bringt heraus, was das Bessere sei, und verlangt,
daß das, was er dafür anerkennt, an die Stelle des Vorhandenen trete.

In dem Prinzip der griechischen Freiheit, weil sie Freiheit ist, liegt es,
daß der Gedanke für sich frei werden muß.

Aufgehen sahen wir ihn zuerst im Kreise der sieben Weisen,
deren wir schon Erwähnung taten.

Diese fingen zuvörderst an, allgemeine Sätze auszusprechen,
doch wurde zu jener Zeit
die Weisheit noch mehr in die konkrete Einsicht gesetzt.

Parallel mit dem Fortgange der Ausbildung
der religiösen Kunst und des politischen Zustandes
geht die Erstarkung des Gedankens, ihres Feindes und Zerstörers, fort,
und zur Zeit des Peloponnesischen Krieges
war die Wissenschaft schon ausgebildet.

Mit den Sophisten hat das Reflektieren über das Vorhandene
und das Räsonieren seinen Anfang genommen.

Eben diese Betriebsamkeit und Tätigkeit,
die wir bei den Griechen im praktischen Leben und in der Kunstausübung sahen,
zeigte sich bei ihnen in dem Hin- und Hergehen
und Wenden in den Vorstellungen,
so daß, wie die sinnlichen Dinge
von der menschlichen Tätigkeit verändert, verarbeitet, verkehrt werden,
ebenso der Inhalt des Geistes, das Gemeinte, das Gewußte
hin und her bewegt, Objekt der Beschäftigung
und diese Beschäftigung ein Interesse für sich wird.

Die Bewegung des Gedankens und das innerliche Ergehen darin,
dies interesselose Spiel wird nun selbst zum Interesse.

Die gebildeten Sophisten, nicht Gelehrte oder wissenschaftliche Männer,
sondern Meister der Gedankenwendungen, setzten die Griechen in Erstaunen.

Auf alle Fragen hatten sie eine Antwort,
für alle Interessen politischen und religiösen Inhalts
hatten sie allgemeine Gesichtspunkte, ((327))
und die weitere Ausbildung bestand darin, alles beweisen zu können,
in allem eine zu rechtfertigende Seite aufzufinden.

In der Demokratie ist es das besondere Bedürfnis,
vor dem Volke zu sprechen, ihm etwas vorstellig zu machen,
und dazu gehört, daß ihm der Gesichtspunkt, den es als wesentlich ansehen soll,
gehörig vor die Augen geführt werde.

Hier ist die Bildung des Geistes notwendig,
und diese Gymnastik haben die Griechen sich bei ihren Sophisten erworben.

Es wurde aber nun diese Gedankenbildung das Mittel,
seine Absichten und Interessen bei dem Volke durchzusetzen;
der geübte Sophist wußte den Gegenstand
nach dieser oder jener Seite hin zu wenden,
und so war den Leidenschaften Tür und Tor geöffnet.

Ein Hauptprinzip der Sophisten hieß:

“Der Mensch ist das Maß aller Dinge”; hierin, wie in allen Aussprüchen derselben, liegt aber die Zweideutigkeit,
daß der Mensch der Geist in seiner Tiefe und Wahrhaftigkeit
oder auch in seinem Belieben und besonderen Interessen sein kann.

Die Sophisten meinten den bloß subjektiven Menschen
und erklärten hiermit das Belieben für das Prinzip dessen, was recht ist,
und das dem Subjekte Nützliche für den letzten Bestimmungsgrund.

Diese Sophistik kehrt zu allen Zeiten nur in verschiedenen Gestalten wieder;
so auch in unseren Zeiten macht sie
das subjektive Dafürhalten von dem, was recht ist,
das Gefühl, zum Bestimmungsgrund.

In der Schönheit, als dem Prinzipe der Griechen,
war die konkrete Einheit des Geistes
mit der Realität, mit Vaterland und Familie usw. verbunden.

Bei dieser Einheit war noch kein fester Standpunkt
innerhalb des Geistes selbst gefaßt,
und der Gedanke, der sich über die Einheit erhob,
hatte noch das Belieben zu seinem Entscheidenden.

Aber schon Anaxagoras hatte gelehrt,
daß der Gedanke selbst das absolute Wesen der Welt sei.

In Sokrates ist es dann, daß zu Anfang des Peloponnesischen Krieges
das Prinzip der Innerlichkeit,
der absoluten Unabhängigkeit des Gedankens in sich,
zum freien Aussprechen gelangt ist.

Er lehrte, daß der ((328)) Mensch in sich zu finden und zu erkennen habe,
was das Rechte und Gute ist,
und daß dies Rechte und Gute seiner Natur nach allgemein sei.

Sokrates ist als moralischer Lehrer berühmt;
vielmehr aber ist er der Erfinder der Moral.

Sittlichkeit haben die Griechen gehabt;
aber welche moralischen Tugenden, Pflichten usw.,
das wollte sie Sokrates lehren.

Der moralische Mensch ist nicht der, welcher bloß das Rechte will und tut,
nicht der unschuldige Mensch,
sondern der, welcher das Bewußtsein seines Tuns hat.

Sokrates, indem er es der Einsicht, der Überzeugung anheimgestellt hat,
den Menschen zum Handeln zu bestimmen,
hat das Subjekt als entscheidend gegen Vaterland und Sitte gesetzt
und sich somit zum Orakel im griechischen Sinne gemacht.

Er sagte, daß er ein “daimonion” in sich habe, das ihm rate, was er tun solle,
und ihm offenbare, was seinen Freunden nützlich sei.

Durch die aufgehende innere Welt der Subjektivität
ist der Bruch mit der Wirklichkeit eingetreten.

Wenn Sokrates selbst zwar noch seine Pflichten als Bürger erfüllte,
so war ihm doch nicht dieser bestehende Staat und dessen Religion,
sondern die Gedankenwelt die wahre Heimat.

Nun wurde die Frage aufgeworfen, ob Götter sind, und was sie sind.

Der Schüler des Sokrates, Platon,
verbannte aus seinem Staate den Homer und Hesiod,
die Urheber der religiösen Vorstellungsart der Griechen,
denn er verlangte eine höhere, dem Gedanken zusagende Vorstellung
von dem, was als Gott verehrt werden soll.

Viele Bürger schieden jetzt
vom praktischen Leben, von Staatsgeschäften ab,
um in der idealen Welt zu leben.

Das Prinzip des Sokrates erweist sich als revolutionär
gegen den athenischen Staat;
denn das Eigentümliche dieses Staates ist,
daß die Sitte die Form ist, worin er besteht,
nämlich die Untrennbarkeit des Gedankens von dem wirklichen Leben.

Wenn Sokrates seine Freunde zum Nachdenken bringen will,
so ist die Unterhaltung immer negativ,
d.h. er bringt sie zum Bewußtsein, daß sie nicht wissen, was das Rechte sei.

Wenn er nun aber,
weil er das Prinzip, das nunmehr herankommen muss, ((329)) ausspricht,
zum Tode verurteilt wird,
so liegt darin ebensosehr die hohe Gerechtigkeit,
daß das athenische Volk seinen absoluten Feind verurteilt,
als auch das Hochtragische, daß die Athener erfahren mussten,
daß das, was sie im Sokrates verdammten,
bei ihnen schon feste Wurzel gefaßt hatte,
daß sie ebenso mitschuldig oder ebenso freizusprechen seien.

In diesem Gefühle haben sie die Ankläger des Sokrates verdammt
und diesen für unschuldig erklärt.

In Athen entwickelte sich nunmehr das höhere Prinzip, welches das Verderben
des substantiellen Bestehens des athenischen Staates war, immer mehr und mehr:
der Geist hatte den Hang, sich selbst zu befriedigen, nachzudenken, gewonnen.

Auch im Verderben erscheint der Geist Athens herrlich,
weil er sich als der freie zeigt, als der liberale,
der seine Momente in ihrer reinen Eigentümlichkeit,
in der Gestalt, wie sie sind, darstellt.

Liebenswürdig und selbst im Tragischen heiter
ist die Munterkeit und der Leichtsinn,
mit denen die Athener ihre Sittlichkeit zu Grabe begleiten.

Wir erkennen darin das höhere Interesse der neuen Bildung,
daß sich das Volk über seine eigenen Torheiten lustig machte
und großes Vergnügen an den Komödien des Aristophanes fand,
die eben die bitterste Verspottung zu ihrem Inhalte haben
und zugleich das Gepräge der ausgelassensten Lustigkeit an sich tragen.

In Sparta tritt dasselbe Verderben ein, daß das Subjekt sich für sich
gegen das allgemeine sittliche Leben geltend zu machen sucht:
aber da zeigt sich uns bloß die einzelne Seite der partikulären Subjektivität,
das Verderben als solches, die blanke Immoralität,
die platte Selbstsucht, Habsucht, Bestechlichkeit.

Alle diese Leidenschaften tun sich innerhalb Spartas
und besonders in den Personen seiner Feldherrn hervor,
die, meistens vom Vaterlande entfernt, die Gelegenheit erhalten,
auf Kosten des eigenen Staates sowohl als derer,
welchen sie zum Beistande geschickt sind, Vorteile zu erlangen. ((330))

Das makedonische Reich

Nach Athens Unglück übernahm Sparta die Hegemonie,
mißbrauchte aber, wie schon gesagt worden ist, dieselbe
auf eine so selbstsüchtige Weise, daß es allgemein verhaßt wurde.

Theben konnte die Rolle, Sparta zu demütigen, nicht lange behaupten
und erschöpfte sich am Ende in dem Kriege mit den Phokensern.

Die Spartaner und Phokenser waren nämlich,
jene, weil sie die Burg von Theben überfallen,
diese, weil sie ein dem delphischen Apoll gehöriges Landstück beackert hatten,
zu namhaften Geldstrafen verurteilt worden.

Beide Staaten verweigerten aber die Bezahlung,
denn das Amphiktyonengericht
hatte eben nicht viel mehr Autorität als der alte deutsche Reichstag,
dem die deutschen Fürsten gehorchten, soviel sie eben wollten.

Die Phokenser sollten nun von den Thebanern bestraft werden,
jene gelangten aber durch eine eigentümliche Gewalttat,
nämlich durch Entweihung und Plünderung des Tempels zu Delphi,
zu einer augenblicklichen Macht.

Diese Tat vollendete den Untergang Griechenlands,
das Heiligtum war entweiht, der Gott sozusagen getötet;
der letzte Haltpunkt der Einheit wurde damit vernichtet,
die Ehrfurcht für das, was in Griechenland gleichsam immer
der letzte Wille, das monarchische Prinzip gewesen war,
außer Augen gesetzt, verhöhnt und mit Füßen getreten.

Der weitere Fortgang ist nun der ganz naive,
daß nämlich an der Stelle des herabgesetzten Orakels
ein anderer entscheidender Wille,
ein wirkliches gewalthabendes Königtum auftritt.

Der fremde makedonische König Philipp übernahm es,
die Verletzung des Orakels zu rächen,
und trat nun an die Stelle desselben,
indem er sich zum Herrn von Griechenland machte.

Philipp unterwarf sich die hellenischen Staaten
und brachte sie zu dem Bewußtsein,
daß es mit ihrer Unabhängigkeit aus sei
und daß sie sich nicht mehr selbständig erhalten könnten.

Die Kleinkrämerei, das Harte, Gewaltsame, politisch Betrügerische
- dies Gehässige,
das dem ((331)) Philipp so oft zum Vorwurf gemacht worden ist -
fiel nicht mehr auf den Jüngling Alexander,
als sich dieser an die Spitze der Griechen stellte.

Dieser hatte es nicht nötig, sich dergleichen zuschulden kommen zu lassen;
er brauchte sich nicht damit abzugeben, sich erst ein Heer zu bilden,
denn er fand es schon vor.

Gleichwie er den Bukephalos nur zu besteigen,
denselben zu zügeln und seinem Willen folgsam zu machen brauchte,
ebenso fand er jene makedonische Phalanx,
jene starre geordnete Eisenmasse vor,
deren kräftige Wirkung sich schon unter Philipp,
der sie dem Epameinondas nachgebildet, geltend gemacht hatte.

Von dem tiefsten und auch umfangreichsten Denker des Altertums,
von Aristoteles, war Alexander erzogen worden,
und die Erziehung war des Mannes würdig, der sie übernommen hatte.

Alexander wurde in die tiefste Metaphysik eingeführt;
dadurch wurde sein Naturell vollkommen gereinigt
und von den sonstigen Banden der Meinung, der Roheit,
des leeren Vorstellens befreit.

Aristoteles hat diese große Natur so unbefangen gelassen, als sie war,
ihr aber das tiefe Bewußtsein von dem, was das Wahrhafte ist, eingeprägt
und den genievollen Geist, der er war, zu einem plastischen,
gleich wie eine frei in ihrem Äther schwebende Kugel, gebildet.

So ausgebildet stellte sich Alexander an die Spitze der Hellenen,
um Griechenland nach Asien hinüberzuführen.

Ein zwanzigjähriger Jüngling, führte er eine durch und durch erfahrene Armee,
deren Feldherrn lauter bejahrte
und in der Kriegskunst wohlbewanderte Männer waren.

Alexanders Zweck war es,
Griechenland für alles, was ihm von Asien seit langer Zeit angetan worden war,
zu rächen und den alten Zwiespalt und Kampf zwischen dem Osten und Westen
endlich auszukämpfen.

Wenn er dem Orient in diesem Kampfe das Übel vergalt,
das Griechenland von ihm erfahren,
so gab er ihm auch für die Anfänge der Bildung, welche von daher gekommen,
das Gute zurück,
indem er die Reife und Hoheit der Bildung über den Osten verbreitete ((332))
und das von ihm besetzte Asien
gleichsam zu einem hellenischen Lande umstempelte.

Die größe und das Interesse dieses Werkes
stand im Gleichgewicht mit seinem Genie,
mit seiner eigentümlichen jugendlichen Individualität,
die wir in dieser Schönheit nicht wieder
an der Spitze eines solchen Unternehmens gesehen haben.

Denn in ihm waren nicht allein Feldherrngenie,
der größte Mut und die größte Tapferkeit vereinigt,
sondern alle diese Eigenschaften wurden
durch schöne Menschlichkeit und Individualität erhöht.

Obschon seine Feldherrn ihm ergeben sind,
so waren sie doch die alten Diener seines Vaters gewesen,
und dies machte seine Lage schwierig;
denn seine größe und seine Jugend ist eine Demütigung für sie,
die sich und was geschehen für fertig hielten;
und wenn ihr Neid, wie bei Kleitos, zur blinden Wut überging,
so wurde auch Alexander zu großer Heftigkeit gezwungen.

Alexanders Zug nach Asien war zugleich ein Entdeckungszug,
denn er zuerst hat den Europäern die orientalische Welt eröffnet
und ist in Länder wie Baktrien, Sogdiana, das nördliche Indien,
die seitdem kaum wieder von den Europäern berührt worden sind,
vorgedrungen.

Die Art der Verfolgung des Zuges,
nicht minder das militärische Genie in der Anordnung der Schlachten,
in der Taktik überhaupt,
wird immer ein Gegenstand der Bewunderung bleiben.

Er war groß als Feldherr in den Schlachten,
weise in den Zügen und Anordnungen
und der tapferste Soldat im Gewühl des Kampfes.

Der Tod Alexanders, der im 33. Jahre seines Lebens zu Babylon erfolgte,
gibt uns noch ein schönes Schauspiel seiner Größe
und den Beweis von seinem Verhältnisse zum Heere,
denn er nimmt von demselben
mit dem vollkommenen Bewußtsein seiner Würde Abschied.

Alexander hat das Glück gehabt, zur gehörigen Zeit zu sterben;
man kann es zwar ein Glück nennen, aber es ist vielmehr eine Notwendigkeit.

Damit er als Jüngling für die Nachwelt dastehe,
musste ihn ein frühzeitiger Tod wegraffen.

So wie Achill, was schon oben bemerkt wurde,
die ((333)) griechische Welt beginnt,
so beschließt sie Alexander,
und diese Jünglinge geben nicht nur die schönste Anschauung von sich selbst,
sondern liefern zu gleicher Zeit
ein ganz vollendetes fertiges Bild des griechischen Wesens.

Alexander hat sein Werk vollendet und sein Bild abgeschlossen,
so daß er der Welt
eine der größten und schönsten Anschauungen darin hinterlassen hat,
welche wir nur mit unseren schlechten Reflexionen trüben können.

Es würde zu der großen weltgeschichtlichen Gestalt Alexanders
nicht heranreichen, wenn man ihn,
wie die neueren Philister unter den Historikern tun,
nach einem modernen Maßstab, dem der Tugend oder Moralität, messen wollte.

Und wenn man, etwa um sein Verdienst zu verringern,
anführte, er habe keinen Nachfolger gehabt und keine Dynastie hinterlassen,
so sind eben die nach ihm in Asien sich bildenden griechischen Reiche
seine Dynastie.

Zwei Jahre hat er in Baktrien Feldzüge gemacht,
von wo aus er mit den Massageten und Skythen in Berührung kam;
dort ist das griechisch-baktrische Reich entstanden,
welches zwei Jahrhunderte bestanden hat.

Von hier aus kamen die Griechen in Verbindung mit Indien und selbst mit China.

Die griechische Herrschaft hat sich über das nördliche Indien ausgebreitet,
und Sandrokottus (Tschandragupta) wird als derjenige genannt,
welcher sich zuerst davon befreit habe.

Derselbe Name kommt zwar bei den Indern vor,
aber aus Gründen, welche schon angeführt worden sind,
kann man sich sehr wenig darauf verlassen.

Andere griechische Reiche sind in Kleinasien, in Armenien,
in Syrien und Babylonien entstanden.

Besonders Ägypten ist aber unter den Reichen der Nachfolger Alexanders
ein großer Mittelpunkt für Wissenschaft und Kunst geworden,
denn eine große Menge von Architekturwerken fällt in die Zeit der Ptolemäer,
wie man aus den entzifferten Inschriften herausgebracht hat.

Alexandria wurde der Hauptmittelpunkt des Handels, der Vereinigungsort
morgenländischer Sitte und Tradition und westlicher Bildung.

außerdem blühten das makedonische Reich,
das thrakische bis über die ((334)) Donau,
ein illyrisches und Epirus unter der Herrschaft griechischer Fürsten.

Auch den Wissenschaften war Alexander außerordentlich
zugetan, und er wird nächst Perikles als der freigebigste
Gönner der Künste gerühmt.

Meyer sagt in seiner Kunstgeschichte,
daß dem Alexander nicht weniger seine verständige Kunstliebe
als seine Eroberungen das ewige Andenken erhalten haben.

Dritter Abschnitt Der Untergang des griechischen Geistes

Diese dritte Periode der Geschichte der hellenischen Welt,
welche die ausführliche Entwicklung des Unglücks Griechenlands enthält,
interessiert uns weniger.

Die ehemaligen Feldherrn Alexanders, nunmehr als Könige selbständig auftretend,
führten lange Kriege gegeneinander
und erfuhren fast alle die abenteuerlichsten Umwälzungen des Schicksals.

Namentlich ausgezeichnet und hervorstechend ist in dieser Hinsicht
das Leben des Demetrios Poliorketes.

In Griechenland waren die Staaten in ihrem Bestehen geblieben:
von Philipp und Alexander zum Bewußtsein ihrer Schwäche gebracht,
fristeten sie noch ein scheinbares Leben und brüsteten sich mit einer unwahren Selbständigkeit.

Das Selbstgefühl, das die Unabhängigkeit gibt, konnten sie nicht haben,
und es traten diplomatische Staatsmänner an die Spitze der Staaten,
Redner, die nicht mehr zugleich Feldherrn, wie z.B. Perikles, waren.

Die griechischen Länder stehen nunmehr
in einem mannigfachen Verhältnis zu den verschiedenen Königen,
die sich noch immer um den Besitz der Herrschaft in den griechischen Staaten,
zum Teil auch um ((335)) ihre Gunst, besonders um die Athens, bewarben;
denn Athen imponierte immer noch, wenn auch nicht als Macht,
doch als Mittelpunkt der höheren Künste und Wissenschaften,
besonders der Philosophie und Beredsamkeit.

Es erhielt sich auch mehr außerhalb der Schwelgerei, der Roheit und der Leidenschaften,
die in den anderen Staaten herrschten und sie verächtlich machten,
und die syrischen und ägyptischen Könige rechneten es sich zur Ehre,
Athen große Geschenke an Korn und sonstigen nützlichen Vorräten zu machen.

Zum Teil setzten auch die Könige ihren vornehmsten Ruhm darein,
die griechischen Städte und Staaten unabhängig zu machen und zu erhalten.

Die Befreiung Griechenlands war gleichsam das allgemeine Schlagwort geworden,
und für einen hohen Titel des Ruhmes galt es, Befreier Griechenlands zu heißen.

Geht man auf den inneren politischen Sinn dieses Wortes ein, so war damit gemeint,
daß kein einheimischer griechischer Staat zu einer bedeutenden Herrschaft gelangen sollte,
und daß man sie insgesamt durch Trennung und Auflösung in Ohnmacht erhalten wollte.

Die besondere Eigentümlichkeit, wodurch sich die griechischen Staaten unterschieden,
war eine verschiedene, wie die der schönen Götter,
deren jeder seinen besonderen Charakter und besonderes Dasein hat,
doch so, daß diese Besonderheit ihrer gemeinsamen Göttlichkeit keinen Eintrag tut.

Indem nun diese Göttlichkeit schwach geworden und aus den Staaten entwichen ist,
so bleibt nur die trockene Partikularität übrig,
die häßliche Besonderheit, die sich hartnäckig und eigensinnig auf sich hält
und die eben damit schlechthin in die Abhängigkeit und den Konflikt mit anderen gestellt ist.

Doch führte das Gefühl der Schwäche und des Elends zu vereinzelten Verbindungen.

Die Ätoler und ihr Bund, als ein Räubervolk, machten Ungerechtigkeit, Gewalttätigkeit,
Betrug und Anmaßung gegen andere zu ihrem Staatsrecht.

Sparta wurde von schändlichen Tyrannen und gehässigen Leidenschaften beherrscht
und war dabei von den makedonischen Königen abhängig.

Die böotische Subjektivität ((336)) war nach Erlöschung des thebanischen Glanzes
zur Trägheit und gemeinen Sucht des rohen sinnlichen Genusses herabgesunken.

Der achäische Bund zeichnete sich durch den Zweck seiner Verbindung (Vertreibung der Tyrannen),
durch Rechtlichkeit und den Sinn der Gemeinsamkeit aus.

Aber auch er musste zu der verwickeltsten Politik seine Zuflucht nehmen.

Was wir hier im ganzen sehen, ist ein diplomatischer Zustand,
eine unendliche Verwicklung mit den mannigfaltigsten auswärtigen Interessen,
ein künstliches Gewebe und Spiel, dessen Fäden immer neu kombiniert werden.

Bei dem inneren Zustande der Staaten, welche, durch Selbstsucht und Schwelgerei entkräftet,
in Faktionen zerrissen sind, deren jede sich wieder nach außen wendet
und mit Verrat des Vaterlandes um die Gunst der Könige bettelt,
ist das Interessante nicht mehr das Schicksal dieser Staaten,
sondern die großen Individuen, die bei der allgemeinen Verdorbenheit aufstehen
und edel sich ihrem Vaterlande weihen;
sie erscheinen als große tragische Charaktere,
die durch ihr Genie und die angestrengteste Bemühung
die Übel doch nicht auszurotten vermögen,
und gehen im Kampfe unter, ohne die Befriedigung gehabt zu haben,
dem Vaterlande Ruhe, Ordnung und Freiheit wiederzugeben,
auch ohne ihr Andenken rein für die Nachwelt erhalten zu haben.

Livius sagt in seiner Vorrede:

“In unseren Zeiten können wir weder unsere Fehler noch die Mittel gegen dieselben ertragen.”

Dies ist aber ebensowohl auf diese Letzten der Griechen anzuwenden,
welche ein Unternehmen begannen, das ebenso rühmlich und edel war,
als es die Gewißheit des Scheiterns in sich trug.

Agis und Kleomenes, Aratos und Philopömen
sind so ihrem Bestreben für das Beste ihrer Nation unterlegen.

Plutarch entwirft uns ein höchst charakteristisches Gemälde dieser Zeiten,
indem er eine Vorstellung von der Bedeutung der Individuen in denselben gibt.

Die dritte Periode der griechischen Geschichte enthält aber weiter noch
die Berührung mit dem Volke, welches nach den Griechen das welthistorische sein sollte,
und der Haupttitel ((337)) dieser Berührung war wie früher die Befreiung Griechenlands.

Nachdem Perseus, der letzte makedonische König, im Jahre 168 vor Chr. Geburt
von den Römern besiegt und im Triumph in Rom eingebracht worden war,
wurde der achäische Bund angegriffen und vernichtet
und endlich Korinth im Jahre 146 vor Chr. Geburt zerstört.

Wenn man Griechenland, wie Polybios es schildert, vor Augen hat,
sieht man, wie eine edle Individualität über diesen Zustand nur verzweifeln
und in die Philosophie sich zurückziehen oder dafür handelnd nur sterben kann.

Dieser Partikularität der Leidenschaft, dieser Zerrissenheit, die Gutes und Böses niederwirft,
steht ein blindes Schicksal, eine eiserne Gewalt gegenüber,
um den ehrlosen Zustand in seiner Ohnmacht zu offenbaren und jammervoll zu zertrümmern,
denn Heilung, Besserung und Trost ist unmöglich.

Dieses zertrümmernd Schicksal sind aber die Römer. ((338))