Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang
An dieser Stelle möchte ich eine orientierende Übersicht über den junghegeliani- schen Gruppenzusammenhang geben, um die Personen, deren Handeln in dieser Arbeit untersucht wird, vorzustellen und ihren Ort im Netzwerk der Gruppenbe- ziehungen aufzuzeigen. Biographische Kurzinformationen werden in den Anmerkungen gegeben1.
Etwa um 1837 sind junghegelianische Gruppen - abgesehen von Tübingen - in Berlin und in Halle nachweisbar. Anfang der 40er Jahre haben sich in Köln sowie in Königsberg Gruppenzusammenhänge herausgebildet, die junghegelianisch genannt werden können.
In Halle entsteht 1837 in einem Kreis junger Privatdozenten, Professoren und Lehrer um Arnold Ruge2 die Idee einer Zeitschrift, die sich als Gegenprojekt zu den von Hegel gegründeten Berliner Jahrbüchern (JWK)3 versteht. Wichtig für die Gruppenkonstitution ist, daß Ruge eine Werbereise unternimmt, d. h. gleich auf einen überregionalen Zusammenhang zielt, den er als Herausgeber der »Hallischen Jahrbücher« (HJ)4 organisatorisch mit zusammenhält. - In Berlin ist in dieser Zeit ein philosophischer Schulzusammenhang von Hegelschülern vorhanden, aus dem sich eine Gruppe, der berühmte »Doktorclub«, in dem der junge Marx sich bewegte, herauslöst. Durch Wohnortswechsel bzw. Reisetätigkeit werden Gruppenzusammenhänge im Rheinland (besonders Köln) und Königsberg initiiert oder lokale Ansätze gefördert. Die Zusammenhänge an verschiedenen Orten müssen deshalb als Gruppen bezeichnet werden, weil sie über längere Zeit sich in regelmäßigen Treffen und Diskussionen über gemeinsame Ziele realisieren. Diese regionalen Teilgruppen bilden insofern miteinander einen überregionalen Zusammenhang, als durch Reisen, Briefe und persönliche Freundschaften eine Kommunikation hergestellt wird, die die fortlaufende gegenseitige Rezeption der Veröffentlichungen der Gruppenmitglieder erleichert. Im Hinblick auf die in dieser Arbeit genannten Junghegelianer stellt sich der regionale wie überregionale Gruppenzusammenhang so dar:
A. Ruges Kreis in Halle steht in Verbindung und Differenz mit den hegelianischen Universitätsmitgliedern, insbesondere mit den Althegelianern Friedrich W. Hinrichs5 und Julius Schaller6; zum Rugekreis sind der Junghegelianer Robert Prutz und der Mitherausgeber der Jahrbücher Theodor Echtermeier zu rechnen. 1841 übersiedelt Ruge nach Dresden und befreundet sich dort mit Michail Bakunin, der sich zuvor in Berliner Junghegelianerkreisen bewegt hatte. Ruge sucht schon früh den Kontakt zu Feuerbach7, der gesellige Zusammenhänge meidet, dafür aber durch seine Schriften und Briefe mit der Gruppe verflochten ist. Ebenso besteht eine Verbindung zwischen Ruge und Karl Theodor Bayrhoffer in Marburg. Der Kontakt ins Rheinland läuft über Georg Jung, der dort zusammen mit Moses Heß das Projekt der Zeitung initiiert, zu dem auch Karl Heinzen stößt.
In Berlin gehören dem Doktorklub 1837 Bruno Bauer8, Adolf Karl Friedrich Köppen9 und Marx an, vielleicht auch schon Edgar Bauer und Mitglieder, die 1841 die Zeitschrift »Athenäum« tragen, u. a.: Karl Riedel, Eduard Meyen, Karl Nauwerck, Ludwig Buhl und Friedrich Engels. Wann Stirner10 zu diesem Kreis stößt, ist unbekannt, mit Engels verband ihn eine Duzfreundschaft. Von den älteren Berliner Hegelschülern, die engere Beziehungen zu den Junghegelianern haben, sind Eduard Gans11 und Karl Ludwig Michelet12 zu nennen. — Zwischen Berlin und dem Rheinland bestehen enge Verbindungen nicht nur durch die Wohnortswechsel von Bauer, Marx und Rutenberg, sondern auch, weil die »Athenenser« zu regelmäßigen Mitarbeitern der Rheinischen Zeitung« (RhZ) werden.
In Königsberg lehrt der Freund Ruges und Althegelianer Karl Rosenkranz13. Zu den Königsberger Junghegelianern gehören Rudolf Gottschall, Wilhelm Jordan, August Witt, Karl Reinhold und Eduard Flotwell, der sowohl engen Kontakt zu Berlin wie zum Rheinland besitzt.
Ein wichtiges »Zentrum« für Gruppenverdichtungen wie für den Umschlag von Schriften und Ideen ist das Ausland gewesen: insbesondere die Orte Zürich, Paris und Brüssel. Herwegh und Venedey gehören mit zu den Emigranten, die für die Junghegelianer Bedeutung gewinnen, bevor einige von ihnen selbst Exilerfahrungen machen müssen.
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Dieser Text ist ein Auszug aus dem empfehlenswerten Buch von Wolfgang Eßbach: “Die Junghegelianer - Soziologie einer Intellektuellengruppe,” Wilhelm Finck Verlag, München 1988, Seite 40-41 (der Abschnitt endet auf S.42, dieser Teil wurde nicht reproduziert). Alle Hervorhebungen im Orginal. Die Fußnoten (86-125) wurden nicht übernommen, alle Fußnoten dieses Textes kommen von Kai Froeb.↩︎